Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++SCHWEIZ
Internierungslager für Asylsuchende
Als «human» und «fair» wurde die 2016 mit grosser Mehrheit von der
Stimmbevölkerung angenommene Asylgesetzrevision angepriesen. Am 1. März
2019 trat sie in Kraft. Das revidierte Gesetz schreibt vor, dass
Asylsuchende in neu eingerichteten Bundesasylzentren (BAZ) untergebracht
werden, wo sie auf ihren Entscheid oder ihre «Rückführung» (sprich:
Ausschaffung) warten müssen. Diese Zentren gleichen eher Gefängnissen
denn Unterkünften. Ein menschenverachtendes, repressives Regime hat in
der Asylpolitik Einzug gehalten.
https://www.wo-unrecht-zu-recht-wird.ch/de/Aktuell/Bundeslager
+++DEUTSCHLAND
Strengeres Asylgesetz: Bamf bestellt Zehntausende Flüchtlinge ein
Seit dem vergangenen Jahr kontrolliert das Bamf verschärfter den
Schutzstatus von Flüchtlingen. Eine Folge: Doppelt so viele anerkannte
Asylsuchende wie zuvor verloren ihren Status.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bamf-deutlich-mehr-anerkannte-fluechtlinge-verlieren-status-a-1299146.html
+++MITTELMEER
15.000 Tote und Vermisste im Mittelmeer
Mehr als 1.000 Menschen sind im Jahr 2019 im Mittelmeer ertrunken oder
werden seit ihrer Flucht vermisst. Die UNO-Flüchtlingshilfe unterstützt
daher Seenotretter vor Ort.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-12/uno-fluechtlingshilfe-tote-und-verletzte-im-mittelmeer
17 Leichen nach Flüchtlingsunglück vor Lampedusa geborgen
Suche nach weiteren Vermissten nach Kentern eines Schiffes im Gang
https://www.derstandard.at/story/2000111730390/sieben-leichen-nach-fluechtlingsunglueck-vor-lampedusa-geborgen
-> https://www.nzz.ch/international/migration-tote-auf-dem-mittelmeer-ld.1494713
Video zeigt dramatische Rettung von Migranten im Mittelmeer
Die italienische Küstenwache hat vor Lampedusa mehr als 140 Flüchtlinge
aus dem Wasser gezogen. Darunter auch ein kleines Mädchen.
https://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/video-zeigt-dramatische-rettung-von-migranten-im-mittelmeer/story/16201926
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Sonntagszeitung 01.12.2019
Städte ächzen unter der Demo-Flut
Es wird so viel demonstriert wie noch nie. Anwohner und Pendler sind verärgert, Läden in ihrer Existenz bedroht.
Rico Bandle
Es ist Black Friday, seit Wochen bereiten sich die Läden auf diesen Tag
vor, er soll einer der umsatzstärksten des Jahres werden. Doch
ausgerechnet an diesem Freitag gibt die Stadtpolizei Zürich eine Warnung
heraus: Die Innenstadt und das Seebecken solle man nach 16 Uhr
grossräumig umfahren. Der Grund: Die Klimajugend demonstriert.
Zwar regnet es, der Aufmarsch ist überschaubar, trotzdem sperrt ein
eindrückliches Polizeiaufgebot Strassen ab, mehrere Tramlinien werden
umgeleitet. Und das mitten im Feierabendverkehr. Ein Riesenchaos.
Kaum ist die Klimajugend durch, folgt mit der «Critical Mass» die
nächste Demonstration. Dabei handelt es sich um einen Veloumzug mit
unbestimmter Route, der zu grösseren Verkehrsbehinderungen führt – was
auch Zweck der Übung ist.
Am nächsten Tag geht die Protestwelle weiter. Tibeter demonstrieren
gegen die Verhaftung von Mönchen in ihrer Heimat. Womöglich gibt es an
dem Samstag noch eine oder zwei Kundgebungen mehr, längst nicht alle
Veranstalter beantragen bei der Stadt eine Bewilligung.
Die Anzahl Demonstrationen in den grösseren Schweizer Städten hat in den
letzten Jahren markant zugenommen. Gemeinsam durch die Strassen zu
ziehen und für eine Sache einzustehen, ist zu einem beliebten Happening
für alle möglichen Gruppierungen geworden. Befördert wird dieser Trend
durch Social-Media-Kanäle wie Facebook: Nie war es so einfach,
Gleichgesinnte zu mobilisieren, wie jetzt.
Samstags musste die Boutique immer wieder früher schliessen
Bern ist von der zunehmenden Protestlust noch stärker betroffen als
Zürich. 2018 zählte die Bundesstadt eine Rekordzahl von 299
Kundgebungen, dieses Jahr war man Ende Oktober schon bei 280. Pro Woche
muss die enge Stadt im Durchschnitt sechs Manifestationen aushalten. Es
kam schon vor, dass an einem Wochenendtag vier Demonstrationen
gleichzeitig stattfanden. Man versuche sie so gut wie möglich zu
verteilen, sagt ein Sprecher der Stadt.
Die ständigen Demos sind für Pendler, Anwohner und Besucher ein
Ärgernis. Für das Gewerbe können sie sogar existenzbedrohend sein, wie
ein Beispiel aus Zürich zeigt. Letzte Woche verschickte die
Edel-Boutique Escada ihren Kundinnen einen Brief, in dem über die
Schliessung des Geschäfts informiert wurde. Grund seien neben der
Aufhebung von Parkplätzen und Baustellen vor dem Geschäft die vielen
Kundgebungen: «Demonstrationen jeden Samstag halten die Kunden davon ab,
in die City zu kommen. Wir sind gezwungen, an solchen Samstagen das
Geschäft ganz oder vorzeitig zu schliessen.»
Auf Nachfrage sagt Béatrice Furrer, welche die Boutique 30 Jahre lang
führte, die Situation sei unerträglich geworden. Tatsächlich habe sie
dieses Jahr schon mehrmals das Geschäft am umsatzstarken Samstag
frühzeitig schliessen müssen. «Alle Ladenbesitzer machen die Faust im
Sack, es wird Zeit, Klartext zu reden.» Von den rot-grünen Politikern
fühlt sie sich im Stich gelassen. «Die sind absolut gewerbefeindlich,
denken nicht an die Arbeitsplätze», sagt sie. «Die meinen, das Geld
komme von irgendwoher.»
«Die Politiker haben kein Gehör für uns»
Milan Prenosil vertritt als Präsident der Zürcher City-Vereinigung die
Geschäfte der Innenstadt. Der Chef der Confiserie Sprüngli spricht von
Umsatzeinbussen in der Höhe von mehreren Hunderttausend Franken bei
gewissen Kundgebungen. Vielen Leuten sei es zu mühsam geworden, in die
Stadt zum Einkaufen zu kommen, wenn ständig Strassen gesperrt sind und
Tramlinien umgeleitet werden. Manchmal komme auch die Angst vor
gewalttätigen Demonstranten hinzu.
Kürzlich war in den Medien von Autofahrern zu lesen, die wegen einer
Demonstration zweieinhalb Stunden in einem Parkhaus blockiert waren.
«Das sind unhaltbare Zustände», sagt Prenosil. Auch er erhebt Vorwürfe
gegen die Politik. «Das ist kein Miteinander mehr, die haben kein Gehör
für uns.»
Alle angefragten Gewerbetreibenden betonen, sie hätten nichts gegen die
Klimajugend, Kurden, LGBT-Aktivisten, Tierschützer, Frauen, Freikirchler
und alle anderen Gruppen, die auf die Strasse gehen. Auch das
Demonstrationsrecht – ein Grundpfeiler der Demokratie – stellt niemand
infrage. Allein die Menge und die Konzentration auf die Innenstädte
seien das Problem.
Sven Gubler, Direktor der Vereinigung Bern City, ist in seiner Kritik
weniger vehement als seine Zürcher Kollegen. Demonstrationen gehörten
seit jeher zur Bundesstadt, man sei sich das gewohnt, sagt er. «Wir
staunen aber dann schon, wenn Bewilligungen für den Samstag, 14 Uhr,
erteilt werden, genau zu unserer Primetime.»
Zu schaffen machten vor allem gewalttätige Demonstrationen mit
Vandalismus. «Wir bekommen dann längere Zeit zu spüren, dass die Leute
Mühe haben, in die Stadt zu kommen.»
Ein Problem, das man auch in Basel kennt. Allein die Ankündigung einer
grossen Kurdendemo und Presseberichte über mögliche Aktionen von
Linksaktivisten sorgten Anfang November dafür, dass viele Leute an jenem
Tag die Stadt mieden. Und dies, obschon die Kundgebung dann friedlich
verlief. Die Befürchtungen waren aber nicht unbegründet gewesen: Bei
vergleichbaren Märschen war es zuvor zu hohen Sachbeschädigungen
gekommen.
Bei der Klimademonstration vom Freitag in Zürich legten sich einige
Aktivisten vor dem Eingang des Warenhauses Jelmoli auf den Boden, um
gegen den «Konsumwahn» zu protestieren.
Das wäre nicht nötig gewesen. Wie die Vertreter der City-Vereinigungen
sagen, würden die Kunden durch die ständigen Demonstrationen ohnehin
noch stärker in den Onlinehandel ausweichen. Ob dies ökologischer sei,
sei allerdings eine andere Frage.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/staedte-aechzen-unter-demoflut/story/26655256)
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Sonntagszeitung 01.12.2019
Die Demonstranten erweisen ihren Anliegen einen Bärendienst
Noch nie wurde so viel demonstriert wie 2019. Höchste Zeit, dass die
Behörden dem Treiben Einhalt gebieten – zum Vorteil aller Beteiligten.
Andreas Kunz
Ein paar Tausend Klima-Demonstranten blockierten am Freitag, pünktlich
zu Feierabend, die Zürcher Innenstadt und verursachten ein
Verkehrschaos, das bis in die Agglomerationen reichte (und übrigens
Tonnen giftiges CO2 produzierte).
Aber auch in Basel, Bern und anderen Städten ächzen sie unter dem neu
aufgeflammten Trend zum Gemeinschaftsprotest: Die Behörden vermelden für
2019 Rekordzahlen – in der Hauptstadt sind es mittlerweile
durchschnittlich sechs Demos pro Woche –, die Geschäfte klagen über
entsprechende Einbussen und die Anwohner über Belästigungen, Lärm,
Schmutz und versprayte Häuserfassaden.
Selbstverständlich gehört es zu den demokratischen Grundrechten, auf
Missstände öffentlich aufmerksam zu machen. Viele Demonstrationen setzen
sich denn auch für nachvollziehbare, wenn nicht gar
unterstützungswürdige Anliegen ein. In Zeiten, in denen jede noch so
kleine Minderheit um die grösstmögliche Aufmerksamkeit kämpft, braucht
es für ein demokratisches Miteinander allerdings dringend neue Regeln.
Es kann nicht sein, dass ganze Strassen abgeriegelt werden müssen, bloss
weil 250 Leute gegen die Falun-Gong-Sekte demonstrieren wollen. Das
neue Abtreibungsgesetz in Polen mag schlimm sein – aber mussten deswegen
70 Protestierende hierzulande den Verkehr behindern? Was bringts, wenn
alle paar Wochen 100 Kurden unter grossem, teurem Polizeiaufgebot
«Freiheit für Öcalan!» skandieren oder sich 150 Leute mit Katalonien
oder Tibet solidarisieren?
Seien wir ehrlich: Die Wirkung der allermeisten Proteste ist gleich null
– die grosse Mehrheit der Anliegen ist längst bekannt oder kann genauso
gut anderswie platziert werden. Tatsächlich ist der Effekt nicht selten
kontraproduktiv, wenn sich winzige Minderheiten auf Kosten der grossen
Mehrheit zu profilieren versuchen.
Höchste Zeit, dass die Behörden ihre Bewilligungspraxis einschränken,
Demonstrationszüge aus den Zentren verbannen, unbewilligte Aufmärsche
verhindern oder mit Bussen bestrafen. Für den Schutz der städtischen
Gemeinschaft, der Geschäfte – und nicht zuletzt der Demonstranten
selbst, die ihren Anliegen zunehmend einen Bärendienst erweisen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/die-demonstranten-erweisen-ihren-anliegen-einen-baerendienst/story/24072498)
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/massive-umsatzeinbussen-bis-ladensterben-demos-vertreiben-kunden-aus-staedten-id15642764.html
-> https://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/Demos-bedrohen-Laeden-in-ihrer-Existenz-12524967
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/auf-die-strasse-zuercher-haben-den-drang-zur-demo-136043334
-> https://www.zsz.ch/contentstationimport/drang-zur-demo/story/16842754
-> https://www.landbote.ch/contentstationimport/drang-zur-demo/story/16842754
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zu-viele-demonstrationen-belasten-die-schweiz-00124652/
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zu-viele-demonstrationen-belasten-die-schweiz-00124652/
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/so-viele-demos-in-zuercher-innenstadt-wie-noch-nie-136050622
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Linke attackieren Mörgeli und Köppel mit Milchshake
«Wir tolerieren euch hier nicht»: Linksextreme überschütteten in einem
Zürcher Café die beiden Politiker mit einem Getränk. Diese hielten dort
eine Sitzung ab.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Linke-attackieren-Koeppel-und-Moergeli-mit-Milchshake-11220757
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/svp-politiker-koppel-und-morgeli-in-cafe-mit-milchshakes-attackiert-65621821
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/im-linken-zuercher-szene-lokal-spheres-getraenke-attacke-auf-moergeli-und-koeppel-id15643294.html
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/kurznews-136050604
-> Bekenner*innenschreiben: https://barrikade.info/article/2934
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tagesanzeiger.ch 01.12.2019
Getränke-Attacke auf Mörgeli und Köppel im Szenelokal Sphères
Autonome bespritzten die SVP-Politiker mit «Milchshakes» – die Folge: Ein Polizeieinsatz.
Mario Stäuble
Das Bild tauchte übers Wochenende auf mehreren linksextremen Plattformen
auf: Ein Unbekannter spritzt alt SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli, der
gerade einen Fertigsalat verspeist, eine Flüssigkeit ins Gesicht. Die
Szene spielt sich im Café Sphères in Zürich-West ab, wo die
«Weltwoche»-Redaktion Sitzungen abzuhalten pflegt.
Auf dem Portal Barrikade.info und auf der Instagram-Seite der
Revolutionären Jugend Zürich erschienen zudem kommentierende Texte, wie
«20 Minuten» zuerst berichtete. Darin heisst es, dass Christoph Mörgeli
und auch «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel am letzten Mittwoch
Mittag von «antirassistischen und wütenden Café-Gästen» mit
«Milchshakes» aus dem Szenelokal Sphères vertrieben worden seien.
Die Autoren des Texts beschimpfen sodann den Sphères-Geschäftsführer
Philipp Probst, weil dieser die «Weltwoche»-Journalisten willkommen
heisse, obwohl sich das Sphères einen linken Anstrich gebe. Man mache
für die Journalisten sogar eine Ausnahme, denn normalerweise könne man
im Lokal keine Tische reservieren. Die «gern zitierte Meinungsfreiheit»
sei «kein Argument» gegen die Attacke, da Köppel und Konsorten Menschen
«erniedrigen» würden.
«Hinterhältiger Angriff»
Ein Sprecher der Zürcher Stadtpolizei bestätigt einen Einsatz am
Mittwoch. Man wisse aber bisher nichts von einem Strafantrag. Das
Anspritzen mit einer Flüssigkeit kann strafrechtlich eine Tätlichkeit
darstellen, sofern es sich nicht um Giftstoffe oder anderweitig
gefährliches Material handelt. Tätlichkeiten sind Antragsdelikte.
Roger Köppel war am Sonntag für den TA nicht erreichbar; Christoph
Mörgeli und Philipp Probst wollten sich nicht äussern.
«Weltwoche»-Redaktor Alex Baur nannte den Vorfall auf Twitter einen
«feigen und hinterhältigen Angriff auf die ‹Weltwoche› und die
Pressefreiheit».
Die «Weltwoche» und das linke Szenelokal hatten schon Ende Oktober
einmal zu reden gegeben. Damals hatte Roger Köppel getwittert, die
«Weltwoche» sei aus dem Lokal «ausgesperrt» worden. Geschäftsführer
Probst hatte dementiert und gesagt, offenbar habe ein Gast Köppel
gesagt, er sei nicht willkommen.
Serie von Vorfällen
2019 kam es mehrfach zu tätlichen Angriffen von Linksautonomen auf
Andersdenkende. Der letzte Vorfall war eine Störaktion gegen den
chilenischen Libertären Axel Kaiser, der während eines Vortrags im
Zentrum Karl der Grosse mit Eiern und Flüssigkeiten beworfen wurde. An
den Zürcher 1.-Mai-Feierlichkeiten hatten Unbekannte «Weltwoche»-Autor
Alex Baur angegriffen – und den Essensstand von Baurs Partnerin
verwüstet. Danach verübten Autonome einen Farbanschlag auf den
Eingangsbereich der «Weltwoche»-Redaktion.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/getraenkeattacke-auf-moergeli-und-koeppel-im-szenelokal-spheres/story/19934186)
+++KNAST
NZZ am Sonntag 01.12.2019
So gross ist der Einfluss der Pschiatrie auf die Justiz
In der Schweiz ist die Zahl der Häftlinge in kleinen Verwahrungen auf
einen Höchststand gestiegen. Was das über unsere Justiz sagt – und was
über das Verhältnis unserer Gesellschaft zu ihr.
Lukas Häuptli
Vor einem Monat hat ein Gericht den Mann verurteilt, der unter dem
Pseudonym Carlos zu einem der bekanntesten Straftäter der Schweiz
geworden war. Vor dem Urteil sagte ein forensischer Psychiater voraus,
im Fall eines Freispruchs werde der 24-Jährige in den nächsten fünf
Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 76 Prozent rückfällig. Und in
den nächsten zwölf Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 87 Prozent.
Man staunte über die mathematisch genaue Prognose und nahm das Urteil
gegen Carlos zur Kenntnis: eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 9
Monaten sowie eine stationäre therapeutische Massnahme. Diese wird auch
kleine Verwahrung genannt.
So ungewöhnlich der Fall von Carlos ist, so gewöhnlich ist der Umgang
der Justiz mit ihm. Gewöhnlich, weil die Justiz in den letzten Jahren
mit vielen gefährlichen Gewalt- und Sexualstraftätern gleich umgegangen
ist.
Erstens: Forensische Psychiater diagnostizierten den Tätern schwere
psychische Störungen. Zweitens: Psychiater machten Gefährlichkeits- und
Rückfallprognosen. Und drittens: Psychiater und mit ihnen die Gerichte
stuften die Täter als grundsätzlich therapierbar ein.
Hunderte kleine Verwahrungen
Die Diagnose einer schweren psychischen Störung und deren
Therapierbarkeit sind Voraussetzungen für die Anordnung einer
stationären therapeutischen Massnahme. Diese ist vor zwölf Jahren ins
Strafgesetz eingeführt worden. Jetzt zeigt sich, dass die Gerichte sie
seither zu Hunderten angeordnet haben. Zwischen 2007 und 2018 sprachen
sie 1373 kleine Verwahrungen aus.
Das führte dazu, dass in den Schweizer Gefängnissen immer mehr Täter in
einer kleinen Verwahrung sind und da therapiert werden. Letztes Jahr
waren es 583 – ein Höchststand, wie aus einer letzte Woche
veröffentlichten Statistik des Bundesamts für Statistik hervorgeht. Zum
Vergleich: Zwischen 2007 und 2018 sprachen die Gerichte 58 «grosse»
Verwahrungen aus, in denen Täter nicht therapiert werden.
Warum ist das bemerkenswert? Es zeigt den gewachsenen und noch immer
wachsenden Einfluss der Psychiatrie auf die Justiz. So haben einerseits
die Diagnosen der Gutachter in vielen Fällen direkten Einfluss auf die
Urteile der Richter.
Und andererseits sind die Gefährlichkeits- und Rückfallprognosen der
Psychiater zentrale Elemente bei der Frage, ob ein Täter austherapiert
ist und aus einer kleinen Verwahrung entlassen wird. Oder nicht.
Genau diese Frage wird für Gesellschaft und Politik immer wichtiger: Ist
ein Häftling, der freigelassen wird, noch gefährlich? Bezeichnend ist,
was der Bundesrat vor einem Jahr in einem Bericht zu gefährlichen Tätern
dazu geschrieben hat: «Es ist heute unbestritten, dass das erste Ziel
des Straf- und Massnahmenvollzugs darin besteht, das Rückfallrisiko zu
verringern.»
Bundesrichter Niklaus Oberholzer sagt: «In den letzten Jahren haben die
Sanktionierung der Tat und die Resozialisierung des Täters an Bedeutung
verloren. Dafür ist der Schutz der Gesellschaft vor einem allenfalls
rückfälligen Täter immer wichtiger geworden. Diesen Schutz gewähren die
Gerichte vor allem mit Massnahmen.»
Es ist nicht auszuschliessen, dass die Entwicklung in die gleiche
Richtung weitergeht. Das Bundesgericht hat im letzten Oktober und
November nämlich in zwei Leitentscheiden festgehalten, dass es in
Zukunft mehr psychische Auffälligkeiten als schwere Störungen anerkennen
wird. Bekanntlich sind diese Voraussetzung für kleine Verwahrungen.
Zwar sagt Jérôme Endrass, stellvertretender Chef von Justizvollzug und
Wiedereingliederung des Kantons Zürich: «Die Urteile werden nur geringe
Auswirkungen haben. Das Bundesgericht folgte der gelebten Praxis.»
Doch Elmar Habermeyer, Direktor der Klinik für forensische Psychiatrie
der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, entgegnet: «Es ist
absehbar, dass aufgrund der beiden Bundesgerichtsentscheide künftig noch
mehr therapeutische Massnahmen angeordnet werden.»
Entscheidend sei nicht mehr die vom psychiatrischen Gutachter
beantwortbare Frage, ob ein Täter unter einer schweren Störung leide.
Sondern wie gefährlich ein Täter sei. «Das aber ist eine Frage der
gesellschaftlichen Übereinkunft.»
«Gesteigertes Sicherheitsbedürfnis»
Einig sind sich die Fachleute dafür in einem anderen Punkt: Verschiedene
Häftlinge blieben und bleiben zu Unrecht in der kleinen Verwahrung.
«Bestimmt gab es Personen, die zu lang in stationärer Behandlung waren»,
sagt Jérôme Endrass.
Elmar Habermeyer erklärt: «Es ist unbestritten, dass Entlassungen von
Straftätern aus therapeutischen Massnahmen schwieriger geworden sind.
Das ist aber nicht zwingend Ausdruck strengerer Beurteilungsmassstäbe
der Gutachter, sondern Resultat des gesteigerten Sicherheitsbedürfnisses
der Gesellschaft.»
Schliesslich weist Marc Graf, Basler Professor für forensische
Psychiatrie, auf einen Missstand beim Vollzug stationärer
therapeutischer Massnahmen hin: «Wir haben viel zu wenig qualifiziertes
Personal.»
–
Bund plant neue Massnahmen für gefährliche Straftäter
Was tun, damit gefährliche Straftäter nicht wieder zuschlagen? Auf diese
Frage sucht auch der Bund neue Antworten. Das Justizdepartment
erarbeitet derzeit ein neues Paket mit «freiheitsbeschränkenden
Instrumenten», die ein Gericht situativ nach Ablauf einer Strafe oder
einer freiheitsentziehenden Massnahme anordnen kann.
Ziel ist es, zu verhindern, dass Täter mit hohem Rückfallrisiko in die
Freiheit entlassen werden – Täter etwa, die zwar nicht gefährlich genug
sind für eine Verwahrung, welche die Justiz aber trotzdem unter einer
gewissen Kontrolle haben will.
Angedacht ist daher eine neue Zwischenform zwischen einer
Sicherungsmassnahme und einer Therapie, etwa die Pflicht, in einem Heim
oder sonst betreut zu wohnen. Anfang 2020 wird der Bundesrat darüber
befinden, wie das im Detail aussehen könnte. (dli.)
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/kleine-verwahrung-die-zahl-der-haeftlinge-steigt-auf-rekordhoch-ld.1525527)
+++RECHTSEXTREMISMUS
Zunahme von Kontakten auf internationaler Ebene: Rechtsradikale YB-Fans sind europaweit vernetzt
Der Berner Sportklub Young Boys kann nicht ausschliessen, dass es
einzelne Fans gibt, die in ihrem privaten Umfeld Kontakte zu
Rechtsextremen pflegen.
https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/zunahme-von-kontakten-auf-internationaler-ebene-rechtsradikale-yb-fans-sind-europaweit-vernetzt-id15642522.html
-> https://www.blick.ch/news/ausland/terror-organisation-atomwaffen-division-us-neonazis-nutzen-schweizer-mail-programm-id15642087.html
+++SOZIALES
«Diese Auflösung ist ein Affront»
Der Kanton verärgert den Dachverband der Behindertenorganisationen: Er
löst die Abklärungsstelle für Menschen mit Behinderung (Indibe) auf Ende
März 2020 auf.
https://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/diese-aufloesung-ist-ein-affront/story/23860121
-> https://www.derbund.ch/bern/kanton-veraergert-organisationen-fuer-behinderte/story/25946505
-> https://www.kbk.ch/medienmitteilungsdetails/ein-affront-alters-und-behindertenamt-loest-indibe-auf-kopie.html
+++HISTORY
neues-deutschland.de 30.11.2019
»Die wirkliche Geschichte erzählen«
Im Vorfeld der Seattle-Proteste wurde die Plattform Indymedia geboren, um die mediale Machtbalance zu verschieben.
Von Peter Nowak
Mit den Protesten gegen die Welthandelsorganisation (WTO) 1999 in
Seattle erstarkte nicht nur die globalisierungskritische Bewegung. Sie
baute sich auch einen eigenen Medienkanal auf, um die Berichterstattung
nicht den etablierten Zeitungen und Fernsehstationen zu überlassen.
»Bereitet Euch darauf vor, überschwemmt zu werden von der Welle
aktivistischer Medienmacher*innen vor Ort in Seattle und überall auf der
Welt, die die wirkliche Geschichte hinter der Welthandelsvereinbarung
erzählen.« Mit dieser Erklärung trat das Independent Media Center (IMC)
am 24. November 1999 erstmals an die Öffentlichkeit. Es war die
Geburtsstunde der Internetplattform Indymedia.
Wenige Tage später, vom 30. November bis 2. Dezember, tagten die
Wirtschafts- und Handelsminister der WTO in Seattle. Das Treffen endete
ergebnislos, was an den schwer überbrückbaren Differenzen in der
Handelspolitik lag. Vor den Konferenzräumen jedoch wurde eine
transnationale Protestbewegung hör- und sichtbar, die die Stadt
blockierte. Die Bilder, Videos und Erklärungen der Gipfelgegner*innen
wurden von den Medienaktivist*innen fast in Echtzeit in alle Welt
übertragen und ebenso die Polizeigewalt. Ziel von Indymedia war kein
Nachrichtenjournalismus, sondern die Bereitstellung einer
Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste
Berichte publizieren kann.
Der neue Zyklus der globalisierungskritischen Proteste wäre ohne den
Einsatz der Medienaktivist*innen der ersten Stunde nicht denkbar
gewesen. Die erste Erklärung des IMC war geprägt von der Überzeugung,
dass die neuen Medien im Kampf für eine gerechtere Gesellschaftsordnung
eine zentrale Rolle spielen werden.
»Das Web verändert die Balance zwischen multinationalen und
aktivistischen Medien dramatisch«, heißt es in der Erklärung. »Mit ein
bisschen Code und etwas billigem Equipment können wir eine
automatisierte Live-Website aufsetzen, die den Unternehmen Konkurrenz
macht.«
Was ist 20 Jahre später von diesem Aufbruch geblieben? Diese Frage
stellt sich Anne Roth in einem Beitrag unter dem programmatischen Titel
»Ein anderes Internet schien möglich«. Roth engagierte sich einige Jahre
bei Indymedia Deutschland und ist heute Referentin für Netzpolitik bei
der Linksfraktion im Bundestag. ‚Eine andere Welt ist möglich‘ sei ein
Slogan des Weltsozialforums und der Antiglobalisierungsbewegung gewesen,
so Roth. »Indymedia ist gemeinsam mit ihnen um die Jahrtausendwende
entstanden und der Slogan drückte die Vorstellung aus, dass es möglich
sein muss, die Weltwirtschaft anders als entlang der kapitalistischen
Verwertungslogik zu organisieren«, beschreibt sie gegenüber »nd« die
damalige Stimmung. Roth weist darauf hin, dass erst Ende der 1990er
Jahre eine Software möglich gemacht habe, Texte, Videos und Fotos
schnell und ohne große Vorkenntnisse im Internet zu veröffentlichen.
Heute nur noch Nischen
Heute sieht Roth im durchkapitalisierten World Wide Web nur noch einige
Nischen für Projekte, bei denen es nicht ums Geschäftemachen geht. Doch
sei das Internet noch immer »ein wichtiges Werkzeug für Minderheiten,
Bewegungen oder Aktivist*innen in repressiven Umgebungen, um sich
ausdrücken und organisieren zu können«. Auch Johanna S., die ihren
vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bezeichnete das
Internet heute als eine Voraussetzung, um sich eine nichtkapitalistische
Gesellschaft auf globaler Ebene überhaupt vorstellen zu können. Johanna
S. gehörte im April 2000 gehörte zu den Mitbegründer*innen des
aktivistischen Videokollektivs Kanal B. In der ersten Zeit erschienen in
kurzer Folge Kanal-B-Ausgaben, die die Aktionen der
globalisierungskritischen Bewegung dokumentierten. Später spielten
Arbeitskämpfe und internationalistische Themen eine stärkere Rolle. Die
letzte Kanal-B-Ausgabe 2010 dokumentierte den Kampf gegen Paramilitärs
in Kolumbien. Heute bemüht sich Johanna S. mit der von ihr gegründeten
Onlineplattform Labournet.tv, Arbeitskämpfe in aller Welt bekannt zu
machen.
(https://www.neues-deutschland.de/artikel/1129391.indymedia-die-wirkliche-geschichte-erzaehlen.html)