Worte: Wir haben es satt!

Feministisch – Antirassistisch – Antikapitalistisch
Statement und Analyse des Revolutionären 8. März-Kollektivs Genf zur sexistischen, rassistischen, klassistischen und ableistischen Unterdrückung in der Schweiz.

Wir haben es satt!
Satt, diskreditiert zu werden. Satt, pathologisiert zu werden, wenn man rebelliert! Satt, dass die Behörden auf unser Wunsch auf Veränderung nichts tut. Satt, unsere Geschlechtsidentität nicht ausdrücken zu können. Satt vom Sterben wegen den gleichen Geschlechtsidentitäten, die wir auch haben. Satt, uns das Leben von cis-binären Männern erklären zu lassen. Satt, unser Kopftuch nicht tragen zu dürfen. Satt, dass das Konsensprinzip nicht selbstverständlich ist.

Unsere Forderungen

Wir wollen in einer Welt leben, in der jede*r frei sein kann, ihr* Geschlecht, ihre* sexuelle Orientierung, ihren* Geschmack und ihre* Religion auszudrücken, ohne ausgeschlossen, eingesperrt oder getötet zu werden und Gewalt vergegenwärtigen zu müssen. Wir wollen nicht länger in sich zusammengeklappten und voneinander entfremdenden Behausungen leben. Wir wollen eine Welt ohne Grenzen, ohne Polizei und in der die neokolonialen Schurkenunternehmen, die für die ökologische und soziale Verschlechterung verantwortlich sind, zerschlagen werden. Eine Welt, in der die Rohstoffeabbau-Unternehmen, welche Elend erzeugen , das Management und die kapitalistische Klasse zerstört werden. Wir wollen keine umweltschädliche und tödliche Agrarindustrie mehr, wir wollen eine bäuerliche Lebensmittelproduktion, die solidatrsch und für alle zugänglich ist. Wir wollen eine freie Welt, in der ein würdiges Leben für alle garantiert ist, in der Gerechtigkeit einen echten Sinn hat und nicht nur der Elite dient. Wir wollen angemessenen Wohnraum zu erschwinglichen Preisen und Zugang zu qualitativ hochwertiger medizinischer Versorgung für alle. Wir fordern die Einstellung unnötiger Verfahren bei intersexuellen Kindern. Wir wollen einfachere Geschlechtstransitionen, die auf Selbstbestimmung beruhen und nicht auf dem aufdringlichen Blick des Gesundheitswesens und des Staates beruhen. Wir wollen die Kontrolle über die Lust wiedererlangen und unseren Körper nutzen, so wie wir wollen, einschliesslich zum Geldverdienen, wenn wir es wollen. Wir wollen die Künste, die Literatur, das Theater, die Musik, die Bühne, den Humor und das Lachen zwischen uns zurückgewinnen und nicht, dass wir uns auslachen. Wir wollen Freude in unser Leben zurückbringen, das Teilen und die revolutionäre Liebe.

Das rassistische, cissexistische, klassistische und ableistische System

Das vom Staat und seinen Institutionen unterstützte und aufrechterhaltene Unterdrückungssystem dreht sich um drei Hauptachsen: Klasse, Geschlecht und Rasse. Die drei sind verschachtelt und füttern sich gegenseitig. Wenn wir einerseits von intersektioneller Unterdrückung sprechen, d.h. von Unterdrückung an der Schnittstelle mehrerer dieser Achsen, müssen wir auch von intersektionellem Widerstand sprechen. Um wirklich kohärent zu sein, muss ein wirklich revolutionärer Feminismus alle Formen der Unterdrückung berücksichtigen und global gegen sie kämpfen. Wir lehnen einen Feminismus ab, der nur an eine Elite gerichtet ist, die von Privilegien profitiert (typischerweise cis-hetera-weisse Frauen aus der Ober- und Mittelschicht), sondern wir beanspruchen einen GANZHEITLICHEN FEMINISMUS.
Lassen Sie uns nicht in die Falle tappen, die das weisse, cissexistische und rassistische kapitalistische System aufstellt, das die Kämpfe aufteilt, um die etablierte Ordnung zum Nutzen einiger weniger aufrechtzuerhalten.

Wenn einige Menschen von diesem System unterdrückt werden, bedeutet dies, dass andere Privilegien daraus ableiten, insbesondere die weissen, able-bodied, cis- und hetero Personen.

Die Gruppe, die den Nachtmarsch vom 7. März 2020 organisiert, besteht hauptsächlich aus weissen Frauen. Wir verpflichten uns, unsere Privilegien zu überprüfen, und möchten mit diesem Text den politischen Antirassismus unterstützen, wie er von Personengruppen von eingebracht wird, die sich mit rassistischer Unterdrückung befassen. Wir wollen antirassistische Stimmen und Analysen verstärken, ohne so zu tun, für sie zu sprechen.

Aufgrund einer Gesellschaft, die den Wert von Individuen nach dem einzigen produktivistischen Aspekt berechnet, werden Menschen mit einer Behinderung, Neuroatypie oder Neurodivergenz stigmatisiert. Wir wollen einen Paradigmenwechsel. Wir lehnen es ab, dass der Wert von Menschen durch das bedingt ist, was sie durch produktive oder reproduktive Arbeit hervorbringen können, während wir den Wert der Zeit vernachlässigen, die dem Lernen und Lehren von Kunst, Ausbildung, Unterstützung von Angehörigen, der Freizeit, Solidarität, aktivistischer Arbeit und der Zeit für sich gewidmet ist. Alles Leben hat Wert an sich und jeder verdient würdige und zufriedenstellende Lebensbedingungen.

Institutionen und wie sie uns unterdrücken

Das Ausmass systemischer Unterdrückung würde ein ganzes Buch erfordern. Hier geben wir einige Beispiele, die den Kontext von Justiz, Polizei, Gefängnis, Verwaltung, Finanzen und Gesundheitssystem in der Schweiz veranschaulichen.

Die Institutionen sind die Grundlagen des normativen rassistischen, patriarchalischen, weissen und hetero-cis-kapitalistischen Systems. Sie sind Werkzeuge, welche die öffentliche Richtlinien, Gesetze, Verordnungen und Vorschriften, soziale Dienste, Gefängnisse, die Justiz, die Schule, das Gesundheitswesen und alle anderen vom Staat geregelten Disziplinarsysteme formen, verteidigen und etablieren.

Justiz

Die Institutionen wurden von einer weissen und bürgerlichen Elite aufgebaut, die sich hauptsächlich aus weissen, cisgender, heterosexuellen und able-bodied Männern zusammensetzte. Die Welt, die sie gebaut haben, ist wie sie: ausgrenzend, frauenfeindlich und rassistisch. Zum Beispiel werden Feminizide von der Presse als Nachrichten und von der Justiz als Beziehungsmorde behandelt. Während mehr als 90% der ermordeten Frauen von ihren Ehepartnern oder Ex-Ehepartnern stammen, analysiert das Justizsystem diese Gewalt nicht systematisch und ist daher nicht in der Lage, Gerechtigkeit auszuüben oder sogar die Zahl dieser sexistischen Morde zu verringern. Feminizide sind die extremste Form geschlechtsspezifischer Gewalt in einem Kontinuum, das unser tägliches Leben verwebt. Gewalttätige cis-Männer sind keine Ausnahmefälle oder Einzelfälle, “verrückt”, ihr Verhalten ist im Gegenteil in dem gelehrten Standard geschrieben, der ihnen in allen Bereichen der Gesellschaft zugute kommt.
Wenn wir wissen, dass eine Frau durchschnittlich dreimal eine Anzeige einreichen muss, damit die Polizei sie ernst nimmt, können wir nur alarmiert sein.

In Bezug auf andere sexuelle Gewalt und Vergewaltigung ist es sehr schwierig, von Justizbehörden und der Polizei überhaupt gehört zu werden. Die Worte der Opfer werden systematisch hinterfragt, wenn sie nicht selbst für schuldig befunden werden (im Jahr 2020 fragen wir immer noch, was eine Frau während ihres Angriffs getragen hat oder ob sie getrunken hat). Darüber hinaus konzentriert sich die Definition von Vergewaltigung im Gesetz auf die Genitalien, nicht auf das Fehlen des Konsenses. Es ist Sache des Opfers, die Fakten zu beweisen. In den letzten Jahren erfuhren Worte in den sozialen Netzwerken ihre Befreiung, aber auf institutioneller Ebene hat sich nichts geändert. Wir müssen den Kampf fortsetzen, damit das System keine Aggressoren und Mörder mehr schützt. Bis wir in einer egalitären Welt leben, die sicherlich nicht frei von interindividueller Gewalt wäre, möchten wir anerkennen, dass Frauen und geschlechtsspezifische Minderheiten unter differenzierter und spezifischer Gewalt leiden.

Paradoxerweise sprechen wir viel mehr über Belästigung auf der Strasse und machen sie manchmal zum einzigen Problem. Hier und da wurden Disziplinarmassnahmen ergriffen, beispielsweise in Lausanne, wo eine direkte Polizeihotline eingerichtet wurde, um Belästigungen auf der Strasse zu melden. Man kann den Erfolg dieser Massnahme und die Geschwindigkeit, mit der sie in Kraft trat, in Frage stellen. In Wirklichkeit ist es ein Instrument zur Kontrolle der prekärsten Bevölkerungsgruppen, die den öffentlichen Raum einnehmen, nämlich rassifizierter Männer.

Letztendlich können wir uns vorstellen, dass die Polizei Zugang zu einer Karte hat, auf der die Orte aufgeführt sind, an denen Belästigungen auf der Straße am häufigsten gemeldet werden. Die Polizei kann daher ihre Präsenz im öffentlichen Raum in diesen Bereichen verstärken. Aufgrund rassistischer Vorurteile wissen wir jedoch, dass weisse Menschen rassisifizierte Menschen, insbesondere schwarze und arabische Männer, tendenziell als Bedrohung wahrnehmen, und fragen uns daher, wer wen mit diesem System denunzieren wird. So bleibt sexuelle Belästigung bei der Arbeit, in der Schule, in der Familie oder anderswo unsichtbar, während Belästigung auf der Strasse überrepräsentiert ist. Wir stellen daher fest, dass der Staat feministische Thesen für rassistische Zwecke nutzt, um die Kontrolle nicht-weisser Körper im öffentlichen Raum zu stärken. Die politischen Reaktionen auf Belästigung sind immer repressiver und gefängnisähnlicher. Unter dem Deckmantel des Feminismus werden eher individuelle und strafende als pädagogische Lösungen vorgeschlagen, die die Macht des Staates weiter stärken sollen und welche Teil der an der Masseneinkerkerung rassifizierter Männer werden.

Der vorherrschende Diskurs setzt prekäre und rassifizierte Männer der feministischen Bewegungen gegenüber, indem er systematisch den Finger auf diese Bevölkerungsgruppe richtet und nicht auf die Schläger im Anzug, die uns mit absolutem Selbstbewusstsein inspirieren sollen. Wenn wir uns mit Themen wie Belästigung befassen, reproduzieren wir rassistische und klassistische Stereotypen. Wir lehnen diese Art von Verquickung in unseren Kämpfen ab.

Öffentliche Verwaltung

Für alle Interaktionen mit der öffentlichen Verwaltung benögt man eine Matur +5 Freifächer in pseudo-intellektuellem Geschwurbel. Mit anderen Worten, man benötigt soziales Kapital und fortgeschrittene Kenntnisse der Verwaltung sowie sprachliche Kenntnisse, um eine Steuererklärung oder einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis ausfüllen, eine Steuerbefreiung, eine Subvention, Rechtsberatung oder Rückhalt durch die Sozialhilfe erhalten zu könne. Die Verwaltung von Prekaritäten ist Sache des Staates. Die Reichen und die Reichsten erhalten immer mehr Vorteile, während die Prekärsten Unterstützung um Unterstützung gekürzt wird. In dem Wissen, dass Frauen* und geschlechtsspezifische Minderheiten am stärksten von Arbeitsplatzunsicherheit, Teilzeitarbeit und unvollständigen Renten betroffen sind, ist eine feministische Analyse der sozialen Gerechtigkeit erforderlich.
Alle Institutionen arbeiten nach der gleichen ausschliessenden Logik, das heisst sie dienen einer Handvoll Menschen. Die anderen müssen nur schweigen und mit den Krümeln zufrieden sein. Wir wollen soziale Gerechtigkeit, die Umverteilung von Reichtum und die Abschaffung von Steuergeschenken, die die Solidarität zerstören.

Darüber hinaus haben wir genug davon, dass es immer die Verletzlichsten und Prekärsten sind, die sich hinter Gittern befinden, wenn die Reichen trotz der massiven Entführungen und der Intrigen nichts zu befürchten haben. Sie befinden sich möglicherweise wegen einer unbezahlten Geldstrafe im Gefängnis, aber wenn eine Bank Millionen verliert, wird der Staat ihnen helfen. Da der Staat im Dienst der herrschenden Klassen steht, steht auch die Gerechtigkeit im Dienst des Kapitals, das selbst auf der Ausbeutung rassifizierter Menschen beruht (nicht angemeldete Erwerbstätigkeit, schwere Arbeit, Gratis-Arbeit in Gefängnissen usw.), der Frauen und geschlechtlichen Minderheiten (Fortpflanzungs- und Pflegearbeit usw.). Das Gefängnis ist die gewinnbringendste Form rassistischer und klassistischer Ungerechtigkeit. Es ist keine Lösung und wird es auch nie sein, da es auf die Prekarisierung von Menschen beiträgt, auf die der Repressionsapparat des Staates abzielt. Es stellt sich gegen jede Bedrohung in der Form von Parallelwirtschaft oder Revolteund zwingt uns dabei, eine zunehmend gewalttätige Ausbeutung zu akzeptieren. Wir sind empört über diesen Teufelskreis und wollen eine einheitliche und faire Gesellschaft aufbauen. Wir drücken unsere Solidarität mit Gefangenen und Häftlingen auf der ganzen Welt aus.

Grenzen

Die Schweiz, in der Wärme der Mitte von Europa behauptet, sie habe nicht an der Kolonialisierung teilgenommen, aber nichts ist falscher. Die Schweiz ist das Zentrum der Rohstoffspekulation und rollt den roten Teppich für neokoloniale Transnationale und Topunternehmen-CEOs aus, die den globalen Süden ruinieren und ihre Bevölkerung unmenschlicher Behandlung unterziehen.

Die Schweiz hat zwar keinen Zugang zum Mittelmeer, ist jedoch direkt für die Dramen verantwortlich, die in diesen Gewässern stattfinden. Sie rechtfertigt die überfüllten Konzentrationslager in Griechenland, Italien, Ungarn, Libyen oder der Türkei, die euphemistisch als “Migrantenlager” bezeichnet werden und in denen Zehntausende von Menschen, Frauen und Kindern, die aus ihrem Land geflohen sind und unschuldig sind, auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Die Schweiz unterstützt und beteiligt sich am gemeinsamen Militärprogramm zur Externalisierung der europäischen Grenzen. In diesem Zusammenhang wurden Vereinbarungen getroffen, um die Nachbarländer zu zwingen, Menschen festzunehmen, damit sie nicht in das politische Territorium Europas gelangen. Darüber hinaus ist die Schweiz aufgrund ihrer Abkommen mit Europa verpflichtet, Menschen in Länder zurückzuschicken, die ihre Sicherheit nicht gewährleisten können, oder sogar in die Länder, aus denen sie fliehen wollten, ohne Rücksicht auf ihre Notlage.
Darüber hinaus verfügt die Schweiz über Gefängnisse, die speziell für Personen im Exil in ihrem Hoheitsgebiet konzipiert sind: Bundeshaftanstalten, die Personen nur aufgrund ihres Aufenthaltsstatus einsperren. Die Schweizer sind in allgemeiner Gleichgültigkeit gefangen. Die Schweiz – und Genf – lassen Kinder und Jugendliche krank und mittellos auf der Strasse, in der Hoffnung, sie an die Grenzen zu bringen, und ihnen bis in alle Zukunftsaussichten zu entziehen bis sie gehen, gebrochen oder vor die Füsse.

Als Feministinnen protestieren wir gegen diese Praktiken, wir wollen Grenzen, die Polizei und alle Gefängnisse abschaffen. Sie sperren die Leute ein, um uns zu disziplinieren, uns zu erschrecken, uns zu brechen und uns gegeneinander auszuspielen. Wir stehen gegen diese Logik der Teilung.

Medizinische Gewalt

Der medizinische und psychiatrische Beruf ist nicht zu übertreffen, wenn es darum geht, Körper und Geist seine Standards aufzuerlegen. Wieder sind es Frauen, geschlechtliche Minderheiten und Menschen, die rassifiziert sind und ausserhalb der gültigen und neurotypischen Norm liegen, welche die Hauptlast tragen.
Beispielsweise wird bei Frauen und geschlechtlichen Minderheiten häufiger eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, wenn sie sich nicht an die Norm halten oder wenn sie sich nicht vollständig daran halten. Die Ärzteschaft wird eine psychiatrische Diagnose stellen, anstatt die Auswirkungen von Belästigung und geschlechtsspezifischer Gewalt zu erkennen. Permanente cissexistische Angriffe beeinträchtigen die psychische Gesundheit, Vergewaltigung und Körperverletzung sind Traumata. Anstatt die Erfahrungen der Opfer in den Mittelpunkt der Pflege zu stellen, werden sie gebeten, sich zu rechtfertigen. Eine trans- oder nicht-binäre Person muss ihre Identität durch die Diagnose eines nicht-betroffenen Dritten in seinem Machtbericht begründen und nachweisen. Schlimmer noch, wenn eine Person nicht in die cishetero- und patriarchalischen Normen passt, die geschlechtsspezifische Gewalt normalisiert, wird sie als verrückt eingestuft. Ebenso werden die Erfahrungen von Mutterschaft und Abtreibung von der Ärzteschaft als Geisel genommen. Menschen mit einer Gebärmutter werden nicht angehört, sie fühlen sich schuldig, wenn sie eine Schwangerschaft beenden wollen, und werden ohne Erklärung oder sogar ohne ihre Zustimmung aufdringlichen Tests unterzogen. Geburtspositionen wurden entwickelt, um den Komfort des Gynäkologen und nicht der gebärenden Person zu verbessern. Wir praktizieren im Jahr 2020 immer noch die “Punkt-des-Ehemannes”-Operation, bei der die Vagina so vernäht wird, dass sie schmaler als zuvor ist. Dieser Eingriff wird nur selten mit der Person besprochen, die ihn durchmacht und dauerhafte Schmerzen verursacht. Ohne intersexuelle Kinder zu vergessen, deren Verstümmelung schon in jungen Jahren ohne deren Zustimmung praktiziert wird.
Rassifizierte Frauen und geschlechtsspezifische Minderheiten sind noch stärker diskriminiert. Gefangen zwischen zwei Bündeln von Stereotypen, werden sie nicht angehört. Zum Beispiel wurde in Bezug auf die Schmerzbehandlung bewiesen, dass es eine rassistische Tendenz gibt, dass rassifizierte Menschen beschuldigt werden, zu schauspielern und zu übertreiben, wenn sie Schmerzen ausdrücken. Aufgrund dieses Klischees ist die Ärzteschaft schuldig, nicht immer angemessene Pflege zu leisten, und manchmal lebenserhaltende Behandlung zu verweigern.
Feministinnen haben immer Respekt vor dem Körper beansprucht, wir fordern eine wohlwollende Gemeinschaftsmedizin, die auf Patienten hört, wobei letztere als Expert*innen betrachtet ihres eigenen Körpers betrachtet werden sollen und vollständig in den Pflegeprozess einbezogen werden sollen.

Gesetzgebung

In Bezug auf das Gesetzgebungssystem rühmt sich die Schweiz weiterhin ihres Systems der direkten Demokratie. Es bleibt die Tatsache, dass die Gesetze von einem Parlament verabschiedet werden, das sich hauptsächlich auf Bundesebene aus der äussersten Rechten zusammensetzt. Wir erkennen diese politische Elite nicht an. Gesetze unterstützen das rassistische, klassistische und cissexistische System und schaffen Institutionen, die gegen Personen verstossen, welche gegen Normen verstossen. Zum Beispiel sind die Identitäten von Transgender- und nicht-binären Personen für Institutionen nur sehr schwer zu erkennen. Geschlechtstransitionen werden durch obligatorische psychiatrische und medizinische Untersuchungen bedingt, das von der Gesellschaft auferlegte und von Institutionen anerkannte binäre Geschlechtssystem erkennt nicht-binäre Geschlechter und intersexuelle Menschen nicht an. Noch heute weigert sich der Staat, eine Box in seinen Formen für Menschen hinzuzufügen, die nicht ausschliesslich im Geschlecht „Mann“ oder „Frau“ zu finden sind. Dies sind Änderungen, die einfach umzusetzen sind und die bereits in anderen Ländern (Deutschland, Argentinien, Australien, Indien, Nepal, Polynesien) umgesetzt wurden und die genau den Wunsch des Schweizer Staates zeigen, transgender, intergeschlechtliche und / oder nicht-binäre Menschen unsichtbar zu machen.
Wir behaupten, dass die geschlechtsspezifische Vielfalt als Reichtum anerkannt und gefeiert wird. Wir möchten, dass Jung und Alt schnell und nur mit Selbstbestimmung Zugang zur Transition erhalten. Wir möchten, dass Hormontherapie und übergangsbedingte Operationen vollständig durch die Grundversicherung abgedeckt werden. Wir wollen, dass die Schönheitskriterien dekonstruiert werden. Die Zukunft ist nicht binär, wir rufen sie laut und deutlich aus! Obwohl wir das Gesetz der Abstimmung vom 9. Februar unterstützen, das die Verurteilung von Hassreden im öffentlichen Raum auf Homophobie ausdehnt, stellen wir fest, dass der Text nicht weit genug geht, weil dies nicht die Fälle von Transphobie, Intersexophobie und Enbyphobie umfasst. Darüber hinaus betonen wir, dass ein solches Gesetz nicht ausreicht, um Nicht-Heteras zu schützen. Einerseits werden nur Hassreden im öffentlichen Raum berücksichtigt und keine Belästigung (zum Beispiel bei der Arbeit, in der Schule oder beim Zugang zu Wohnraum). Gerechtigkeit kostet ausserdem Energie, Zeit, Ressourcen und Geld. Nur Menschen mit finanziellem, sozialem und sprachlichem Kapital können sich auf dieses Gesetz zu berufen. Darüber hinaus muss die Justiz (Anwält*innen, Richter*innen, Polizei) für die Anwendung dieses Gesetzes geschult werden. Es genügt, die Unwirksamkeit des bereits bestehenden Gesetzes über rassistische Diskriminierung oder des Gesetzes über Gleichstellung bei der Arbeit zu sehen, um davon überzeugt zu sein. Denn wenn die Institutionen und die Menschen, die sie vertreten, überwiegend weiss und hetero sind und ihre politischen Positionen nicht in Frage gestellt werden, fällt es ihnen leicht, die rassistische oder homophobe Natur eines Verhaltens zu leugnen.

Wir können also nicht den Gesetzen oder der Gerechtigkeit vertrauen, um unsere Probleme zu lösen. Viele Unterdrückungen waren oder sind legal. Während einige mehr oder weniger fortschrittliche Gesetze verabschiedet werden, treten andere, Libertizide, in Kraft und stärken ein grundlegend rassistisches System. In der Tat werden im Kanton Genf islamfeindliche Gesetze unter dem Deckmantel des Säkularismus und angeblich im Interesse der Befreiung von Frauen verabschiedet. Seit 2019 dürfen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes das Kopftuch nicht mehr tragen.

Es sind daher vor allem Menschen, die in der Pflege arbeiten, mit Kindern arbeiten, im Krankenhaus, in Pflegeheimen und Heimen, die gebeten werden, eine unerträgliche Entscheidung zu treffen, wenn sie weiterarbeiten wollen, um einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und um sich um ihre Bedürfnisse und die ihrer Familien zu kümmern. Darüber hinaus sind Personen mit Kopftuch von Verwaltungs- und repräsentativen Funktionen ausgeschlossen. Der Säkularismus ist zu einer Norm geworden, um islamfeindliche Äusserungen zu rechtfertigen. In der Tat besteht ihre eigentliche Definition, die formale Trennung von Kirche und Staat genau darin, die gesamte Religionsfreiheit in der Stadt zu gewährleisten und eine Bevölkerungsgruppe – die Bevölkerung mit Kopftuch – nicht zu stigmatisieren und von der Öffentlichkeit auszuschliessen. Die Basis des Feminismus ist es, sich selbst bestimmen zu können. Die Entschleierung als Bedingung für die Emanzipation ist eine schmerzhafte Erinnerung an das, was während der Kolonialisierung in den Maghreb-Ländern unter dem Joch Frankreichs geschah. Die Kolonisten mussten mit Gewalt nehmen, was die Kolonisierten ihnen im Widerstand verweigerten. Zwangsentschleierung ist koloniale und rassistische Gewalt, die 2020 nicht andauern sollte. Keine Regierung sollte einer Frau sagen, wie sie sich anziehen soll oder nicht. Darüber hinaus ist ein solches Gesetz im gegenwärtigen islamfeindlichen Klima nicht trivial. Es verstärkt rassistische Vorstellungen, die voraussetzen, dass muslimische Menschen etwas zu verbergen haben und / oder dass sie aufgrund ihrer Existenz eine Bedrohung darstellen. Dies legitimiert auch die islamfeindliche Diskriminierung im privaten Sektor. Das Monopol an Unschuld ist jedoch ein weisses Privileg, das wir aus feministischer Sicht identifizieren und dekonstruieren müssen.

Darüber hinaus ist das Verfügen über die Körper von Frauen und geschlechtsspezifischen Minderheiten paradox, da einerseits verlangt wird, dass sich einige entschleiern, andererseits der Staat Sexarbeit unter Strafe stellt. Ob sie angeblich zu unterwürfig sind oder im Gegenteil nicht genug ist, die Entscheidungen, die Frauen und geschlechtliche Minderheiten für sich selbst treffen, sind niemals die richtigen, um den Institutionen zu glauben. Die Selbstbestimmung von Menschen, die keine cis-Männer sind, wird von dem Moment an geleugnet, in dem ihre Sexualität der Norm entgeht, oder wenn sie für sich und für sich allein von ihr profitieren. Struktureller Sexismus verweigert Frauen und geschlechtlichen Minderheiten die Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper.
Somit gibt es einerseits eine Anordnung zur Ehrenhaftigkeit und andererseits zur Befreitung, die notwendigerweise über die Entschleierung zu erfolgen hat; paradoxe Vorschriften, die vollständig vom Femonationalismus aufgegriffen wurden, d.h. vom cis-weissen, bürgerlichen und nationalistischen Feminismus. Wir lehnen diese Thesen und ihre Gebilde als Ganzes ab und stehen in Solidarität mit allen Menschen, die deren Ziele sind.

Schlussfolgerung

Wir stellen fest, dass die Menschen, die die meisten systemischen Unterdrückungen erleiden, diejenigen sind, die am schwersten unter den falschen Lösungen eines weissen, cis-heterosexuellen und ausschliessenden Feminismus leiden. Wir haben auch gesehen, dass die vom Staat und seinen Institutionen vorgebrachten gesetzgeberischen Lösungen nicht zufriedenstellend sind. Im Gegenteil, sie stärken die Unterdrückungssysteme. Wir wollen einen Feminismus in Solidarität mit allen, die nicht nur einer Handvoll weisser und bürgerlicher cis-Feministinnen vorbehalten ist, die sich dem wohlhabenden Tisch anschliessen möchten. Die gleiche Teilungstaktik wurde seit der Kolonialzeit angewendet. Wir glauben daher, dass die Interessen der unterdrückten Gruppen zusammenlaufen und dass wir uns nur auf Kosten einer wirklichen Anstrengung organisieren können, um die Situation des einen und des anderen zu verstehen, und gegen das Unterdrückungssystem stehen.

Geschlechterfragen sind daher eng mit Rassen- und Klassenfragen verbunden. Die bürgerliche Elite bewahrt ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen, indem sie einige Menschen unter nicht nachhaltigen Lebensbedingungen hält. Ohne billige Arbeitskräfte bricht das kapitalistische System zusammen. Der beste Weg für sie, diese Arbeitskräfte zu finden, besteht darin, hier und anderswo Frauen* und / oder rassifizierte Arbeitnehmer*innen zu finden, denen die für die Aushandlung ihrer Plätze erforderlichen Bedingungen verweigert werden und die daher unter einem zunehmend entfremdenden und prekären Arbeitsmarkt leiden müssen.

Eine Analyse auf der Grundlage von Geschlecht, Rasse und Klasse liefert eine Vorstellung von den Machtverhältnissen, die in unseren kapitalistischen Gesellschaften bestehen. Wir bekräftigen daher, dass diejenigen, die nicht vom System profitieren, notwendigerweise diejenigen sind, die unter Ungerechtigkeit und Gewalt leiden. Infolgedessen erheben wir uns als Feministinnen gegen jede Form von Herrschaft, Diskriminierung und systemischer Gewalt, unabhängig davon, ob wir direkt betroffen sind oder solidarisch sind.
Dieses System ist an der Wurzel verfault, es muss verschwinden.

P.S.

Übersetzung; Original auf renverse.co: https://renverse.co/ANNULE-Marche-nocturne-feministe-revolutionnaire-7-mars-2020-2449