Was ist neu?
Kemmerich tritt nach Wahl mit Hilfe der AfD zurück
Im Bundesland Thüringen fand ein Tabubruch statt. Die CDU und die FDP anerkannten die AfD erstmals als Koalitionspartner. Gemeinsam wählten sie Thomas Kemmerich (FDP) zum Regierungschef. Im Wahlkampf hatten alle Parteien kategorisch eine Zusammenarbeit mit der AfD abgelehnt. Kemmerichs Wahlslogan: „Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat.“ Dieser Konsens wird nun ausgerechnet in Thüringen, wo die AfD vom faschistischen Björn Höcke geführt wird, Geschichte. Schon lange strebte die AfD danach, ihre rassistische Politik nicht nur als Oppositionspartei, sondern auch als Regierungspartei voranzutreiben. Hier ein paar Trigger-Zitate des AfD-Chefs, mit dem FDP und CDU in Thüringen zusammenspannen wollen: „Thüringer! Deutsche! 3000 Jahre Europa. 1.000 Jahre Deutschland – ich gebe euch nicht her!“ „Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstypauf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ „Der Syrer, der zu uns kommt, der hat noch sein Syrien. Der Afghane, der zu uns kommt, der hat noch sein Afghanistan. Und der Senegalese, der zu uns kommt, der hat noch seinen Senegal.Wenn wir unser Deutschland verloren haben, haben wir keine Heimat mehr!“ „Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar.“ „Unsere einst geachtete Armeeist von einem Instrument der Landesverteidigung zu einer durchgegenderten multikulturalisierten Eingreiftruppe im Dienste der USA verkommen.“ „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Die Wahl von Kemmerich am Mittwoch löste in ganz Deutschland massive Empörung aus. Alle – Merkel inklusive – forderten Neuwahlen. Kemmerich kündete bereits am Donnerstag seinen Rücktritt an. Nun wird es zu Neuwahlen kommen.
https://www.tagesschau.de/inland/kemmerich-ruecktritt-101.html
Neues Asylgesetz: SEM zieht ausschliesslich positive Bilanz
Seit dem 1. März 2019 ist in der Schweiz das neue Asylgesetz in Kraft. Dieses hat zum Ziel, die Asylverfahren zu beschleunigen und Asylsuchende noch stärker zu isolieren. Nun hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) eine erste Bilanz gezogen, die erwartungsgemäss ausschliesslich positiv ausfällt: Die Dauer der Verfahren hat sich im beschleunigten Verfahren auf 50 Tage reduziert. Vier von fünf Asylgesuchen werden im beschleunigten Verfahren oder im Dublin-Verfahren behandelt. Für Menschen, die Asyl suchen, bedeutet diese Beschleunigung aber nicht unbedingt eine Verbesserung. Die Beschleunigung wirkt sich laut der schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vor allem negativ auf die „Qualität“ der Entscheide aus. Seit dem Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes weist das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) viel mehr Fälle aufgrund von Fehlentscheidungen zurück ans SEM. In den ersten sechs Monaten waren es 16.8 Prozent, im alten Verfahren waren es durchschnittlich 4.8 Prozent. Das BVGer begründet die Zunahme der gutgeheissenen Beschwerden damit, dass die Sachverhalte nicht genügend gut abgeklärt werden. Insbesondere die medizinischen Abklärungen sind ungenügend. Ausserdem haben die Juristen*innen oft keinen Zugang zu den Informationen erhalten oder diese zu spät bekommen. Dann reicht es wegen der kurzen Fristen nicht mehr, um den Asylentscheid noch zu beeinflussen. Weiter meint das SEM, dass die Akzeptanz der negativen Asylentscheide durch den unentgeltlichen Rechtsschutz zugenommen habe. Im neuen System werden rund 33 Prozent der Entscheide vor BVGer angefochten, im alten System betraf dies rund 31 Prozent der Asylentscheide. Wo das SEM hier eine Abnahme ausmacht, ist nicht ganz klar. Das SEM lobt auch die gut funktionierende „Rückkehrberatung“, die ihnen die blutige Ausschaffungsarbeit teilweise abnimmt und es ihnen ermöglicht, scheinheilig von freiwilliger Ausreise statt von Zwangsausschaffung zu sprechen. Wenn sich eine Person aber zwischen Geld vom SEM für eine „freiwillige“ Ausreise oder Knast und anschliessender Zwangsausschaffung entscheiden muss, kann kaum von Freiwilligkeit gesprochen werden. Jedenfalls gilt neu, je früher sich eine Person zur Ausreise entschliesst, desto höher ist die Unterstützung. Die Zahl der „freiwilligen“ Ausreisen ist im neuen System laut SEM um rund ein Drittel gestiegen. Diese Zunahme ist laut Staatssekretär Gattiker auch auf die neu eingeführte unentgeltliche Rechtsberatung zurückzuführen. Die Rechtsvertreter*innen erläutern den Asylsuchenden negative Entscheide, halten sie von (in ihren Augen potenziell aussichtslosen) Beschwerden ab oder bewegen Antragstellende zur Ausreise, die in ihren Augen keine Aussicht auf einen positiven Asylentscheid haben. Damit seien diese Rechtsvertretungen «absoluter Schlüssel zur Effizienz», sagt Gattiger. In seiner Aussage wird einmal mehr klar, aus welchem Grund den Asylsuchenden Gratisanwält*innen zur Verfügung gestellt werden. Nicht, um die Asylsuchenden juristisch zu unterstützen, sondern um das harte Ausschaffungsregime der Schweiz effizienter und unter einem humanitären Deckmantel durchführen zu können.
https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/aktuell/news/2020/2020-02-06.html
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/beschleunigte-asylverfahren-in-der-kritik?id=5b1d8905-0230-4264-b309-aa913bec1caf
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/die-drei-groessten-probleme-im-neuen-asylregime/story/16415092
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medien/medienmitteilungen/2020/beschleunigung-darf-nicht-auf-kosten-von-fairness-und-qualitaet-gehen.html
Stellenausschreibung: Schule wirbt mit kleinem „Ausländeranteil“
In einem Stelleninserat sucht eine Schule in Thun eine neue Lehrperson. Sie bietet eine Arbeit mit „Familien mit bildungsnahmen Hintergrund“ und „überdurchschnittlich wenige Kinder mit Migrationshintergrund“. Eine attraktive Anstellung mit intelligenten schweizer Kindern? Was die Schulleiterin als „Sachinformation“ relativiert, übermittelt klar wertende und verallgemeinernde Signale zu den Fähigkeiten und Verhaltensweisen migrantischer Kinder.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Schule-bruestet-sich-mit-kleinem-Auslaenderanteil-20755913
Einziges EU-finanziertes Lager für Geflüchtete in Libyen schliesst
Direkt neben dem UNHCR-Lager in Tripolis werden nach Angaben des UNO-Hilfswerks für Geflüchtete Militäranlagen errichtet, weshalb die Sicherheit der Menschen nicht mehr gewährleistet sei. Ein Betroffener berichtet von Soldaten und Militärübungen im Lager. Das in der Libyen-Konferenz beschlossene Waffenembargo (vgl. Antira-Wochenschau vom 19.01.20) wurde laut UN-Angaben bereits wieder gebrochen. Von den 700 untergebrachten Menschen wurden nur wenige „besonders verletzliche“ Personen evakuiert. Die übrigen müssen sich jetzt mit ein wenig Bargeld und weiteren kleinen Unterstützungen in Tripolis durchschlagen. Das Lager war erst im Dezember 2018 eröffnet worden. Die Lage dort war schon länger prekär. Zuletzt hatte das UNHCR die Lebensmittelabgabe reduziert, um Menschen zum „freiwilligen“ Verlassen des Camps zu bewegen. Es erscheint zynisch, dass das UNHCR mit der Sicherheit der Geflüchteten argumentiert und sie nun auf die Strassen des bürgerkriegsversehrten Tripolis setzt.
https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/fluechtlingslager-libyen-107.html
https://diefreiheitsliebe.de/politik/die-lage-in-libyen-nach-dem-berliner-gipfel/
Ungarngrenze: Pushback durch Warnschüsse
Ein ungarischer Grenzbeamter gab drei Warnschüsse auf eine Gruppe von rund 80 Menschen ab, die der Aufforderung nicht nachkamen, freiwillig über die Grenze nach Serbien zurückzugehen. Vier der Beschossenen wurden festgenommen und bereits zwei Tage später zu einem Jahr Gefängnis und vier Jahren Einreisesperre nach Ungarn verurteilt. Die ungarischen Grenzbehörden stehen seit Jahren in der Kritik, übermässige Gewalt gegen Geflüchtete anzuwenden und sie ohne Prüfung ihrer individuellen Situation nach Serbien zurückzuführen. Diese Push-Backs verstossen gegen den völkerrechtlichen Grundsatz der Nichtzurückweisung. Unterstützt werden sie dabei häufig von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Diese greift, bewaffnet und mit Hunden, Menschen in der Grenzregion auf und übergibt sie den ungarischen Grenzbehörden. Frontex gibt an, an den Rückführungen selbst nicht beteiligt zu sein. Indem sie die Push-Backs nicht dokumentieren oder verhindern, machen sie sich an ihnen mitschuldig. Die Zusammenarbeit von Frontex mit Nicht-EU-Staaten wie Montenegro und Serbien verschiebt die europäischen Grenzen weiter nach aussen.
https://www.bosnewslife.com/2020/01/31/hungary-fires-warning-shots-at-dozens-of-migrants/
https://balkaninsight.com/2020/02/06/frontexs-history-of-handling-abuse-evidence-dogs-balkan-expansion/
https://www.arte.tv/de/videos/091151-004-A/vox-pop/
Rechte Gewalt: Drei Aktivist*innen verlassen Serbien nach Angriffen
Aktive der Gruppe No Name Kitchen (NNK) unterstützen im serbischen Sid Geflüchtete in informellen Camps zweimal täglich mit Essen, Wasser und Kleidung. Eines dieser Camps auf dem Gelände der ehemaligen Druckerei Grafosrem wurde im November von der Polizei geräumt. Die Geflüchteten kamen daraufhin im umliegenden Gebüsch in Zelten unter. Seit Arbeiter*innen Mitte Januar das Gelände anfingen zu roden, kommt es zu Zerstörungen der Zelte der Geflüchteten.Dabei kam es Ende Januar auch zu Auseinandersetzungen mit den Aktivist*innen von NNK, die versuchten, die Gegenstände der Geflüchteten vor der Zerstörung zu sichern. Damals seien auch Polizist*innen auf dem Gelände gewesen, die die Menschen der NNK vertrieben hätten. Am 1. Februar habe sich die Lage zugespitzt. Wie NNK berichtete, wollten die Arbeiter*innen erneut die Habseligkeiten der dort untergekommenen Geflüchteten beseitigen. Ein Zelt, in dem sich eine Person befand, wurde mit Benzin übergossen und versucht, anzuzünden. Nur durch Glück ist die Person dabei nicht verletzt worden. Ein Aktivist aus Italien sei geschlagen worden. Die eintreffende Polizei habe die Aktivist*innen abgeführt. Später wurden sie ohne anwaltlichen Beistand einer Richterin vorgeführt und mit dem Vorwurf der Arbeiter*innen konfrontiert, diese angegriffen zu haben. Zwei der drei Aktivist*innen wurden wegen Landfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von rund 170 Euro verurteilt. Alle drei müssen zudem das Land verlassen. Wie aus dem Gerichtsdokument hervorgeht, gehört mindestens einer der Arbeiter*innen der serbisch-nationalistischen »Tschetnik-Bewegung Sokolovi« an. Diese bezieht sich auf die historischen Tschetniks, die bereits während der Balkankriege und später im Zweiten Weltkrieg kämpften. Mit diesen Vorfällen wurden einmal mehr Supportstrukturen für Menschen auf der Flucht angegriffen und versucht zu schwächen. Die Rechten werden gleichzeitig in ihrem Handeln gegen Geflüchtete und Solidarische bestärkt. Serbien ist für viele Geflüchtete eine Sackgasse, da die Grenzen zur EU dicht sind.
https://www.jungewelt.de/artikel/372102.fl%C3%BCchtlingskrise-serbien-rechte-attackieren-helfer.html
Schickane: NGOs in Griechenland müssen sich neu von der Regierung akkreditieren lassen
Aktivist*innen verschiedener Nichtregierungsorganisationen versorgen Geflüchtete auf den griechischen Inseln seit Jahren mit dem Nötigsten, während die griechische Regierung nicht willens und fähig ist, Migrant*innen menschenwürdig unterzubringen. Ein weiteres neues Gesetz verschärft nun die Regeln für die NGOs. Sie müssen sich akkreditieren lassen. Mit der Registrierungspflicht verschafft sich die griechische Regierung mehr Kontrolle. Unliebsamen NGOs, die beispielsweise Fehlverhalten der Sicherheitskräfte dokumentieren, kann die Regierung die Akkreditierung verweigern oder entziehen. Wer ohne Akkreditierung auf den Inseln arbeitet, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Das ist der Grundstein für eine weitere Kriminalisierung von Supportstrukturen.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-will-fluechtlingshelfer-strenger-kontrollieren-a-52eedf51-f715-49ea-801a-cbc7eb104187
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article205621787/Fluechtlinge-Griechenlands-neues-NGO-Gesetz-ist-eine-Schande.html
Was geht ab beim Staat?
Erneuter Angriff auf Soziahilfe von Menschen ohne schweizer Pass
Zur Zeit laufen mehrere rassistische Bemühungen, um Menschen ohne schweizer Pass die Sozialhilfe zu kürzen. Nachdem auf Bundesebene bereits im Januar etliche Kürzungen für Menschen mit B oder C-Ausweis angekündigt wurden (https://antira.org/2020/01/20/antira-wochenschau-toedliche-schuesse-auf-gefluechtete-feuriger-aufstand-nach-todesfall-600-urteile-gegen-rassistinnen/), hat es nun der Kanton Bern und allen vorab Pierre Alain Schnegg von der bernischen Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) auf vorläufig aufgenommene Personen und deren Sozialhilfe abgesehen. Vorläufig Aufgenommene (F-Ausweis), die nach sieben Jahren Aufenthalt weiterhin auf Sozialhilfe angewiesen sind, sollen künftig massiv weniger Geld erhalten. Schon heute erhalten sie in den ersten sieben Jahren deutlich weniger Unterstützung als die Sozialhilfebeziehenden mit schweizer Pass. Während eine Person mit schweizer Pass monatlich rund 977 Franken bekommt, muss ein*e vorläufig Aufgenommene*r mit 382 Franken auskommen, also mit rund 13 Franken pro Tag. Begründet werden diese unterschiedlichen Ansätze durch den Status der Geflüchteten, denn sie müssen die Schweiz irgendwann wieder verlassen. Der Lebensstandard von Geflüchteten wird somit auch in der Sozialhilfe von deren Aufenthaltsstatus abhängig gemacht und rassistisch herabgesetzt. Bisher erhalten vorläufig Aufgenommene im Kanton Bern nach sieben Jahren Aufenthalt gleich viel Sozialhilfe wie die Menschen mit schweizer Pass. Die GSI findet das sehr problematisch: Die Regelung habe dazu geführt, dass die finanziellen Mittel der vorläufig Aufgenommenen nach sieben Jahren sprunghaft und stark angestiegen seien. Dies führe zu einer massiven finanziellen Besserstellung dieser Personengruppe in der Sozialhilfe, die an keinerlei Fortschritte in der Integration gebunden war. Aus diesem Grund sollen nun Menschen mit F-Ausweis auch nach sieben Jahren weiterhin nur 382.- pro Monat erhalten. Wenn privilegierte weisse Menschen mit genügend finanziellen Mitteln über die angemessene Höhe der Sozialhilfe sprechen, wird es oft hässlich. Sozialhilfe ist immer wenig Geld und statt von einer massiven finanziellen Besserstellung zu sprechen, könnte mensch auch betonen, dass die Geflüchteten, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, nach sieben Jahren zwar immer noch prekär, aber wenigstens nicht mehr unter dem Existenzminimum leben müssen. Denn bereits sieben Jahre mit 382.- sind schlicht unzumutbar. Fakt ist, dass es für viele Menschen mit F-Ausweis schwierig ist, sich von der Sozialhilfe zu lösen, weil die Einstellungspraktiken bei Firmen oft rassistisch sind oder die Arbeitgebenden vor dem Wort „vorläufig“ zurückschrecken. In der kapitalistischen Logik will kein Unternehmen in die Einarbeitung einer Person investieren, die nach ein paar Monaten möglicherweise ausgeschafft wird. Dazu kommen brutale und traumatisierende Fluchterfahrungen. Viele Menschen mit F-Ausweis haben psychische oder physische Krankheiten, was es ihnen zusätzlich erschwert, einer Lohnarbeit nachzugehen. Aus diesen Gründen stellt die Sozialhilfe für viele Menschen mit F-Ausweis deren Lebensgrundlage dar. Diese so massiv zu kürzen, ist ein brutaler Angriff auf diese Menschen. Argumentiert wird stets mit Kosten. Aber einen sowieso bereits tiefen Betrag zu halbieren, macht für den Kanton finanziell keinen grossen Unterschied. Und wenn eine Massnahme einseitig Menschen ohne schweizer Pass trifft, dann wäre es wohl ehrlicher, von Rassismus zu sprechen.
https://www.derbund.ch/bern/schnegg-will-fluechtlingen-die-sozialhilfe-kuerzen/story/20093357
Koloniale Schweiz: Der erste Staatsbesuch eines Präsidenten aus Subsahara-Staaten seit 1956
Nana Akufo-Addo, der Präsident von Ghana, wird am 28. Februar vom Gesamtbundesrat zu einem Staatsbesuch eingeladen. Seit 60 Jahren hat der Bundesrat keinem Präsidenten aus einem Subsahara-Staat diese Form der höchsten diplomatischen Ehre erwiesen. Die offizielle Schweiz ordnet die Dringlichkeit solcher Visiten nach ihren kapitalistischen und politischen Interessen. Entsprechend gingen die meisten Einladungen an europäische Präsident*innen oder an die imperialistischen Grossmächte. Warum nun mal Ghana dran ist? Nach Südafrika ist Ghana der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz in ganz Afrika. Insgesamt importiert die Schweiz Waren im Wert von 2,4 Milliarden Franken aus Ghana. 97% davon sind Gold-Importe. Ghana ist zudem der bedeutendste Kakao-Lieferant.
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/sommaruga-schickt-ein-freundschaftssignal-nach-afrika/story/22709110
Was ist aufgefallen?
Migrationskontrolle: EU arbeitet Masterplan der nächsten fünf Jahre aus
Der Rat der europäischen Union beschäftigt sich momentan mit der Ausarbeitung seines Funfjahresplanes zur Migrationskontrolle. Dabei wird in aller Deutlichkeit sichtbar, in welche Richtung sich das europäische Migrationsregime in den nächsten Jahren bewegen wird.
- Ein wichtiger Punkt betrifft die Zusammenführung verschiedener Informationssysteme. Dies soll möglichst schnell und möglichst umfassend geschehen. Verbunden werden sollen Datenbanken sämtlicher Strafverfolgungsbehörden. Somit wird es kaum mehr möglich sein, unbemerkt in die EU zu migrieren oder sich dort für längere Zeit unbemerkt aufzuhalten.
- Die EU will ihre „Zusammenarbeit mit Drittstaaten auf ein völlig neues Niveau heben“. Dazu gehört die Externalisierung der EU-Aussengrenzen, so dass diese beispielsweise bereits auf dem afrikanischen Kontinent oder auf der Balkanroute verlaufen. Zudem erhofft sich die EU durch eine stärkere Zusammenarbeit mehr Chancen auf erfolgreiche Abschiebungen in Drittstaaten.
- Anhand der Flut an Daten, die bereits heute und verstärkt in Zukunft über Menschen auf der Flucht gesammelt wird, sollen mithilfe künstlicher Intelligenz zukünftige Migrationsbewegungen vorausgesagt werden können und bereits bevor diese eintreffen „angemessen darauf reagiert werden können“. Will heissen, dass sich dann Frontex bereits Wochen vor einer möglichen Migrationsbewegung an eine Grenze stellen kann, um diese aufzuhalten.
- Frontex wird aufgestockt und erhält massiv mehr Kompetenzen. Unter anderem können sie jetzt eigenes Material beschaffen. Dies beinhaltet bspw. eine Drohne, die in Echtzeit Informationen über Fluchtbewegungen auf dem Mittelmeer an die libysche „Küstenwache“ schickt, die die Geflüchteten dann abfängt und zurück in libysche Haftlager bringt. Zudem soll Frontex vermehrt und effizienter ausschaffen.- Grenzübergänge und Kontrollen werden noch stärker digitalisiert und technologisch aufgestockt. Sei dies mit Wärmebildkameras, Gesichtserkennungs-Tools, Drohnen, Lügendetektoren etc..
Und um all dies umsetzen zu können, ist selbstverständlich geplant, in Zukunft die Finanzierung sämtlicher Stellen zu erhöhen, die zur Migrationskontrolle und –abwehr der EU beitragen. Diese massiven Verschärfungen im Migrations– und Grenzregime und die Entwicklung zu immer mehr Überwachung und digitaler Grenzkontrolle sowie die Zusammenarbeit mit Folterstaaten wie Libyen sind nicht irgendwelche Hirngespinste eines durchgeknallten Faschos. Sie sind der Fünfjahresplan einer der mächtigsten Institutionen im europäischen Migrationsregime und sie werden uns alle in den nächsten Jahren auf verschiedene Arten massiv betreffen. Es wird viele brauchen, die versuchen, dagegen anzukämpfen und dieses Regime wenn immer möglich zu stören.http://www.statewatch.org/news/2020/feb/eu-council-jha-guidelines.htm In diesem Text wird anhand einiger Beispiele aufgezeigt, wie Deutschland die EU-Richtlinien zur Migrationskontrolle bereits heute umsetzt: https://netzpolitik.org/2020/bka-erhaelt-78-millionen-euro-fuer-ausbau-des-schengener-informationssystems/http://www.statewatch.org/news/2020/feb/eu-council-jha-guidelines.htm
Konvertit*innen: Menschenrechtsgerichtshof kritisiert SEM
Der Menschenrechtsgerichtshof hat im vergangenen November die Abschiebung eines zum Christentum konvertierten Afghanen gestoppt. Die Schweizer Behörden hätten zu wenig ernsthaft geprüft, ob der Mann nach der Abschiebung seinen Glauben praktizieren könnte, ohne um sein Leben zu fürchten. Der Menschenrechtsgerichtshof erachtete es als problematisch, dass das SEM nicht sauber prüfe, welche Gefahr bei Bekanntwerden der Konversion drohen würde. Das SEM lässt die Kritik kalt. Um die Mainstreammedien und die QGO’s (Quasi-Governmental-Organizations) ruhig zu stellen, reicht es ihnen, das immergleiche Copy-Paste-Zitat zuzuschicken: «Das SEM prüft jedes Asylgesuch sorgfältig und einzelfallspezifisch und berücksichtigt dabei den jeweiligen Kontext im Heimatstaat der asylsuchenden Person.» Formale Achtung der Menschenwürde und reale Achtung der Menschenwürde sind nicht zu verwechseln.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/nach-urteil-von-strassburg-konvertierte-asylbewerber-hoffen-auf-hoehere-bleibechance-136310641
Was war gut?
Abstimmungen: 2x Nein gegen Antiziganismus und Homophobie
Am Sonntag durften die Stimmberechtigten der Schweiz über das Schicksal von Minderheiten bestimmen. Auf dem Menü standen zwei Referenden von rassistischen und/oder homophoben Kräften. Bürger*innen, die abstimmten, unterstützten jeodch weder den homophoben Angriff auf die Ausdehnung der Rassismusstrafnorm noch folgten sie der antiziganistischen Hetze im Zusammenhang mit dem Bau eines Transitplatzes für Fahrende im bernischen Wileroltigen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/abstimmungen-oberrubrik/abstimmungen/transitplatz-wileroltigen-sicher-ein-gutes-beispiel-fuer-andere-kantone
https://www.srf.ch/news/schweiz/abstimmungen-oberrubrik/abstimmungen
Roviva verliert wichtige Matratzen-Abnehmerin
Die Asylorganisation Zürich (AOZ) hat ihre Zusammenarbeit mit dem Matratzenhersteller Roviva gestoppt, nachdem bekannt wurde, dass der CEO und Alleininhaber der Firma, Peter Patrik Roth, seit Jahren in der lokalen und internationalen Neonaziszene unterwegs und gut vernetzt ist. Mit den Einnahmen von Roviva unterstützt er die rechtsextreme Szene kräftig,zum Beispiel die rechtsextreme Kleidermarke White Rex mit CHF 50’000.-. Mit der AOZ verliert Roviva einen seiner wichtigsten Kunden.
https://www.watson.ch/wirtschaft/schweiz/749664194-matratzenhersteller-roviva-verliert-wegen-nazi-sympathien-des-chefs-auftrag
Rassistisches Klima: Ikea bezieht Stellung gegen antimuslimischen Rassismus und löst einen Shitstorm aus
Eine antimuslimische Rassistin traf beim Ikea-Einkauf in Aubonne auf eine kopftuchtragende Verkäuferin. Diese Begegnung erschütterte die rassistische Weltanschauung der Kundin dermassen, dass sie im Internet öffentlich erklärte, nie wieder bei Ikea einzukaufen. So weit bleibt die Meldung ziemlich unspektakulär. Erstaunlich positioniert ist dann aber die Antwort von Ikea, die ebenfalls im Internet veröffentlicht wurde: „Bevor man eine Person nach ihrer Kleidung beurteilt, muss man sie kennen lernen. Das haben wir getan. Unsere Mitarbeiterin wird von allen geschätzt und respektiert (…) Dass Kundinnen mit Meinungen wie ihre, keinen Fuss mehr in unser Unternehmen setzen, trauern wir nicht nach“. Wiederum unspektakulär ist angesichts des rassistischen Klimas der üble Shitstorm, den diese Reaktion in sozialen Medien auslöste.
https://www.20min.ch/ro/news/vaud/story/Ikea-au-c-ur-d-un-echange-d-insultes-autour-de-l-islam-14114490
Was nun?
Alltägliche Ausbeutung auf schweizer Landwirtschaftsbetrieben
Die Soziologin Sarah Schilliger erforscht die prekären Arbeitsbedingungen von landwirtschaftlichen Angestellten in der Schweiz. Wie in allen Tieflohnbereichen sind in der Landwirtschaft fast nur Migrant*innen angestellt. Die Branche ist nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt und die Höchstarbeitszeiten gelten hier nicht. In der Saison arbeiten landwirtschaftliche Angestellte oft von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends, und die Arbeit ist so hart, dass der Körper schlicht nicht genug Zeit hat, sich zu erholen. Und das zu extrem geringen Löhnen. Der Richtlohn beträgt etwas mehr als 3.000 Franken brutto, fast 1.000 Franken können für Kost und Logis abgezogen werden. Eine 55- bis 65-Stunden-Woche in einem der reichsten Länder der Welt zu einem Lohn, der in der Schweiz kaum zum Leben reicht. Dazu kommen alltägliche Erfahrungen mit Rassismus auf dem Hof, wie viele der Migrant*innen für die Studie berichteten. Protest gegen diese Bedingungen ist schwierig. Einerseits gibt es keine Anlaufstellen, wo sich die Angestellten über ihre Rechte informieren können. Sie arbeiten sehr viel, können kaum weg vom Hof, haben wenig Kontakte mit dem Rest der Bevölkerung – und die meisten wollen ihre Jobs nicht riskieren, auf die sie angewiesen sind. Die Branche ist zudem auch nicht gewerkschaftlich organisiert. Bei der Unia heisst es, die Branche sei schwierig zu organisieren. Das stimmt teilweise, doch vor allem ist die Landwirtschaft für die Gewerkschaften einfach nicht attraktiv. Sie zu organisieren, wäre personalaufwendig und teuer. Wie sieht es mit deinen/euren/unseren Handlungsmöglichkeiten und Ideen aus? Im Anschluss an die Tagung Widerstand am Tellerrand, die dieses Wochenende stattfand, haben sich Arbeitsgruppen gebildet, bei denen Mitarbeit möglich ist.
https://www.widerstand-am-tellerrand.ch/https://www.woz.ch/2005/landwirtschaft/der-koerper-hat-nicht-genug-zeit-sich-zu-erholen
Rechte Hetze in Winterthur
In Winterthur wurden diese Woche zahlreiche antisemitische Sticker und Flyer mit Verschwörungstheorien und Nazirhetorik gesichtet. Widerstand jedem Antisemitismus, an Hochschulen und überall!
https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/rechte-hetze-in-winterthur/story/28112145
Wo gabs Widerstand?
Lesbos: Polizei greift Demo geflüchteter Aktivist*innen an
Etwa 2.000 geflüchtete Aktivist*innen, die im Lager Moria auf der Insel Lesbos isoliert sind, haben dieses verlassen, um in der Inselhauptstadt Mytilini zu demonstrieren. »Freiheit, Freiheit« skandierten sie und forderten das Recht, unverzüglich auf das griechische Festland zu gelangen und von dort in andere EU-Staaten weiterreisen zu dürfen. Die Menschen, die zuvor vor Verfolgung fliehen mussten, wurden von zwei Sondereinheiten der Polizei blockiert. Diese griffen sie mit Tränengas an. Eine weitere Gruppe von mehreren 100 geflüchteten Aktivist*innen startete im Lager „Kara Tepe“. Auch dort kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-02/griechenland-asylrecht-demonstrationen-lesbos-fluechtlinge-polizei
https://www.jungewelt.de/artikel/371883.europa-freiheit-freiheit.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1132343.migranten-auf-griechischen-inseln-migranten-protestieren-auf-lesbos.html
Was steht an?
Kampf der Waffenindustrie – Hafenblockade in Genua
12. Februar 2020 16:00 Uhr Theodorskirchplatz Basel“
In Genua blockieren am 12. Februar Hafenarbeiter*innen zum zweiten Mal den saudischen Frachter “Bahri”, welcher Kriegswaffen aus der EU für den gesamten Mittleren Osten verschiffen soll. Die Waffen sind beispielsweise für den Einsatz im Jemen bestimmt. Dort wird die Zahl der Kriegstoten auf über 230’000 Menschen geschätzt, mehr als die Hälfte davon Kinder. Und während die europäische Häfen dem Geschäft mit dem Krieg offen stehen, werden sie für Seenotrettungs-Schiffe geschlossen. Das ist die europäische Aussenpolitik.Wir solidarisieren uns mit den Hafenarbeiter*innen von Genua und tragen den Widerstand gegen die Kriegsindustrie und die Festung Europa vor das italienische Konsulat in Basel!“
https://barrikade.info/article/3138
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Dokumentation der (europäischen) Migrationskontrolle in afrikanischen Staaten
Die neue Seite migration-control.info wird die zentralen Themen der Abwehr von Geflüchteten in afrikanischen Ländern vorstellen sowie Länderberichte und die EU-Verträge und Strategiepapiere dokumentieren. Alles mit Fokus auf die Migrationskontrolle durch die EU. Die Seite wird im Februar online gehen, hier vorab der Wiki-Eintrag zu Tunesien. Sehr empfehlenswert.
https://ffm-online.org/wiki-eintrag-tunesien/
Erneuter gewalttätiger Übergriff
Securitas im Bundeslager Embrach
https://www.ajourmag.ch/securitas-gewalt-embrach/
The ‘Hidden Hand’ of Europe
While Europeans cry that their way of life is under threat, it is Africans who suffer under exploitative conditions on their continent.
https://www.republic.com.ng/december-19-january-20/the-hidden-hand-of-europe-africans-migration/
Einzelfälle oder Schattenarmee?
Rechte Strukturen bei Polizei, Geheimdiensten, Militär und Justiz
https://www.freie-radios.net/99747
Dokumentarfilm über die Angehörigen der NSU-Opfer
Im Sommer 2018 ging der NSU-Prozess zu Ende. Doch viele Fragen sind noch immer offen. Die Filmemacherin Aysun Bademsoy hat die Angehörigen der Opfer besucht und ihre Verletzungen im Film „Spuren“ dokumentiert, der am 13. 2. ins Kino kommt.
https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/ttt-02022020-filmdokumentation-spuren-100.html
Alarm Phone Report
Juni 2019 bis Januar 2020
https://alarmphone.org/en/2020/02/03/aegean-regional-analysis