Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++MITTELMEER
«Ocean Viking» darf 274 gerettete Flüchtlinge nach Sizilien bringen
Die 274 Bootsflüchtlinge auf der «Ocean Viking» dürfen in Italien an
Land gehen. Dort werden sie wegen des Coronavirus vorerst in Quarantäne
gestellt.
https://www.nau.ch/news/europa/ocean-viking-darf-274-gerettete-fluchtlinge-nach-sizilien-bringen-65667043
Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando wird Ehrenmitglied bei Sea-Eye
Sea-Eye errichtet Seenotrettungsstützpunkt auf Sizilien
https://sea-eye.org/palermo-buergermeister-leoluca-orlando-ehrenmitgliedschaft/
EU-Außenpolitik – Kriegsschiffe statt staatliche Seenotrettung
Werteunion oder Militärunion? Die EU ersetzt ihre die Mission Sophia auf
dem Mittelmeer durch einen maritimen Militäreinsatz zur Kontrolle des
Waffenembargos gegen Libyen
https://www.freitag.de/autoren/marahfrech/kriegsschiffe-statt-staatliche-seenotrettung
+++FREIRÄUME
Die Rote Fabrik feiert Geburtstag: «Wir verdanken die Fabrik dem Freisinn»
Die aus der 80er-Jugendbewegung entstandene Rote Fabrik wird 40 Jahre
alt. Das Zürcher Kulturzentrum führt aus diesem Grund Führungen durch,
diesen Sonntag mit Hans X. Hagen. Im Interview erzählt der 64-Jährige
von alten und neuen Zeiten.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/die-rote-fabrik-feiert-geburtstag-wir-verdanken-die-fabrik-dem-freisinn-136401770
Ein Blick zurück: So wurde die Rote Fabrik zum Kulturzentrum
Mit monatlichen Führungen feiert die Rote Fabrik in Zürich dieses Jahr
ihr 40-jähriges Bestehen als Kulturzentrum. Diese Geschichte steckt
dahinter.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/ein-blick-zurueck-so-wurde-die-rote-fabrik-zum-kulturzentrum-136401801
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Rund 300 Menschen zogen heute durch Bern als Reaktion auf die mehrfachen
Morde durch einen Rechtsextremen in Hanau. Während des heutigen Umzuges
nahmen sich viele Migrant*innen selbstbestimmt den vorderen Teil der
Demo. Nicht selten werden bei antifaschistischen und antirassistischen
Umzügen PoC in den hinteren Teil verdrängt oder gar nicht erst
einbezogen. Taten wie in Hanau finden ihren Ursprung im alltäglichen
Rassismus und Sexismus. Als migrantischer Teil der Anarchistischen
Gruppe Bern wissen wir allzu gut, wie es ist im Alltag alleine gelassen
zu werden.
Der Kampf gegen Faschismus hört für viele Betroffene nicht nach einer
Demo auf. Es wird Zeit, dass wir uns weiter verbünden, eigene
Selbstverteidigungsstrukturen aufbauen und unsere Stimmen erheben.
https://www.facebook.com/InfoAGB/photos/pcb.1552298698251814/1552295931585424/?type=3&theater
—
Aufgrund der grausamen Tat, eines Rechtsextremisten vergangene Tage in
Hanau, wollen wir auch in Bern nicht einfach stillschweigend sein.
Morgen, Sonntag 23.2 um 17 Uhr auf dem Bahnhofplatz Bern.
Gemeinsam gegen Faschismus!
Nach der Attacke in Hessen mit Toten zeigt sich noch deutlicher, dass
sich faschistisches Gedankengut ausweitet. Anders als von der Politik
dargestellt, sind Rechtsextreme inzwischen die grösste Gefahr, nicht nur
in Deutschland, sondern auch weltweit.
Solche Taten haben in der vergangenen Zeit deutlich zugenommen.
Rassistische Hetze findet in der Gesellschaft immer mehr Akzeptanz und
tretet offener in Erscheinung.
Tobias R hat vor seiner Tat, diverse Strafanzeigen gegen Unbekannt,
wegen angeblichen Geheimorganisationen, eingereicht und diesbezüglich
auch Teile seines Manifestes mitgeschickt. Trotz der offenen Verbreitung
von rechtem Gedankengut im Netz und anderswo, können Faschos oft
unentdeckt weiter hetzen.
Auch übers Internet werden Hassbotschaften verbreitet und Menschen aufs
Schärfste diskriminiert und unterdrückt. Durch den politischen
Rechtsrutsch bekommt solches Gedankengut in der Gesellschaft viel mehr
Gehör. Die Menschen fühlen sich in ihrem Wahn gestärkt.
Gegen solche Taten braucht es uns alle! Vertraut nicht blind dem Staat,
im Kampf gegen Faschismus. Organisieren wir uns, bauen eigene Strukturen
auf und erheben gemeinsam unsere Stimmen. Antifaschismus muss auf die
Strasse getragen werden, egal ob auf dem Dorfplatz oder in der
Grossstadt.
Die Anarchistische Gruppe Bern, solidarisiert sich mit den betroffenen Menschen in Hanau
Kein vergeben, kein vergessen!
https://www.facebook.com/InfoAGB/posts/1551108265037524
—
Kommuniqué: Demo gegen den Rechten Terror in Basel
Wir waren auf der Strasse, weil uns diese Welle faschistischer Gewalt
alle etwas angeht! Weil jetzt der Moment ist unsere Solidarität zu
zeigen, unsere Trauer und unsere Wut.
https://barrikade.info/article/3196
Boykott Nestlé
In der Nacht vom 15.02 auf den 16.02 haben wir in Bern mehrere Coop und
Migros Filialen verschönert, um auf die unmenschlichen und
umweltzerstörenden Handlungen von Nestlé aufmerksam zu machen.
https://barrikade.info/article/3192
+++RECHTSEXTREMISMUS
„Die extreme Rechte fantasiert einen Kriegszustand herbei“: Die Rechten und die Sprache
Umdeuten, verzerren, entmenschlichen: Sprache ist die wichtigste Waffe
im Kampf für einen völkischen Umsturz. Extremismus-Forscherin Natascha
Strobl seziert die Strategien der Rechten.
https://www.fr.de/politik/extremismus-forscherin-analysiert-sprache-rechtsextremen-13553622.html
Was hinter dem Frauenhass rechter Attentäter steckt
Der mutmaßliche Täter von Hanau offenbart in seinem Pamphlet ein
gestörtes Verhältnis zu Frauen. Das ist bei rechten Terroristen ein
gängiges Motiv.
https://www.sueddeutsche.de/politik/tobias-r-frauenhass-rechtsextreme-1.4809396
Gruppe S.: Der neue Wutbürger-Terrorismus
Die rechtsextreme Zelle Gruppe S. besteht aus Mitgliedern ganz
unterschiedlicher rechter Strömungen. Eine toxische Mischung. Ist das
eine neue Form des Terrorismus?
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/gruppe-s-rechtsextremismus-terrorzelle-anschlagsplaene-razzien-buergerwehr/komplettansicht
#HANAU
-> https://www.spiegel.de/kultur/rechtsterrorismus-das-terrornetz-des-einzeltaeters-a-9e65ee11-f2df-4e46-a339-25485b4638ff?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph
-> https://www.zeit.de/kultur/2020-02/verschwoerungstheorien-michael-butter-hanau/komplettansicht
-> https://taz.de/Rechter-Terror-gegen-Migranten/!5663103/
-> https://www.sueddeutsche.de/politik/tobias-r-frauenhass-rechtsextreme-1.4809396
-> https://www.blick.ch/news/ausland/das-sind-die-opfer-des-terrors-von-hanau-d-er-wollte-dass-es-allen-gut-geht-id15763020.html
-> https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/die-opfer-von-hanau/story/31582304
-> https://www.derstandard.at/story/2000114920109/nach-hanau-attentat-oeffnete-bundeskriminalamt-hinweisportal
-> https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/demonstration-in-hanau-bis-zu-10-000-menschen-gedenken-der-anschlagsopfer-a-c9c7aa83-c67f-46b0-81c5-5d63d4bf2e5e
-> https://www.zeit.de/kultur/2020-02/verschwoerungstheorien-michael-butter-hanau/komplettansicht
-> https://www.deutschlandfunk.de/gewalt-gegen-migranten-ataman-wir-wollen-schutz.694.de.html?dram:article_id=470918
-> https://taz.de/Nach-dem-rassistischen-Attentat/!5664747/
-> https://www.jungewelt.de/artikel/373176.aktionen-gegen-rechte-gewalt-auf-die-stra%C3%9Fe.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1133294.rechter-terror-zeit-fuer-zorn-und-antirassistischen-streik.html
+++CRYPTO-LEAKS
NZZ am Sonntag 23.02.2020
Der Untersuchungsleiter in der Crypto-Affäre muss Gesuche stellen
Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer hat nicht pauschal Zugang zu allen
Dokumenten. Er muss bei zuständigen Stellen des Bundes um Einsicht
ersuchen.
Stefan Bühler
In der Crypto-Affäre macht der Bundesrat vom Recht Gebrauch, Antworten
auf später zu vertagen. Konkret: voraussichtlich auf Ende Juni. Bis dann
soll alt Bundesrichter Niklaus Oberholzer mit externen Juristen einen
Bericht über die Firma Crypto AG abliefern.
Laut Medienberichten belegen Dokumente amerikanischer und deutscher
Geheimdienste, dass die Firma im Besitz der amerikanischen CIA und einst
auch des deutschen Bundesnachrichtendienstes war. Sie soll
Verschlüsselungsgeräte hergestellt haben, die für eingeweihte
Nachrichtendienste knackbar waren. Fraglich ist, was die Schweizer
Behörden darüber wussten.
Oberholzer hat vom Bundesrat am 15. Januar den Auftrag erhalten, «das
Thema zu untersuchen und die Faktenlage zu klären». So steht es in der
offiziellen kurzen Sprachregelung des Bundes. Bundesratssprecher André
Simonazzi führte zudem an einer Medienkonferenz aus, Oberholzer werde
alle Aspekte um die Krypto AG untersuchen. «Er wird die Rolle dieser
Firma, der Verwaltung, der politischen Behörden anschauen und die Fakten
etablieren.» Bis dahin könne sich der Bundesrat in der Sache nicht
äussern. Auch nicht zu weiteren Details zum Auftrag an Oberholzer.
Der Antrag für das Engagement Oberholzers und seines Teams, den
Bundesrätin Viola Amherd am 13. Januar an ihre Kollegen verschickte,
liegt jetzt der «NZZ am Sonntag» vor. Zu untersuchen sei der Sachverhalt
«um die Crypto AG ab 1945 bis zur Aufspaltung der Firma im Februar
2018», heisst es darin. Dabei kann Oberholzer Interviews mit Zeitzeugen
und weiteren Personen durchführen, «nicht aber im Sinne von formellen
Einvernahmen».
Der Bundesrat strebt eine baldige Klärung an: Zu Dokumenten, die dem
Bundesarchiv noch nicht übergeben worden seien, die aber von Oberholzer
als relevant erachtet würden, sei diesem von den betroffenen
Verwaltungseinheiten «rasch Zugang zu gewähren».
Unter dem Stichwort «Mitwirkung innerhalb der Bundesverwaltung» heisst
es in Amherds Papier: «Der Bundesrat will den Sachverhalt mit
grösstmöglicher Transparenz untersuchen.» Unmittelbar danach macht sie
allerdings eine bemerkenswerte Einschränkung: «Gleichzeitig gilt es, die
Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Archivierung zu respektieren
und die Freigabe der Dossiers im Einzelfall zu prüfen.» Dies sei
insbesondere für Dossiers nötig, «die aufgrund besonders schützenswerter
Personendaten unter Schutzfrist stehen».
Mit anderen Worten: Oberholzer hat nicht direkten Zugriff auf sämtliche
gewünschten Dokumente. Er muss hierfür – wie alle übrigen Nutzerinnen
und Nutzer des Bundesarchivs – Einsichtsgesuche einreichen. Darüber ist
in der offiziellen Sprachregelung des Bundes nichts zu lesen. Auf
Anfrage bestätigt Simon Meyer, Sprecher des Bundesarchivs, nun aber
diesen Sachverhalt.
Zuständig für die Freigabe der Dokumente sei nicht das Bundesarchiv
selbst, erklärt er, sondern jene Verwaltungseinheiten, aus denen die
Dokumente stammten. Das heisst zum Beispiel, dass Dokumente aus dem
Geheimdienst von diesem selbst zuhanden des Untersuchungsleiters
freigegeben werden müssen.
Laut Meyer ist das Einsichtsgesuchsverfahren nötig, «weil der Bundesrat
aufgrund der gesetzlichen Vorgaben Herrn Oberholzer nicht pauschal
Einsicht in alle Dokumente gewähren konnte».
Die Landesregierung ist anscheinend aber darum bemüht, die Schwelle für
das Forscherteam möglichst tief zu halten: «Die bestehende
interdepartementale Arbeitsgruppe wird als Beratungsgremium die
Forschungsgruppe unterstützen», heisst es dazu in Amherds Papier. Und
das Bundesarchiv koordiniere die Zusammenarbeit der involvierten Stellen
mit dem Ziel, «den Einsichtsgesuchsprozess in Archivgut zu erleichtern
und zu beschleunigen».
Zudem stellt das Bundesarchiv dem Untersuchungsleiter einen Arbeitsraum
zur Verfügung. Oberholzer habe seine Arbeit aufgenommen, sagt Meyer; er
habe auch schon einige Einsichtsgesuche eingereicht. «Bisher konnten
alle bewilligt werden.»
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/oberholzer-muss-gesuche-stellen-ld.1542177)
—
Sonntagszeitung 23.02.2020
Crypto AG profitierte von Schweizer Rüstungskauf
Beim Ausstieg des US-Geheimdienstes kam die Firma bei einem Kompensationsgeschäft der Armee zum Zug.
Thomas Knellwolf
Konnte die CIA vor knapp zwei Jahren von einem der umstrittenen
schweizerischen Offset-Programme profitieren? Strich der amerikanische
Ausland-Nachrichtendienst so noch direkt Geld ein, oder konnte er den
Verkaufspreis für seine Zuger Spionagefabrik wegen der Aussicht auf
Kompensationsaufträge in die Höhe treiben?
Diese Fragen stellen sich, weil die Crypto AG im aktuellen
Offset-Register des Bundes auftaucht – als Profiteurin eines
schweizerischen Rüstungsgeschäfts mit einer deutschen Firma. In diesem
Register listet Armasuisse die Begünstigten der politisch kontrovers
diskutierten Gegengeschäfte von Einkäufen der Schweizer Armee auf.
Die Crypto AG ist darin als Nutzniesserin aufgeführt, weil sie einen
Kompensationsauftrag bekommen hat, als die Schweizer Armee 2018 ihre
Flugfunk-Boden-Infrastruktur ersetzte. Mit den neuen Funksystemen des
Technologiekonzerns Rohde & Schwarz aus München können Zivil- und
Militärpiloten in allen Lagen und bei jedem Wetter mit der
Flugsicherung Skyguide und der Luftwaffe kommunizieren. Kostenpunkt: 53
Millionen Franken.
Die Summe, die nach Zug fliesst, bleibt geheim
2018 war ein Schlüsseljahr in der bewegten Geschichte der Crypto AG. Die
CIA stieg bei seinem im Kanton Zug domizilierten
Verschlüsselungsspezialisten aus – nachdem sie 48 Jahre lang als geheime
Besitzerin der halben Welt manipulierte Chiffriertechnik angedreht
hatte. Die Firma wurde aufgeteilt, verkauft und in alter Form aufgelöst.
Im selben Jahr startete auch das Offset-Programm zum neuen Funksystem,
Laufzeit zehn Jahre. In welchem Umfang die Tarnfirma des amerikanischen
Ausland-Geheimdienstes oder eine der Nachfolgegesellschaften zum Zug
kam oder noch kommen wird, wird unter Verschluss gehalten. «Wir können
leider nicht bekannt geben, in welcher Höhe welche Firmen von welchen
Offsetgeschäften profitiert haben», schreibt Renato Kalbermatten,
Kommunikationschef des Verteidigungsdepartements (VBS).
Im Offset-Register ist beim neuen Funksystem unter den Begünstigten
neben der Crypto AG auch deren Nachfolgefirma Crypto International AG
aufgeführt. Deren Besitzer betont, dass er mit der Crypto AG nichts zu
habe und «sicher keine Beziehung zu amerikanischen oder deutschen
Geheimdiensten» pflege. Deutschlands Bundesnachrichtendienst (BND) war
ab 1970 mit der CIA Besitzer der Zuger Tarnfirma gewesen, stieg aber
Anfang 90er-Jahre aus. Deutsche und Amerikaner verkauften jahrzehntelang
manipulierte Chiffriergeräte an zahlreiche Staaten, deren
Geheimkommunikation sie dann dank eingebauter Hintertüren entschlüsseln
konnten.
Gegengeschäfte begünstigen Korruption
In der Schweiz haben sowohl die Armee als auch die zivile Verwaltung bis
heute Crypto-AG-Geräte im Einsatz. Sie wurden nun erneut auf mögliche
Sicherheitslücken analysiert. Die Prüfung in den vergangenen Wochen
ergab laut VBS, «dass gemäss heutigem Kenntnisstand Schwächen in den an
Schweizer Behörden gelieferten Verschlüsselungssystemen ausgeschlossen
werden können».
Unabhängig von der Crypto-Affäre sind Kompensationsdeals umstritten.
VBS-Chefin Viola Amherd wollte sie beim Kauf neuer Kampfjets auf 60
Prozent des Preises beschränken, während die Industrielobby auf volle
Kompensation setzte. Im Dezember setzte sich Amherds Ansinnen im
Parlament durch.
Die Offset-Programme bieten eine Grundlage für Korruption und
wirtschaftliche Fehlanreize. Ihre Befürworter argumentieren mit der
Sicherheits- und Rüstungspolitik: Die Gegengeschäfte dienten letztlich
der Förderung strategisch wichtiger Spitzentechnologie in der Schweiz.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/crypto-ag-profitierte-von-schweizer-ruestungskauf/story/31591328)
—
Sonntagszeitung 23.02.2020
«Das letzte Teilchen fehlte ihm: der Beweis»
Als Vertreter der Crypto AG war Hans Bühler im Iran bis 1993 im
Gefängnis. Seine Tochter Chris Blumer über eine lange Zeit der quälenden
Ungewissheit.
Res Strehle
Ihr Vater war im März 1992 für die Crypto als Verkäufer im Iran
unterwegs. Die Iraner hatten Verdacht geschöpft, die
Verschlüsselungsgeräte seiner Firma seien nicht sauber, und verhafteten
ihn. Wie war das damals für Sie als siebzehnjährige Tochter?
Mein Vater sollte am Besuchstag meiner Mittelschule in Zürich zurück
sein. Meine Mutter wartete an diesem Samstag stundenlang am Flughafen,
aber er war nicht im Flieger aus Teheran. So kam sie verzweifelt in die
Schule – eine halbe Stunde vor Ende der letzten Lektion. Alle anderen
Eltern waren da. Während drei, vier Wochen blieben wir danach im
Ungewissen. Bern soll von der Verhaftung früh gewusst haben, aber sie
informierten uns lange nicht.
Er blieb für die Familie über drei Wochen lang verschollen?
Ja, so empfanden wir es.
Hatte er ein ungutes Gefühl vor seiner Reise in den Iran?
Überhaupt nicht, er war ja oft dort und kannte alle Kontaktpersonen gut.
Der Vertreter im Iran war ein Freund der Familie. Meist ging mein Vater
zusammen mit einem Techniker der Firma, der im Gepäck die neuen Geräte
mit sich führte. Auf der Rückreise füllten sie das Gepäck jeweils mit
Pistazien, darauf freuten wir uns jedes Mal.
Nach drei, vier Wochen informierte ein Beamter aus dem EDA Ihre Mutter über die Verhaftung. Was sagte er ihr?
Mein Vater sei in der Privatwohnung eines Verwandten des lokalen
Firmenvertreters verhaftet worden und jetzt in einem Militärgefängnis
inhaftiert. Besuche von Firmenvertretern in dieser Wohnung waren normal,
auch sein Chef war schon dort. Wir waren fürs Erste beruhigt und
hofften, dass sich die Sache rasch klären würde. Womöglich hatten sie
eine Flasche Wein getrunken, das war in Privatwohnungen gang und gäbe
und wurde nicht streng bestraft.
Danach blieb Ihr Vater über neun Monate inhaftiert. Was sind Ihre Erinnerungen an diese Zeit?
Das EDA informierte uns, dass man ihm Spionage vorwarf. Wir verstanden
die Welt nicht mehr. Ich musste für meine Mutter nächtelang Briefe ins
Englische übersetzen, von denen wir hofften, dass sie ihm übergeben
werden. Nach einem Monat konnte ihn ein Vertreter des EDA besuchen.
Jetzt wussten wir wenigstens, dass er noch lebte. Dann kamen erste
Briefe von ihm in krakeliger Schrift, er musste seine Schuhe als
Schreibunterlage benutzen. Schliesslich freuten wir uns über jede
Kleinigkeit, etwa als ihm der EDA-Vertreter bei einem nächsten Besuch
eine Orange übergeben konnte.
Hat sich das EDA stark für seine Freilassung eingesetzt?
Nein, wir waren enttäuscht und fühlten uns schlecht informiert. Immerhin
haben sie uns dann geraten, einen eigenen Anwalt zu nehmen, um uns für
Vaters Freilassung einzusetzen. Zwar hatte die Crypto bereits einen
Anwalt in Teheran beauftragt, aber der vertrat in erster Linie die
Interessen der Firma. Die Crypto schien nicht sonderlich an seiner
Freilassung interessiert. Im Gegenteil, mein Vater war im Nachhinein
überzeugt, dass man ihn im Gefängnis verrotten lassen wollte.
Woraus schloss er das?
Wir wurden sehr schlecht informiert, oft erst in letzter Minute, als
sich nichts mehr machen liess. Ausserdem wurden wir auch nicht beraten,
was wir für seine Freilassung tun konnten. Dass der Iran nach drei
Monaten schon ein Lösegeld verlangte, nachdem der Staatsanwalt zum
Schluss gekommen war, dass mein Vater nichts wusste, erfuhren wir sehr
spät und nur indirekt: Die Firma verlangte von meiner Mutter einen
Steuerausweis, um zu sehen, ob wir in der Lage waren, die geforderte
Million Dollar aufzubringen.
Wer hat die Million schliesslich aufgebracht?
Wir glaubten, dass es die Firma war. Heute wissen wir, dass der deutsche
Bundesnachrichtendienst das Geld aufgebracht hat. Deutschland wollte
keinen Wirbel, weil man fürchtete, dass der geheimdienstliche
Hintergrund der Firma zum Thema werden könnte, wenn mein Vater in der
Haft gestorben wäre. Ein Deutscher, der in jener Zeit verhaftet wurde,
kam nach Zahlung einer Kaution rasch wieder frei. Wir dachten, warum
macht dies die Schweiz nicht?
Wann wusste Ihre Mutter, dass er gegen Lösegeld freikäme?
Nach fünf Monaten. Man liess danach weitere gut vier Monate
verstreichen, bis die Million aufgetrieben war. Dabei war mein Vater
inzwischen gesundheitlich sehr schlecht dran.
Anfang Januar 1993 kam er frei. Wie wirkte er nach seiner Rückkehr?
Er war spindeldürr, hatte dreissig Kilo abgenommen. Wir befürchteten,
dass er krank war, er hatte im Gefängnis eine Bluttransfusion bekommen.
Aber das bestätigte sich glücklicherweise nicht, einzig seine Zähne
waren kaputt – wohl wegen des Vitaminmangels. Er musste sein Gebiss
danach total sanieren lassen.
Ihr Vater wurde im Gefängnis mehrfach mit dem Tode bedroht, er hörte die
Folterschreie der Mitgefangenen im Nebenraum. Einmal drohte man, ihm
mit einer Zigarette die Augen auszubrennen, ein anderes Mal war er schon
auf ein Folterbett gefesselt. Wie ging es ihm nach diesen Erlebnissen
psychisch?
Wie es Traumatisierten oft geht: Er redete nächtelang auf meine Mutter
ein, erzählte dieselben Erlebnisse wieder und wieder. Fast fünfzehn
Jahre lang sass er nicht mehr mit dem Rücken zur Türe, weil er so
verhaftet worden war. Immerhin erholte er sich physisch nach einem
Monat, zumindest oberflächlich, und nahm wieder zu.
Dann kam die Kündigung der Firma. Ein zweites Trauma?
Ja, sicher, in der Wirkung fast noch grösser als die Haft. Wir weilten
in den Skiferien in Arosa, als ihn die Kündigung beim Nachtessen im
Hotel erreichte. Er verstand die Welt nicht mehr. Er war selber ein
fadengerader Mensch, und es war für ihn völlig unverständlich, warum ihn
die Crypto fallen liess. Er war überzeugt, dass er nach seiner Erholung
weiter für die Firma arbeiten würde. Er war extrem loyal, hatte nach
seiner Rückkehr auch kein kritisches Wort über seine Arbeitgeberin in
den Medien geäussert.
Womöglich hatte er schon Verdachtsmomente? Er wurde ja kurz nach seiner Rückkehr von der Bundespolizei befragt.
Die Bundespolizei wollte von ihm haargenau wissen, was ihn die Iraner in
den Verhören gefragt haben. Das Protokoll dieser Befragung würde ich
gerne kennen – ich hoffe, es ist nicht auch verschwunden, wie andere
Akten.
Danach ging Ihr Vater Tag und Nacht seiner Geschichte nach. Half ihm dies?
Zeitweilig schon. Aber es trieb ihn auch immer tiefer in diese
Geschichte und die Verzweiflung rein. Noch jahrelang meldeten sich
frühere Arbeitskollegen und erzählten von ihren Beobachtungen. So kam er
zur Überzeugung, dass die Crypto ausländischen Nachrichtendiensten
gehörte und die Geräte manipuliert waren. Wie bei einem Puzzle fand er
Teil um Teil und setzte sie zusammen. Aber das letzte Teilchen fehlte:
der Beweis.
Die Suche nach der Wahrheit wurde ihm zeitweilig zur Obsession. Kam er je davon los?
Erst nach zwölf Jahren mit seiner Pensionierung. Zuvor war er ja auch
stets verzweifelt auf Arbeitssuche, ein unfreiwilliger Hausmann. Zweimal
hatte er vorübergehend Jobs, aber er hatte dafür den Kopf nicht mehr
frei. Die Anstellung bei der Handelszentrale Osec soll er übrigens dem
Bund verdankt haben. Bern wollte, dass er endlich Ruhe gab.
Die Crypto hat ihn nach drei Jahren mit 250’000 Franken abgefunden und zum Stillschweigen verpflichtet.
Ja, nicht so viel, wie man damals spekulierte. Nach Abzug der Steuern
entsprach dies in etwa einem Lohnausfall von eineinhalb Jahren, und
dafür musste er sich zum Stillhalten verpflichten.
Aus dem Geheimpapier Minerva wissen wir, dass die CIA erwog, ihn mit einem jahrelangen Prozess zu zermürben.
Das wäre ihnen zweifellos gelungen. Mein Vater hätte einen jahrelangen
Prozess durch verschiedene Instanzen nie durchgehalten. Aber offenkundig
fürchtete die Crypto das öffentliche Auftreten von Zeugen. Der Anwalt
meines Vaters hatte verschiedene ehemalige Arbeitskollegen als Zeugen
aufgeboten, ausserdem auch die drei Bundespolizisten, die meinen Vater
nach der Rückkehr einvernahmen und nicht naiv schienen.
Nach seiner Pensionierung konnte er loslassen?
Ja, er war danach ein anderer Mensch, interessierte sich auch erstmals
im Leben für Musik. Nach dem Tod meiner Mutter kümmerte er sich fast
täglich um seine eigene Mutter, die ihn überlebte und inzwischen
108-jährig ist. Sie war bis vor eineinhalb Jahren gut dran, aber seinen
Tod konnte sie nicht mehr verkraften.
Woran ist Ihr Vater gestorben?
An einem Pleuramesotheliom, das zu 80 Prozent als Spätfolge von
Asbestkontakt auftritt. Bei ihm war dieser Test aber negativ, also
gehörte er zu den 20 Prozent mit anderem Auslöser.
Erst jetzt hat sich das letzte Rätsel in seinem Fall gelöst. Was würde
es für ihn bedeuten, dass das letzte Puzzleteil nun da ist?
Das wäre für ihn eine Riesenerlösung.
–
Chris Blumer diskutiert heute Sonntag im Zürcher Kulturhaus Kosmos mit
dem ehemaligen Crypto-Ingenieur Jürg Spörndli, dem Zuger Ex-Nationalrat
und Historiker Jo Lang und dem Autor über die Cryptoleaks und ihre
Folgen für die Schweizer Neutralität (Kosmopolitics Special, 19 Uhr).
–
Der Verdacht
Chris Blumer, 44, ist die Tochter des 1992 im Iran verhafteten
Ingenieurs Hans Bühler. Die Tierärztin lebt in Zürich. Als ihr Vater
verhaftet wurde, war sie 17-jährig; die aktuell bekannt gewordenen
Enthüllungen durch die Cryptoleaks haben bei ihr die traumatischen
Erlebnisse jener Zeit wieder hochgebracht. Ohne Kenntnis des
nachrichtendienstlichen Hintergrunds seiner Firma hatte sich ihr Vater
in Lebensgefahr gebracht. Er war danach der Erste, der den Verdacht auf
manipulierte Geräte seiner Firma öffentlich äusserte.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/er-war-extrem-loyal/story/18763295)
—
NZZ am Sonntag 23.02.2020
Haben die USA vom Angriff auf Israel 1973 gewusst?
Die Crypto-Affäre lässt historische Ereignisse in neuem Licht
erscheinen. Auch beim Jom-Kippur-Krieg könnten die manipulierten
Chiffriergeräte eine Rolle gespielt haben. Aber die alten Rätsel zu
lösen, bleibt schwierig.
Daniel Meier
Einfach waren die Verhandlungen nicht, die US-Präsident Jimmy Carter im
September 1978 auf dem Sommersitz Camp David leitete. Aber offenbar
leichter, als man über Jahrzehnte dachte. Seit dieser Woche ist bekannt,
dass der Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel damals auch dank
einem Abhörtrick zustande kam.
So sollen die Amerikaner jeweils in den Pausen die verschlüsselten
Nachrichten abgefangen haben, die der ägyptische Präsident Anwar
al-Sadat an seine Leute daheim in Kairo schickte – ein grosser Vorteil
für Carter, der auf einen Deal drängte. Nach zwölf Tagen gaben sich
Sadat und der israelische Ministerpräsident Menachem Begin die Hand.
Später erhielten die beiden den Friedensnobelpreis.
Die Crypto-Affäre zeigt Ereignisse der Weltgeschichte in neuem Licht.
Die Zuger Crypto AG war 1970 vom amerikanischen und deutschen
Geheimdienst übernommen worden, ohne dass dies öffentlich bekanntwurde.
Sie liessen in die Chiffriergeräte von Crypto eine Hintertür einbauen
und konnten so die vermeintlich sichere Kommunikation entschlüsseln. 120
Länder nutzten Crypto-Geräte.
Belegt wird dieses Doppelspiel im Minerva-Bericht. Einblick in die 270
Seiten haben bisher nur ZDF, SRF und «Washington Post». Sie nennen neben
Camp David etwa den Falkland-Krieg, den Putsch in Chile oder den
Anschlag auf die Diskothek La Belle in Berlin als Ereignisse, bei denen
Crypto eine Rolle gespielt haben soll.
Aber da sich der «Spionagecoup des Jahrhunderts» (O-Ton Minerva) über
lange Zeit erstreckte, müssten sich viele weitere Geschichten finden.
Was ist mit den grossen Ereignissen, die eigentlich auf der Hand liegen
würden? Warum ist zum Beispiel von Camp David die Rede, nicht aber vom
Krieg, der den Verhandlungen vorausging?
Am 6. Oktober 1973, dem jüdischen Versöhnungsfest Jom Kippur, starteten
Ägypten und Syrien eine Grossoffensive auf Israel. Es war, so steht es
in jedem Geschichtsbuch, ein Überraschungsangriff aus dem Nichts. Und
ein totales Versagen der Geheimdienste. Die überrumpelte israelische
Armee reagierte spät.
Syrien und Ägypten nutzten Crypto
Beide Staaten hinter dem Angriff waren laut Minerva Crypto-Kunden. Das
überrascht zunächst, denn arabische Länder nutzten in jener Zeit vor
allem Material aus der Sowjetunion. Tatsächlich scheinen aber die Geräte
beim Jom-Kippur-Krieg im Einsatz gewesen zu sein.
So schreiben Ian Black und Benny Morris in ihrem Buch «Israel’s Secret
Wars», Ägypten und Syrien hätten in den letzten Tagen des Countdowns
keinerlei Nachrichten mehr per Telefon, Funk oder Telegramm verschickt:
«Die sichere Kommunikation erfolgte über ein modernes Gerät namens
Cryptovox, das die syrische Armee 1972 gekauft hatte.»
Man darf annehmen, dass diese Apparate aus Zug manipuliert waren.
Vorausgesetzt, die USA hörten damals die Kommunikation in der Region ab,
konnten sie somit die chiffrierten Nachrichten von Ägypten und Syrien
entschlüsseln.
Diese Spekulation baut auf mehreren Unwägbarkeiten auf, doch sie führt
zu einem unerträglichen Gedanken; dass nämlich die Amerikaner hätten
erkennen können, wie sich das Unheil anbahnte, aber den befreundeten
Staat Israel in Unkenntnis liessen.
«Eine blutige Nase»
Unmittelbar nach der Attacke kamen derartige Verdächtigungen auf. Henry
Kissinger, damals gerade vom Sicherheitsberater zum Aussenminister unter
Präsident Richard Nixon aufgestiegen, sah sich noch während des Kriegs
genötigt, an einer internen Sitzung ausdrücklich zu betonen, Amerika
habe von nichts gewusst. Er erwähne das, «weil es viele Geschichten gab,
dass wir einen Präventivangriff der Israeli verhindert haben».
Kaum bestritten ist, dass die USA keineswegs entschlossen zu Hilfe
eilten. Sie warteten zunächst mit Waffenlieferungen zu, obwohl die
Hilferufe aus Israel immer dramatischer wurden. Später wiesen Historiker
darauf hin, Kissinger sei auf keinen allzu einseitigen Sieg Israels aus
gewesen.
Als die erste Woche des Krieges vorbei war, so schreibt der Biograf
Walter Isaacson, habe Kissinger zu Verteidigungsminister James
Schlesinger gesagt: «Das beste Resultat wäre, wenn Israel knapp
gewinnen, aber dabei bluten würde.» Andere Quellen zitieren einen hohen
US-Beamten, der gesagt haben soll, man wünsche sich einen Sieg, bei dem
sich Israel «aber eine blutige Nase holen würde».
Israel sollte an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Nach mehreren
Kriegen in Nahost sahen die USA einen Wendepunkt erreicht. Erstmals
setzten die arabischen Länder Öl als Druckmittel gegen den Westen ein.
Sie drosselten die Förderung, der Preis explodierte. Nun sollte die Lage
beruhigt werden, was aber auch deshalb schwierig war, weil Israel die
bisherigen Kriege in der Region gewonnen hatte und sich für unbesiegbar
hielt.
Mit dem Jom-Kippur-Krieg ändert sich das. Am 24. Oktober 1973 kam es zum
Waffenstillstand. Auf israelischer Seite waren 2800 Tote zu beklagen,
auf arabischer Seite mindestens 8500. Bald darauf begannen Israel und
Ägypten mit den Gesprächen, die fünf Jahre später in Camp David zum
Abschluss kamen.
Gerüchte, wonach der US-Geheimdienst vor Kriegsausbruch nicht all sein
Wissen mit Israel geteilt und zumindest einige Stunden oder Tage
gezögert habe, kursierten öfters. Gibt es tatsächlich Beweise? Finden
sie sich im Minerva-Bericht, der ein CIA-Historiker verfasst haben soll?
Warum sollten die USA derart brisantes Material offenlegen? Kommt der
Jom-Kippur-Krieg, einer der schwersten Konflikte nach dem Zweiten
Weltkrieg, dort überhaupt vor? Das Papier bleibt unter Verschluss. Die
involvierten Medien haben weitere Enthüllungen in Aussicht gestellt.
Zu wissen, dass abgehört worden sein könnte, ist das eine; das galt und
gilt fast überall. Doch bis heute wissen wir weder, wo und wann genau
manipulierte Crypto-Geräte eingesetzt wurden, noch was damit abgefangen
wurde. Erst wenn entschlüsselte Meldungen im Wortlaut vorliegen, wissen
wir, was die damals Verantwortlichen wussten – und können dann die
Geschichte allenfalls neu schreiben.
Der israelische Historiker Uri Bar-Joseph, der ein Buch über den
Jom-Kippur-Krieg geschrieben hat, erklärt, auch der israelische
Geheimdienst habe etliche Hinweise gehabt, wonach ein Krieg drohe. Doch
niemand habe das ernst genommen, weil man einen Angriff für unmöglich
hielt. Und dann sagt Bar-Joseph mit Blick auf Israel im Oktober 1973
einen Satz, der die Bedeutung von Spionage und von Abhöraktionen stark
abschwächt: «Wir wussten alles, aber wir verstanden nichts.»
Mitarbeit: Thomas Skelton-Robinson
–
Geheimdienst hörte auf beiden Seiten mit
Iran wird im Minerva-Bericht als das «lukrativste Ziel» der
jahrzehntelangen Abhöraktion bezeichnet. In einer der wenigen Passagen,
die bisher veröffentlicht wurden, heisst es: Dank Teherans Vorliebe für
die Geräte der Crypto AG aus Zug sei es möglich gewesen, «80 bis 90
Prozent» der iranischen Kommunikation zu lesen.
Die Rede ist von 19 000 Meldungen, die allein 1988 ausgewertet worden
seien. Angesicht der Bedeutung, die das Land in der Region hatte, muss
darunter viel brisantes Material sein.
Von grossem Interesse ist die Spionagetätigkeit während des
Iran-Irak-Kriegs, der von 1980 bis 1988 mindestens 400 000 Tote
forderte. Gemäss Minerva arbeiteten sowohl Iran als auch der Irak mit
Crypto. Das bedeutet, dass die USA mutmasslich auf beiden Seiten
mithörten.
Ihre Rolle wäre somit noch heikler gewesen, als man bisher dachte; jene
des allwissenden Beobachters, der zuschaut, wie sich die Länder
gegenseitig zerstören. Erst gegen Ende des Kriegs griff Amerika offen
ein und schlug sich auf die Seite des Iraks.
Wie Historiker berichten, waren die Iraker auch ohne Hilfe der USA
fähig, die feindlichen Nachrichten zu knacken – unter anderem, weil
ihnen durch Zufall bereits 1981 eine Crypto-52 aus iranischen Beständen
in die Hände fiel. Für Saddam Hussein sei das Gerät so wertvoll gewesen
wie die Entschlüsselung der Codes der deutschen Chiffriermaschine Enigma
für Winston Churchill im Zweiten Weltkrieg, schreibt der Franzose
Pierre Razoux in seinem 2013 erschienen Buch über den Konflikt.
Teheran stellte 1983 auf die T-450 um, eine digitale
Verschlüsselungsmaschine von Crypto. Daraufhin soll der Irak sofort
neuste Computer aus Japan angeschafft haben. Hunderte von Technikern
seien nach Japan zur Ausbildung geschickt worden.
Zudem habe man die besten Spezialisten des russischen Geheimdienstes KGB
zu Hilfe gerufen, um die T-450 zu knacken, schreibt Razoux. Das Problem
sei nicht die Entschlüsselung der Nachrichten aus Iran gewesen, sondern
die Sprache; den Irakern habe es zu Beginn an Leuten gefehlt, die Farsi
beherrschten.
(https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/haben-die-usa-vom-angriff-auf-israel-1973-gewusst-ld.1542168)