Medienspiegel 23. März 2019

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
Asyl: Bundesverwaltungsgericht hält neue Fristen weitgehend ein
Das Bundesverwaltungsgericht hat im ersten Jahr nach revidiertem Asylgesetz in 70 Prozent der Fälle die gesetzlich vorgeschriebenen Behandlungsfristen eingehalten. In weiteren 20 Prozent der Fälle wurde sie nur um wenige Tage überschritten. 15 Prozent der Beschwerden, welche nach revidiertem Asylrecht zu behandeln waren, wies das Gericht zur Neubeurteilung an das Staatssekretariat für Migration zurück.
https://www.bvger.ch/bvger/de/home/medien/medienmitteilungen-2019/mm-asylbilanz-0320.html
-> https://www.nzz.ch/schweiz/neues-asylrecht-bundesverwaltungsgericht-weist-mehr-faelle-an-das-sem-zurueck-ld.1548012


Alle hängigen Asylverfahren sollen bis nach der Corona-Krise pausiert werden
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) stellt Asylanhörungen während einer Woche ein — und muss deshalb Kritik einstecken. Solidarité sans frontières genügen diese Massnahmen zum Schutz von Asylsuchenden nicht.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/alle-haengigen-asylverfahren-sollen-bis-nach-der-corona-krise-pausiert-werden-137330721


+++DEUTSCHLAND
Wegen Coronavirus: Seehofer stoppt Dublin-Abschiebungen
Die Corona-Krise setzt auch das deutsche Asyl-System unter Zugzwang. Nach Informationen von NDR, WDR und SZ werden ab sofort alle Abschiebungen in EU-Staaten gestoppt.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-abschiebungen-103.html


+++GRIECHENLAND
Wie schützt man Flüchtlingslager vor Coronaviren?
Humanitäre Organisationen bereiten sich auf einen Ausbruch der Epidemie in Idlib oder auf Lesbos vor. Viele notwendige Massnahmen lassen sich kaum umsetzen.
https://www.nzz.ch/international/wie-schuetzt-man-fluechtlingslager-vor-corona-ld.1547867


+++GRIECHENLAND-TÜRKEI-EU
Umgang mit Flüchtlingen: UN-Menschenrechtsexperte kritisiert griechischen Grenzeinsatz
Nach Berichten über ein drastisches Vorgehen griechischer Grenzschützer gegen Flüchtlinge erinnert der Sonderbeauftragte das Land an dessen Pflichten
https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-griechenland-un-1.4854422


Adieu Menschlichkeit, adieu Europa
Die EU-Außengrenze ist Schauplatz eines brutalen Abwehrkampfes. Die vorübergehende Aussetzung des Asylrechts markiert eine historische Zäsur. Warum sich Europa jetzt auf seine Werte besinnen und Verantwortung in der Welt übernehmen muss.
https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/sendung-vom-22032020-100.html


+++SYRIEN
Angst und Hoffnung im syrischen Idlib – Echo der Zeit
Seit zwei Wochen herrscht Waffenruhe in der syrischen Provinz Idlib. Eine wichtige Verschnaufpause. Ausgerechnet jetzt kommt aber eine neue Sorge dazu: die Angst vor dem Coronavirus. Gespräch mit Ahmed, dem Leiter eines kleinen Hilfswerks, mit dem SRF regelmässig Kontakt hat.
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/angst-und-hoffnung-im-syrischen-idlib?id=dca04f0f-2f55-40ab-b595-906ae6a2bb48


Corona-Gefahr in Idlib: „Bitte vergesst die Syrer nicht“
Mehr als eine Million Vertriebene harren in der syrischen Provinz Idlib unter elenden Bedingungen aus. Die Menschen sind dem Coronavirus nahezu schutzlos ausgeliefert, warnt der Nothelfer Fadi Al-Dairi.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/corona-in-idlib-syrien-wir-schlittern-in-eine-katastrophe-a-e1689813-7e80-4843-8302-2f20759f43f2


Corona-Gefahr in Idlib „Bitte vergesst die Syrer nicht“
Mehr als eine Million Vertriebene harren in der syrischen Provinz Idlib unter elenden Bedingungen aus. Die Menschen sind dem Coronavirus nahezu schutzlos ausgeliefert, warnt der Nothelfer Fadi Al-Dairi.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/corona-in-idlib-syrien-wir-schlittern-in-eine-katastrophe-a-e1689813-7e80-4843-8302-2f20759f43f2


+++FLUCHT
Vermisst: Flüchtling
Nach Europa zu gelangen, ist für viele Flüchtlinge Hoffnung und Ziel. Für ihre Angehörigen wird dies zum Albtraum, wenn sich ihre Spur verliert. Mit vermissten Personen befasst sich das Schweizerische Rote Kreuz, aber auch eine Mailänder Rechtsmedizinerin, die tote Bootsflüchtlinge identifiziert.
https://www.srf.ch/play/radio/kontext/audio/vermisst-fluechtling?id=1719bf96-621f-41eb-a30c-f8e270d896f4


Vermisst: Flüchtling
Nach Europa zu gelangen, ist für viele Flüchtlinge Hoffnung und Ziel. Für ihre Angehörigen wird dies zum Albtraum, wenn sich ihre Spur verliert. Mit vermissten Personen befasst sich das Schweizerische Rote Kreuz, aber auch eine Mailänder Rechtsmedizinerin, die tote Bootsflüchtlinge identifiziert.
https://www.srf.ch/sendungen/kontext/vermisst-fluechtling


+++FREIRÄUME
bernerzeitung.ch 23.03.2020

Kündigung nach 64 Jahren: «Der Hausbesitzerin sind die Menschen egal»

Allen Mietern der Liegenschaft am Hofweg in der Lorraine wurde die Wohnung gekündigt. Besonders hart trifft es eine 88-Jährige, die seit sechs Jahrzehnten hier wohnt.

Claudia Salzmann

Spiri Bach sitzt auf dem Bett. Geschlafen hat die 88-Jährige letzte Nacht nicht, die davor auch nicht. Stattdessen habe sie Kreuzworträtsel gelöst, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Die Bernerin wohnt seit 64 Jahren in ihrer Wohnung am Hofweg. Noch die Erbauer habe sie gekannt, sämtliche Besitzerwechsel des Hauses kann sie aufzählen. Und jetzt flatterte die Kündigung ins Haus. «Ich kann doch in meinem Alter nicht umziehen», sagt sie und lässt ihre Schultern wieder hängen.

Die Seniorin ist eine der 18 Parteien, die ihre Wohnungen bis im Herbst verlassen müssen. Die Liegenschaftsbesitzerin SIG will das ganze Haus sanieren. Eine Alternative im Breitenrainquartier wurde Bach angeboten. Zum gleichen Preis würde sie eine Wohnung ohne Balkon bekommen. Ihr kleines Daheim ist als Einzimmerwohnung deklariert. In der Küche kann man sich kaum drehen, der Ausbaustandard ist alt, und in den Jahrzehnten hat sich einiges an Besitz angesammelt. 600 Franken beträgt die Miete, gerade noch stemmbar mit ihrer Rente.

Auch Kinder betroffen

Hausbewohnerinnen stehen Bach zur Seite und trösten sie. BeispielsweiseTea Batt, die eine Zweizimmerwohnung im ersten Stock bewohnt, und Claudia Friedli, die mit ihrem Partner und ihrem Sohn hier wohnt. Gemeinsam zogen sie letzte Woche vor die Schlichtungsbehörde. Dort wurde ihnen eine Zahlung zugesichert, die sie beim Auszug überwiesen bekommen. Aber für die Bewohnerinnen fühlt es sich an, als hätten sie verloren.

«Einige im Haus sind Ausländer, Sans-Papiers oder Prostituierte. Viele kennen ihre Rechte nicht. Andere sagten, sie wollten auch kämpfen, beim Termin waren wir aber nur vier», sagt Claudia Friedli. Für sie ist die Kündigung ebenfalls ein harter Schlag: Ihr Partner arbeitet im gleichen Haus, die Kita befindet sich die Strasse hoch, und Friedli unterrichtet an der Kunstgewerbeschule. «Der Hausbesitzerin sind die Menschen egal», sagt sie.

Seit 64 Jahren nicht saniert

Das dementiert Pascale Uehli vehement. «Wir gehören nicht zu denen, die Leute gern auf die Strasse setzen», sagt die Liegenschaftsverwalterin von Intershop. Die Gentrifizierungskeule zu schwingen, ist vielleicht zu einfach, denn das Haus hat Baujahr 1956. Seither habe man nur Unterhaltsarbeiten gemacht und keine grössere Sanierung. Das sei nun nötig. Dass die Kündigungen nicht zumutbar seien, dementiert sie. «Wir haben im Oktober den 15 Parteien gekündigt. Ein Jahr im Voraus, das ist wirklich grosszügig», sagt sie. Drei Wohnungen seien schon damals leer gewesen, drei weitere Parteien seien nun vorzeitig gegangen.

Der Bewohnerin Spiri Bach habe man eine Wohnung angeboten, aber bisher von ihr noch keine Zusage erhalten. Die leeren Wohnungen habe man nicht mehr vermietet, weil man den Mietern dann auch hätte kündigen müssen. Ausgehöhlt werde das Haus nicht: «Wir werden wiederum 18 Ein- und Zweizimmereinheiten haben, Familienwohnungen werden das nicht.»

Die Mieten würden lediglich um den wertvermehrenden Betrag erhöht werden, bei diesen kleinen Wohnungen habe man wenig Spielraum. Die Kritik der Parteien, dass ihnen der Mensch egal sei, weisst Üehli von sich. Ja sie äussert sich sogar verständnisvoll: «Es ist klar, dass der Vermieter nie sozial ist.» Diese Sanierung sei wirklich nötig, man sehe es ja bereits von aussen. Der von ihnen anvisierte Baustart sei der 1. November. Da nichts an der Gebäudehülle gemacht werde, brauche es kein Baugesuch.

Allernötigste Arbeiten

Tea Batt setzt sich neben Spiri Bach aufs Bett, versucht sie zu beruhigen. Die 45-Jährige wohnt seit 19 Jahren hier. «Ich versuche den Umzug als Neuanfang anzusehen, aber es bricht mir das Herz», sagt sie. Die neue Wohnung koste mehr, weshalb sie sich einschränken müssen werde. «Oder mehr arbeiten, aber als Betreuerin im Altersheim verdient man halt nicht viel», sagt sie. Sie wohnt allein, weshalb sie alles allein zahlen muss. Dabei geht es da um kleine Geldbeträge. Beispielsweise teilt sie sich die Internetgebühren mit ihrer Nachbarin Claudia Friedli.

«Ein Frust ist halt, zu merken, dass sie uns als Mieter einfach nicht mehr wollen.» Nicht einmal ein Angebot im Nachbarhaus, das derzeit umgebaut wird und der gleichen Besitzerin gehört, habe es gegeben. Sie sieht ein, dass einiges wirklich gemacht werden muss, und spricht damit beispielsweise tropfende Rohre im Keller an. «Es wurde nur das Allernötigste gemacht. Zudem hätte man das Haus in Etappen sanieren können», sagt die gelernte Hochbauzeichnerin.

Trauer übermannt sie

Die Art und Weise, wie sie die Kündigung bekam, ist für sie fragwürdig. «Man sagte mir, man wolle bloss die Wohnung schätzen kommen. Ich müsse keine Angst haben, die Miete werde nicht erhöht. Und ein paar Tage später kommt die Kündigung», sagt sie. Die Lorraine habe sich in dieser Zeit sehr verändert. Viele sind seit Jahrzehnten verankert, halten sich in ihren Wohnungen still. «Sie trauen sich gar nicht, auf ihre Rechte zu pochen, und streichen die Wände selber», sagt sie.

Spiri Bach schüttelt den Kopf, sie ist überfordert. Mit Gentrifizierung muss man ihr nicht kommen, sie vermag nicht recht das grössere Bild zu sehen, zu sehr beschäftigt sie ihre eigene Situation. «Ich weine eigentlich nie, aber gestern kam alles über mich. Ich kann mir mein Zuhause nach dem Umbau nicht mehr leisten.» Illusionen, dass das Bauvorhaben gestoppt wird, macht sich keine der drei Frauen, im Gegenteil, aber dennoch «müssen wir doch für unser Quartier kämpfen». Auch die jüngeren Frauen wollen nicht hinnehmen, dass nur noch gut betuchte Menschen in der Lorraine leben dürfen.
(https://www.bernerzeitung.ch/der-hausbesitzerin-sind-die-menschen-egal-483187570441)


+++GASSE
Notschlafstelle Freiburg – Wie bleibt man zuhause ohne Zuhause?
Die einzige Notschlafstelle im Kanton Freiburg bleibt offen, muss sich wegen des Coronavirus aber anpassen.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/notschlafstelle-freiburg-wie-bleibt-man-zuhause-ohne-zuhause


Wie bleibt man zuhause ohne Zuhause?
Wegen des Coronavirus sollen alle möglichst zuhause bleiben. Für Obdachlose eine schwierige Zeit, zeigt das Gespräch mit der kirchlichen Gassenarbeit in Bern. Und auch die Notschlafstelle in Freiburg musste Massnahmen ergreifen (ab 07:53)
https://www.srf.ch/sendungen/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/wie-bleibt-man-zuhause-ohne-zuhause



derbund.ch 23.03.2020

«Die Krise hat den Hunger noch grösser gemacht»

Weil Gassenküchen und Treffs geschlossen sind, stehen Randständige allein da. Doch es gibt Menschen, die ihnen helfen.

Philippe Reichen, Philipp Loser

Nach dem Eindunkeln strömen sie auf die Place de la Riponne: Obdachlose, Drogenabhängige, Sans-Papiers. 150 Leute sind es am Ende. Jeden Tag sind sie da, auch bei Regen. Die Umgebung ist für alle ungewohnt. Nach dem Ausbruch des Coronavirus musste die Lausanner Gassenküche auf den Platz im Stadtzentrum ausweichen. Im Stammlokal war es zu eng und die Ansteckungsgefahr zu gross. Der Umzug ins Freie war die einzige Alternative.

Geduldig, in einer Reihe und im Sicherheitsabstand postiert, warten die Randständigen auf ihr Essen. Auf dem riesigen Platz wirken sie ausgestellt. «Der Hunger ist gross. Die Krise hat ihn noch grösser gemacht», sagt Véro­nique Eichenberger von der Stiftung Mère Sofia, die Betreiberin der Gassenküche.

Beratungsgespräche kann die Stiftung in Coronazeiten keine mehr führen. Nahrungsmittel werden Bedürftigen aktuell sogar nach Hause geliefert. Vor allem um eine Gruppe macht sich Eichenberger Sorgen: um die Sans-Papiers. «Die Leute sind komplett schutzlos. Die Situation ist dramatisch», sagt sie. Viele versteckten sich in ihren Wohnungen, hätten in den letzten Tagen ihre Jobs verloren und seien ohne Geld und Hilfe.

Das beobachtet auch Bea Schwager von der Zürcher Anlaufstelle für Sans-Papiers. Als Bundesrat Alain Berset vor einer Woche den Lockdown verkündete, wurde die Anlaufstelle mit Anfragen überhäuft. Viele Papierlose treffe die Corona-Krise besonders hart, sagt Schwager. Plötzlich würden sie als Ansteckungsrisiko gesehen, verlören ihre Jobs in der Kinderbetreuung oder als Reinigungshilfen. Auch im Baugewerbe stelle man sie nun auf die Strasse.

Besonders hart getroffen

Diese Krise, das zeigen die ersten Tage deutlich, trifft ganz unterschiedliche Leute unterschiedlich hart. Selbstständig­erwerbende, Gewerbetreibende, die Wirtschaft überhaupt. Besonders hart sind diese Tage aber auch für die Menschen am Rand. Es ist eine Krise der sozial Schwächsten.

Wer es sich leisten konnte, floh nach der Verkündung der Ausgangssperre in Paris in seinen Zweitwohnungssitz auf dem Land. In den dichter besiedelten und sozial schwächeren Quartieren rund um das Stadtzentrum prügelten sich derweil die Menschen in den Supermärkten um Toilettenpapier und Wasser. Szenen wie aus einem dystopischen Film. In der Schweiz ist das Gefälle nicht so extrem. Doch Wohlstand hilft auch hier: Für die Akademikerfamilie in der geräumigen Fünfzimmerwohnung mit Balkon ist die Isolation besser zu ertragen als für die alleinerziehende Migrantin auf 40 Quadratmetern. Von anderen gar nicht zu sprechen. Den Obdachlosen, Drogensüchtigen, Prostituierten, psychisch Kranken oder – eben – den Sans-Papiers.

Sans-Papiers arbeiten meist im Stundenlohn, haben keine Arbeitsverträge, damit kein Anrecht auf eine Arbeitslosenentschädigung oder Sozialhilfe, besitzen kaum Erspartes, können kein Bankkonto eröffnen und damit auch nicht bargeldlos zahlen, wie das Supermärkte aus Hygienegründen derzeit oft verlangen. Können sie Rechnungen nicht mehr begleichen, drohen Betreibungen, die schlimmstenfalls in der Ausweisung enden. Sowieso leben Papierlose in der Regel in engen, prekären Behausungen. Bleiben die Schulen geschlossen und die Kinder zu Hause, wird der Platz noch ­knapper.

In der Stadt Zürich lancierten Aktivisten am vergangenen Donnerstag unter dem Titel «Nothilfe für Sans-Papiers» ein umfassendes Hilfsangebot. Die 50’000 Franken für die Abgabe von Lebensmittelbons sind fast zusammen. Freiwillige helfen Papierlosen bei der Kinderbetreuung. Die Aktion ist ein Erfolg.

Umstellung auf Take-away

Doch Sorgen bleiben. Bea Schwager fragt: «Was passiert, wenn Papierlose am Coronavirus erkranken oder sogar ins Spital müssen?» Davon hätten viele Angst, denn Krankenkassen und Arztbesuche könnten sie sich nicht leisten. Die Spitäler versorgen Sans-Papiers zwar, können wegen Kostengutsprachen aber an die Sozialämter gelangen, die wiederum die Migrationsbehörden einschalten.

Genau darum hat Olivia Jost von der Anlaufstelle für Papierlose in Basel sofort die Dossiers ihrer Klienten überprüft und geschaut, ob alle eine Krankenversicherung haben. Haben sie, sagt sie, und und ist erleichtert, dass der Kanton Basel-Stadt Prämienverbilligungen gewährt, was der Kanton Zürich in weit geringerem Umfang tut. Dennoch will Jost den Kanton um finanzielle Unterstützung bitten. Auch in Basel sind viele Papierlose stellenlos, ihnen drohen finanzielle Engpässe. «Uns ist klar, dass dies eine besondere Krisensituation für die sozial Schwächsten ist», sagt Eveline Bohnenblust, die im Basler Gesundheitsdepartement die Abteilung für Sucht leitet. «Zum Glück arbeiten auch im sozialen Bereich so viele engagierte und flexible Leute!»

So gut wie es irgendwie gehe, versuche man die bestehenden Institutionen auf die neue Situation umzustellen. Obdachlose werden (nachdrücklich) ermuntert, in den kommenden Tagen in staatliche Unterkünfte zu übersiedeln, wo sie sich waschen können, duschen, versorgt werden. Anlaufstellen, bei denen Bedürftige früher essen durften, haben auf Take-away umgestellt. Die Kontakt- und Anlaufstellen (frühere Fixerstübli) bleiben – unter verschärften Auflagen – geöffnet. «Wir wollen unbedingt verhindern, dass sich wieder eine offene Drogenszene entwickelt», sagt Bohnenblust. Man müsse den Kontakt zu den betroffenen Leuten halten, «gerade auch, weil viele nicht einschätzen können, wann sie tatsächlich krank sind».

Sie schauen Tag für Tag

Man schaue Tag für Tag, sagt Bohnenblust, eines nach dem anderen. Michel Steiner hält es gleich. Er leitet den «Schwarzen Peter» im St.-Johanns-Quartier, klassische Gassenarbeit. Die Sprechstunde hat er in den benachbarten Park verlegt. Mit Flyern in der ganzen Stadt versuchen Steiner und sein Team ihre Kundschaft zu erreichen, zu informieren, zu sensibilisieren. «Aber ich weiss nicht, ob die Botschaft wirklich ankommt. Ich fühle mich ja selber noch wie in einem Film.» Es passierte viel zu viel und zu vieles gleichzeitig.

Letzte Woche hat Steiner die Nachricht erhalten, dass die Lebensmittelhilfe «Tischlein deck dich» den schweizweiten Betrieb unterbricht. An 132 Abgabestellen haben deren Helferinnen und Helfer pro Woche 5700 Familien mit insgesamt 200’000 Personen beliefert. «Es war ein wahnsinnig schwieriger Entscheid», sagt Geschäftsführer Alex Stähli, «aber ein unumgänglicher.»

Seit der Betrieb eingestellt wurde, wird Stähli mit Ideen und Vorschlägen überflutet, wie die Hilfe trotzdem weiter gehen kann. Leute mit einer Bezugskarte dürfen in der Zwischenzeit in den Läden der Caritas einkaufen. «Am Punkt X, wenn die Lage wieder einigermassen stabil schlecht ist, werden wir bereit sein», sagt Stähli. Bis dahin? Schaut man Tag für Tag.
(https://www.derbund.ch/schweiz/standard/besondere-krisensituation-fuer-die-sozial-schwaechsten/story/19558941)



Zürich versorgt Obdachlose auch tagsüber — per sofort Ganztagsbetrieb während Corona-Krise
Trotz Corona-Krise bleiben in der Stadt Zürich alle Angebote des Sozialdepartements für Obdachlose weiterhin geöffnet. Zwei Schlafstellen wechseln auf 24-Stunden-Betrieb.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich-versorgt-obdachlose-auch-tagsueber-per-sofort-ganztagsbetrieb-waehrend-corona-krise-137330869
-> https://www.stadt-zuerich.ch/sd/de/index/ueber_das_departement/medien/medienmitteilungen_aktuell/2020/maerz/200323a.html



Gassenarbeit Luzern – Drogenabhängige in Not: Der Stoff wird knapp
Die Corona-Krise hat Auswirkungen auf Drogenabhängige. Nun sollen mehr Zugang zu einem Methadonprogramm erhalten.
https://www.srf.ch/news/regional/zentralschweiz/gassenarbeit-luzern-drogenabhaengige-in-not-der-stoff-wird-knapp


+++SEXWORK
Konsequenzen der Coronakrise: «Die Situation der Sexarbeitenden ist prekär»
Prostituierte dürfen wegen der Corona-Krise nicht mehr arbeiten. Die Berner Fremdenpolizei appelliert an die Bordellinhaber, dass sie jetzt den Sexarbeitenden günstige Wohnmöglichkeiten bieten.
https://www.bernerzeitung.ch/die-situation-der-sexarbeitenden-ist-prekaer-501123066470


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Kundgebungen zum Tag der Arbeit abgesagt – Rendez-vous
Die Corona-Krise hat die Schweiz im Griff, und das wird noch eine Weile so bleiben. Der Bund hat die ausserdienstliche Schiesspflicht für das laufende Jahr sistiert. Und der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat die Kundgebungen zum 1. Mai abgesagt.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/kundgebungen-zum-tag-der-arbeit-abgesagt?id=3c95cfb2-592a-48e7-87a8-8d473f0a4bcb
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-1-mai-demonstration-wird-abgesagt-00131067/
-> https://www.nzz.ch/zuerich/coronavirus-in-zuerich-demonstration-und-fest-zum-1-mai-abgesagt-ld.1547964


++++FREE NEKANE
Fall Nekane: Keine Entschädigung für Haft in der Schweiz
Das Bundesgericht ist auf eine Beschwerde der Baskin Nekane Txapartegi nicht eingetreten, welche für die 527 Tage dauernde Inhaftierung in der Schweiz eine Entschädigung verlangte. Spanien hatte die Auslieferung der ETA-Unterstützerin verlangt. Weil die von einem spanischen Gericht verhängte Strafe verjährt war, zog das Land das Gesuch zurück.
https://www.watson.ch/schweiz/spanien/891958511-fall-nekane-keine-entschaedigung-fuer-haft-in-der-schweiz
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://10-03-2020-1C_611-2019&lang=de&zoom=&type=show_document


+++CRIME SCENE
Die Zahl der Einbrüche ist in der Schweiz 2019 weiter zurückgegangen
2019 hat die Polizei rund 36 400 Einbrüche registriert, das sind 6,3% weniger als im Vorjahr. Die Straftaten sind seit dem Rekordjahr 2012 mit 73 700 Straftaten um etwas mehr als die Hälfte zurückgegangen (–37 000). Im gleichen Zeitraum haben sich gemäss den Ergebnissen des Bundesamtes für Statistik (BFS) die polizeilich registrierten Betrugsstraftaten auf 17 606 verdoppelt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78483.html
-> https://www.police.be.ch/police/de/index/medien/medien.meldungNeu.html/police/de/meldungen/police/news/2020/03/20200323_0930_kanton_bern_anstiegderstraftatengemaessstrafgesetzbuch
-> https://www.derbund.ch/bern/kanton-bern-erstmals-seit-sechs-jahren-wieder-mehr-straftaten/story/28554055
-> https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Mehr-Diebstaehle–mehr-Gewalt–mehr-Anzeigen-19578568


SVP-Landmann will härtere Strafen für Hassdelikte
Rechtsanwalt Valentin Landmann (SVP) verlangt, dass bei so genannten Hassdelikten die Strafe verschärft wird. Er erhält Unterstützung von Parteikollegen.
https://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/SVP-Landmann-will-haertere-Strafen-fuer-Hassdelikte-28626431


+++KNAST
Coronavirus: Das Leben von Gefangenen steht über Sicherheitsinteressen
humanrights.ch ist besorgt über die Situation von Gefangenen und ruft die Behörden dazu auf, die Grundrechte der Gefangenen auch während der Corona-Pandemie zu wahren. Das Recht auf Leben und das Recht auf Gesundheit sind aufgrund der besonderen Verletzlichkeit von Gefangenen höher zu gewichten als Sicherheitsinteressen. humanrights.ch ruft die Behörden dazu auf, in den Einrichtungen mehr Platz zu schaffen und damit auch die Mitarbeitenden zu entlasten.
https://www.humanrights.ch/de/ueber-uns/impressum/eigenes/mm-coronavirus-gesundheit-gefangenen-ber-sicherheitsinteressen



derbund.ch 23.03.2020

Strafvollzug im Kanton Bern: Wie funktioniert Social Distancing im Gefängnis?

Kein Ausgang, keine Urlaube, keine Besuche. In Berner Justizvollzugsanstalten herrscht Ausnahmezustand, der Betrieb wurde zurückgefahren. Kurzstrafen werden aufgeschoben.

Chantal Desbiolles

Während in Italiens Gefängnissen Revolten ausbrachen, weil Besuche nicht mehr erlaubt sind, ist die Stimmung in Berner Justizvollzugsanstalten (JVA) aktuell gut. Seit Donnerstag kommen Besucherinnen und Besucher nicht mehr in die Anstalten – Anwälte ausgenommen. Und auch Ausgang sowie Ferien wurden den Inhaftierten gestrichen.

«Wir haben uns sehr bemüht, dass sie diese Massnahme mit Verständnis aufnehmen», sagt Olivier Aebischer, Leiter Kommunikation beim Amt für Justizvollzug. «Wir sind froh, dass uns das gelungen ist.» Nicht nur habe die grosse Mehrheit der Inhaftierten «grosses Verständnis» dafür gezeigt, ja, einige seien sogar erleichtert gewesen. Jedenfalls würden die Vorgaben eingehalten, und die Leute zeigten sich solidarisch mit den vulnerablen Personen – also jenen, die der Risikogruppe angehören.

Social Distancing gilt wie in allen anderen Lebensbereichen auch in den Gefängnissen. Hier ist mit den Suchtkranken auch eine weitere Risikogruppe vertreten. Wegen des geltenden Abstandgebots ist in einigen Anstalten nur die Hälfte der Insassen überhaupt im Arbeitseinsatz, in anderen ist der Arbeitsbetrieb inzwischen ganz eingestellt worden.

Auf das Ziel, die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten, habe man sich wochenlang vorbereitet, sagt Aebischer. Das Personal der Strafanstalten sei sich ohnehin den Umgang mit Leuten mit ansteckenden Krankheiten gewohnt, die Ausgangslage sei also nicht völlig anders als in einem Heim oder Spital. Jede Anstalt betreibt einen Gesundheitsdienst, organisiert regelmässige Arztvisiten. Ausserdem seien die Anstaltsleitungen im täglichen Austausch mit allen relevanten Stellen wie dem Kantonsarztamt. «Wir setzen die gesundheitlichen Massnahmen sehr konsequent um.»

Arbeitspflicht ausgesetzt

Dazu gehört auch, dass die Arbeitspflicht für vulnerable Inhaftierte schon vor zwei Wochen ausgesetzt wurde. In Hindelbank ist die Arbeit inzwischen eingestellt worden, im Thorberg arbeitet abwechselnd die Hälfte der Gefangenen. In Witzwil, dem grössten Landwirtschaftsbetrieb der Schweiz, müssen die Tiere auch weiterhin versorgt werden.

Wie in den Zellen leben mehrere Leute auch in den Wohngruppen zusammen. In einer Wohngruppe in Hindelbank wurde eine Frau positiv getestet, sie wurde Ende letzter Woche isoliert. Es geht ihr laut Aebischer so weit gut. Drei andere Frauen sind in Quarantäne. Sie zeigen laut Aebischer keine Krankheitssymptome.

Gefängnisse als Epizentren

Besorgt zeigt sich die Menschenrechtsorganisation Humanrights.ch: Sie ruft die Behörden dazu auf, die Grundrechte der Gefangenen während der Corona-Pandemie zu wahren. In den «Epizentren für Infektionskrankheiten» müsse mehr Platz geschaffen, Mitarbeitende entlastet und den Inhaftierten überall ermöglicht werden, ihre Hände zu waschen oder zu desinfizieren.

Auch verweist Humanrights.ch auf die Altersstruktur im Vollzug: Beinahe jeder fünfte Gefangene sei über 50 Jahre alt. Wegen fehlender Betten könne es auch sein, dass Schwererkrankte gar nicht in ein öffentliches Krankenhaus transferiert werden können.

Damit renne die Organisation beim Berner Justizvollzug offene Türen ein, sagt Aebischer. Die Bewachungsstation im Inselspital, betrieben vom Amt für Justizvollzug, stehe vollumfänglich zur Verfügung. Insassen mit einem schweren Verlauf von Covid-19 würden dahin verlegt.

Weniger Gefangene

Auch die Forderung, die Anzahl Gefangener in den Einrichtungen zu reduzieren, hat das Amt für Justizvollzug gehört. In der Westschweiz hat man bereits reagiert, wie bekannt wurde: Die Genfer Behörden liessen die Kriterien für Festgenommene überarbeiten, damit das überfüllte Gefängnis Champ-Dollon nicht noch stärker belastet wird.

Insgesamt sind es neun Anstalten im Kanton Bern, die über 956 Plätze verfügen. «Unser Gesamtbestand ist merklich gesunken», stellt Aebischer indes fest. Das hänge auch mit einem Aufgebotsstopp zusammen. Konkret geht es um Verurteilte, die aktuell in Freiheit sind und deren Strafe später vollzogen werden kann. Dabei handelt es sich laut Aebischer beispielsweise um Kurzstrafen, wie sie bei leichten Vergehen gegen das Strassenverkehrs- und Betäubungsmittelgesetz ausgesprochen werden. Es sind in der Regel Bussen oder Geldstrafen, die in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden. Von jenen, die solche Kurzstrafen zu verbüssen hätten, so Aebischer, gehe keine Gefährdung aus.
(https://www.bernerzeitung.ch/wie-funktioniert-social-distancing-im-gefaengnis-107464946851)




Prisons : réduire la surpopulation pour éviter la crise sanitaire
Alors que les visites ont déjà été suprimées dans les prisons vaudoises, on redoute à tout moment la même chose dans la prison surpeuplée de Champ-Dollon. En France, de nombreuses associations, dont certaines représentent des acteurs centreaux du système juridique, en appellent à des mesures urgentes : „face au risque de crise sanitaire et sécuritaire, il faut aujourd’hui permettre à un maximum de personnes de sortir immédiatement de ce vase clos.“ S’il n’est pas dans nos habitude de donner la parole à des acteurs du système judiciaire, nous trouvons que ce communiqué fait écho à un appel similaire lancé à Genève (voir ici) nous avons donc choisi de le publier.
https://renverse.co/Prisons-reduire-la-surpopulation-pour-eviter-la-crise-sanitaire-2483


+++BIG BROTHER
Überwachung in Zeiten von Corona – Echo der Zeit
In einigen Ländern werden Menschen von den Behörden per App überwacht: So soll das Coronavirus eingedämmt werden können. Wie funktionieren solche Apps? Und was sagen Betroffene dazu?
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/ueberwachung-in-zeiten-von-corona?id=edff39a0-2aec-4ea4-b9d5-2a823235a8c4


+++ANTIRA
antira-Wochenschau: Nationalismus, Solidarität, Rechtpopulismus in Coronazeiten
https://antira.org/2020/03/23/antira-wochenschau-nationalismus-solidaritaet-rechtpopulismus-in-coronazeiten/


+++RECHTSPOPULISMUS
Populisten und die Pandemie: Wenn plötzlich Sündenböcke fehlen
In Europa haben Rechtspopulisten die Schuld quasi aller Probleme auf Flüchtlinge geschoben. Doch eine Pandemie lässt sich mit solchen Sündenböcken nicht erklären.
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-populisten-101.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Reactiva, association éco-fasciste vaudoise
Fondée en 2017, Reactiva se décrit comme une „association d’intérêt environnemental à but non lucratif“. En plus d’exploiter deux terrains en permaculture à Corsier-sur-Vevey, elle possède un „bar associatif“ à Clarens dans lequel elle organise des soirées de soutien et des concerts.
https://renverse.co/Reactiva-association-eco-fasciste-vaudoise-2431


Polizei liefert Steilvorlage für rechten Hass
Ein Polizeichef streut falsche Informationen über einen Einsatz in einem Thüringer Asylheim. Daraus machen Neonazis eine Kampagne, in der sie Flüchtlinge als Islamisten abstempeln.
https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2020/03/23/polizei-liefert-steilvorlage-fuer-rechten-hass_29660


+++WORLD OF CORONA
Ticker:
-> https://www.derbund.ch/berner-fasnacht-wegen-corona-virus-abgesagt-785652369367
-> https://www.derbund.ch/stoppt-das-bag-den-kanton-tessin-und-was-ist-mit-verbier-801928188461
-> https://beta.20min.ch/story/so-sieht-die-coronavirus-kampagne-des-bundes-aus-255254143692?legacy-true
-> https://beta.20min.ch/story/coronavirus-im-ausland-338943429989?legacy=true
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/aktuelle-news-zum-coronavirus-ticker-zum-sars-aehnlichen-virus-aus-china-id15715896.html


Deutsche Regierung erwägt Überwachung von potenziell Corona-Infizierten
Ein Gesetzesentwurf, der Smartphone-Tracking vorsieht, wurde nach massiver Kritik zurückgezogen. Der Vorschlag soll bis Ostern überarbeitet werden
https://www.derstandard.at/story/2000116053991/deutsche-regierung-plant-ueberwachung-von-potenziell-corona-infizierten



derbund.ch 23.03.2020

Es droht eine Ausgangssperre ab 18 Uhr

Handydaten sollen zeigen, ob sich die Bevölkerung an die Corona-Einschränkungen hält. Schärfere Regeln sind noch nicht vom Tisch.

Beni Gafner, Christoph Lenz

«Wir machen keine Spektakel-Politik.» So begründete Innenminister Alain Berset (SP) am Freitag den Verzicht des Bundesrats auf eine Ausgangssperre. Zahlreiche europäische Staaten, darunter auch Frankreich und Italien, haben die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger viel stärker eingeschränkt. Doch diese Zeitung weiss: Die Ausgangssperre ist auch in der Schweiz nicht definitiv vom Tisch. Sie bleibt eine Option. Käme das Ausgehverbot, würde der Bundesrat dieses voraussichtlich in zwei Schritten verordnen.

Innerhalb der Bundesverwaltung prüfen Zuständige derzeit technische Kontrollmechanismen. Diese sollen zeigen, wie gut oder wie schlecht die Bevölkerung die heute geltende Einschränkung der Versammlungsfreiheit befolgt.

So will der Bund anhand anonymisierter Standortdaten von Mobiltelefonen feststellen, welchen Effekt die bisherigen Massnahmen auf das Verhalten der Bewohner im öffentlichen Raum gehabt haben. Konkret: Verhalten sich die Menschen vorsichtiger? Gibt es in Parks und auf öffentlichen Knotenpunkten weniger Kontakte?

Man wolle keine Trackingprofile erstellen, versicherte Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit kürzlich. Und Martin Dumermuth, Direktor des Bundesamts für Justiz, versicherte: «Die Daten können nicht mit realen Personen verknüpft werden.»

Ab 18 Uhr zu Hause

Sollten Analysen und Beobachtungen zeigen, dass die bisherigen Massnahmen des Bundes zu wenig wirken, würde sich die Frage nach weiteren Verschärfungen stellen. Die Pläne dafür werden in der Bundesverwaltung erarbeitet, wie zwei gut informierte Quellen besagen. Demnach könnte der Bundesrat die deutlich härtere Massnahme einer Ausgangssperre in zwei Schritten anordnen, sollte er dies für nötig erachten.

Zuerst gäbe es eine Nacht-Ausgangssperre. Diese soll ab abends 18 Uhr gelten. Gemäss Variantenplanung wäre dies aber nur die Vorstufe zur Ausgangssperre rund um die Uhr. Diesen letzten Schritt würde der Bundesrat, unter Berücksichtigung der Akzeptanz der Nacht-Ausgangssperre, nach einer gewissen Zeit verfügen.

Dass die Schweiz Massnahmen prüft, wie sie in Österreich und Deutschland bereits zur Anwendung kommen, stösst hierzulande auf Skepsis. Es sind vorab Deutschschweizer Kantone sowie Wirtschaftskreise, die weitere Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens ablehnen –genauso wie neue Eingriffe in die Gewerbefreiheit. Auch der Walliser Staatsratspräsident Roberto Schmidt (CSP) meinte als Repräsentant eines Westschweizer Kantons am Montag: «Wenn die Leute eingesperrt werden, schaffen wir damit neue Probleme.»

Der Schweizer Chaos Computer Club schrieb auf Twitter: «Der Bund ist ohne weiteres in der Lage, die Handypositionsdaten der gesamten in der Schweiz ansässigen Bevölkerung zu überwachen.» Er ruft deshalb dazu auf, man solle den Regeln des Bundesamts für Gesundheit folgen.
(https://www.derbund.ch/schweiz/standard/kommt-nun-eine-ausgangssperre-ab-18-uhr/story/20036904)