Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++SCHWEIZ
Obwohl die Schweiz den Kampf gegen Menschenhandel verstärkt, will sie Äthiopierin ausweisen: Kein Asyl für junge Sklavin
Die Schweiz verstärkt den Kampf gegen Menschenhandel. Dennoch gewährt
sie einem mutmasslichen Opfer kein Asyl, sondern will die junge Frau
nach Frankreich ausschaffen. Jetzt ist sie untergetaucht.
https://www.blick.ch/news/politik/obwohl-die-schweiz-den-kampf-gegen-menschenhandel-verstaerkt-will-sie-aethiopierin-ausweisen-kein-asyl-fuer-junge-sklavin-id15556469.html
Europarat: Die Schweiz muss von Menschenhandel betroffene Asylsuchende schützen
Der Europarat hat in einem neuen Bericht beurteilt, wie die Schweiz die
Europaratskonvention gegen Menschenhandel umsetzt. Er erinnert die
Schweizer Behörden an ihre Pflicht, alle anwesenden Opfer von
Menschenhandel angemessen zu schützen und zu unterstützen – auch
betroffene Asylsuchende. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wird
aufgefordert, seine Praxis bei Dublin-Verfahren von Opfern von
Menschenhandel zu überdenken.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2019/europarat-die-schweiz-muss-von-menschenhandel-betroffene-asylsuchende-schuetzen.html
-> https://www.blick.ch/news/politik/europarat-rueffelt-schweiz-schweiz-tut-zu-wenig-gegen-moderne-sklaverei-id15557998.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/opfer-von-menschenhandel-schweiz-muss-betroffene-besser-schuetzen
+++DEUTSCHLAND
“Bitte vergesst die Menschen in Libyen nicht”
Asmerom kam als Flüchtling mit Hilfe von UNHCR per Härtefallaufnahme
nach Deutschland. Zuvor war er monatelang in einem der Haftlager in
Libyen – die Not, die Gewalt und der Tod in dem Lager beschäftigen ihn
auch in seiner neuen Heimat Hamburg noch. Jeden Tag.
https://www.unhcr.org/dach/de/34936-bitte-vergesst-die-menschen-in-libyen-nicht.html
+++SPANIEN
Push-Backs an den Außengrenzen der EU
Den Übergang Marokkos zur spanischen Enklave Melilla säumt eine
kilometer¬lange, mit Stacheldraht versehene Grenz¬anlage. Drei
nebeneinander liegende Zäune sollen jegliche anstrengungslose
Überquerung dieser Grenze verhindern. Der äußere und innere Zaun ragt
jeweils sechs Meter in die Höhe, der dazwischenliegende mittlere Zaun
ist drei Meter hoch. An diesem Ort befindet sich die (neben der weiteren
spanischen Enklave Ceuta an der Meerenge von Gibralta) einzige
Landgrenze zwischen Afrika und Europa.
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/push-backs-den-au%C3%9Fengrenzen-der-eu
+++ITALIEN
Die Geschichte von Salifu, von der libyschen Hölle zu einer Gegenwart der Ausbeutung in Italien
„Wissen Sie, dass die Leute, die auf See sterben, viel mehr sind als
diejenigen, von denen uns die Zeitungen erzählen? Weißt du, dass die
Tage in Libyen die Hölle sind? Ganz zu schweigen von den Nächten. Und du
kannst dir nicht vorstellen, wie „man nicht lebt“. Viele von uns
hoffen, dass der Tod uns holt, nur um nicht zu erleiden, was wir
erlitten haben, und auch hier weiter erleiden müssen. Ich habe nicht den
Mut, mir das Leben zu nehmen und ich möchte Allah nicht verärgern, der
meine einzige Lebensader ist, der mir hilft, die Schwierigkeiten zu
überwinden, denen ich jeden Tag begegne.“
https://www.borderlinesicilia.org/de/die-geschichte-von-salifu-von-der-libyschen-hoelle-zu-einer-gegenwart-der-ausbeutung-in-italien/
+++GRIECHENLAND
Flüchtlinge in Griechenland: Die Stimmung kippt, der Ton wird schärfer
In Griechenland kommen so viele Flüchtlinge an wie zuletzt 2016. Viele
Bürger fühlen sich im Stich gelassen, auf den Ägäisinseln steigt die
Wut. Premier Mitsotakis reagiert mit Härte gegen die Neuankömmlinge.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-wie-die-griechen-auf-den-fluechtlingsandrang-reagieren-a-1290515.html
+++MITTELMEER
Aktivistin über Seenotrettung: „Das Treffen war ein Fehlschlag“
Lisa Groß von der NGO Alarm Phone findet das ergebnislose Treffen der
EU-Innenminister „tragisch“. Eigentlich brauche es legale Wege nach
Europa.
https://taz.de/Aktivistin-ueber-Seenotrettung/!5632424/
++EUROPA
Kommentar zur EU-Flüchtlingspolitik: Mission gescheitert
Die EU-Staaten üben sich in der Flüchtlingspolitik im Nichtstun.
Besonders bequem macht es sich aber Justizministerin Karin
Keller-Sutter.
https://www.woz.ch/1941/kommentar-zur-eu-fluechtlingspolitik/mission-gescheitert
FRONTEX im Westbalkan
Border management: EU signs agreement with Montenegro on European Border and Coast Guard cooperation
https://ffm-online.org/frontex-im-westbalkan/
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
bernerzeitung.ch 09.10.2019
Heikler Einsatz für Polizei in Zollikofen
Die Kantonspolizei kennt das frühere Betagtenheim gut, trotzdem ist die
Räumung des besetzten Gebäudes anspruchsvoll. In Bern kams immer wieder
zu heiklen Situationen.
Johannes Reichen
Der Regen läuft über die bunt bemalte Fassade – die Farbe hält. Und auch
der Widerstand im Haus hält noch an. Seit einer Woche besetzt eine
Gruppe Menschen das ehemalige Betagtenheim an der Wahlackerstrasse 5 in
Zollikofen. Laut eigenen Angaben zählt das Kollektiv 150 Personen.
Sie seien mit «Energie, Zeit und Herzblut» am Werk, teilten die Besetzer
mit. Es werde «geschraubt, geschrieben, gemalt, genäht, gebastelt,
organisiert und kommuniziert». Und sie bekräftigten, dass sie das Haus
so schnell nicht verlassen wollen.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Gemeinde bei der Berner
Kantonspolizei einen Räumungsantrag gestellt hat.Dies, nachdem die
Gruppe am Dienstag um 12 Uhr auch das zweite Ultimatum der Gemeinde
hatte verstreichen lassen. Sie würden auch eine dritte Frist ignorieren,
so die Besetzer.
Das frühere Altersheim steht seit Sommer 2018 leer. Die Gemeinde wird
das Gebäude voraussichtlich Ende Jahr an die Gebäudeversicherung Bern
verkaufen. Die beiden Parteien hatten vereinbart, dass das Gebäude nicht
für Zwischennutzungen zur Verfügung steht. Die Besetzer aber wollen das
Haus «für alle Menschen» öffnen.
Direkt an der Strasse
Gestern ist es grau und nass in Zollikofen, und es bleibt ruhig. «Für
eine Räumung dieser Grössenordnung braucht es eine riesige Logistik»,
sagt Jürg Spori, erfahrener Polizeireporter dieser Zeitung, der schon
mehrere Räumungen mitverfolgt hat. Er ist auch bei der Besetzung in
Zollikofen vor Ort und verfolgt das Geschehen.
«Es beginnt beim Verkehrsdienst», sagt Spori. Der Haupteingang des
zehnstöckigen Altersheims befindet sich an der Wahlackerstrasse, die zum
Zeitpunkt der Räumung abgesperrt werden muss. Dort fährt auch der Bus
zwischen Unterzollikofen und Hirzenfeld, er verkehrt im
Viertelstundentakt. Auch der Bus müsste umgeleitet, der Verkehr geregelt
werden.
Wenn die Gemeinde verlange, so Spori, dass das Gebäude mit den über
hundert Räumen nicht besetzt werden dürfe, sei die Folge, dass das
Gebäude eingezäunt werden müsse. Auch das sei nicht ganz einfach,
insbesondere deshalb, weil das Areal hinter dem Altersheim weitläufig
und überwachsen sei.
Spori erinnert an die Fabrikool-Besetzung in der Länggasse im Mai. Dort
hatte der Kanton Bern eine Frist gesetzt, die Besetzer liessen dieses
Ultimatum verstreichen. Nach ein paar Tagen räumte die Polizei das
Gebäude. Dort hätten zuerst die Gärtner anrücken müssen, um Sträucher
und Bäume zurückzuschneiden, damit das Gebäude umzäunt werden konnte.
In Bern krachte es
In solchen Fällen wie in Zollikofen kommt normalerweise auch die
Sondereinheit Enzian der Kantonspolizei zum Einsatz. So wie bei der
Räumung eines besetzten Gebäudes an der Effingerstrasse 29 in Bern im
Februar 2017. Damals leisteten die Besetzer heftigen Widerstand.
Morgens um 8 Uhr rückte die Polizei an. Die Besetzer wehrten sich mit
Feuerwerk, das sie von den Balkonen und aus Fenstern abfeuerten, und mit
Sprengfallen. Erst nach mehreren Stunden war die gewalttätige
Auseinandersetzung beendet. Die Polizei nahm 19 Personen fest, laut
ihren Angaben wurden 15 Einsatzkräfte verletzt.
Spori hält es für gut möglich, dass die Besetzer auch in Zollikofen
Widerstand leisten. Er schliesst nicht aus, dass sich ein harter
anarchistischer Kern im Gebäude aufhält. Darin befinden sich aber auch
Jugendliche. Überhaupt sei die Sicherheit oberstes Gebot, gerade in dem
hohen Haus mit vielen Balkonen.
Für die Räumung sei also ein sehr grosses Aufgebot nötig, sagt Spori.
Nicht zu vergessen: Die Einsatzkräfte müssten auch verköstigt werden.
«Es weiss ja niemand, wie lange der Einsatz dauern wird.» Schliesslich
müsste für die Bewachung des Geländes dann auch eine Sicherheitsfirma
aufgeboten werden.
Eine letzte Chance
Die Frage ist auch, wie die Polizei bei der Räumung konkret vorgeht.
«Wenn sie fair ist, gibt sie den Besetzern eine letzte Chance.» Sie
könne ihnen mit einer Megafondurchsage anbieten, das Gebäude unbehelligt
zu verlassen.So geschah es beispielsweise bei der Räumung eines
Protestcamps von Fahrenden auf der KleinenAllmendin Bern im April 2014.
«Sie befinden sich widerrechtlich auf diesem Grundstück. Sie haben zehn
Minuten Zeit, das Grundstück zu verlassen. Nach Ablauf dieser Zeit wird
es polizeilich geräumt», tönte es durch einen Lautsprecher. Davon machte
dort allerdings niemand Gebrauch. Die Polizei kesselte die rund 100
Personen ein, nahm die Personalien auf. An die Kinder verschenkte sie
Plüschtiere.
Klar ist aber auch, dass diese mögliche letzte Chance nicht für alle
Besetzer gelten müsste. Schliesslich hat die Gemeinde Zollikofen auch
einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung gestellt.
«Ein Strafantrag wegen Haufriedensbruchs betrifft grundsätzlich alle
Personen, die sich in der Liegenschaft aufhalten», sagt dazu
Polizeisprecher Christoph Gnägi.
Aber auch die Administration der Polizei sei stark gefordert, sagt Jürg
Spori. Das betreffe beispielsweise auch die Warte- und Festhalteräumeim
Parkhaus Neufeld, wo die angehaltenen Personen kontrolliert werden
könnten. Für diese Arbeit sei viel Personal nötig.
Polizei kennt Gebäude
Zollikofens Gemeindepräsident Daniel Bichsel (SVP) betonte auch gestern:
«Was nun passiert, liegt im Zuständigkeitsbereich der Polizei.» Die
Kantonspolizei äusserte sich nicht zum weiteren Vorgehen und zum
Zeitpunkt der bevorstehenden Räumung. Nur so viel: «Wir werden den
Auftrag ausführen», so Gnägi.
Sicher ist, dass sie bestens mit dem ehemaligen Altersheim vertraut ist.
In den letzten Monaten hatten Sondereinheiten im leer stehenden Gebäude
verschiedene Übungen durchgeführt.
–
Fabrikool, Januarlöcher, Osterhasen
In den letzten Jahren kam es regelmässig zu Hausbesetzungen und Räumungen. Einige Beispiele.
Brunmattstrasse Bern: Während rund zwei Wochen besetzte eine Gruppe im
Juni 2019 eine ehemalige Kaffeerösterei. Dann verlangte der Eigentümer
die Räumung, was die Polizei dann auch tat.
Fabrikstrasse Bern: Das Kollektiv «Fabrikool» zog Anfang 2017 in eine
alte Schreinerei in der Länggasse ein – und wollte 50 Jahre blieben.
Daraus wurde nichts. Der Kanton Bern als Eigentümer fand einen Käufer –
und liess das Gebäude im Mai 2019 räumen.
Bahnstrasse Bern: Im Januar 2018 richtete sich das Kollektiv
«Januarlöcher» in einem Haus in Bümpliz ein. Zuerst gab sich die Stadt
gesprächsbereit, doch dann drehte der Wind. Besetzer hätten Mitarbeiter
der Stadt verbal bedroht, sagte Gemeinderat Michael Aebersold. Das
Kollektiv entschuldigte sich später und durfte bleiben, bis das Gebäude
abgebrochen wurde.
Effingerstrasse Bern: Nachdem eine Gruppe einen Wohnblock des Bundes
besetzte, artete die Räumung im Februar 2017 in eine gewalttätige
Auseinandersetzung aus. Nun werden sich 16 Personen vor Gericht
verantworten müssen.
Talbrünnliweg Köniz: Sieben Gymnasiasten besetzten im April 2016 ein
leeres Wohnhaus – für gerade mal 24 Stunden, dann räumte die Polizei das
Haus. Der Hauseigentümer kannte kein Pardon, zeigte die Jungen, die
sich «Autognome» nannten, an. Sie wurden wegen Hausfriedensbruchs
verurteilt, aber von einer Strafe befreit.
Bernstrasse Ostermundigen: Seit 2015 besetzt das Wohn- und
Künstlerkollektiv «Familie Osterhase» ein Gebäude. Im August 2015 kam es
zu einer Hausdurchsuchung, worauf die Bewohner die beteiligten
Polizisten anzeigten. Der Fall wurde von einem Basler Staatsanwalt
untersucht, das Verfahren letztlich eingestellt. (rei)
–
Burgernziel: Nach der Besetzung, vor dem Baustart
Kürzlich eine Besetzung, teilweise die gleichen Akteure – und dennoch
ist bei der Umnutzung des ehemaligen Tramdepots Burgernziel im Osten der
Stadt Bern der aktuelle Stand ganz anders als beim früheren
Betagtenheim Zollikofen. Bauherrin ist hier wie dort die
Gebäudeversicherung Bern (GVB), die im Burgernziel zusammen mit der
Wohnbaugenossenschaft Acht darauf wartet, im Baurecht der Stadt rund
hundert Wohnungen, ein Restaurant sowie Gewerbe- und Schulräume
realisieren zu können.
Im Juni hiess es bei der GVB, man sei zuversichtlich, sich mit den
letzten Einsprechern bald zu einigen und Anfang September über die
Baubewilligung zu verfügen. Die langjährigen Zwischennutzungen, unter
anderem eine Brocante sowie das Restaurant Punto, liess man deshalb per
Ende August auslaufen. Mitte September wurde das Areal mit
Absperrgittern eingezäunt – offensichtlich fehlte die Baubewilligung
weiterhin, virulent war dafür die Angst vor einer Besetzung.
Tatsächlich fand Ende September eine solche statt, allerdings nur ein
(Party-)Wochenende lang. Wie ihre Medienstelle auf Anfrage gestern
mitteilte, war die GVB damals in Kontakt mit den Besetzern und der
Polizei und habe aufgrund der kurzen Dauer und der positiven
Verhandlungen mit den Besetzern in die viertägige Besetzung
eingewilligt.
«Wäre die Frist von den Besetzern nicht eingehalten worden, hätte die
Polizei eine Räumung in die Wege geleitet», schreibt die GVB weiter. Nun
scheint dem Baubeginn im Burgernziel aber tatsächlich nichts mehr im
Wege zu stehen – unabhängig davon, ob für die kürzlich eingereichte
Initiative, die sich gegen den Abriss des alten Tramdepots wehrt,
genügend gültige Unterschriften gesammelt wurden. Man habe sich mit den
Einsprechern geeinigt, hiess es gestern bei der GVB. «Wir erwarten die
Baubewilligung des Regierungsstatthalters täglich.» (hae)
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/polizei-steht-vor-heiklem-einsatz/story/23087438)
—
bernerzeitung.ch 09.10.2019 18:13
Bisher wurde das besetzte Altersheim nicht geräumt
Zollikofen – Die zweite Frist zur freiwilligen Räumung des besetzten
Altersheims ist längst verstrichen, die Besetzer sind noch immer da. Der
Gemeinderat hat bei der Polizei die Räumung beantragt – bislang hat
sich nichts getan.
Mathias Gottet
Update Mittwochmittag: Viele haben vermutet, dass die Polizei am frühen
Morgen das ehemalige Betagtenheim in Zollikofen räumt. Bisher sind indes
keine Polizisten vor Ort, wie ein Reporter berichtet. Die Besetzer
stehen mit Feldstechern auf dem Dach.
Das Ultimatum ist längst verstrichen: Bis am Dienstagmittag um 12 Uhr
hätten die Besetzer des ehemaligen Betagtenheims das Gebäude freiwillig
räumen können. Die von der Gemeinde Zollikofen auferlegte Frist kümmert
die Hausbesetzer aber wenig. Zur Mittagszeit spazierten die Mitglieder
des Kollektivs um das Gebäude, ein Mann bemalte die Fassade, und der
Sprecher des Kollektivs wirkte gelassen: «Die Frist spielt für uns keine
Rolle. Wir bleiben hier.»
Seit letztem Donnerstagnachmittag steht das Gebäude mit über hundert
Räumen unter neuer Flagge. Am Dienstag zeigte sich Zollikofens
Gemeindepräsident Daniel Bichsel (SVP) nicht mehr so redselig wie noch
am letzten Freitag. In den Augen der Gemeinde ist der Dialog nun vorbei.
«Sich ein Gebäude zuerst illegal unter den Nagel zu reissen und dann
Forderungen zu stellen, so läuft das nicht bei uns», sagte er.
Die erste Frist zur freiwilligen Räumung setzte die Gemeinde, der das
ehemalige Altersheim immer noch gehört, bereits am Freitagmittag an. Die
Nachfrist bis zum Dienstag sei nur «aus Anstand gewährt» worden. Dies
sei nun das letzte Ultimatum. Am Dienstagnachmittag hat Bichsel bei der
Polizei einen Räumungsantrag gestellt. Das weitere Vorgehen liegt nun in
den Händen der Kantonspolizei.
Der Gemeindepräsident argumentiert so: Der Verkauf sei demokratisch
legitimiert. Und im Vertrag mit der zukünftigen Eigentümerin, der
Gebäudeversicherung Bern (GVB), sei keine Zwischennutzung vereinbart
worden. Für die Schäden am Gebäude muss die Gemeinde aufkommen. Bichsel
will – falls möglich – dafür aber die Hausbesetzer zur Kasse bitten. Die
GVB will das Gebäude in ein Mehrgenerationenhaus umfunktionieren. Die
Bauarbeiten werden frühestens im Sommer 2020 beginnen.
Gespaltene Nachbarschaft
Die Besetzer sagten, dass die neuen Entwicklungen sie nicht zu einem
Rückzug bewögen. Im Gegenteil: Das über 150-köpfige Kollektiv lädt
heute Abend zu einem Jazzkonzert. «Wir schaffen in Zollikofen einen
Freiraum, einen Ort zur Begegnung und füllen ein Vakuum bei der Jugend.»
Jeden Tag hängen mehr Transparente vor den Fenstern, und neue
Botschaften prangen von den Fassaden. So etwa ein Graffito weit oben am
Gebäude. Dort steht: «Hebet kei Angscht».
Damit wollen die Besetzer auf die teils negativen Rückmeldungen aus der
Bevölkerung reagieren. So hat sich ein dreizehnköpfiges Komitee in
einem Brief gemeldet, darunter der ortsansässige Martin Köchli. «Wir
sind das Sprachrohr für jene, die sonst schweigen», sagt er. Das Komitee
wolle den Besetzern zeigen, dass sie in der Nachbarschaft nicht nur
Freunde hätten. Gewisse Anwohner hätten Sorgen, denn eine Besetzung in
dieser Dimension ist für das Dorf völlig ungewohnt: «Zollikofen ist
keine Grossstadt», sagt Köchli.
Einige Nachbarn gewinnen der Besetzung auch positive Aspekte ab. So etwa
Erica Vilela und Christine Herren. «Ich finde gut, dass das Gebäude
jetzt belebt worden ist», sagt Vilela. Die Jugendlichen könnten sich die
leer stehenden Wohnungen zum Teil nicht mehr leisten. Auch Herren
begrüsst die Wiederbelebung des Betagtenheimes, findet es aber schade,
dass die Fassade versprayt werde und die Besetzer vermummt aufträten.
Trotzdem sagt sie: «Das Gebäude ist zu lange leer gestanden.»
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/gemeinde-will-das-besetzte-altersheim-raeumen-lassen/story/11311925)
—
bernerzeitung.ch 09.10.2019 10:30
Bisher wurde das besetzte Altersheim nicht geräumt
Zollikofen – Die zweite Frist zur freiwilligen Räumung des besetzten
Altersheims ist verstrichen. Der Gemeinderat hat am Dienstag bei der
Polizei die Räumung beantragt – bislang hat sich nichts getan.
Mathias Gottet
Update Mittwochmorgen: Viele haben vermutet, dass die Polizei am frühen
Morgen das ehemalige Betagtenheim in Zollikofen räumt. Bisher sind indes
keine Polizisten vor Ort, wie ein Reporter berichtet. Die Besetzer
stehen mit Feldstechern auf dem Dach.
Dienstag, 12 Uhr. Diesen Termin stellte die Gemeinde Zollikofen den
Besetzern des ehemaligen Betagtenheims zur freiwilligen Räumung. Am
Mittag zeigte sich vor Ort: Von Räumungsfristen lassen sich die
Hausbesetzer nicht einschüchtern. Zur Mittagszeit spazierten die
Mitglieder des Kollektivs um das Gebäude, ein Mann bemalte die Fassade,
und der Sprecher des Kollektivs wirkte gelassen: «Die Frist spielt für
uns keine Rolle. Wir bleiben hier.»
Seit Donnerstagnachmittag steht das Gebäude mit über hundert Räumen
unter neuer Flagge. Am Dienstag zeigte sich Zollikofens
Gemeindepräsident Daniel Bichsel (SVP) nicht mehr so redselig wie noch
am letzten Freitag. In den Augen der Gemeinde ist der Dialog nun vorbei.
«Sich ein Gebäude zuerst illegal unter den Nagel zu reissen und dann
Forderungen zu stellen, so läuft das nicht bei uns», sagte er.
Die erste Frist zur freiwilligen Räumung setzte die Gemeinde, der das
ehemalige Altersheim immer noch gehört, bereits am Freitagmittag an. Die
Nachfrist bis zum Dienstag sei nur «aus Anstand gewährt» worden. Dies
sei nun das letzte Ultimatum. Am Dienstagnachmittag hat Bichsel bei der
Polizei einen Räumungsantrag gestellt. Das weitere Vorgehen liegt nun in
den Händen der Kantonspolizei.
Der Gemeindepräsident argumentiert so: Der Verkauf sei demokratisch
legitimiert. Und im Vertrag mit der zukünftigen Eigentümerin, der
Gebäudeversicherung Bern (GVB), sei keine Zwischennutzung vereinbart
worden. Für die Schäden am Gebäude muss die Gemeinde aufkommen. Bichsel
will – falls möglich – dafür aber die Hausbesetzer zur Kasse bitten. Die
GVB will das Gebäude in ein Mehrgenerationenhaus umfunktionieren. Die
Bauarbeiten werden frühestens im Sommer 2020 beginnen.
Gespaltene Nachbarschaft
Die Besetzer sagten, dass die neuen Entwicklungen sie nicht zu einem
Rückzug bewögen. Im Gegenteil: Das über 150-köpfige Kollektiv lädt
heute Abend zu einem Jazzkonzert. «Wir schaffen in Zollikofen einen
Freiraum, einen Ort zur Begegnung und füllen ein Vakuum bei der Jugend.»
Jeden Tag hängen mehr Transparente vor den Fenstern, und neue
Botschaften prangen von den Fassaden. So etwa ein Graffito weit oben am
Gebäude. Dort steht: «Hebet kei Angscht».
Damit wollen die Besetzer auf die teils negativen Rückmeldungen aus der
Bevölkerung reagieren. So hat sich ein dreizehnköpfiges Komitee in
einem Brief gemeldet, darunter der ortsansässige Martin Köchli. «Wir
sind das Sprachrohr für jene, die sonst schweigen», sagt er. Das Komitee
wolle den Besetzern zeigen, dass sie in der Nachbarschaft nicht nur
Freunde hätten. Gewisse Anwohner hätten Sorgen, denn eine Besetzung in
dieser Dimension ist für das Dorf völlig ungewohnt: «Zollikofen ist
keine Grossstadt», sagt Köchli.
Einige Nachbarn gewinnen der Besetzung auch positive Aspekte ab. So etwa
Erica Vilela und Christine Herren. «Ich finde gut, dass das Gebäude
jetzt belebt worden ist», sagt Vilela. Die Jugendlichen könnten sich die
leer stehenden Wohnungen zum Teil nicht mehr leisten. Auch Herren
begrüsst die Wiederbelebung des Betagtenheimes, findet es aber schade,
dass die Fassade versprayt werde und die Besetzer vermummt aufträten.
Trotzdem sagt sie: «Das Gebäude ist zu lange leer gestanden.»
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/gemeinde-will-das-besetzte-altersheim-raeumen-lassen/story/11311925)
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Zollikofen droht mit Räumung – Hausbesetzer lassen Ultimatum verstreichen – wieder
Die Gemeinde Zollikofen droht den rund 100 Besetzern im früheren Betagtenheim mit der Räumung. Doch die wollen bleiben.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/zollikofen-droht-mit-raeumung-hausbesetzer-lassen-ultimatum-verstreichen-wieder
Medienmitteilung Besetzung Zollikofen
Dienstag 12:00 ist vorbei und wir sind immer noch und wir bleiben auch weiterhin da!
Jeden Tag kommen mehr Menschen dazu. Die zweite Frist ist abgelaufen und auch die dritte wird es!
https://barrikade.info/article/2703
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Medienmitteilung AL Bern zum Räumungsentscheid der Gemeinde Zollikofen – Leerstand ist kein Zustand!
Die Alternative Linke Bern ist befremdet von der Entscheidung des
Gemeinderates in Zollikofen, dass die Besetzung im ehemaligen Altersheim
nicht geduldet wird. Dem Kollektiv wird so die Möglichkeit genommen,
ihre Ideen für eine Belebung und die Öffnung des leerstehenden Gebäudes
für und mit dem Quartier umzusetzen. Durch die starre Haltung des
Gemeinderates wird ein leerer, unbelebter, grauer Block einer sinnvollen
Nutzung entzogen.
Für uns ist klar, dass Räumungen auf Vorrat, ohne vorliegenden
Umzonungsentscheid, ohne unmittelbare Neunutzung von der Kantonspolizei
nicht durchgeführt werden sollen.
Die AL Bern fordert, dass die Kantonspolizei keinen Räumungsbefehlen
nachkommt, wenn keine rechtskräftige Abbruchbewilligung/Baubewilligung
vorliegt und die Bauarbeiten nicht unmittelbar bevorstehen, wenn keine
Neunutzung der Liegenschaft unmittelbar ansteht.
In Zollikofen wird das Gebäude im Falle einer Räumung wohl noch mehr als ein Jahr leer stehen.
Weiter ist die AL Bern der Ansicht, dass der Kanton die notwendigen
Richtlinien erarbeiten soll, um auch in Zukunft Räumungen auf Vorrat,
wie sie nun in Zollikofen geplant, zu unterbinden: Leerstand ist kein
Zustand.
Die AL Bern solidarisiert sich mit den Anliegen der Besetzer*innen des
Altersheims und bedankt sich vor diesem Hintergrund bei allen, die sich
unermüdlich für eine Belebung von leerstehenden Gebäuden, gegen die
Kriminalisierung alternativer (Wohn-)Projekte und für Freiräume sowie
die Belebung der Quartiere in den Gemeinden einsetzen.
(https://www.facebook.com/alternativelinkebern/posts/2539059989488875)
+++ANTIRA
Biologisierter Antirassismus. Wie DNA-Ethnizitätstests ein falsches Verständnis des modernen Rassismus (re)produzieren
Gentests, die Einblicke in die ethnische Abstammung versprechen, sind
nicht nur ein erfolgreiches Geschäftsmodell geworden. Sie gelten
zunehmend auch als argumentatives Rüstzeug gegen Rassismus. Anstatt
jedoch Vorstellungen natürlicher Unterarten des Menschen aus der Welt zu
schaffen, schreiben Ethnizitätstests diese fest.
https://geschichtedergegenwart.ch/biologisierter-antirassismus-wie-dna-ethnizitaetstests-ein-falsches-verstaendnis-des-modernen-rassismus-reproduzieren/
+++BIG BROTHER
Informationssysteme verknüpfen: Beitrag zur Sicherheit und zur Steuerung der Migration
Die Polizei und die Migrationsbehörden können europaweit auf zahlreiche
Informationssysteme zugreifen. Noch muss aber jedes dieser Systeme
separat abgefragt werden. Das führt zu einem Zeit- und Effizienzverlust.
Künftig wird es dank einer IT-Lösung (Interoperabilität) möglich sein,
durch eine einzige Anfrage alle Systeme abzufragen. Für die Behörden
wird es leichter, Personen zu identifizieren, die eine Bedrohung für die
Sicherheit darstellen oder falsche Angaben zu ihrer Identität machen.
Dies trägt zur Bekämpfung von Schwerstkriminalität und Terrorismus bei,
verbessert die Migrationssteuerung und verstärkt die Sicherheit im
Schengen-Raum. Anlässlich seiner Sitzung vom 9. Oktober 2019 hat der
Bundesrat einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Interoperabilität in
die Vernehmlassung geschickt.
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2019/2019-10-09.html
-> https://www.nzz.ch/schweiz/kriminelle-besser-entdecken-dank-vernetzung-von-eu-und-schweizer-informationssystemen-ld.1514334
+++RECHTSEXTREM
Ein Jahr nach dem ersten NSU-Prozess
Der Nationalsozialistische Untergrund – kurz NSU – war eine
rechtsextreme terroristische Gruppe in Deutschland, die zahlreiche
rassistische Morde und Anschläge verübt hat. Etwas mehr als ein Jahr
nach dem Ende des 1. NSU-Prozesses in München wollen wir schauen, was
seitdem geschehen ist.
https://polyphon-rabe.ch/wp/nsu/?fbclid=IwAR1QJ22nOuEKLkeprKd7HovFQw72OGi2EBsITtD1MtUbwThVN9fJ8DSHp6g
+++HISTORY
tagesanzeiger.ch 09.10.2019
Sie kann nicht aufhören zu kämpfen
Andrea Stauffacher wird eines Anschlags verdächtigt. Wer ist die 69-Jährige, die seit rund 50 Jahren den Kommunismus propagiert?
Martin Sturzenegger, Corsin Zander
Die Zürcher Marxisten der 1980er-Jahre sind längst in der Mitte der
Gesellschaft angekommen: etablierte Politikerinnen, Anwälte, die gern
schnelle Autos fahren, oder Pensionierte, die in teuren Häusern am
Zürichberg wohnen.
Andrea Stauffacher ist die Ausnahme. Sie ist fast täglich im Chräis
Chäib anzutreffen. An der Langstrasse grüssen Jugendliche die
Mitgründerin des Revolutionären Aufbaus. Restaurantbesitzerinnen fragen
sie um Rat. Selbst bei der Polizei, ihrem unmittelbaren Feind, wo manche
sie nur «die Hexe» nennen, gibt es Beamte, die ihr Respekt zollen.
«Diese Frau hat einen steinigen Weg gewählt, und sie geht ihn
konsequent», wird der langjährige Zürcher Polizist Willy Schaffner in
einem Buch über sein Leben zitiert. Jeden Tag lebt die 69-Jährige für
die Revolution. Für Kommunismus statt Kapitalismus und liberale
Demokratie.
Nun sind die ikonisch anmutenden Bilder von Stauffacher mit dem Megafon
in der Hand wieder in den Medien. Seit fast einem halben Jahrhundert
propagiert sie ihre Anliegen in Zürich – auch gerne mit illegalen
Mitteln. In den Fokus geriet sie diese Woche wegen einer Böller-Attacke
auf das türkische Konsulat im Februar 2017. Die Ermittler fanden eine
DNA-Spur auf einem Holzstab, der fürs Abfeuern von Feuerwerk benötigt
wird – die Spur führte zu Stauffacher. Ob das reicht für ein Verfahren?
Nein, meinte die Bundesanwaltschaft, welche die Ermittlungen wegen
mangelnder Erfolgsaussichten einstellen wollte. Ja, meint nun das
Bundesstrafgericht in einem aktuellen Urteil.
Inspiration im Knast
Wer mehr über die Person Stauffacher erfahren will, beisst in ihrem
Umfeld auf Granit. Ihre Mitstreiter, jetzige und ehemalige, lehnen es
kategorisch ab, über sie zu sprechen. Auch Stauffacher will sich nicht
äussern. Sie weilt gerade im Ausland. Per Kurznachricht teilt sie mit,
sie habe dem «Tages-Anzeiger» zurzeit nichts zu sagen. Auch sonst
spricht sie nicht gern über Privates. «Das interessiert mich nicht. Das
Einzige, was mich interessiert, ist der revolutionäre Prozess und der
politische Kampf, den ich führe.»
Von Altersmilde ist bei ihr nichts zu spüren. Sie bewegt sich bei
Demonstrationen immer noch mitten im Pulk, teilweise an vorderster
Front. Wie etwa beim Frauenstreik im Juni, als sie auf dem Central ein
letztes Tram durchwinkte, bevor der Platz von Aktivistinnen abgesperrt
und besetzt wurde. Stauffacher selbst sagt stets, sie sei keine
Anführerin, sondern Teil einer Bewegung.
Wenn Stauffacher nun nochmals verurteilt würde, hätte dies kaum Einfluss
auf ihr Verhalten. Im Gegenteil. Nach ihrem letzten Aufenthalt im
Gefängnis in Winterthur schilderte sie 2014 ihre Eindrücke in einem
seltenen Interview mit dem Schweizer Radio SRF. Die Zeit habe sie
inspiriert: «Ich fühlte mich am Puls des Lebens.» Im Knast fänden alle
gesellschaftlichen Brennpunkte auf engem Raum zusammen. «Es war ein
Konzentrat, in das ich eintauchen konnte.» Stauffacher fühlte sich
dadurch in ihrer Berufung als unerschrockene Kämpferin im Klassenkampf
bestätigt. Im Gefängnis habe sie zwar brav ihr Ämtlein in der Wäscherei
erfüllt, sei aber aufgrund «der politischen Gefangenschaft» auch in
einen Hungerstreik getreten.
Stauffacher fühlt sich oft missverstanden – in erster Linie vom medialen
Boulevard des «Blicks», der sie als «Krawall-Grosi» betitelt. Ständig
heisse es nur, sie und der Revolutionäre Aufbau seien die Anführer des
Krawalls. Doch über politische Inhalte werde nichts geschrieben, sagte
Stauffacher 2007 in einem Interview mit der WOZ.
Stauffacher verfolgt seit Jahrzehnten das gleiche
marxistisch-leninistische Programm, das den Kapitalismus zugunsten einer
kommunistischen Weltordnung abschaffen will. Wenn Stauffacher in Fahrt
kommt, dann spricht sie von «Chancenungleichheit» und «unterdrückter
Arbeiterschaft». Von Menschen, die viel krüppeln, aber nichts zu sagen
haben, von «Mietpreiswucher» und «Gentrifizierung», vom Kapitalismus,
der heute nichts mehr zu bieten habe ausser Krieg und Verelendung.
Manche Positionen Stauffachers könnten auch von einer radikal denkenden
Sozialdemokratin stammen. Mit dem Unterschied, dass Letztere in ihrem
politischen Kampf nie das Gesetz brechen würde. Stauffacher will die
Revolution. Für die Erreichung dieses Ziels ist sie bereit, Gewalt
auszuüben. Sie nennt es Militanz.
Radikalisierung in Italien
Dabei begann auch Stauffachers Leben im Bürgertum. Als Tochter einer
wohlhabenden Familie wuchs sie in den 1950er-Jahren im Zürcher
Niederdorf auf, wo ihr Vater als Theaterverleger arbeitete. Politische
Aktivisten und die Bohème gingen bei der Familie ein und aus.
Als Stauffacher zwölf Jahre alt war, zog die Familie nach Rom. Mit 14
kam sie mit dem italienischen Arbeiteraufstand in Kontakt. Diese Zeit
empfand sie als grosses Glück. Sie habe erleben dürfen, wie eine
Bewegung von unten entstanden sei, sagte sie im Radiointerview. In Rom
soll Stauffacher zudem Kontakte zur Roten Brigade geknüpft haben. Ihre
Kontakte zu politisch Gleichgesinnten in Italien sollen bis heute
anhalten, schrieb einst die NZZ.
Stauffacher war Anfang 20, als sie in die Schweiz zurückkehrte und sich
zur Sozialpädagogin ausbilden liess. Sie habe jedoch nie als solche
gearbeitet – wegen ihrer politischen Gesinnung: «Lieber gehe ich putzen,
statt den Staat von innen herzu unterstützen», sagte sie im
SRF-Interview. Sie lebe sehr bescheiden. Das zeigt auch ihr aktueller
Steuerauszug: Sie versteuerte 2017 ein Einkommen von 44 200Franken. Ihre
letzte Wohnadresse lautet auf eine Wohnung im Kreis 4. Ihre
mutmassliche Mitbewohnerin – eine selbstständige Psychiaterin – will das
Zusammenleben weder bestätigen noch dementieren. Sie verrät nur so
viel: «Wir sind sehr eng befreundet.»
Stauffacher möchte das bürgerliche System bekämpfen. Dennoch nimmt auch
sie, zumindest sporadisch, daran teil. In den vergangenen Jahrzehnten
hatte sie immer wieder ganz bürgerliche Jobs. Bei Ringier arbeitete sie
zu Beginn der 1990er-Jahre in der Dokumentation: Kopieren, Scannen,
Akten wälzen. Der Verlag kündigte ihr jedoch 1994. Der Grund: Eine
unbedingte viermonatige Gefängnisstrafe, die sie damals antreten musste.
2014, nach ihrem letzten Gefängnisaufenthalt, war Stauffacher auf
Stellensuche. Sie verkündete öffentlich, dass sie Arbeit als Putzkraft
oder Scannerin suche.
In Anwaltskanzlei tätig
Ein Job war besonders prägend für ihren Werdegang: In den 1980er-Jahren
arbeitete sie als Assistentin in der Kanzlei von Bernard Rambert. Mit
dem Anwalt verbindet Stauffacher eine jahrelange, enge politische
Zusammenarbeit. Gemeinsam engagierten sie sich etwa für die Ziele des
Komitees gegen Isolationshaft. Die Organisation setzte sich für
menschenwürdige Haftbedingungen für Personen ein, die sie als politische
Gefangene einstufte. Rambert vertrat drei Mitglieder der deutschen
linksterroristischen Vereinigung Rote Armee Fraktion, die in der Schweiz
inhaftiert waren.
In der Anwaltskanzlei engagierte sich damals auch Stauffachers späterer
Ehemann. Er, Stauffacher und Rambert waren 1992 Gründungsmitglieder des
Revolutionären Aufbaus.
Seit den späten 1990er-Jahren arbeitet ihr damaliger Partner als
Immobilienunternehmer. Der Ex-Kommunist verkauft unter anderem luxuriöse
Häuser mit Minergie-Standard. Während er und Rambert nicht mehr
öffentlich mit dem Revolutionären Aufbau in Verbindung gebracht werden
wollen, kämpft «Andi», wie Stauffacher von Freunden genannt wird, auf
der Strasse weiter.
–
Die Wiederholungstäterin
Andrea Stauffacher hat ein umfangreiches Vorstrafenregister. Wie lang es
genau ist, lässt sich schwierig rekonstruieren. Gesichert ist, dass sie
in den vergangenen 25 Jahren zu mindestens fünf unbedingten
Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Mehrfach sass sie in
Untersuchungshaft, teilweise auch nur einzelne Tage. Zuletzt verbüsste
die heute 69-Jährige eine 17-monatige Freiheitsstrafe. Das
Bundesstrafgericht hatte sie 2012 wegen Gefährdung durch Sprengstoffe in
verbrecherischer Absicht und Sachbeschädigung verurteilt. Es ging um
Attacken auf das spanische Konsulat im Jahr 2002 und auf ein
Polizeigebäude in Zürich 2006. Vergeblich zog Stauffacher das Urteil bis
an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg
weiter. Im Frühling 2014 wurde sie nach elf Monaten frühzeitig aus dem
Gefängnis entlassen. Bei allen anderen Urteilen in den Jahren 1994,
1999, 2003 und 2005 ging es um Landfriedensbruch – zum Teil in
Kombination mit anderen Straftatbeständen wie etwa geringfügigen
Sachbeschädigungen. Verurteilt wurde Andrea Stauffacher jeweils zu
unbedingten Freiheitsstrafen von zwei bis acht Monaten. Personen wurden,
soweit bekannt, nicht verletzt bei den Aktionen, die ihr zur Last
gelegt wurden. (mrs/zac)
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/sie-kann-nicht-aufhoeren-zu-kaempfen/story/31836618)