Medienspiegel 28. Oktober 2019

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

++++GRIECHENLAND
Droht in Griechenland ein neues Flüchtlingsdrama?
Die Situation für Geflüchtete in Griechenland verschlechtert sich zunehmend. Die neue Regierung greift hart durch, doch das Problem bleibt. Der Handlungsdruck lastet auf der EU.
https://www.dw.com/de/droht-in-griechenland-ein-neues-fl%C3%BCchtlingsdrama/a-51014625


+++MITTELMEER
 Video von der „Alan Kurdi“ : „Die haben gerade in die Luft geschossen“
Aktivisten mit erhobenen Händen, Migranten, die um ihr Leben schwimmen und Angreifer mit Maschinengewehr: Video-Ausschnitte zeigen, wie die Crew der „Alan Kurdi“ am Samstag bei einer Rettungsmission bedroht wurde.
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/video-von-der-alan-kurdi-die-haben-gerade-in-die-luft-geschossen-16456371.html


Protest gegen das Treffen der G6 Innenminister in München
Wir sind wütend, wir sind empört, wir sind angewidert von den europäischen Regierenden, die weiterhin dem Sterben auf dem Mittelmeer untätig zusehen und Rettende kriminalisieren. Die vergangene Woche lieferte mehr als genug Gründe den Protest auf die Straße zu bringen! Die Innenminister*innen Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Polens und Spaniens kommen diesen Montag und Dienstag zum Gipfeltreffen in München in der Residenz zusammen. Lasst uns gemeinsam zeigen, was wir von ihrer menschenverachtenden Politik halten – kommt am Montag (28.10.) um 15 Uhr mit Transpis, Fahnen, Schildern zum Max-Joseph-Platz (der Platz bei der Oper), direkt vor der Residenz.
https://ffm-online.org/protest-gegen-das-teffen-der-g6-innenminister-in-muenchen/


+++EUROPA
Expanding the Fortress
Mark Akkermans Studie aus dem Jahre 2016, Border Wars, ist sicherlich die umfassendste Arbeit über die Externalisierung der Grenzen und die profitierenden Rüstungs- und Technologiekonzerne.
Die Studie wurde von Transnational Institute und Stop Wapenhandel herausgegeben und im Dezember 2016 unter dem Titel Border Wars II ergänzt.
 Im Mai 2018 ist als Fortsetzuung die Broschüre Expanding the Fortress herausgekommen. Alle Broschüren können von der Border-War Seite des TNI aus heruntergeladen werden.
https://ffm-online.org/expanding-the-fortress/


+++SYRIEN
Syrien: Lage in den Flüchtlingscamps spitzt sich zu
Die Dschihadistenmilizen der türkischen Armee vertreiben die Ansässigen im Nordosten, vor allem Frauen und Kinder fliehen
https://www.heise.de/tp/features/Syrien-Lage-in-den-Fluechtlingscamps-spitzt-sich-zu-4570439.html


+++GASSE
Gassenengel „Bali“ startet in die zweite Runde
Nachdem sein erstes Theaterstück ein Erfolg war, wagt sich Martin Baltisberger, in Bern kennt man ihn unter dem Namen „Bali“, an sein zweites Projekt. TeleBärn spricht mit dem 51-Jährigen über sein nächstes Stück.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/gassenengel-bali-startet-in-die-zweite-runde-135886755


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Nach Klimaprotest vor Credit Suisse: Aktivistinnen landen im Gefängnis
Nach dem Protest vor der Credit Suisse in Zürich hat die Staatsanwaltschaft gegen zwei deutsche Frauen unbedingte Strafen verhängt.
https://www.tagblatt.ch/schweiz/nach-klimaprotest-vor-credit-suisse-aktivistinnen-landen-im-gefaengnis-ld.1163626
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/nach-blockade-vor-cs-und-ubs-zwei-deutsche-klimaaktivistinnen-muessen-80-tage-in-den-knast-id15587780.html
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/nach-klimaprotest-vor-credit-suisse-aktivistinnen-landen-im-gefaengnis-135881687
-> Spendenaufruf: https://www.campax.org/de/spende-climate-justice


+++MENSCHENRECHTE
Erste Überprüfung zur Umsetzung der Grundrechte im Kanton Genf
Mehr als fünf Jahre nach dem Inkrafttreten der neuen Kantonsverfassung liegt im Kanton Genf der erste Bericht zur Umsetzung der darin verankerten Grundrechte vor. Diese auf Initiative der Genfer Zivilgesellschaft durchgeführte grundrechtliche Bestandsaufnahme auf kantonalem Niveau stellt in der Schweiz eine Neuheit dar.
https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/innenpolitik/ueberprfung-umsetzung-grundrechte-genf


+++BIG BROTHER
Fahrzeugfahndung darf nicht zur totalen Überwachung führen
Das Bundesgericht setzt bei der automatischen Fahrzeugüberwachung Fragezeichen. Dabei hat längst nicht nur der von den Richtern gerügte Kanton Thurgau Kameras zur Erfassung von Kontrollschildern im Einsatz.
https://www.nzz.ch/schweiz/bundesgericht-stellt-automatisch-fahrzeugfahndung-infrage-ld.1517764


+++POLICE BE
bernerzeitung.ch 28.10.2019

Wegen Angriff auf Polizisten verurteilt

Stösse und Fusstritte gegen Polizei: Eine 23-jährige Frau wurde zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.

Esther Diener-Morscher

«Ich will mich künftig für meine Einsätze nicht wie für einen Strassenkampf ausrüsten müssen», sagte der 30-jährige Kantonspolizist, der gestern als Zeuge vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland stand. Er bleibe bei seiner Aussage und sei sich hundertprozentig sicher, dass er die Stösse und Fusstritte gegen seinen Kollegen gesehen habe. Die Täterin war eine damals 21-jährige Frau.

Passiert ist es während eines Einsatzes der Polizei gegen Drogenhändler vor der Berner Reitschule. Die Angeklagte sei sprintend über den Platz gelaufen, in vollem Anlauf in seinen Kollegen gerannt und habe versucht, ihn wegzustossen, hatte der Zeuge die Vorkommnisse geschildert.

Anschliessend richtete sich die Wut der jungen Frau offenbar auch gegen den Zeugen selber: Dieser versuchte nämlich damals, die Frau festzunehmen. Worauf sie sich vehement wehrte. Erst als ein weiterer Kollege zu Hilfe kam, gelang es ihnen gemeinsam, ihr Handschellen anzulegen und sie zur Waisenhaus-Wache zu bringen.

Wenig vertrauenswürdig

Die 23-jährige Frau, die wegen dieses Vorfalls im November 2017 auf dem Vorplatz der Berner Reitschule bereits zum zweiten Mal vor der Richterin stand, wollte ihren Aussagen, die sie beim ersten Mal gemacht hatte, nichts mehr hinzufügen. Damals gab sie folgende Version zu Protokoll: «Ich war gerade auf dem Vorplatz angekommen, als ich sah, wie ein Mann jemanden verfolgte und zu Boden riss.» Deshalb habe sie diesem «sehr bestimmt», aber ohne Drohung oder Gewalt gesagt, er solle weggehen.

Sie habe nicht gesehen, dass dieser Mann ein Polizist war, der einen mutmasslichen Drogenhändler verhaften wollte. Diese Geschichte nahm die Richterin der Angeklagten nicht ab. Sie liess sich vor ihrem Urteil vom Zeugen auf einem Luftbild des Reitschule-Vorplatzes die damalige Situation einzeichnen. Und kam zum Schluss: «Als Sie an­kamen, hatte es dort offensichtlich vierzehn Polizisten, die zehn flüchtenden mutmasslichen Drogenhändlern nachrannten. Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie nicht mitbekommen haben, dass da eine Polizeiaktion in Gang war.»

Wenig vertrauenswürdig für die Richterin war auch die frühere Aussage der Angeklagten, dass sie den Polizisten «gar nicht oder wenn, dann nur schwach» mit den Händen berührt habe.

Für die Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie die Be­hinderung einer Amtshandlung, als sie sich ihrer Verhaftung widersetzte, legte die Richterin eine Geldstrafe von 900 Franken fest – welche die Frau allerdings nur zahlen muss, wenn sie in den nächsten drei Jahren wieder straffällig wird.

Denn die Richterin berücksichtigte, dass die Verurteilte bereits eine unbedingte Geldstrafe von 5400 Franken abzahlen muss, monatlich nur 1000 Franken verdient und keinen fixen Wohnort hat.
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/wegen-angriff-auf-polizisten-verurteilt/story/31742630)


+++POLIZEI CH
Gemeinsam gegen Serientäter: Polizeien wollen eine umfassende Datenbank anlegen
Im Kampf gegen die Kriminalität wollen die Kantonspolizeien der Nordwestschweiz gemeinsam Datenbanken sowie Lage- und Analysesysteme betreiben. Der Aargauer Regierungsrat hat dem Parlament beantragt, die entsprechende Vereinbarung der Kantone zu genehmigen.
https://www.bzbasel.ch/basel/baselbiet/gemeinsam-gegen-serientaeter-polizeien-wollen-eine-umfassende-datenbank-anlegen-135880940


+++RECHTSPOPULISMUS
Rolf Knie polarisiert mit Beitrag über «Greta Dummberg»
In einem Facebook-Post zieht der Schweizer Maler über die schwedische Aktivistin her. Die Reaktionen sind heftig.
https://www.tagesanzeiger.ch/panorama/leute/rolf-knie-empoert-mit-pinsel-geschenk-an-greta/story/10314824


+++RECHTSEXTREMISMUS
Gesetz gegen Neonazi-Konzerte im Kanton St.Gallen umstritten
Im Kanton St.Gallen soll es kein gesetzliches Verbot von Veranstaltungen mit extremistischem Hintergrund geben. Die vorberatende Kommission des Kantonsrats hat eine entsprechende Vorlage des Regierungsrates abgelehnt.
https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/gesetz-gegen-neonazi-konzerte-im-kanton-stgallen-umstritten-00122410/


Klassische Medien im Social Web: Facebook macht Platz für Breitbart
Facebook startet einen Newsfeed für Medien. Mit dabei ist das rechtsradikale Portal Breitbart News. Das entspricht der Profitlogik des Konzerns.
https://taz.de/Klassische-Medien-im-Social-Web/!5633665/


+++FUNDIS
Die Armee der Bibeltreuen
Unterschiedliche Gruppen der religiösen Rechten in den USA investieren Millionen Dollar in Europa. Eine davon sticht besonders hervor: die ADF International. Doch mit welchem Ziel?
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/armee-der-bibeltreuen-100.html


++HISTORY
Schweizer Sklavereigeschichte in der Karibik
Was ein Historiker aus einem kleinen, weissen, unschuldigen, neutralen, alpinen Binnenland, das 700 Kilometer vom nächsten Atlantikhafen entfernt ist, an einer Konferenz auf der Antilleninsel Antigua über die Wiedergutmachung der karibischen Sklaverei macht.
https://www.saiten.ch/schweizer-sklavereigeschichte-in-der-karibik/


Wo Sklaverei lange ausgeblendet wurde
Auch Schweizer Unternehmerfamilien wie die Eschers und die Guisans waren in die Sklaverei verstrickt. Was lange unter den Tisch gekehrt wurde, kommt jetzt ans Licht.
https://blog.derbund.ch/historyreloaded/index.php/4818/schweizer-heldengeschichten-mit-dunklen-flecken/


Der Zürcher Albert Mülli (1916–97) sass drei Jahre in Dachau (D): Das KZ überlebt – und dann auch noch fichiert
Albert Mülli (1916–1997) war drei Jahre lang im KZ. Das Trauma verfolgte ihn bis in den Tod. Seine Töchter erzählen – und fordern vom Bund endlich Anerkennung für ihren Vater und die Schweizer KZ-Häftlinge.
https://www.blick.ch/news/politik/der-zuercher-albert-muelli-1916-97-sass-drei-jahre-in-dachau-d-das-kz-ueberlebt-und-dann-auch-noch-fichiert-id15587327.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/die-schweizer-kz-haeftlinge-der-zuercher-albert-muelli-haeftling-in-dachau


Vor 100 Jahren verabschiedet: Prohibitionsgesetz zum „Schutz von Familie und Moral“
Das Prohibitionsgesetz in den USA war ein bemerkenswertes Sozialexperiment: die Ausnüchterung einer ganzen Gesellschaft durch ein umfassendes Alkoholverbot. Obwohl es am Ende scheiterte, hatten die Motive dahinter weitreichende Folgen für Politik, Gesellschaft und Kultur der USA. Vor 100 Jahren wurde es verabschiedet.
https://www.deutschlandfunk.de/vor-100-jahren-verabschiedet-prohibitionsgesetz-zum-schutz.871.de.html?dram:article_id=461986


+++SOZIALES
derbund.ch 28.10.2019

Abstriche bei der Behindertenhilfe

Der Kanton schraubt am Modell zur Behindertenhilfe, das sich schweizweit einen Namen gemacht hat, aber noch immer in der Pilotphase steckt. Behindertenverbände sind alarmiert.

Brigitte Walser

Es war als grosser Wurf geplant: Das Behindertenkonzept, das sich als «Berner Modell» einen Namen gemacht hat, sieht vor, dass der Kanton nicht länger Wohnheime finanziert, sondern Erwachsene mit Behinderungen direkt unterstützt. Diese können so selber entscheiden, wie und wo sie leben. 2016 wurde der Systemwechsel mit Pilotprojekten gestartet und hätte gemäss ersten Plänen inzwischen abgeschlossen sein sollen. Stattdessen hat die kantonale Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) das viel gelobte Projekt eingefroren und plant Abweichungen vom eingeschlagenen Weg. Die Behindertenverbände sind alarmiert.

Am Grundsatz des 2011 beschlossenen Systemwechsels hält die GEF zwar fest: Behinderte sollen auch dann Finanzhilfe für die Betreuung erhalten, wenn sie nicht im Heim, sondern in den eigenen vier Wänden wohnen. Doch die Direktion widerruft Umsetzungspläne, die der Grosse Rat mit einem Bericht 2016 einstimmig zur Kenntnis genommen hatte. In diesen Plänen war zum Beispiel vorgesehen, dass Angehörige, die das Zuhauseleben ermöglichen, als Assistenzpersonen anerkannt werden. Sie erhalten einen Arbeitsvertrag und Lohn. Davon weicht die GEF nun ab: Angehörige sollen nicht als Assistenzpersonen, sondern im Rahmen eines definierten Freibetrags entschädigt werden. Damit zeichnet sich ab, dass sie gegenüber dem Pilotprojekt geringer entschädigt werden.

Planungsänderungen gibt es auch bei der Abklärung: In den Pilotprojekten bestimmte eine unabhängige Stelle den individuellen Bedarf jeder behinderten Person mit einem eigens entwickelten Abklärungstool. Diesem Instrument – Vibel genannt – hat die GEF den Rücken gekehrt. Im Sommer teilte sie die Umstellung auf ein Tool mit, das auch andere Kantone verwenden. Sie will die Abklärung vereinfachen. Für Betroffene ist die richtige Einstufung zentral.

«Heimatschutz für Heime»

Behindertenverbände befürchten ausserdem, dass die Direktion Behindertenheime nicht in die unternehmerische Freiheit entlässt, sondern stattdessen Heimplätze weiterhin kontingentiert.

«Das wäre Heimatschutz für Heime, es würde unternehmerisches Handeln behindern», warnt etwa Käthi Rubin, Geschäftsführerin von Insieme Kanton Bern. Gemäss ihrem Verein, der sich für Menschen mit geistiger Behinderung einsetzt, limitieren die geplanten Änderungen die Wahlmöglichkeiten, stellen Heimeintritte in den Vordergrund und verhindern innovative Lösungen. «Die Neuausrichtung darf nicht dazu führen, dass Eltern nur die Möglichkeit bleibt, ihre erwachsenen Söhne und Töchter in eine Institution zu geben», fordert Rubin.

Auch die Kantonale Behindertenkonferenz (KBK) setzt Fragezeichen, etwa zu weiteren geplanten Kostensteuerungsmitteln oder zu Änderungen bei der Bedarfsermittlung: «Die Abklärungsstelle muss unabhängig und kompetent sein, denn mit der Abklärung steht und fällt das neue Modell», sagt Geschäftsleiterin Yvonne Brütsch. Das Gespräch mit den Betroffenen sei das Kernstück der Abklärung, darauf könne nicht verzichtet werden. Fragen gebe es auch zu den Kostenberechnungen der GEF, diese seien lückenhaft.

Die Kosten sind es, welche die GEF von den 2016 formulierten Plänen abweichen lässt. Eine Zwischenanalyse habe ergeben: Fahre man auf jenem Kurs weiter, müsste der Kanton statt bisher 250 Millionen Franken künftig 350 Millionen für die Behindertenhilfe ausgeben, teilte die GEF vor einem Jahr mit. «Diesen Kostensprung können wir nicht verantworten», sagt die zuständige Amtsvorsteherin Astrid Wüthrich.

Zwar hat sich der Grosse Rat im Vorfeld zu den Finanzen geäussert, aber lediglich festgehalten: Die Kosten für die gleiche Anzahl Bezüger darf durch den Wechsel nicht steigen. Keine Angaben machte er für den Fall, der nun eingetroffen ist: Mit dem neuen Modell steigt die Anzahl Bezüger. Deswegen sah sich die GEF zu «grundlegenden Änderungen» veranlasst. Sie rechnet nun mit Mehrkosten von rund 20 Prozent.

Die Rolle der Begleitgruppe

«Das Pilotprojekt hat zu hohe Erwartungen geweckt, zu viele Wünsche erfüllt und lässt uns fast keine Möglichkeiten, die Kosten zu steuern», sagt Peter Seiler. Der Leiter eines Beratungsbüros leitet für die GEF das Projekt Berner Modell ad interim. Weder er noch Amtsleiterin Wüthrich noch SVP-Regierungsrat und GEF-Direktor Pierre Alain Schnegg waren bei den Umsetzungsplänen 2016 im Amt. Die Pilotprojekte wurden unter dem SP-Vorgänger Philippe Perrenoud aufgegleist.

Beteiligte Organisationen kritisierten, sie würden seit einiger Zeit bei der Planung aussen vor gelassen, obwohl sie als Begleitgruppe eingesetzt worden seien. «Ein substanzieller Austausch mit dem Kanton fand kaum noch statt, wir wurden zu Informationsempfängern», sagt Brütsch von der Behindertenkonferenz. Die GEF bestätigt auch hier eine Kursänderung. «Die Verbände wurden früher zu stark einbezogen, wir haben das korrigiert», sagt Wüthrich. «Wir nehmen die Begleitgruppe ernst, aber bestimmen kann sie nicht», so Projektleiter Seiler.

Auf Basis der abgeänderten Umsetzungspläne erarbeitet die GEF nun eine Gesetzesvorlage, mit der das Berner Modell regulär eingeführt werden soll. Diese soll gemäss aktualisiertem Zeitplan nächstes Jahr in die Vernehmlassung geschickt werden.



Erfahrungen mit dem Pilotprojekt

Im «Wohnheim im Dorf» mit Standorten in Bleienbach und Langenthal wohnen und arbeiten 46 erwachsene Menschen mit einer Behinderung. Das Wohnheim wendet das Berner Modell im Rahmen des Pilotprojekts bereits seit über zwei Jahren an. Gesamtleiter Res Stuker beschreibt, was das heisst: «Alle Personen wurden neu eingestuft und bezahlen nun Rechnungen für individuell bezogene Leistungen.»

Der administrative Aufwand sei gross gewesen, erinnert sich Stuker. Der Modellwechsel liess aber Lösungen zu, die sonst nicht möglich gewesen wären. Stuker zählte im Jahresbericht 2017 drei Beispiele auf: Im Wohnheim lebt und arbeitet ein junger Mann, der ausserdem ein Atelier ausserhalb des Heims besucht, das er bisher privat finanzierte.

Die Tatsache, dass die Leistungen im Berner Modell individuell bezahlt werden, führte zu folgender Änderung: Das Wohnheim erlässt dem jungen Mann für die Zeit seiner Abwesenheit den Tarif für Arbeitsbegleitung, sodass er diesen Betrag stattdessen im Atelier ausserhalb des Heims einsetzen kann.

Ein anderer junger Mann, der tagsüber ein Atelier im Wohnheim besucht, wollte zu Hause ausziehen, fand aber keinen geeigneten Wohnplatz in einer Institution. Nun lebt er in einer betreuten Wohngemeinschaft und finanziert die Begleitung, die er dort benötigt, mit Assistenzbeiträgen, die das Berner Modell vorsieht.

Als drittes Beispiel beschreibt Stuker eine Frau, die aus dem Wohnheim aus- und in eine eigene Wohnung einzog, wo sie von Personen aus dem familiären Umfeld unterstützt wird, die Assistenzbeiträge erhalten. Der Auftrag des Heims für die Frau sei damit beendet worden, schreibt Stuker. Der Heimleiter beteiligte sich am Pilotprojekt, weil die Selbstbestimmung im heutigen System seiner Meinung nach einer Verbesserung bedarf und weil er sich Hinweise erhoffte, wie sich das Wohnheim für die Zukunft rüsten kann.

Das Heim kann das Pilotprojekt weiterführen, auch wenn das Modell nun überprüft wird und dadurch etwas Schwung verloren gegangen ist, wie der Heimleiter sagt, der auch Vorstandsmitglied der unabhängigen Abklärungsstelle ist.
(https://www.derbund.ch/bern/abstriche-beim-berner-modell-fuer-die-behindertenhilfe/story/20461253)