Medienspiegel 23. Februar 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++MITTELMEER
«Ocean Viking» darf 274 gerettete Flüchtlinge nach Sizilien bringen
Die 274 Bootsflüchtlinge auf der «Ocean Viking» dürfen in Italien an Land gehen. Dort werden sie wegen des Coronavirus vorerst in Quarantäne gestellt.
https://www.nau.ch/news/europa/ocean-viking-darf-274-gerettete-fluchtlinge-nach-sizilien-bringen-65667043


Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando wird Ehrenmitglied bei Sea-Eye
Sea-Eye errichtet Seenotrettungsstützpunkt auf Sizilien
https://sea-eye.org/palermo-buergermeister-leoluca-orlando-ehrenmitgliedschaft/


EU-Außenpolitik – Kriegsschiffe statt staatliche Seenotrettung
Werteunion oder Militärunion? Die EU ersetzt ihre die Mission Sophia auf dem Mittelmeer durch einen maritimen Militäreinsatz zur Kontrolle des Waffenembargos gegen Libyen
https://www.freitag.de/autoren/marahfrech/kriegsschiffe-statt-staatliche-seenotrettung


+++FREIRÄUME
Die Rote Fabrik feiert Geburtstag: «Wir verdanken die Fabrik dem Freisinn»
Die aus der 80er-Jugendbewegung entstandene Rote Fabrik wird 40 Jahre alt. Das Zürcher Kulturzentrum führt aus diesem Grund Führungen durch, diesen Sonntag mit Hans X. Hagen. Im Interview erzählt der 64-Jährige von alten und neuen Zeiten.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/die-rote-fabrik-feiert-geburtstag-wir-verdanken-die-fabrik-dem-freisinn-136401770


Ein Blick zurück: So wurde die Rote Fabrik zum Kulturzentrum
Mit monatlichen Führungen feiert die Rote Fabrik in Zürich dieses Jahr ihr 40-jähriges Bestehen als Kulturzentrum. Diese Geschichte steckt dahinter.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/ein-blick-zurueck-so-wurde-die-rote-fabrik-zum-kulturzentrum-136401801


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Rund 300 Menschen zogen heute durch Bern als Reaktion auf die mehrfachen Morde durch einen Rechtsextremen in Hanau. Während des heutigen Umzuges nahmen sich viele Migrant*innen selbstbestimmt den vorderen Teil der Demo. Nicht selten werden bei antifaschistischen und antirassistischen Umzügen PoC in den hinteren Teil verdrängt oder gar nicht erst einbezogen. Taten wie in Hanau finden ihren Ursprung im alltäglichen Rassismus und Sexismus. Als migrantischer Teil der Anarchistischen Gruppe Bern wissen wir allzu gut, wie es ist im Alltag alleine gelassen zu werden.
Der Kampf gegen Faschismus hört für viele Betroffene nicht nach einer Demo auf. Es wird Zeit, dass wir uns weiter verbünden, eigene Selbstverteidigungsstrukturen aufbauen und unsere Stimmen erheben.
https://www.facebook.com/InfoAGB/photos/pcb.1552298698251814/1552295931585424/?type=3&theater



Aufgrund der grausamen Tat, eines Rechtsextremisten vergangene Tage in Hanau, wollen wir auch in Bern nicht einfach stillschweigend sein.
Morgen, Sonntag 23.2 um 17 Uhr auf dem Bahnhofplatz Bern.
Gemeinsam gegen Faschismus!
Nach der Attacke in Hessen mit Toten zeigt sich noch deutlicher, dass sich faschistisches Gedankengut ausweitet. Anders als von der Politik dargestellt, sind Rechtsextreme inzwischen die grösste Gefahr, nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit.
Solche Taten haben in der vergangenen Zeit deutlich zugenommen. Rassistische Hetze findet in der Gesellschaft immer mehr Akzeptanz und tretet offener in Erscheinung.
Tobias R hat vor seiner Tat, diverse Strafanzeigen gegen Unbekannt, wegen angeblichen Geheimorganisationen, eingereicht und diesbezüglich auch Teile seines Manifestes mitgeschickt. Trotz der offenen Verbreitung von rechtem Gedankengut im Netz und anderswo, können Faschos oft unentdeckt weiter hetzen.
Auch übers Internet werden Hassbotschaften verbreitet und Menschen aufs Schärfste diskriminiert und unterdrückt. Durch den politischen Rechtsrutsch bekommt solches Gedankengut in der Gesellschaft viel mehr Gehör. Die Menschen fühlen sich in ihrem Wahn gestärkt.
Gegen solche Taten braucht es uns alle! Vertraut nicht blind dem Staat, im Kampf gegen Faschismus. Organisieren wir uns, bauen eigene Strukturen auf und erheben gemeinsam unsere Stimmen. Antifaschismus muss auf die Strasse getragen werden, egal ob auf dem Dorfplatz oder in der Grossstadt.
Die Anarchistische Gruppe Bern, solidarisiert sich mit den betroffenen Menschen in Hanau
Kein vergeben, kein vergessen!
https://www.facebook.com/InfoAGB/posts/1551108265037524



Kommuniqué: Demo gegen den Rechten Terror in Basel
Wir waren auf der Strasse, weil uns diese Welle faschistischer Gewalt alle etwas angeht! Weil jetzt der Moment ist unsere Solidarität zu zeigen, unsere Trauer und unsere Wut.
https://barrikade.info/article/3196


Boykott Nestlé
In der Nacht vom 15.02 auf den 16.02 haben wir in Bern mehrere Coop und Migros Filialen verschönert, um auf die unmenschlichen und umweltzerstörenden Handlungen von Nestlé aufmerksam zu machen.
https://barrikade.info/article/3192


+++RECHTSEXTREMISMUS
„Die extreme Rechte fantasiert einen Kriegszustand herbei“: Die Rechten und die Sprache
Umdeuten, verzerren, entmenschlichen: Sprache ist die wichtigste Waffe im Kampf für einen völkischen Umsturz. Extremismus-Forscherin Natascha Strobl seziert die Strategien der Rechten.
https://www.fr.de/politik/extremismus-forscherin-analysiert-sprache-rechtsextremen-13553622.html


Was hinter dem Frauenhass rechter Attentäter steckt
Der mutmaßliche Täter von Hanau offenbart in seinem Pamphlet ein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Das ist bei rechten Terroristen ein gängiges Motiv.
https://www.sueddeutsche.de/politik/tobias-r-frauenhass-rechtsextreme-1.4809396


Gruppe S.: Der neue Wutbürger-Terrorismus
Die rechtsextreme Zelle Gruppe S. besteht aus Mitgliedern ganz unterschiedlicher rechter Strömungen. Eine toxische Mischung. Ist das eine neue Form des Terrorismus?
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/gruppe-s-rechtsextremismus-terrorzelle-anschlagsplaene-razzien-buergerwehr/komplettansicht


#HANAU
-> https://www.spiegel.de/kultur/rechtsterrorismus-das-terrornetz-des-einzeltaeters-a-9e65ee11-f2df-4e46-a339-25485b4638ff?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph
-> https://www.zeit.de/kultur/2020-02/verschwoerungstheorien-michael-butter-hanau/komplettansicht
-> https://taz.de/Rechter-Terror-gegen-Migranten/!5663103/
-> https://www.sueddeutsche.de/politik/tobias-r-frauenhass-rechtsextreme-1.4809396
-> https://www.blick.ch/news/ausland/das-sind-die-opfer-des-terrors-von-hanau-d-er-wollte-dass-es-allen-gut-geht-id15763020.html
-> https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/die-opfer-von-hanau/story/31582304
-> https://www.derstandard.at/story/2000114920109/nach-hanau-attentat-oeffnete-bundeskriminalamt-hinweisportal
-> https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/demonstration-in-hanau-bis-zu-10-000-menschen-gedenken-der-anschlagsopfer-a-c9c7aa83-c67f-46b0-81c5-5d63d4bf2e5e
-> https://www.zeit.de/kultur/2020-02/verschwoerungstheorien-michael-butter-hanau/komplettansicht
-> https://www.deutschlandfunk.de/gewalt-gegen-migranten-ataman-wir-wollen-schutz.694.de.html?dram:article_id=470918
-> https://taz.de/Nach-dem-rassistischen-Attentat/!5664747/
-> https://www.jungewelt.de/artikel/373176.aktionen-gegen-rechte-gewalt-auf-die-stra%C3%9Fe.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1133294.rechter-terror-zeit-fuer-zorn-und-antirassistischen-streik.html


+++CRYPTO-LEAKS
NZZ am Sonntag 23.02.2020

Der Untersuchungsleiter in der Crypto-Affäre muss Gesuche stellen

Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer hat nicht pauschal Zugang zu allen Dokumenten. Er muss bei zuständigen Stellen des Bundes um Einsicht ersuchen.

Stefan Bühler

In der Crypto-Affäre macht der Bundesrat vom Recht Gebrauch, Antworten auf später zu vertagen. Konkret: voraussichtlich auf Ende Juni. Bis dann soll alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer mit externen Juristen einen Bericht über die Firma Crypto AG abliefern.

Laut Medienberichten belegen Dokumente amerikanischer und deutscher Geheimdienste, dass die Firma im Besitz der amerikanischen CIA und einst auch des deutschen Bundesnachrichtendienstes war. Sie soll Verschlüsselungsgeräte hergestellt haben, die für eingeweihte Nachrichtendienste knackbar waren. Fraglich ist, was die Schweizer Behörden darüber wussten.

Oberholzer hat vom Bundesrat am 15. Januar den Auftrag erhalten, «das Thema zu untersuchen und die Faktenlage zu klären». So steht es in der offiziellen kurzen Sprachregelung des Bundes. Bundesratssprecher André Simonazzi führte zudem an einer Medienkonferenz aus, Oberholzer werde alle Aspekte um die Krypto AG untersuchen. «Er wird die Rolle dieser Firma, der Verwaltung, der politischen Behörden anschauen und die Fakten etablieren.» Bis dahin könne sich der Bundesrat in der Sache nicht äussern. Auch nicht zu weiteren Details zum Auftrag an Oberholzer.

Der Antrag für das Engagement Oberholzers und seines Teams, den Bundesrätin Viola Amherd am 13. Januar an ihre Kollegen verschickte, liegt jetzt der «NZZ am Sonntag» vor. Zu untersuchen sei der Sachverhalt «um die Crypto AG ab 1945 bis zur Aufspaltung der Firma im Februar 2018», heisst es darin. Dabei kann Oberholzer Interviews mit Zeitzeugen und weiteren Personen durchführen, «nicht aber im Sinne von formellen Einvernahmen».

Der Bundesrat strebt eine baldige Klärung an: Zu Dokumenten, die dem Bundesarchiv noch nicht übergeben worden seien, die aber von Oberholzer als relevant erachtet würden, sei diesem von den betroffenen Verwaltungseinheiten «rasch Zugang zu gewähren».

Unter dem Stichwort «Mitwirkung innerhalb der Bundesverwaltung» heisst es in Amherds Papier: «Der Bundesrat will den Sachverhalt mit grösstmöglicher Transparenz untersuchen.» Unmittelbar danach macht sie allerdings eine bemerkenswerte Einschränkung: «Gleichzeitig gilt es, die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Archivierung zu respektieren und die Freigabe der Dossiers im Einzelfall zu prüfen.» Dies sei insbesondere für Dossiers nötig, «die aufgrund besonders schützenswerter Personendaten unter Schutzfrist stehen».

Mit anderen Worten: Oberholzer hat nicht direkten Zugriff auf sämtliche gewünschten Dokumente. Er muss hierfür – wie alle übrigen Nutzerinnen und Nutzer des Bundesarchivs – Einsichtsgesuche einreichen. Darüber ist in der offiziellen Sprachregelung des Bundes nichts zu lesen. Auf Anfrage bestätigt Simon Meyer, Sprecher des Bundesarchivs, nun aber diesen Sachverhalt.

Zuständig für die Freigabe der Dokumente sei nicht das Bundesarchiv selbst, erklärt er, sondern jene Verwaltungseinheiten, aus denen die Dokumente stammten. Das heisst zum Beispiel, dass Dokumente aus dem Geheimdienst von diesem selbst zuhanden des Untersuchungsleiters freigegeben werden müssen.

Laut Meyer ist das Einsichtsgesuchsverfahren nötig, «weil der Bundesrat aufgrund der gesetzlichen Vorgaben Herrn Oberholzer nicht pauschal Einsicht in alle Dokumente gewähren konnte».

Die Landesregierung ist anscheinend aber darum bemüht, die Schwelle für das Forscherteam möglichst tief zu halten: «Die bestehende interdepartementale Arbeitsgruppe wird als Beratungsgremium die Forschungsgruppe unterstützen», heisst es dazu in Amherds Papier. Und das Bundesarchiv koordiniere die Zusammenarbeit der involvierten Stellen mit dem Ziel, «den Einsichtsgesuchsprozess in Archivgut zu erleichtern und zu beschleunigen».

Zudem stellt das Bundesarchiv dem Untersuchungsleiter einen Arbeitsraum zur Verfügung. Oberholzer habe seine Arbeit aufgenommen, sagt Meyer; er habe auch schon einige Einsichtsgesuche eingereicht. «Bisher konnten alle bewilligt werden.»
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/oberholzer-muss-gesuche-stellen-ld.1542177)



Sonntagszeitung 23.02.2020

Crypto AG profitierte von Schweizer Rüstungskauf

Beim Ausstieg des US-Geheimdienstes kam die Firma bei einem Kompensationsgeschäft der Armee zum Zug.

Thomas Knellwolf

Konnte die CIA vor knapp zwei Jahren von einem der umstrittenen schweizerischen Offset-Programme profitieren? Strich der amerikanische Ausland-Nachrichtendienst so noch direkt Geld ein, oder konnte er den Verkaufspreis für seine ­Zuger Spionagefabrik wegen der Aussicht auf Kompensationsaufträge in die Höhe treiben?

Diese Fragen stellen sich, weil die Crypto AG im aktuellen Offset-Register des Bundes auftaucht – als Profiteurin eines schweizerischen Rüstungsgeschäfts mit einer deutschen Firma. In diesem Register listet Armasuisse die Begünstigten der politisch kontrovers diskutierten Gegengeschäfte von Einkäufen der Schweizer Armee auf.

Die Crypto AG ist darin als Nutzniesserin aufgeführt, weil sie einen Kompensationsauftrag bekommen hat, als die Schweizer ­Armee 2018 ihre Flugfunk-Boden-Infrastruktur ersetzte. Mit den neuen Funksystemen des Technologiekonzerns Rohde & Schwarz aus München können Zivil- und ­Militärpiloten in allen Lagen und bei jedem Wetter mit der Flug­sicherung Skyguide und der Luftwaffe kommunizieren. Kostenpunkt: 53 Millionen Franken.

Die Summe, die nach Zug fliesst, bleibt geheim

2018 war ein Schlüsseljahr in der bewegten Geschichte der Crypto AG. Die CIA stieg bei seinem im Kanton Zug domizilierten Verschlüsselungsspezialisten aus – nachdem sie 48 Jahre lang als geheime Besitzerin der halben Welt ­manipulierte Chiffriertechnik angedreht hatte. Die Firma wurde aufgeteilt, verkauft und in alter Form aufgelöst.

Im selben Jahr startete auch das Offset-Programm zum neuen Funksystem, Laufzeit zehn Jahre. In welchem Umfang die ­Tarnfirma des amerikanischen Ausland-­Geheimdienstes oder eine der Nachfolgegesellschaften zum Zug kam oder noch kommen wird, wird unter Verschluss gehalten. «Wir können leider nicht bekannt ­geben, in welcher Höhe welche Firmen von welchen Offsetgeschäften profitiert haben», schreibt Renato Kalbermatten, Kommunikationschef des Verteidigungsdepartements (VBS).

Im Offset-Register ist beim neuen Funksystem unter den Begünstigten neben der Crypto AG auch deren Nachfolgefirma Crypto International AG aufgeführt. Deren Besitzer betont, dass er mit der Crypto AG nichts zu habe und «sicher keine Beziehung zu amerikanischen oder deutschen Geheimdiensten» pflege. Deutschlands Bundesnachrichtendienst (BND) war ab 1970 mit der CIA Besitzer der Zuger Tarnfirma gewesen, stieg aber Anfang 90er-Jahre aus. Deutsche und Amerikaner verkauften jahrzehntelang manipulierte Chiffriergeräte an zahlreiche Staaten, deren Geheimkommunikation sie dann dank eingebauter Hintertüren entschlüsseln konnten.

Gegengeschäfte begünstigen Korruption

In der Schweiz haben sowohl die Armee als auch die zivile Verwaltung bis heute Crypto-AG-Geräte im Einsatz. Sie wurden nun erneut auf mögliche Sicherheitslücken analysiert. Die Prüfung in den ­vergangenen Wochen ergab laut VBS, «dass gemäss heutigem Kenntnisstand Schwächen in den an Schweizer Behörden gelieferten Verschlüsselungssystemen ausgeschlossen werden können».

Unabhängig von der Crypto-Affäre sind Kompensationsdeals umstritten. VBS-Chefin Viola ­Amherd wollte sie beim Kauf neuer Kampfjets auf 60 Prozent des Preises beschränken, während die Industrielobby auf volle Kompensation setzte. Im Dezember setzte sich Amherds Ansinnen im Parlament durch.

Die Offset-Programme bieten eine Grundlage für Korruption und wirtschaftliche Fehlanreize. Ihre Befürworter argumentieren mit der Sicherheits- und Rüstungspolitik: Die Gegengeschäfte dienten letztlich der Förderung strategisch wichtiger Spitzentechnologie in der Schweiz.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/crypto-ag-profitierte-von-schweizer-ruestungskauf/story/31591328)



Sonntagszeitung 23.02.2020

«Das letzte Teilchen fehlte ihm: der Beweis»

Als Vertreter der Crypto AG war Hans Bühler im Iran bis 1993 im Gefängnis. Seine Tochter Chris Blumer über eine lange Zeit der quälenden Ungewissheit.

Res Strehle

Ihr Vater war im März 1992 für die Crypto als Verkäufer im Iran unterwegs. Die Iraner hatten Verdacht geschöpft, die Verschlüsselungsgeräte seiner Firma seien nicht sauber, und verhafteten ihn. Wie war das damals für Sie als siebzehnjährige Tochter?

Mein Vater sollte am Besuchstag meiner Mittelschule in Zürich zurück sein. Meine Mutter wartete an diesem Samstag stundenlang am Flughafen, aber er war nicht im Flieger aus Teheran. So kam sie verzweifelt in die Schule – eine halbe Stunde vor Ende der letzten Lektion. Alle anderen Eltern waren da. Während drei, vier Wochen blieben wir danach im Ungewissen. Bern soll von der Verhaftung früh gewusst haben, aber sie informierten uns lange nicht.

Er blieb für die Familie über drei Wochen lang verschollen?

Ja, so empfanden wir es.

Hatte er ein ungutes Gefühl vor seiner Reise in den Iran?

Überhaupt nicht, er war ja oft dort und kannte alle Kontaktpersonen gut. Der Vertreter im Iran war ein Freund der Familie. Meist ging mein Vater zusammen mit einem Techniker der Firma, der im Gepäck die neuen Geräte mit sich führte. Auf der Rückreise füllten sie das Gepäck jeweils mit Pistazien, darauf freuten wir uns jedes Mal.

Nach drei, vier Wochen informierte ein Beamter aus dem EDA Ihre Mutter über die Verhaftung. Was sagte er ihr?

Mein Vater sei in der Privatwohnung eines Verwandten des lokalen Firmenvertreters verhaftet worden und jetzt in einem Militärgefängnis inhaftiert. Besuche von Firmenvertretern in dieser Wohnung waren normal, auch sein Chef war schon dort. Wir waren fürs Erste beruhigt und hofften, dass sich die Sache rasch klären würde. Womöglich hatten sie eine Flasche Wein getrunken, das war in Privatwohnungen gang und gäbe und wurde nicht streng bestraft.

Danach blieb Ihr Vater über neun Monate inhaftiert. Was sind Ihre Erinnerungen an diese Zeit?

Das EDA informierte uns, dass man ihm Spionage vorwarf. Wir verstanden die Welt nicht mehr. Ich musste für meine Mutter nächtelang Briefe ins Englische übersetzen, von denen wir hofften, dass sie ihm übergeben werden. Nach einem Monat konnte ihn ein Vertreter des EDA besuchen. Jetzt wussten wir wenigstens, dass er noch lebte. Dann kamen erste Briefe von ihm in krakeliger Schrift, er musste seine Schuhe als Schreibunterlage benutzen. Schliesslich freuten wir uns über jede Kleinigkeit, etwa als ihm der EDA-Vertreter bei einem nächsten Besuch eine Orange übergeben konnte.

Hat sich das EDA stark für seine Freilassung eingesetzt?

Nein, wir waren enttäuscht und fühlten uns schlecht informiert. Immerhin haben sie uns dann geraten, einen eigenen Anwalt zu nehmen, um uns für Vaters Freilassung einzusetzen. Zwar hatte die Crypto bereits einen Anwalt in Teheran beauftragt, aber der vertrat in erster Linie die Interessen der Firma. Die Crypto schien nicht sonderlich an seiner Freilassung interessiert. Im Gegenteil, mein Vater war im Nachhinein überzeugt, dass man ihn im Gefängnis verrotten lassen wollte.

Woraus schloss er das?

Wir wurden sehr schlecht informiert, oft erst in letzter Minute, als sich nichts mehr machen liess. Ausserdem wurden wir auch nicht beraten, was wir für seine Freilassung tun konnten. Dass der Iran nach drei Monaten schon ein Lösegeld verlangte, nachdem der Staatsanwalt zum Schluss gekommen war, dass mein Vater nichts wusste, erfuhren wir sehr spät und nur indirekt: Die Firma verlangte von meiner Mutter einen Steuerausweis, um zu sehen, ob wir in der Lage waren, die geforderte Million Dollar aufzubringen.

Wer hat die Million schliesslich aufgebracht?

Wir glaubten, dass es die Firma war. Heute wissen wir, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst das Geld aufgebracht hat. Deutschland wollte keinen Wirbel, weil man fürchtete, dass der geheimdienstliche Hintergrund der Firma zum Thema werden könnte, wenn mein Vater in der Haft gestorben wäre. Ein Deutscher, der in jener Zeit verhaftet wurde, kam nach Zahlung einer Kaution rasch wieder frei. Wir dachten, warum macht dies die Schweiz nicht?

Wann wusste Ihre Mutter, dass er gegen Lösegeld freikäme?

Nach fünf Monaten. Man liess danach weitere gut vier Monate verstreichen, bis die Million aufgetrieben war. Dabei war mein Vater inzwischen gesundheitlich sehr schlecht dran.

Anfang Januar 1993 kam er frei. Wie wirkte er nach seiner Rückkehr?

Er war spindeldürr, hatte dreissig Kilo abgenommen. Wir befürchteten, dass er krank war, er hatte im Gefängnis eine Bluttransfusion bekommen. Aber das bestätigte sich glücklicherweise nicht, einzig seine Zähne waren kaputt – wohl wegen des Vitaminmangels. Er musste sein Gebiss danach total sanieren lassen.

Ihr Vater wurde im Gefängnis mehrfach mit dem Tode bedroht, er hörte die Folterschreie der Mitgefangenen im Nebenraum. Einmal drohte man, ihm mit einer Zigarette die Augen auszubrennen, ein anderes Mal war er schon auf ein Folterbett gefesselt. Wie ging es ihm nach diesen Erlebnissen psychisch?

Wie es Traumatisierten oft geht: Er redete nächtelang auf meine Mutter ein, erzählte dieselben Erlebnisse wieder und wieder. Fast fünfzehn Jahre lang sass er nicht mehr mit dem Rücken zur Türe, weil er so verhaftet worden war. Immerhin erholte er sich physisch nach einem Monat, zumindest oberflächlich, und nahm wieder zu.

Dann kam die Kündigung der Firma. Ein zweites Trauma?

Ja, sicher, in der Wirkung fast noch grösser als die Haft. Wir weilten in den Skiferien in Arosa, als ihn die Kündigung beim Nachtessen im Hotel erreichte. Er verstand die Welt nicht mehr. Er war selber ein fadengerader Mensch, und es war für ihn völlig unverständlich, warum ihn die Crypto fallen liess. Er war überzeugt, dass er nach seiner Erholung weiter für die Firma arbeiten würde. Er war extrem loyal, hatte nach seiner Rückkehr auch kein kritisches Wort über seine Arbeitgeberin in den Medien geäussert.

Womöglich hatte er schon Verdachtsmomente? Er wurde ja kurz nach seiner Rückkehr von der Bundespolizei befragt.

Die Bundespolizei wollte von ihm haargenau wissen, was ihn die Iraner in den Verhören gefragt haben. Das Protokoll dieser Befragung würde ich gerne kennen – ich hoffe, es ist nicht auch verschwunden, wie andere Akten.

Danach ging Ihr Vater Tag und Nacht seiner Geschichte nach. Half ihm dies?

Zeitweilig schon. Aber es trieb ihn auch immer tiefer in diese Geschichte und die Verzweiflung rein. Noch jahrelang meldeten sich frühere Arbeitskollegen und erzählten von ihren Beobachtungen. So kam er zur Überzeugung, dass die Crypto ausländischen Nachrichtendiensten gehörte und die Geräte manipuliert waren. Wie bei einem Puzzle fand er Teil um Teil und setzte sie zusammen. Aber das letzte Teilchen fehlte: der Beweis.

Die Suche nach der Wahrheit wurde ihm zeitweilig zur Obsession. Kam er je davon los?

Erst nach zwölf Jahren mit seiner Pensionierung. Zuvor war er ja auch stets verzweifelt auf Arbeitssuche, ein unfreiwilliger Hausmann. Zweimal hatte er vorübergehend Jobs, aber er hatte dafür den Kopf nicht mehr frei. Die Anstellung bei der Handelszentrale Osec soll er übrigens dem Bund verdankt haben. Bern wollte, dass er endlich Ruhe gab.

Die Crypto hat ihn nach drei Jahren mit 250’000 Franken abgefunden und zum Stillschweigen verpflichtet.

Ja, nicht so viel, wie man damals spekulierte. Nach Abzug der Steuern entsprach dies in etwa einem Lohnausfall von eineinhalb Jahren, und dafür musste er sich zum Stillhalten verpflichten.

Aus dem Geheimpapier Minerva wissen wir, dass die CIA erwog, ihn mit einem jahrelangen Prozess zu zermürben.

Das wäre ihnen zweifellos gelungen. Mein Vater hätte einen jahrelangen Prozess durch verschiedene Instanzen nie durchgehalten. Aber offenkundig fürchtete die Crypto das öffentliche Auftreten von Zeugen. Der Anwalt meines Vaters hatte verschiedene ehemalige Arbeitskollegen als Zeugen aufgeboten, ausserdem auch die drei Bundespolizisten, die meinen Vater nach der Rückkehr einvernahmen und nicht naiv schienen.

Nach seiner Pensionierung konnte er loslassen?

Ja, er war danach ein anderer Mensch, interessierte sich auch erstmals im Leben für Musik. Nach dem Tod meiner Mutter kümmerte er sich fast täglich um seine eigene Mutter, die ihn überlebte und inzwischen 108-jährig ist. Sie war bis vor eineinhalb Jahren gut dran, aber seinen Tod konnte sie nicht mehr verkraften.

Woran ist Ihr Vater gestorben?

An einem Pleuramesotheliom, das zu 80 Prozent als Spätfolge von Asbestkontakt auftritt. Bei ihm war dieser Test aber negativ, also gehörte er zu den 20 Prozent mit anderem Auslöser.

Erst jetzt hat sich das letzte Rätsel in seinem Fall gelöst. Was würde es für ihn bedeuten, dass das letzte Puzzleteil nun da ist?

Das wäre für ihn eine Riesenerlösung.


Chris Blumer diskutiert heute Sonntag im Zürcher Kulturhaus Kosmos mit dem ehemaligen Crypto-Ingenieur Jürg Spörndli, dem Zuger Ex-Nationalrat und Historiker Jo Lang und dem Autor über die Cryptoleaks und ihre Folgen für die Schweizer Neutralität (Kosmopolitics Special, 19 Uhr).



Der Verdacht

Chris Blumer, 44, ist die Tochter des 1992 im Iran verhafteten Ingenieurs Hans Bühler. Die Tierärztin lebt in Zürich. Als ihr Vater verhaftet wurde, war sie 17-jährig; die aktuell bekannt gewordenen Enthüllungen durch die Cryptoleaks haben bei ihr die traumatischen Erlebnisse jener Zeit wieder hochgebracht. Ohne Kenntnis des nachrichtendienstlichen Hintergrunds seiner Firma hatte sich ihr Vater in Lebensgefahr gebracht. Er war danach der Erste, der den Verdacht auf manipulierte Geräte seiner Firma öffentlich äusserte.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/er-war-extrem-loyal/story/18763295)



NZZ am Sonntag 23.02.2020

Haben die USA vom Angriff auf Israel 1973 gewusst?

Die Crypto-Affäre lässt historische Ereignisse in neuem Licht erscheinen. Auch beim Jom-Kippur-Krieg könnten die manipulierten Chiffriergeräte eine Rolle gespielt haben. Aber die alten Rätsel zu lösen, bleibt schwierig.

Daniel Meier

Einfach waren die Verhandlungen nicht, die US-Präsident Jimmy Carter im September 1978 auf dem Sommersitz Camp David leitete. Aber offenbar leichter, als man über Jahrzehnte dachte. Seit dieser Woche ist bekannt, dass der Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel damals auch dank einem Abhörtrick zustande kam.

So sollen die Amerikaner jeweils in den Pausen die verschlüsselten Nachrichten abgefangen haben, die der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat an seine Leute daheim in Kairo schickte – ein grosser Vorteil für Carter, der auf einen Deal drängte. Nach zwölf Tagen gaben sich Sadat und der israelische Ministerpräsident Menachem Begin die Hand. Später erhielten die beiden den Friedensnobelpreis.

Die Crypto-Affäre zeigt Ereignisse der Weltgeschichte in neuem Licht. Die Zuger Crypto AG war 1970 vom amerikanischen und deutschen Geheimdienst übernommen worden, ohne dass dies öffentlich bekanntwurde. Sie liessen in die Chiffriergeräte von Crypto eine Hintertür einbauen und konnten so die vermeintlich sichere Kommunikation entschlüsseln. 120 Länder nutzten Crypto-Geräte.

Belegt wird dieses Doppelspiel im Minerva-Bericht. Einblick in die 270 Seiten haben bisher nur ZDF, SRF und «Washington Post». Sie nennen neben Camp David etwa den Falkland-Krieg, den Putsch in Chile oder den Anschlag auf die Diskothek La Belle in Berlin als Ereignisse, bei denen Crypto eine Rolle gespielt haben soll.

Aber da sich der «Spionagecoup des Jahrhunderts» (O-Ton Minerva) über lange Zeit erstreckte, müssten sich viele weitere Geschichten finden. Was ist mit den grossen Ereignissen, die eigentlich auf der Hand liegen würden? Warum ist zum Beispiel von Camp David die Rede, nicht aber vom Krieg, der den Verhandlungen vorausging?

Am 6. Oktober 1973, dem jüdischen Versöhnungsfest Jom Kippur, starteten Ägypten und Syrien eine Grossoffensive auf Israel. Es war, so steht es in jedem Geschichtsbuch, ein Überraschungsangriff aus dem Nichts. Und ein totales Versagen der Geheimdienste. Die überrumpelte israelische Armee reagierte spät.
Syrien und Ägypten nutzten Crypto

Beide Staaten hinter dem Angriff waren laut Minerva Crypto-Kunden. Das überrascht zunächst, denn arabische Länder nutzten in jener Zeit vor allem Material aus der Sowjetunion. Tatsächlich scheinen aber die Geräte beim Jom-Kippur-Krieg im Einsatz gewesen zu sein.

So schreiben Ian Black und Benny Morris in ihrem Buch «Israel’s Secret Wars», Ägypten und Syrien hätten in den letzten Tagen des Countdowns keinerlei Nachrichten mehr per Telefon, Funk oder Telegramm verschickt: «Die sichere Kommunikation erfolgte über ein modernes Gerät namens Cryptovox, das die syrische Armee 1972 gekauft hatte.»

Man darf annehmen, dass diese Apparate aus Zug manipuliert waren. Vorausgesetzt, die USA hörten damals die Kommunikation in der Region ab, konnten sie somit die chiffrierten Nachrichten von Ägypten und Syrien entschlüsseln.

Diese Spekulation baut auf mehreren Unwägbarkeiten auf, doch sie führt zu einem unerträglichen Gedanken; dass nämlich die Amerikaner hätten erkennen können, wie sich das Unheil anbahnte, aber den befreundeten Staat Israel in Unkenntnis liessen.
«Eine blutige Nase»

Unmittelbar nach der Attacke kamen derartige Verdächtigungen auf. Henry Kissinger, damals gerade vom Sicherheitsberater zum Aussenminister unter Präsident Richard Nixon aufgestiegen, sah sich noch während des Kriegs genötigt, an einer internen Sitzung ausdrücklich zu betonen, Amerika habe von nichts gewusst. Er erwähne das, «weil es viele Geschichten gab, dass wir einen Präventivangriff der Israeli verhindert haben».

Kaum bestritten ist, dass die USA keineswegs entschlossen zu Hilfe eilten. Sie warteten zunächst mit Waffenlieferungen zu, obwohl die Hilferufe aus Israel immer dramatischer wurden. Später wiesen Historiker darauf hin, Kissinger sei auf keinen allzu einseitigen Sieg Israels aus gewesen.

Als die erste Woche des Krieges vorbei war, so schreibt der Biograf Walter Isaacson, habe Kissinger zu Verteidigungsminister James Schlesinger gesagt: «Das beste Resultat wäre, wenn Israel knapp gewinnen, aber dabei bluten würde.» Andere Quellen zitieren einen hohen US-Beamten, der gesagt haben soll, man wünsche sich einen Sieg, bei dem sich Israel «aber eine blutige Nase holen würde».

Israel sollte an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Nach mehreren Kriegen in Nahost sahen die USA einen Wendepunkt erreicht. Erstmals setzten die arabischen Länder Öl als Druckmittel gegen den Westen ein. Sie drosselten die Förderung, der Preis explodierte. Nun sollte die Lage beruhigt werden, was aber auch deshalb schwierig war, weil Israel die bisherigen Kriege in der Region gewonnen hatte und sich für unbesiegbar hielt.

Mit dem Jom-Kippur-Krieg ändert sich das. Am 24. Oktober 1973 kam es zum Waffenstillstand. Auf israelischer Seite waren 2800 Tote zu beklagen, auf arabischer Seite mindestens 8500. Bald darauf begannen Israel und Ägypten mit den Gesprächen, die fünf Jahre später in Camp David zum Abschluss kamen.

Gerüchte, wonach der US-Geheimdienst vor Kriegsausbruch nicht all sein Wissen mit Israel geteilt und zumindest einige Stunden oder Tage gezögert habe, kursierten öfters. Gibt es tatsächlich Beweise? Finden sie sich im Minerva-Bericht, der ein CIA-Historiker verfasst haben soll?

Warum sollten die USA derart brisantes Material offenlegen? Kommt der Jom-Kippur-Krieg, einer der schwersten Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg, dort überhaupt vor? Das Papier bleibt unter Verschluss. Die involvierten Medien haben weitere Enthüllungen in Aussicht gestellt.

Zu wissen, dass abgehört worden sein könnte, ist das eine; das galt und gilt fast überall. Doch bis heute wissen wir weder, wo und wann genau manipulierte Crypto-Geräte eingesetzt wurden, noch was damit abgefangen wurde. Erst wenn entschlüsselte Meldungen im Wortlaut vorliegen, wissen wir, was die damals Verantwortlichen wussten – und können dann die Geschichte allenfalls neu schreiben.

Der israelische Historiker Uri Bar-Joseph, der ein Buch über den Jom-Kippur-Krieg geschrieben hat, erklärt, auch der israelische Geheimdienst habe etliche Hinweise gehabt, wonach ein Krieg drohe. Doch niemand habe das ernst genommen, weil man einen Angriff für unmöglich hielt. Und dann sagt Bar-Joseph mit Blick auf Israel im Oktober 1973 einen Satz, der die Bedeutung von Spionage und von Abhöraktionen stark abschwächt: «Wir wussten alles, aber wir verstanden nichts.»

Mitarbeit: Thomas Skelton-Robinson



Geheimdienst hörte auf beiden Seiten mit

Iran wird im Minerva-Bericht als das «lukrativste Ziel» der jahrzehntelangen Abhöraktion bezeichnet. In einer der wenigen Passagen, die bisher veröffentlicht wurden, heisst es: Dank Teherans Vorliebe für die Geräte der Crypto AG aus Zug sei es möglich gewesen, «80 bis 90 Prozent» der iranischen Kommunikation zu lesen.

Die Rede ist von 19 000 Meldungen, die allein 1988 ausgewertet worden seien. Angesicht der Bedeutung, die das Land in der Region hatte, muss darunter viel brisantes Material sein.

Von grossem Interesse ist die Spionagetätigkeit während des Iran-Irak-Kriegs, der von 1980 bis 1988 mindestens 400 000 Tote forderte. Gemäss Minerva arbeiteten sowohl Iran als auch der Irak mit Crypto. Das bedeutet, dass die USA mutmasslich auf beiden Seiten mithörten.

Ihre Rolle wäre somit noch heikler gewesen, als man bisher dachte; jene des allwissenden Beobachters, der zuschaut, wie sich die Länder gegenseitig zerstören. Erst gegen Ende des Kriegs griff Amerika offen ein und schlug sich auf die Seite des Iraks.

Wie Historiker berichten, waren die Iraker auch ohne Hilfe der USA fähig, die feindlichen Nachrichten zu knacken – unter anderem, weil ihnen durch Zufall bereits 1981 eine Crypto-52 aus iranischen Beständen in die Hände fiel. Für Saddam Hussein sei das Gerät so wertvoll gewesen wie die Entschlüsselung der Codes der deutschen Chiffriermaschine Enigma für Winston Churchill im Zweiten Weltkrieg, schreibt der Franzose Pierre Razoux in seinem 2013 erschienen Buch über den Konflikt.

Teheran stellte 1983 auf die T-450 um, eine digitale Verschlüsselungsmaschine von Crypto. Daraufhin soll der Irak sofort neuste Computer aus Japan angeschafft haben. Hunderte von Technikern seien nach Japan zur Ausbildung geschickt worden.

Zudem habe man die besten Spezialisten des russischen Geheimdienstes KGB zu Hilfe gerufen, um die T-450 zu knacken, schreibt Razoux. Das Problem sei nicht die Entschlüsselung der Nachrichten aus Iran gewesen, sondern die Sprache; den Irakern habe es zu Beginn an Leuten gefehlt, die Farsi beherrschten.
(https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/haben-die-usa-vom-angriff-auf-israel-1973-gewusst-ld.1542168)