Medienspiegel 13. März 2020

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+++BERN
bernerzeitung.ch 13.03.2020

Hilfe in der Flüchtlingskrise: Auch ein festlicher Anzug kann Not lindern

Für den harten Alltag im Camp sind leichte oder festliche Kleider ungeeignet. Ausser sie kommen auf den Laufsteg und werden verkauft. Wie in Wabern.

Stephan Künzi

Sie hüpft im bunt geblümten Sommerrock über den roten Teppich, trägt passend dazu leichte Sandalen. Er stolziert im sexy Neoprenanzug über den Laufsteg, präsentiert passend dazu sein Surfbrett. Oder soll es lieber etwas Festliches sein? Kein Problem. Die Models, eine Handvoll Frauen und Männer, zeigen sich auch in festlicher Abendrobe und im gediegenen Anzug mit hellem Hemd, Gilet und Fliege.

Die Kleider sind schön, ja zum Teil richtig gediegen – und doch völlig untauglich für den Zweck, für den sie eigentlich bestimmt wären. Was soll eine Frau auf der Flucht mit leichten Sandalen anfangen und was ein Mann auf der Flucht mit Hemd, Gilet und Fliege? Und was um Himmels willen hat ein Surfbrett in einem Flüchtlingscamp zu suchen?

Später die Versteigerung

Es ist ein lustiger Abend mit ernstem Hintergrund, zu dem die jungen Leute von Open Borders Caravan Bern in die Heitere Fahne nach Wabern eingeladen haben. Mit ihrem kleinen Verein unterstützen sie seit fünf Jahren Menschen, die ihrem Land den Rücken gekehrt haben und in Europa eine bessere Zukunft suchen. Sie tun dies mit Infoständen in der Schweiz, mit Hilfseinsätzen im Ausland – und, wieder in der Heimat, vor allem mit Kleidersammlungen.

Im Zentrum ihrer Aktivitäten steht das grosse Kleiderlager, das sie gemeinsam mit ähnlich ausgerichteten Organisationen auf dem Areal des Asylszentrums im alten Berner Zieglerspital betreiben. Hier laufen die guten Stücke zusammen, werden von vielen Leuten sogar selber hergebracht. Und von hier gehen sie, schön sortiert, wieder weg zu den Flüchtlingen in den Camps an den Routen durch Serbien oder von Frankreich nach Grossbritannien.

Sofern sie sich denn eignen – und für all jene Stücke, die im harten Alltag entweder nicht genügen oder schlicht überflüssig sind, gibt es nun eben die Modeschau. Sie soll das Publikum dazu animieren, in der anschliessenden Versteigerung eifrig mitzubieten – und so die Flüchtlinge zwar nicht mit Kleidern, dafür mit Geld zu unterstützen.

Geld für Griechenland

Je länger die Schau dauert, desto mehr kommen die Models auf dem roten Teppich in Fahrt. Die leichten Stolperer beim Gang über den roten Teppich werden seltener, die jungen Frauen und Männer präsentieren ihre Kleider immer schwungvoller. Zu den Outfits gehören auch Hüte, Handtaschen oder Gürtel mit gewagten Schnallen. Dezentes Make-up sowie aufgesteckte oder sonst wie kunstvoll zurechtgemachte Frisuren runden das Bild ab, zeugen vom Aufwand, der an diesem Abend betrieben wird.

Es sollte sich lohnen. Über 2000 Franken nimmt der Verein aus dem Verkauf der Kleider ein, wobei dazu auch ein gut bestückter Flohmarkt das Seine beiträgt. Das Geld werde in Griechenland eingesetzt, wo die Not nach den jüngsten Zusammenstössen an der EU-Aussengrenze besonders gross sei, kündigen die jungen Leute an.

Genau. Es ist ein lustiger Abend. Aber einer mit ernstem Hintergrund.
(https://www.bernerzeitung.ch/auch-ein-festlicher-anzug-kann-not-lindern-985305151662)


+++ST. GALLEN
Das Asylgesuch der Eltern wurde abgewiesen, nun wird ihr behindertes Kind nicht mehr behandelt
Keine Behandlung mehr für das behinderte Kind abgewiesener Äthiopier: Ein Stadtparlamentarier wird aktiv.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/stadt-soll-fluchtlingen-helfen-ld.1204055
-> https://www.stadt.sg.ch/home/verwaltung-politik/demokratie-politik/stadtparlament/geschaefte.geschaeftDetail.html?geschaeftGUID=f94813e5a3df4fdfb516019ccb61c313
-> https://www.saiten.ch/binyam-darf-nicht-hoeren-lernen/


+++THURGAU
Am Zoll Kreuzlingen steht ein Container für einen möglichen Asyl-Ansturm
Der Bund bewilligt eine Verlängerung der Anlaufstelle am Zoll Kreuzlingen. Benutzt wurde sie noch nie.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/am-zoll-kreuzlingen-steht-ein-container-fuer-einen-moeglichen-asyl-ansturm-ld.1202673


+++SCHWEIZ
«The Game» – ein menschenunwürdiges Spiel
Die Bilder und Berichte, die uns in jüngster Zeit von der griechisch-türkischen Grenze erreicht haben, zeigen eine unglaubliche humanitäre wie auch politische Katastrophe.
https://www.pszeitung.ch/the-game-ein-menschenunwuerdiges-spiel/#top


Die Schweiz muss freie Plätze in Bundesasylzentren für Flüchtlinge aus Griechenland bereitstellen
Angesichts der humanitären Tragödie an der griechisch-türkischen Grenze fordert Amnesty International den Bundesrat auf, sofort Flüchtlinge von den griechischen Inseln zu holen. Die Schweiz sollte unverzüglich ein grosses Kontingent von Schutzsuchenden im Umfang aller derzeit in den Bundesasylzentren freien Plätze übernehmen, fordert die Schweizer Sektion der Menschenrechtsorganisation in einer heute lancierten Petition.
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/dok/2020/die-schweiz-muss-freie-plaetze-in-bundesasylzentren-fuer-fluechtlinge-aus-griechenland-bereitstellen
-> https://www.nau.ch/news/europa/ai-fordert-asylzentren-fur-fluchtlinge-aus-griechenland-65678049


Corona erreicht die Asylzentren – Kantone erwägen Inbetriebnahme von leerstehenden Unterkünften
Ein Asylsuchender in einem Bundeszentrum wurde positiv auf Corona getestet – und isoliert. Die Bewohner in der Unterkünften wohnen eng zusammen. Das vergrössert das Risiko von Ansteckungen.
https://www.nzz.ch/schweiz/corona-erreicht-die-asylzentren-kantone-erwaegen-inbetriebnahme-von-leerstehenden-unterkuenften-ld.1546256


Ein guter Entscheid, aber der Kampf geht weiter Freispruch von Pfarrer Norbert Valley
Amnesty International begrüsst den Entscheid des Polizeigerichts in La Chaux-de-Fonds, Pfarrer Norbert Valley vom Vorwurf der Förderung des illegalen Aufenthalts freizusprechen. Die Forderung nach einer Änderung von Artikel 116 des Strafgesetzbuches bleibt jedoch weiterhin dringend.
https://www.amnesty.ch/de/themen/menschenrechtsverteidiger/dok/2020/freispruch-von-pfarrer-norbert-valley-ein-guter-entscheid-aber-der-kampf-geht-weiter


+++GRIECHENLAND
Als Journalistin auf Lesbos: Die Wut der Insel
Seit 2018 lebt und arbeitet unsere Autorin auf Lesbos: für Geflüchtete seit Jahren ein rechtsfreier Raum. Allmählich auch für Journalistinnen.
https://taz.de/Als-Journalistin-auf-Lesbos/!5668452/


Coronavirus: Evakuierung der EU-Flüchtlingslager in Griechenland dringender denn je
Ärzte ohne Grenzen fordert angesichts der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus COVID-19 die umgehende Evakuierung der EU-Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln. Die entsetzlichen Lebensbedingungen in den überfüllten Hotspots auf den Inseln sind ein idealer Nährboden für COVID-19, warnte die internationale Hilfsorganisation am Donnerstag. Nachdem die erste Infektion auf Lesbos bei einer Griechin bestätigt wurde, ist es dringender denn je, die Menschen in eine sichere Umgebung zu bringen. Angesichts der mangelhaften Hygienebedingungen und der äußerst eingeschränkten medizinischen Hilfe ist die Gefahr groß, dass sich das Virus unter den auf den Inseln festgesetzten Bewohnern der Lager verbreitet, sobald sie ihm ausgesetzt sind.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/2020-lesbos-samos-corona


Medizinische Versorgung: Corona auf Lesbos
Auf der griechischen Ägäis-Insel Lesbos eskaliert seit Tagen die Gewalt gegen Flüchtlinge und auch Helfer von NGOS. Auf Lesbos haben sich auch Rechte vom griechischen Festland eingefunden, aber auch aus anderen Ländern, darunter Deutsche. Ärzte und Menschenrechtler schlagen Alarm…
https://www.radioeins.de/programm/sendungen/der_schoene_morgen/_/corona-auf-lesbos.html


+++GRIECHENLAND-TÜRKEI-EU
Reportage vom Markt auf Lesbos: So kreativ kämpfen Flüchtlinge gegen das Elend
Im überfüllten Flüchtlingslager Moria ist ein bunter Markt entstanden. Er gibt den Menschen Struktur – auch die freiwilligen Helfer profitieren.
https://www.blick.ch/news/ausland/reportage-vom-markt-auf-lesbos-so-kreativ-kaempfen-fluechtlinge-gegen-das-elend-id15795700.html


Frontex startet neue Soforteinsätze in Griechenland
In zwei RABIT-Missionen entsendet die EU-Grenzagentur 100 zusätzliche BeamtInnen an die griechisch-türkische Grenze. Von den rund 600 Einsatzkräften für Frontex in Griechenland stammt ein großer Teil aus Deutschland.
https://www.cilip.de/2020/03/13/frontex-startet-neue-soforteinsaetze-in-griechenland/


EU-Außengrenze: Griechenland setzt Ventilatoren gegen Flüchtende ein
Die Auseinandersetzung an der griechisch-türkischen Grenze dauert an. Flüchtende zünden Brandsätze, griechische Grenzbeamte lenken Tränengas und Rauch in ihre Richtung.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/eu-aussengrenze-griechenland-fluechtende-ventilatoren-traenengas-rauch


Grenzkrise Griechenland-Türkei – «So kann das EU-Migrationsregime nicht menschlich funktionieren»
Athens Umgang mit Flüchtlingen aus der Türkei werfe auch Fragen der Mitverantwortung auf, sagt eine Völkerrechtlerin.
https://www.srf.ch/news/international/grenzkrise-griechenland-tuerkei-so-kann-das-eu-migrationsregime-nicht-menschlich-funktionieren


Flüchtlinge in Griechenland – Streit um Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen
Sieben europäische Länder wollen Griechenlands Flüchtlingslager entlasten. Doch andere EU-Staaten sind skeptisch.
https://www.srf.ch/news/international/fluechtlinge-in-griechenland-streit-um-aufnahme-von-unbegleiteten-minderjaehrigen
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/eu-staaten-wollen-minderjaehrige-migranten-aus-griechenland-aufnehmen-a-61fd51ed-c142-4ff4-aa4c-b05074bacee8?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph


EU will Migranten Rückkehrprämie zahlen
Die relativ hoch angesetzte Prämie soll offenbar verhindern, dass Rückkehrer von ihren Freunden und Verwandten in der Heimat als «Versager» angesehen werden.
https://www.nzz.ch/international/eu-will-migranten-rueckkehrpraemie-zahlen-ld.1546400



neues-deutschland.de 14.03.2020

Türkische Knüppel, griechisches Gas

Im Machtkampf zwischen der EU und der Regierung in Ankara dienen die Flüchtlinge als Verhandlungsmasse. Über ihr Leben zwischen den Fronten.

Von den Versprechen der Regierung in Ankara angelockt, warten Tausende von Geflüchteten an der türkisch-griechischen Grenze. Ein Zurück gibt es für viele von ihnen nicht mehr.

Von Fabian Goldmann

Ganz beiläufig schlägt der Soldat zu. Mal auf den Rücken. Zwei gemächliche Schritte. Dann trifft es eine Schulter. Als ein junger Mann schon vor dem Schlag zusammenzuckt, stoppt der Soldat kurz, lächelt ihn an und schlägt dann doch zu. Ein paar Minuten beobachte ich, wie der türkische Jandarma, jedem einen Hieb verpasst, der es wagt, ein paar Zentimeter aus der Warteschlange auszuscheren. Dann endet meine Zigarettenpause und der Soldat, der zu meiner Bewachung abbestellt wurde, sperrt mich zurück in den Polizeitransporter.

Zwei Tage zuvor hatte meine Reise an die türkisch-griechische Grenze begonnen. Ich wollte berichten über die katastrophale humanitäre Situation von Tausenden Menschen, deren Hoffnung auf ein Leben in Würde in Stacheldraht und Tränengas der EU endete. Und darüber, wie es türkische Behörden Journalisten zunehmend schwer machen, über die Situation an der Grenze zu berichten. Ich ahnte nicht, dass ich von beidem erst eine Ahnung bekommen sollte, als ich selbst auf dem Rücksitz eines Polizeitransporters Platz nehmen musste.

Meine Recherche beginnt in Edirne, am westlichen Zipfel der Türkei. Bis zum Grenzübergang Pazarkule sind es von hier rund sieben Kilometer. Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor zwei Wochen verkündete, die Grenzen in Richtung Europa seien offen, wurde die 150 000-Einwohner-Stadt für viele Flüchtlinge zum ersten Anlaufpunkt. Bilder vom Familien, die am Busbahnhof auf Pappkartons übernachteten, kursierten in den Medien. Doch als ich in der Stadt ankomme, ist von all dem kaum noch etwas zu sehen.

Es dauert nicht lang, bis ich den Grund dafür erfahre. »Die Polizei nimmt jeden von uns mit, den sie in der Stadt erwischt. Wir haben nur die Wahl: An die Grenze oder zurück nach Istanbul«, erzählt der 21-jährige Omar, der seit fünf Jahren auf der Flucht vor dem Krieg im Jemen ist. Dreimal hätten ihn türkische Polizisten in Edirne aufgegriffen und an die griechische Grenze geschafft. Dreimal sei er von griechischen Grenzbeamten aufgegriffen, verprügelt, ausgeraubt und zurück in die Türkei geschafft wurden. Spätestens als am Abend ein halbes Dutzend Polizisten unser Hotel stürmen und Omar mitnehmen, weiß ich, dass er Recht hat.

Auch für Journalisten endet um Edirne schon die Freiheit. Mehrere Kollegen berichten mir, sie seien schon auf dem in die Stadt von Polizisten gestoppt und zurück nach Istanbul geschickt wurden. An den Ausgängen der Stadt haben türkische Polizisten Kontrollpunkte aufgebaut. Passieren dürfen nur drei Gruppen: türkische Anwohner, Personen mit der entsprechenden Sondererlaubnis und Leute die Glück haben, an einen Polizisten zu geraten, der es mit all dem nicht zu genau nimmt. Ich gehöre zu letzterer Gruppe.

Rund zwei Straßensperren weiter westlich von Edirne liegt Karaağaç. Von hier sind es noch drei Kilometer bis zur Grenze. Was für Türken nicht mehr ist als ein etwas eingeschlafener Vorort, ist für Tausende Flüchtlinge der letzte verbliebene Versorgungspunkt. Eine lange Schlange zieht sich vor dem einzigen Supermarkt des Ortes entlang. In den Cafés des Dorfes sitzen junge Männer um abenteuerliche Konstruktionen aus Steckdosenleisten und Ladegeräten. »Afghanistan, Iran, Syrien, Bangladesh, Irak…«, geht es reihum, als ich in eine der Runden frage, woher sie alle kommen. »So unterschiedlich wir doch alle sind, eines haben wir alle gemein«, fasst ein irakischer Kurde die Vorstellungsrunde zusammen: »Wenn wir nach Hause zurückkehren sind wir alle tot«, sagt er und löst ein eher verhaltenes Lachen in der Gruppe aus. Und noch etwas teilen sie: ihren Frust auf EU und Türkei. »Wir werden geschlagen, wir können uns nicht waschen, meine Kinder haben schlimmen Husten von dem Tränengas«, erzählt der Afghane Mohammad und zeigt ein Foto von einem in Decken gewickelten Baby. Auf die Frage, ob er ans Umkehren denke, fragt er zurück: »Wohin?« Als er gehört habe, dass die Grenze offen sei, habe er alles verkauft. »Wir haben nichts mehr.« Mindestens ein Dutzend Gespräche führe ich an diesem Tag. Fast jedes handelt ebenso von Gewalt und Diskriminierung wie von der Brutalität griechischer Grenzschützer.

Es dauert nicht lang, bis die Gewalt gegen Flüchtlinge auch in Karaağaç spürbar wird. Polizisten auf Motorrädern fahren durch das Dorf und räumen Cafés. »Nur Einkaufen und dann zurück zur Grenze«, ruft einer und verleiht seinen Worten mit einem kräftigen Stoß Nachdruck. Ziel von Kontrollen werden auch die wenigen verbliebenen Pressevertreter in Karaağaç. Polizisten in Zivil befragen jeden, der so aussieht, als gehöre er hier nicht hin. Die einzigen Reporter, die sich offen als solche zu erkennen geben, halten Mikros mit den Logos türkischer Staatsmedien in der Hand.

Plastiktüten als Bett

Gemeinsam mit einer Gruppe Afghanen gehe ich weiter in Richtung des Camps. Bewacht von Polizei und Jandarma schiebt sich eine lange Schlange aus Menschen mit Plastiktüten den Feldweg entlang. Neben einem verrosteten Traktor wartet der nächste Kontrollpunkt auf uns. Spätestens hier ist offiziell auch für türkische Anwohner Schluss. Rund zehn Minuten Fußweg weiter beginnt das Camp am Grenzübergang Pazarkule. Ein paar hundert davor mache auch ich halt. Ein Zaun umgibt das Lager, dahinter sind alle zehn Meter Soldaten und Jandarma postiert, die vor dem Einlass die Ausweise kontrollieren.

Am Straßenrand treffe ich auf eine Gruppe Algerier. Einer von ihnen ist Malik. Ihr Land hätten sie aus politischen Gründen verlassen müssen, erklärt er, und nun fürchteten sie, dass die Türkei sie zurückschickt. Seit fünf Tagen würden sie hier dem Feld schlafen, sagt Malik und zeigt auf ein ein paar Plastiktüten, die sie unter einem Baum ausgebreitet haben. Rund eine Stunde sitzen wir gemeinsam auf dem Acker. Als ich mich langsam auf den Weg zurückmachen will, kommen zwei Soldaten angelaufen. »Mitkommen!« rufen sie und führen uns ins Camp.

Bevor mir auch nur eine Frage gestellt wird, stehe ich schon breitbeinig an einem Polizeitransporter. Sekunden später bin ich Kamera, Handy und alles andere, was ich dabei hatte, los. »Deutscher Journalist« geht es durch die Traube aus Soldaten, Jandarma und Polizisten, die sich um mich herum versammelt hat. Dann prasseln die Fragen auf mich ein: Woher kommst du? Für wen arbeitest du? Warum hast du versucht, illegal das Camp zu betreten? »Hätte ich vorgehabt, illegal das Camp zu betreten, würde ich sicherlich nicht eine Stunde an einem Feldweg in Sichtweite des Haupteingangs herumsitzen«, versuche ich mich zu erklären. Aber wirklich an einer Antwort scheint niemand interessiert zu sein. Als mich einer der Polizisten nach meiner Meinung zur türkischen Flüchtlingspolitik fragt, tue ich die Frage mit einem »Was spielt das denn für eine Rolle?« ab. Dabei war die bisher durchaus wohlwollend. Ich wusste durchaus zu schätzen, was es bedeutet, wenn ein Land mit der Wirtschaftskraft von Nordrhein-Westfalen dreimal so viele Flüchtlinge aufnimmt wie die gesamte Europäische Union. Auf Reisen in den Osten der Türkei hatte ich erlebt, wie solidarisch Menschen gegenüber Flüchtlingen sein können, die selbst sonst kaum etwas haben. An der syrischen Grenze habe ich türkische Flüchtlingslager besucht, die so gut organisiert waren, wie man es in Europa nirgends findet.

Doch Pazarkule ist keines davon. Warum ich nach meiner Verhaftung mehrmals durch das ganze Camp gefahren werde, teilt man mir nicht mit. Ich vermute, die Polizisten hatten schlicht keine Zeit, mich zur Polizeiwache in die nächste Stadt zu bringen. Doch dadurch wird es mit möglich, mit eigenen Augen zu sehen, warum ausländischen Journalisten hier so vehement der Zutritt verweht wird.

Schwer bewaffnete Begleiter

Statt an ein improvisiertes Camp erinnert Pazarkule eher an ein militärisches Internierungslager. Bewacht von schwer bewaffneten Soldaten der türkischen Armee und eingezwängt hinter hohen Gitterverschlägen stehen endlose Reihen wartender Menschen. »Dient alles nur der Sicherheit«, antwortet mein Jandarma-Aufpasser, als ihn danach frage, warum Soldaten mit Sturmgewehr, Knüppeln oder Plexiglasschildern Menschen bei der Essensausgabe begleiten.

Während in ein paar hundert Metern Entfernung die Schüsse des griechischen Soldaten knallen und immer wieder Tränengaswolken emporsteigen, erinnert auch auf türkischer Seite nichts an die »offenen Grenzen«, die Erdoğan den Menschen versprach. Am Ein- und Ausgang registrieren Polizisten die Fingerabdrücke von jedem Flüchtling, der das Camp betritt oder verlässt. Verlassen dürfen sie es – so haben es mir mehrere Flüchtlinge später berichtet – nur nach festgelegtem Zeitplan. Die meiste Zeit bleibt ihnen der Ausgang verwehrt.

Unterdessen bringen Busse immer wieder neue Menschen in das Lager. Zelte, Schlafsäcke und viele andere Hilfsgüter – so beklagen Geflüchtete und Vertreter von Hilfsinitiativen – scheitern hingegen an den strikten Einlasskontrollen. Den meisten Bewohnern bleibt nicht mehr als ein paar Pappkartons und Plastikplanen als Behausung. Ausgerechnet hier, am europäischsten Zipfel der Türkei, beginnt auch die türkische Flüchtlingspolitik im schlechtestens Sinne des Wortes europäisch zu werden.

Rund drei Stunden dauert mein unfreiwilliger Besuch im Camp. Dann bringt mich der Polizeitransporter wieder aus dem Lager. Vier Kontrollpunkte später biegen wir auf den Hof der Jandarma in Edirne ein. Zwei Stunden sitze ich in einem Warteraum, die meisten Beamten sind freundlich, einer bringt mir eine Flasche Wasser, dann bin ich wieder frei. Meine Verhaftung als Journalist erinnert zum Glück nicht an das Bild, das man gemeinhin von der Türkei hat. Der Umgang der Türkei mit schutzsuchenden Menschen an ihrer Grenze leider auch nicht.
(https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134287.eu-grenze-tuerkische-knueppel-griechisches-gas.html)


+++MITTELMEER
Eine Mission, die alles verändert
Der Gastronom Andreas Steinert rettete Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Ein Protokoll von Heidi Diehl
Irgendwann konnte er es einfach nicht mehr ertragen. Als dann Anfang 2016 an nur einem einzigen Tag 600 Flüchtlinge ertranken, beschloss er: Du musst dorthin und mithelfen. Der Gastronom Andreas Steinert rettete Flüchtlinge aus dem Mittelmeer.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134269.seenotrettung-eine-mission-die-alles-veraendert.html


+++SYRIEN
Syrien: Auf der Flucht aus Idlib
Neun Jahre nach dem Beginn der Revolution in Syrien ist Idlib die letzte schwer umkämpfte Region der Rebellen.
https://www.arte.tv/de/videos/094559-000-A/syrien-auf-der-flucht-aus-idlib/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Wegen Coronavirus: Berner Gemeinderat ruft zu Verzicht auf Demo auf
In Bern wird am Samstag zu einer unbewilligten Demo unter dem Motto «Kein Mensch ist illegal» aufgerufen. Aufgrund der neuen Entscheide des Bundesrates betreffend Coronavirus sollen die Organisatoren nun auf die Durchführung verzichten.
https://www.bernerzeitung.ch/berner-gemeinderat-ruft-zu-verzicht-auf-demo-auf-243283387215
-> Medienmitteilung Gemeinderat: https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/gemeinderat-ruft-zu-kundgebungsverzicht-und-solidaritaet-auf
-> Demo-Aufruf: https://www.facebook.com/jugendbern/posts/490801098266325:0


Binswanger und die Frauendemo: Opportunismus über Solidarität
Während einer Epidemie werden diskriminierende Strukturen besonders deutlich – auch solche, die Frauen benachteiligen. Sich dagegen zu wehren, ist neuerdings aber „revolutionär dumm“.
https://daslamm.ch/binswanger-und-die-frauendemo-opportunismus-ueber-solidaritaet/


+++KNAST
Corona im Gefängnis – RaBe-Info 13.03.2020
 Das Coronavirus macht weder vor Landesgrenzen, noch vor Stacheldraht und dicken Mauern Halt. Mittlerweile ist es enstsprechend auch in den Gefängnissen angekommen. Mehr dazu im heutigen Radioblog von Noelle Grossenbacher.
https://rabe.ch/2020/03/13/abbau-trotz-gewinn-bei-tx-group/


+++HOMOHASS
Schwinger Curdin Orlik als «schwule Sau» beleidigt
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben Unbekannte in Rubigen BE den Schwinger Curdin Orlik mit einer Sprayerei angegriffen. Dies wegen seines kürzlichen Outings.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Plumper-Schwulenhass-gegen-Schwinger-Orlik-27731194
-> https://www.blick.ch/sport/schwingen/nach-seinem-coming-out-hass-schmiererei-gegen-schwinger-orlik-id15795002.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Kritik an Xavier Naidoo: Fragwürdige Weltsicht
Xavier Naidoo sorgt erneut für Aufsehen: In zwei Kurz-Videos warnt der Mannheimer R&B- und Soul-Sänger vor vermeintlichen Gefahren, die von Migranten ausgehen. Es ist nicht die erste Kontroverse um den Sänger, der bereits in der Vergangenheit mit kruden Ideen in Erscheinung getreten ist.
https://www.deutschlandfunk.de/kritik-an-xavier-naidoo-fragwuerdige-weltsicht.807.de.html?dram:article_id=472367


+++ANARCHISMUS
Gegen das Coronavirus und den Opportunismus des Staates
Anarchist*innen aus Italien berichten über die Ausbreitung des Virus und die Quarantäne
https://de.crimethinc.com/2020/03/12/gegen-das-coronavirus-und-den-opportunismus-des-staates-anarchistinnen-aus-italien-berichten-uber-die-ausbreitung-des-virus-und-die-quarantane