Medienspiegel 9. Oktober 2019

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
Obwohl die Schweiz den Kampf gegen Menschenhandel verstärkt, will sie Äthiopierin ausweisen: Kein Asyl für junge Sklavin
Die Schweiz verstärkt den Kampf gegen Menschenhandel. Dennoch gewährt sie einem mutmasslichen Opfer kein Asyl, sondern will die junge Frau nach Frankreich ausschaffen. Jetzt ist sie untergetaucht.
https://www.blick.ch/news/politik/obwohl-die-schweiz-den-kampf-gegen-menschenhandel-verstaerkt-will-sie-aethiopierin-ausweisen-kein-asyl-fuer-junge-sklavin-id15556469.html


Europarat: Die Schweiz muss von Menschenhandel betroffene Asylsuchende schützen
Der Europarat hat in einem neuen Bericht beurteilt, wie die Schweiz die Europaratskonvention gegen Menschenhandel umsetzt. Er erinnert die Schweizer Behörden an ihre Pflicht, alle anwesenden Opfer von Menschenhandel angemessen zu schützen und zu unterstützen – auch betroffene Asylsuchende. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wird aufgefordert, seine Praxis bei Dublin-Verfahren von Opfern von Menschenhandel zu überdenken.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2019/europarat-die-schweiz-muss-von-menschenhandel-betroffene-asylsuchende-schuetzen.html
-> https://www.blick.ch/news/politik/europarat-rueffelt-schweiz-schweiz-tut-zu-wenig-gegen-moderne-sklaverei-id15557998.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/opfer-von-menschenhandel-schweiz-muss-betroffene-besser-schuetzen


+++DEUTSCHLAND
“Bitte vergesst die Menschen in Libyen nicht”
Asmerom kam als Flüchtling mit Hilfe von UNHCR per Härtefallaufnahme nach Deutschland. Zuvor war er monatelang in einem der Haftlager in Libyen – die Not, die Gewalt und der Tod in dem Lager beschäftigen ihn auch in seiner neuen Heimat Hamburg noch. Jeden Tag.
https://www.unhcr.org/dach/de/34936-bitte-vergesst-die-menschen-in-libyen-nicht.html


+++SPANIEN
Push-Backs an den Außengrenzen der EU
Den Übergang Marokkos zur spanischen Enklave Melilla säumt eine kilometer¬lange, mit Stacheldraht versehene Grenz¬anlage. Drei nebeneinander liegende Zäune sollen jegliche anstrengungslose Überquerung dieser Grenze verhindern. Der äußere und innere Zaun ragt jeweils sechs Meter in die Höhe, der dazwischenliegende mittlere Zaun ist drei Meter hoch. An diesem Ort befindet sich die (neben der weiteren spanischen Enklave Ceuta an der Meerenge von Gibralta) einzige Landgrenze zwischen Afrika und Europa.
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/push-backs-den-au%C3%9Fengrenzen-der-eu


+++ITALIEN
Die Geschichte von Salifu, von der libyschen Hölle zu einer Gegenwart der Ausbeutung in Italien
„Wissen Sie, dass die Leute, die auf See sterben, viel mehr sind als diejenigen, von denen uns die Zeitungen erzählen? Weißt du, dass die Tage in Libyen die Hölle sind? Ganz zu schweigen von den Nächten. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie „man nicht lebt“. Viele von uns hoffen, dass der Tod uns holt, nur um nicht zu erleiden, was wir erlitten haben, und auch hier weiter erleiden müssen. Ich habe nicht den Mut, mir das Leben zu nehmen und ich möchte Allah nicht verärgern, der meine einzige Lebensader ist, der mir hilft, die Schwierigkeiten zu überwinden, denen ich jeden Tag begegne.“
https://www.borderlinesicilia.org/de/die-geschichte-von-salifu-von-der-libyschen-hoelle-zu-einer-gegenwart-der-ausbeutung-in-italien/


+++GRIECHENLAND
Flüchtlinge in Griechenland: Die Stimmung kippt, der Ton wird schärfer
In Griechenland kommen so viele Flüchtlinge an wie zuletzt 2016. Viele Bürger fühlen sich im Stich gelassen, auf den Ägäisinseln steigt die Wut. Premier Mitsotakis reagiert mit Härte gegen die Neuankömmlinge.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-wie-die-griechen-auf-den-fluechtlingsandrang-reagieren-a-1290515.html


+++MITTELMEER
Aktivistin über Seenotrettung: „Das Treffen war ein Fehlschlag“
Lisa Groß von der NGO Alarm Phone findet das ergebnislose Treffen der EU-Innenminister „tragisch“. Eigentlich brauche es legale Wege nach Europa.
https://taz.de/Aktivistin-ueber-Seenotrettung/!5632424/


++EUROPA
Kommentar zur EU-Flüchtlingspolitik: Mission gescheitert
Die EU-Staaten üben sich in der Flüchtlingspolitik im Nichtstun. Besonders bequem macht es sich aber Justizministerin Karin Keller-Sutter.
https://www.woz.ch/1941/kommentar-zur-eu-fluechtlingspolitik/mission-gescheitert


FRONTEX im Westbalkan
Border management: EU signs agreement with Montenegro on European Border and Coast Guard cooperation
https://ffm-online.org/frontex-im-westbalkan/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
bernerzeitung.ch 09.10.2019

Heikler Einsatz für Polizei in Zollikofen

Die Kantonspolizei kennt das frühere Betagtenheim gut, trotzdem ist die Räumung des besetzten Gebäudes anspruchsvoll. In Bern kams immer wieder zu heiklen Situationen.

Johannes Reichen

Der Regen läuft über die bunt bemalte Fassade – die Farbe hält. Und auch der Widerstand im Haus hält noch an. Seit einer Woche besetzt eine Gruppe Menschen das ehemalige Betagtenheim an der Wahlackerstrasse 5 in Zollikofen. Laut eigenen Angaben zählt das Kollektiv 150 Personen.

Sie seien mit «Energie, Zeit und Herzblut» am Werk, teilten die Besetzer mit. Es werde «geschraubt, geschrieben, gemalt, genäht, gebastelt, organisiert und kommuniziert». Und sie bekräftigten, dass sie das Haus so schnell nicht verlassen wollen.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Gemeinde bei der Berner Kantonspolizei einen Räumungsantrag gestellt hat.Dies, nachdem die Gruppe am Dienstag um 12 Uhr auch das zweite Ultimatum der Gemeinde hatte verstreichen lassen. Sie würden auch eine dritte Frist ignorieren, so die Besetzer.

Das frühere Altersheim steht seit Sommer 2018 leer. Die Gemeinde wird das Gebäude voraussichtlich Ende Jahr an die Gebäudeversicherung Bern verkaufen. Die beiden Parteien hatten vereinbart, dass das Gebäude nicht für Zwischennutzungen zur Verfügung steht. Die Besetzer aber wollen das Haus «für alle Menschen» öffnen.

Direkt an der Strasse

Gestern ist es grau und nass in Zollikofen, und es bleibt ruhig. «Für eine Räumung dieser Grössenordnung braucht es eine riesige Logistik», sagt Jürg Spori, erfahrener Polizeireporter dieser Zeitung, der schon mehrere Räumungen mitverfolgt hat. Er ist auch bei der Besetzung in Zollikofen vor Ort und verfolgt das Geschehen.

«Es beginnt beim Verkehrsdienst», sagt Spori. Der Haupteingang des zehnstöckigen Altersheims befindet sich an der Wahlackerstrasse, die zum Zeitpunkt der Räumung abgesperrt werden muss. Dort fährt auch der Bus zwischen Unterzollikofen und Hirzenfeld, er verkehrt im Viertelstundentakt. Auch der Bus müsste umgeleitet, der Verkehr geregelt werden.

Wenn die Gemeinde verlange, so Spori, dass das Gebäude mit den über hundert Räumen nicht besetzt werden dürfe, sei die Folge, dass das Gebäude eingezäunt werden müsse. Auch das sei nicht ganz einfach, insbesondere deshalb, weil das Areal hinter dem Altersheim weitläufig und überwachsen sei.

Spori erinnert an die Fabrikool-Besetzung in der Länggasse im Mai. Dort hatte der Kanton Bern eine Frist gesetzt, die Besetzer liessen dieses Ultimatum verstreichen. Nach ein paar Tagen räumte die Polizei das Gebäude. Dort hätten zuerst die Gärtner anrücken müssen, um Sträucher und Bäume zurückzuschneiden, damit das Gebäude umzäunt werden konnte.

In Bern krachte es

In solchen Fällen wie in Zollikofen kommt normalerweise auch die Sondereinheit Enzian der Kantonspolizei zum Einsatz. So wie bei der Räumung eines besetzten Gebäudes an der Effingerstrasse 29 in Bern im Februar 2017. Damals leisteten die Besetzer heftigen Widerstand.

Morgens um 8 Uhr rückte die Polizei an. Die Besetzer wehrten sich mit Feuerwerk, das sie von den Balkonen und aus Fenstern abfeuerten, und mit Sprengfallen. Erst nach mehreren Stunden war die gewalttätige Auseinandersetzung beendet. Die Polizei nahm 19 Personen fest, laut ihren Angaben wurden 15 Einsatzkräfte verletzt.

Spori hält es für gut möglich, dass die Besetzer auch in Zollikofen Widerstand leisten. Er schliesst nicht aus, dass sich ein harter anarchistischer Kern im Gebäude aufhält. Darin befinden sich aber auch Jugendliche. Überhaupt sei die Sicherheit oberstes Gebot, gerade in dem hohen Haus mit vielen Balkonen.

Für die Räumung sei also ein sehr grosses Aufgebot nötig, sagt Spori. Nicht zu vergessen: Die Einsatzkräfte müssten auch verköstigt werden. «Es weiss ja niemand, wie lange der Einsatz dauern wird.» Schliesslich müsste für die Bewachung des Geländes dann auch eine Sicherheitsfirma aufgeboten werden.

Eine letzte Chance

Die Frage ist auch, wie die Polizei bei der Räumung konkret vorgeht. «Wenn sie fair ist, gibt sie den Besetzern eine letzte Chance.» Sie könne ihnen mit einer Megafondurchsage anbieten, das Gebäude unbehelligt zu verlassen.So geschah es beispielsweise bei der Räumung eines Protestcamps von Fahrenden auf der KleinenAllmendin Bern im April 2014.

«Sie befinden sich widerrechtlich auf diesem Grundstück. Sie haben zehn Minuten Zeit, das Grundstück zu verlassen. Nach Ablauf dieser Zeit wird es polizeilich geräumt», tönte es durch einen Lautsprecher. Davon machte dort allerdings niemand Gebrauch. Die Polizei kesselte die rund 100 Personen ein, nahm die Personalien auf. An die Kinder verschenkte sie Plüschtiere.

Klar ist aber auch, dass diese mögliche letzte Chance nicht für alle Besetzer gelten müsste. Schliesslich hat die Gemeinde Zollikofen auch einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung gestellt. «Ein Strafantrag wegen Haufriedensbruchs betrifft grundsätzlich alle Personen, die sich in der Liegenschaft aufhalten», sagt dazu Polizeisprecher Christoph Gnägi.

Aber auch die Administration der Polizei sei stark gefordert, sagt Jürg Spori. Das betreffe beispielsweise auch die Warte- und Festhalteräumeim Parkhaus Neufeld, wo die angehaltenen Personen kontrolliert werden könnten. Für diese Arbeit sei viel Personal nötig.

Polizei kennt Gebäude

Zollikofens Gemeindepräsident Daniel Bichsel (SVP) betonte auch gestern: «Was nun passiert, liegt im Zuständigkeitsbereich der Polizei.» Die Kantonspolizei äusserte sich nicht zum weiteren Vorgehen und zum Zeitpunkt der bevorstehenden Räumung. Nur so viel: «Wir werden den Auftrag ausführen», so Gnägi.

Sicher ist, dass sie bestens mit dem ehemaligen Altersheim vertraut ist. In den letzten Monaten hatten Sondereinheiten im leer stehenden Gebäude verschiedene Übungen durchgeführt.



Fabrikool, Januarlöcher, Osterhasen

In den letzten Jahren kam es regelmässig zu Hausbesetzungen und Räumungen. Einige Beispiele.

Brunmattstrasse Bern: Während rund zwei Wochen besetzte eine Gruppe im Juni 2019 eine ehemalige Kaffeerösterei. Dann verlangte der Eigentümer die Räumung, was die Polizei dann auch tat.

Fabrikstrasse Bern: Das Kollektiv «Fabrikool» zog Anfang 2017 in eine alte Schreinerei in der Länggasse ein – und wollte 50 Jahre blieben. Daraus wurde nichts. Der Kanton Bern als Eigentümer fand einen Käufer – und liess das Gebäude im Mai 2019 räumen.

Bahnstrasse Bern: Im Januar 2018 richtete sich das Kollektiv «Januarlöcher» in einem Haus in Bümpliz ein. Zuerst gab sich die Stadt gesprächsbereit, doch dann drehte der Wind. Besetzer hätten Mitarbeiter der Stadt verbal bedroht, sagte Gemeinderat Michael Aebersold. Das Kollektiv entschuldigte sich später und durfte bleiben, bis das Gebäude abgebrochen wurde.

Effingerstrasse Bern: Nachdem eine Gruppe einen Wohnblock des Bundes besetzte, artete die Räumung im Februar 2017 in eine gewalttätige Auseinandersetzung aus. Nun werden sich 16 Personen vor Gericht verantworten müssen.

Talbrünnliweg Köniz: Sieben Gymnasiasten besetzten im April 2016 ein leeres Wohnhaus – für gerade mal 24 Stunden, dann räumte die Polizei das Haus. Der Hauseigentümer kannte kein Pardon, zeigte die Jungen, die sich «Autognome» nannten, an. Sie wurden wegen Hausfriedensbruchs verurteilt, aber von einer Strafe befreit.

Bernstrasse Ostermundigen: Seit 2015 besetzt das Wohn- und Künstlerkollektiv «Familie Osterhase» ein Gebäude. Im August 2015 kam es zu einer Hausdurchsuchung, worauf die Bewohner die beteiligten Polizisten anzeigten. Der Fall wurde von einem Basler Staatsanwalt untersucht, das Verfahren letztlich eingestellt. (rei)



Burgernziel: Nach der Besetzung, vor dem Baustart

Kürzlich eine Besetzung, teilweise die gleichen Akteure – und dennoch ist bei der Umnutzung des ehemaligen Tramdepots Burgernziel im Osten der Stadt Bern der aktuelle Stand ganz anders als beim früheren Betagtenheim Zollikofen. Bauherrin ist hier wie dort die Gebäudeversicherung Bern (GVB), die im Burgernziel zusammen mit der Wohnbaugenossenschaft Acht darauf wartet, im Baurecht der Stadt rund hundert Wohnungen, ein Restaurant sowie Gewerbe- und Schulräume realisieren zu können.

Im Juni hiess es bei der GVB, man sei zuversichtlich, sich mit den letzten Einsprechern bald zu einigen und Anfang September über die Baubewilligung zu verfügen. Die langjährigen Zwischennutzungen, unter anderem eine Brocante sowie das Restaurant Punto, liess man deshalb per Ende August auslaufen. Mitte September wurde das Areal mit Absperrgittern eingezäunt – offensichtlich fehlte die Baubewilligung weiterhin, virulent war dafür die Angst vor einer Besetzung.

Tatsächlich fand Ende September eine solche statt, allerdings nur ein (Party-)Wochenende lang. Wie ihre Medienstelle auf Anfrage gestern mitteilte, war die GVB damals in Kontakt mit den Besetzern und der Polizei und habe aufgrund der kurzen Dauer und der positiven Verhandlungen mit den Besetzern in die viertägige Besetzung eingewilligt.

«Wäre die Frist von den Besetzern nicht eingehalten worden, hätte die Polizei eine Räumung in die Wege geleitet», schreibt die GVB weiter. Nun scheint dem Baubeginn im Burgernziel aber tatsächlich nichts mehr im Wege zu stehen – unabhängig davon, ob für die kürzlich eingereichte Initiative, die sich gegen den Abriss des alten Tramdepots wehrt, genügend gültige Unterschriften gesammelt wurden. Man habe sich mit den Einsprechern geeinigt, hiess es gestern bei der GVB. «Wir erwarten die Baubewilligung des Regierungsstatthalters täglich.» (hae)
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/polizei-steht-vor-heiklem-einsatz/story/23087438)



bernerzeitung.ch 09.10.2019 18:13

Bisher wurde das besetzte Altersheim nicht geräumt

Zollikofen – Die zweite Frist zur freiwilligen Räumung des besetzten Altersheims ist längst verstrichen, die Besetzer sind noch immer da. Der Gemeinderat hat bei der Polizei die Räumung beantragt – bislang hat sich nichts getan.

Mathias Gottet

Update Mittwochmittag: Viele haben vermutet, dass die Polizei am frühen Morgen das ehemalige Betagtenheim in Zollikofen räumt. Bisher sind indes keine Polizisten vor Ort, wie ein Reporter berichtet. Die Besetzer stehen mit Feldstechern auf dem Dach.

Das Ultimatum ist längst verstrichen: Bis am Dienstagmittag um 12 Uhr hätten die Besetzer des ehemaligen Betagtenheims das Gebäude freiwillig räumen können. Die von der Gemeinde Zollikofen auferlegte Frist kümmert die Hausbesetzer aber wenig. Zur Mittagszeit spazierten die Mitglieder des Kollektivs um das Gebäude, ein Mann bemalte die Fassade, und der Sprecher des Kollektivs wirkte gelassen: «Die Frist spielt für uns keine Rolle. Wir bleiben hier.»

Seit letztem Donnerstagnachmittag steht das Gebäude mit über hundert Räumen unter neuer Flagge. Am Dienstag zeigte sich Zollikofens Gemeindepräsident Daniel Bichsel (SVP) nicht mehr so redselig wie noch am letzten Freitag. In den Augen der Gemeinde ist der Dialog nun vorbei. «Sich ein Gebäude zuerst illegal unter den Nagel zu reissen und dann Forderungen zu stellen, so läuft das nicht bei uns», sagte er.

Die erste Frist zur freiwilligen Räumung setzte die Gemeinde, der das ehemalige Altersheim immer noch gehört, bereits am Freitagmittag an. Die Nachfrist bis zum Dienstag sei nur «aus Anstand gewährt» worden. Dies sei nun das letzte Ultimatum. Am Dienstagnachmittag hat Bichsel bei der Polizei einen Räumungsantrag gestellt. Das weitere Vorgehen liegt nun in den Händen der Kantonspolizei.

Der Gemeindepräsident argumentiert so: Der Verkauf sei demokratisch legitimiert. Und im Vertrag mit der zukünftigen Eigentümerin, der Gebäudeversicherung Bern (GVB), sei keine Zwischennutzung vereinbart worden. Für die Schäden am Gebäude muss die Gemeinde aufkommen. Bichsel will – falls möglich – dafür aber die Hausbesetzer zur Kasse bitten. Die GVB will das Gebäude in ein Mehrgenerationenhaus umfunktionieren. Die Bauarbeiten werden frühestens im Sommer 2020 beginnen.

Gespaltene Nachbarschaft

Die Besetzer sagten, dass die neuen Entwicklungen sie nicht zu einem Rückzug be­wögen. Im Gegenteil: Das über 150-köpfige Kollektiv lädt heute Abend zu einem Jazzkonzert. «Wir schaffen in Zollikofen einen Freiraum, einen Ort zur Begegnung und füllen ein Vakuum bei der Jugend.»

Jeden Tag hängen mehr Transparente vor den Fenstern, und neue Botschaften prangen von den Fassaden. So etwa ein Graffito weit oben am Gebäude. Dort steht: «Hebet kei Angscht».

Damit wollen die Besetzer auf die teils negativen Rückmeldungen aus der Bevölkerung re­agieren. So hat sich ein dreizehnköpfiges Komitee in einem Brief gemeldet, darunter der ortsansässige Martin Köchli. «Wir sind das Sprachrohr für jene, die sonst schweigen», sagt er. Das Komitee wolle den Besetzern zeigen, dass sie in der Nachbarschaft nicht nur Freunde hätten. Ge­wisse Anwohner hätten Sorgen, denn eine Besetzung in dieser Dimension ist für das Dorf völlig ungewohnt: «Zollikofen ist keine Grossstadt», sagt Köchli.

Einige Nachbarn gewinnen der Besetzung auch positive Aspekte ab. So etwa Erica Vilela und Christine Herren. «Ich finde gut, dass das Gebäude jetzt belebt worden ist», sagt Vilela. Die Jugendlichen könnten sich die leer stehenden Wohnungen zum Teil nicht mehr leisten. Auch Herren begrüsst die Wiederbelebung des Betagtenheimes, findet es aber schade, dass die Fassade versprayt werde und die Besetzer vermummt aufträten. Trotzdem sagt sie: «Das Gebäude ist zu lange leer gestanden.»
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/gemeinde-will-das-besetzte-altersheim-raeumen-lassen/story/11311925)



bernerzeitung.ch 09.10.2019 10:30

Bisher wurde das besetzte Altersheim nicht geräumt

Zollikofen – Die zweite Frist zur freiwilligen Räumung des besetzten Altersheims ist verstrichen. Der Gemeinderat hat am Dienstag bei der Polizei die Räumung beantragt – bislang hat sich nichts getan.

Mathias Gottet

Update Mittwochmorgen: Viele haben vermutet, dass die Polizei am frühen Morgen das ehemalige Betagtenheim in Zollikofen räumt. Bisher sind indes keine Polizisten vor Ort, wie ein Reporter berichtet. Die Besetzer stehen mit Feldstechern auf dem Dach.

Dienstag, 12 Uhr. Diesen Termin stellte die Gemeinde Zollikofen den Besetzern des ehemaligen Betagtenheims zur freiwilligen Räumung. Am Mittag zeigte sich vor Ort: Von Räumungs­fristen lassen sich die Hausbesetzer nicht einschüchtern. Zur Mittagszeit spazierten die Mitglieder des Kollektivs um das Gebäude, ein Mann bemalte die Fassade, und der Sprecher des Kollektivs wirkte gelassen: «Die Frist spielt für uns keine Rolle. Wir bleiben hier.»

Seit Donnerstagnachmittag steht das Gebäude mit über hundert Räumen unter neuer Flagge. Am Dienstag zeigte sich Zollikofens Gemeindepräsident Daniel Bichsel (SVP) nicht mehr so redselig wie noch am letzten Freitag. In den Augen der Gemeinde ist der Dialog nun vorbei. «Sich ein Gebäude zuerst illegal unter den Nagel zu reissen und dann Forderungen zu stellen, so läuft das nicht bei uns», sagte er.

Die erste Frist zur freiwilligen Räumung setzte die Gemeinde, der das ehemalige Altersheim immer noch gehört, bereits am Freitagmittag an. Die Nachfrist bis zum Dienstag sei nur «aus Anstand gewährt» worden. Dies sei nun das letzte Ultimatum. Am Dienstagnachmittag hat Bichsel bei der Polizei einen Räumungsantrag gestellt. Das weitere Vorgehen liegt nun in den Händen der Kantonspolizei.

Der Gemeindepräsident argumentiert so: Der Verkauf sei demokratisch legitimiert. Und im Vertrag mit der zukünftigen Eigentümerin, der Gebäudeversicherung Bern (GVB), sei keine Zwischennutzung vereinbart worden. Für die Schäden am Gebäude muss die Gemeinde aufkommen. Bichsel will – falls möglich – dafür aber die Hausbesetzer zur Kasse bitten. Die GVB will das Gebäude in ein Mehrgenerationenhaus umfunktionieren. Die Bauarbeiten werden frühestens im Sommer 2020 beginnen.

Gespaltene Nachbarschaft

Die Besetzer sagten, dass die neuen Entwicklungen sie nicht zu einem Rückzug be­wögen. Im Gegenteil: Das über 150-köpfige Kollektiv lädt heute Abend zu einem Jazzkonzert. «Wir schaffen in Zollikofen einen Freiraum, einen Ort zur Begegnung und füllen ein Vakuum bei der Jugend.»

Jeden Tag hängen mehr Transparente vor den Fenstern, und neue Botschaften prangen von den Fassaden. So etwa ein Graffito weit oben am Gebäude. Dort steht: «Hebet kei Angscht».

Damit wollen die Besetzer auf die teils negativen Rückmeldungen aus der Bevölkerung re­agieren. So hat sich ein dreizehnköpfiges Komitee in einem Brief gemeldet, darunter der ortsansässige Martin Köchli. «Wir sind das Sprachrohr für jene, die sonst schweigen», sagt er. Das Komitee wolle den Besetzern zeigen, dass sie in der Nachbarschaft nicht nur Freunde hätten. Ge­wisse Anwohner hätten Sorgen, denn eine Besetzung in dieser Dimension ist für das Dorf völlig ungewohnt: «Zollikofen ist keine Grossstadt», sagt Köchli.

Einige Nachbarn gewinnen der Besetzung auch positive Aspekte ab. So etwa Erica Vilela und Christine Herren. «Ich finde gut, dass das Gebäude jetzt belebt worden ist», sagt Vilela. Die Jugendlichen könnten sich die leer stehenden Wohnungen zum Teil nicht mehr leisten. Auch Herren begrüsst die Wiederbelebung des Betagtenheimes, findet es aber schade, dass die Fassade versprayt werde und die Besetzer vermummt aufträten. Trotzdem sagt sie: «Das Gebäude ist zu lange leer gestanden.»
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/gemeinde-will-das-besetzte-altersheim-raeumen-lassen/story/11311925)



Zollikofen droht mit Räumung – Hausbesetzer lassen Ultimatum verstreichen – wieder
Die Gemeinde Zollikofen droht den rund 100 Besetzern im früheren Betagtenheim mit der Räumung. Doch die wollen bleiben.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/zollikofen-droht-mit-raeumung-hausbesetzer-lassen-ultimatum-verstreichen-wieder


Medienmitteilung Besetzung Zollikofen
Dienstag 12:00 ist vorbei und wir sind immer noch und wir bleiben auch weiterhin da!
Jeden Tag kommen mehr Menschen dazu. Die zweite Frist ist abgelaufen und auch die dritte wird es!
https://barrikade.info/article/2703



Medienmitteilung AL Bern zum Räumungsentscheid der Gemeinde Zollikofen – Leerstand ist kein Zustand!

Die Alternative Linke Bern ist befremdet von der Entscheidung des Gemeinderates in Zollikofen, dass die Besetzung im ehemaligen Altersheim nicht geduldet wird. Dem Kollektiv wird so die Möglichkeit genommen, ihre Ideen für eine Belebung und die Öffnung des leerstehenden Gebäudes für und mit dem Quartier umzusetzen. Durch die starre Haltung des Gemeinderates wird ein leerer, unbelebter, grauer Block einer sinnvollen Nutzung entzogen.
Für uns ist klar, dass Räumungen auf Vorrat, ohne vorliegenden Umzonungsentscheid, ohne unmittelbare Neunutzung von der Kantonspolizei nicht durchgeführt werden sollen.
Die AL Bern fordert, dass die Kantonspolizei keinen Räumungsbefehlen nachkommt, wenn keine rechtskräftige Abbruchbewilligung/Baubewilligung vorliegt und die Bauarbeiten nicht unmittelbar bevorstehen, wenn keine Neunutzung der Liegenschaft unmittelbar ansteht.
In Zollikofen wird das Gebäude im Falle einer Räumung wohl noch mehr als ein Jahr leer stehen.
Weiter ist die AL Bern der Ansicht, dass der Kanton die notwendigen Richtlinien erarbeiten soll, um auch in Zukunft Räumungen auf Vorrat, wie sie nun in Zollikofen geplant, zu unterbinden: Leerstand ist kein Zustand.
Die AL Bern solidarisiert sich mit den Anliegen der Besetzer*innen des Altersheims und bedankt sich vor diesem Hintergrund bei allen, die sich unermüdlich für eine Belebung von leerstehenden Gebäuden, gegen die Kriminalisierung alternativer (Wohn-)Projekte und für Freiräume sowie die Belebung der Quartiere in den Gemeinden einsetzen.
(https://www.facebook.com/alternativelinkebern/posts/2539059989488875)


+++ANTIRA
Biologisierter Antirassismus. Wie DNA-Ethnizitätstests ein falsches Verständnis des modernen Rassismus (re)produzieren
Gentests, die Einblicke in die ethnische Abstammung versprechen, sind nicht nur ein erfolgreiches Geschäftsmodell geworden. Sie gelten zunehmend auch als argumentatives Rüstzeug gegen Rassismus. Anstatt jedoch Vorstellungen natürlicher Unterarten des Menschen aus der Welt zu schaffen, schreiben Ethnizitätstests diese fest.
https://geschichtedergegenwart.ch/biologisierter-antirassismus-wie-dna-ethnizitaetstests-ein-falsches-verstaendnis-des-modernen-rassismus-reproduzieren/


+++BIG BROTHER
Informationssysteme verknüpfen: Beitrag zur Sicherheit und zur Steuerung der Migration
Die Polizei und die Migrationsbehörden können europaweit auf zahlreiche Informationssysteme zugreifen. Noch muss aber jedes dieser Systeme separat abgefragt werden. Das führt zu einem Zeit- und Effizienzverlust. Künftig wird es dank einer IT-Lösung (Interoperabilität) möglich sein, durch eine einzige Anfrage alle Systeme abzufragen. Für die Behörden wird es leichter, Personen zu identifizieren, die eine Bedrohung für die Sicherheit darstellen oder falsche Angaben zu ihrer Identität machen. Dies trägt zur Bekämpfung von Schwerstkriminalität und Terrorismus bei, verbessert die Migrationssteuerung und verstärkt die Sicherheit im Schengen-Raum. Anlässlich seiner Sitzung vom 9. Oktober 2019 hat der Bundesrat einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Interoperabilität in die Vernehmlassung geschickt.
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2019/2019-10-09.html
-> https://www.nzz.ch/schweiz/kriminelle-besser-entdecken-dank-vernetzung-von-eu-und-schweizer-informationssystemen-ld.1514334


+++RECHTSEXTREM
Ein Jahr nach dem ersten NSU-Prozess
Der Nationalsozialistische Untergrund – kurz NSU – war eine rechtsextreme terroristische Gruppe in Deutschland, die zahlreiche rassistische Morde und Anschläge verübt hat. Etwas mehr als ein Jahr nach dem Ende des 1. NSU-Prozesses in München wollen wir schauen, was seitdem geschehen ist.
https://polyphon-rabe.ch/wp/nsu/?fbclid=IwAR1QJ22nOuEKLkeprKd7HovFQw72OGi2EBsITtD1MtUbwThVN9fJ8DSHp6g


+++HISTORY
tagesanzeiger.ch 09.10.2019

Sie kann nicht aufhören zu kämpfen

Andrea Stauffacher wird eines Anschlags verdächtigt. Wer ist die 69-Jährige, die seit rund 50 Jahren den Kommunismus propagiert?

Martin Sturzenegger, Corsin Zander

Die Zürcher Marxisten der 1980er-Jahre sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen: etablierte Politikerinnen, Anwälte, die gern schnelle Autos fahren, oder Pensionierte, die in teuren Häusern am Zürichberg wohnen.

Andrea Stauffacher ist die Ausnahme. Sie ist fast täglich im Chräis Chäib anzutreffen. An der Langstrasse grüssen Jugendliche die Mitgründerin des Revolutionären Aufbaus. Restaurantbesitzerinnen fragen sie um Rat. Selbst bei der Polizei, ihrem unmittelbaren Feind, wo manche sie nur «die Hexe» nennen, gibt es Beamte, die ihr Respekt zollen. «Diese Frau hat einen steinigen Weg gewählt, und sie geht ihn konsequent», wird der langjährige Zürcher Polizist Willy Schaffner in einem Buch über sein Leben zitiert. Jeden Tag lebt die 69-Jährige für die Revolution. Für Kommunismus statt Kapitalismus und liberale Demokratie.

Nun sind die ikonisch anmutenden Bilder von Stauffacher mit dem Megafon in der Hand wieder in den Medien. Seit fast einem halben Jahrhundert propagiert sie ihre Anliegen in Zürich – auch gerne mit illegalen Mitteln. In den Fokus geriet sie diese Woche wegen einer Böller-Attacke auf das türkische Konsulat im Februar 2017. Die Ermittler fanden eine DNA-Spur auf einem Holzstab, der fürs Abfeuern von Feuerwerk benötigt wird – die Spur führte zu Stauffacher. Ob das reicht für ein Verfahren? Nein, meinte die Bundesanwaltschaft, welche die Ermittlungen wegen mangelnder Erfolgsaussichten einstellen wollte. Ja, meint nun das Bundesstrafgericht in einem aktuellen Urteil.

Inspiration im Knast

Wer mehr über die Person Stauffacher erfahren will, beisst in ihrem Umfeld auf Granit. Ihre Mitstreiter, jetzige und ehemalige, lehnen es kategorisch ab, über sie zu sprechen. Auch Stauffacher will sich nicht äussern. Sie weilt gerade im Ausland. Per Kurznachricht teilt sie mit, sie habe dem «Tages-Anzeiger» zurzeit nichts zu sagen. Auch sonst spricht sie nicht gern über Privates. «Das interessiert mich nicht. Das Einzige, was mich interessiert, ist der revolutionäre Prozess und der politische Kampf, den ich führe.»

Von Altersmilde ist bei ihr nichts zu spüren. Sie bewegt sich bei Demonstrationen immer noch mitten im Pulk, teilweise an vorderster Front. Wie etwa beim Frauenstreik im Juni, als sie auf dem Central ein letztes Tram durchwinkte, bevor der Platz von Aktivistinnen abgesperrt und besetzt wurde. Stauffacher selbst sagt stets, sie sei keine Anführerin, sondern Teil einer Bewegung.

Wenn Stauffacher nun nochmals verurteilt würde, hätte dies kaum Einfluss auf ihr Verhalten. Im Gegenteil. Nach ihrem letzten Aufenthalt im Gefängnis in Winterthur schilderte sie 2014 ihre Eindrücke in einem seltenen Interview mit dem Schweizer Radio SRF. Die Zeit habe sie inspiriert: «Ich fühlte mich am Puls des Lebens.» Im Knast fänden alle gesellschaftlichen Brennpunkte auf engem Raum zusammen. «Es war ein Konzentrat, in das ich eintauchen konnte.» Stauffacher fühlte sich dadurch in ihrer Berufung als unerschrockene Kämpferin im Klassenkampf bestätigt. Im Gefängnis habe sie zwar brav ihr Ämtlein in der Wäscherei erfüllt, sei aber aufgrund «der politischen Gefangenschaft» auch in einen Hungerstreik getreten.

Stauffacher fühlt sich oft missverstanden – in erster Linie vom medialen Boulevard des «Blicks», der sie als «Krawall-Grosi» betitelt. Ständig heisse es nur, sie und der Revolutionäre Aufbau seien die Anführer des Krawalls. Doch über politische Inhalte werde nichts geschrieben, sagte Stauffacher 2007 in einem Interview mit der WOZ.

Stauffacher verfolgt seit Jahrzehnten das gleiche marxistisch-leninistische Programm, das den Kapitalismus zugunsten einer kommunistischen Weltordnung abschaffen will. Wenn Stauffacher in Fahrt kommt, dann spricht sie von «Chancenungleichheit» und «unterdrückter Arbeiterschaft». Von Menschen, die viel krüppeln, aber nichts zu sagen haben, von «Mietpreiswucher» und «Gentrifizierung», vom Kapitalismus, der heute nichts mehr zu bieten habe ausser Krieg und Verelendung. Manche Positionen Stauffachers könnten auch von einer radikal denkenden Sozialdemokratin stammen. Mit dem Unterschied, dass Letztere in ihrem politischen Kampf nie das Gesetz brechen würde. Stauffacher will die Revolution. Für die Erreichung dieses Ziels ist sie bereit, Gewalt auszuüben. Sie nennt es Militanz.

Radikalisierung in Italien

Dabei begann auch Stauffachers Leben im Bürgertum. Als Tochter einer wohlhabenden Familie wuchs sie in den 1950er-Jahren im Zürcher Niederdorf auf, wo ihr Vater als Theaterverleger arbeitete. Politische Aktivisten und die Bohème gingen bei der Familie ein und aus.

Als Stauffacher zwölf Jahre alt war, zog die Familie nach Rom. Mit 14 kam sie mit dem italienischen Arbeiteraufstand in Kontakt. Diese Zeit empfand sie als grosses Glück. Sie habe erleben dürfen, wie eine Bewegung von unten entstanden sei, sagte sie im Radiointerview. In Rom soll Stauffacher zudem Kontakte zur Roten Brigade geknüpft haben. Ihre Kontakte zu politisch Gleichgesinnten in Italien sollen bis heute anhalten, schrieb einst die NZZ.

Stauffacher war Anfang 20, als sie in die Schweiz zurückkehrte und sich zur Sozialpädagogin ausbilden liess. Sie habe jedoch nie als solche gearbeitet – wegen ihrer politischen Gesinnung: «Lieber gehe ich putzen, statt den Staat von innen herzu unterstützen», sagte sie im SRF-Interview. Sie lebe sehr bescheiden. Das zeigt auch ihr aktueller Steuerauszug: Sie versteuerte 2017 ein Einkommen von 44 200Franken. Ihre letzte Wohnadresse lautet auf eine Wohnung im Kreis 4. Ihre mutmassliche Mitbewohnerin – eine selbstständige Psychiaterin – will das Zusammenleben weder bestätigen noch dementieren. Sie verrät nur so viel: «Wir sind sehr eng befreundet.»

Stauffacher möchte das bürgerliche System bekämpfen. Dennoch nimmt auch sie, zumindest sporadisch, daran teil. In den vergangenen Jahrzehnten hatte sie immer wieder ganz bürgerliche Jobs. Bei Ringier arbeitete sie zu Beginn der 1990er-Jahre in der Dokumentation: Kopieren, Scannen, Akten wälzen. Der Verlag kündigte ihr jedoch 1994. Der Grund: Eine unbedingte viermonatige Gefängnisstrafe, die sie damals antreten musste. 2014, nach ihrem letzten Gefängnisaufenthalt, war Stauffacher auf Stellensuche. Sie verkündete öffentlich, dass sie Arbeit als Putzkraft oder Scannerin suche.

In Anwaltskanzlei tätig

Ein Job war besonders prägend für ihren Werdegang: In den 1980er-Jahren arbeitete sie als Assistentin in der Kanzlei von Bernard Rambert. Mit dem Anwalt verbindet Stauffacher eine jahrelange, enge politische Zusammenarbeit. Gemeinsam engagierten sie sich etwa für die Ziele des Komitees gegen Isolationshaft. Die Organisation setzte sich für menschenwürdige Haftbedingungen für Personen ein, die sie als politische Gefangene einstufte. Rambert vertrat drei Mitglieder der deutschen linksterroristischen Vereinigung Rote Armee Fraktion, die in der Schweiz inhaftiert waren.

In der Anwaltskanzlei engagierte sich damals auch Stauffachers späterer Ehemann. Er, Stauffacher und Rambert waren 1992 Gründungsmitglieder des Revolutionären Aufbaus.

Seit den späten 1990er-Jahren arbeitet ihr damaliger Partner als Immobilienunternehmer. Der Ex-Kommunist verkauft unter anderem luxuriöse Häuser mit Minergie-Standard. Während er und Rambert nicht mehr öffentlich mit dem Revolutionären Aufbau in Verbindung gebracht werden wollen, kämpft «Andi», wie Stauffacher von Freunden genannt wird, auf der Strasse weiter.



Die Wiederholungstäterin

Andrea Stauffacher hat ein umfangreiches Vorstrafenregister. Wie lang es genau ist, lässt sich schwierig rekonstruieren. Gesichert ist, dass sie in den vergangenen 25 Jahren zu mindestens fünf unbedingten Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Mehrfach sass sie in Untersuchungshaft, teilweise auch nur einzelne Tage. Zuletzt verbüsste die heute 69-Jährige eine 17-monatige Freiheitsstrafe. Das Bundesstrafgericht hatte sie 2012 wegen Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht und Sachbeschädigung verurteilt. Es ging um Attacken auf das spanische Konsulat im Jahr 2002 und auf ein Polizeigebäude in Zürich 2006. Vergeblich zog Stauffacher das Urteil bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weiter. Im Frühling 2014 wurde sie nach elf Monaten frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Bei allen anderen Urteilen in den Jahren 1994, 1999, 2003 und 2005 ging es um Landfriedensbruch – zum Teil in Kombination mit anderen Straftatbeständen wie etwa geringfügigen Sachbeschädigungen. Verurteilt wurde Andrea Stauffacher jeweils zu unbedingten Freiheitsstrafen von zwei bis acht Monaten. Personen wurden, soweit bekannt, nicht verletzt bei den Aktionen, die ihr zur Last gelegt wurden. (mrs/zac)
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/sie-kann-nicht-aufhoeren-zu-kaempfen/story/31836618)