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Was ist neu?
Der Bundesrat gibt grünes Licht für Abschiebungen nach Georgien
Georgien wird neu als „verfolgungssicherer Staat“ eingestuft. Das hat für abgewiesene Geflüchtete existentielle Folgen. Neu sind Abschiebungen nach Georgien „grundsätzlich zumutbar“. Asylgesuche von Geflüchteten aus Georgien werden im beschleunigten Verfahren behandelt und in der Regel abgewiesen. Auf der Liste der verfolgungssicheren Staaten befinden sich nebst den EU- und EFTA-Staaten Albanien, Benin, Bosnien und Herzegowina, Burkina Faso, Ghana, Indien, Kosovo, Moldova (ohne Transnistrien), die Mongolei, Montenegro, Nordmazedonien, Senegal und Serbien. Die Existenz von beschleunigten Verfahren und verfolgungssicheren Staaten zeigt, dass nicht alle Asylgesuche gleichermassen behandelt werden und dass Schutz vor der berechtigten Furcht vor Verfolgung von der Herkunft eines Menschen abhängig ist.
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2019/2019-08-281.
Niederlassungsfreiheit von Geflüchteten soll zusätzlich eingeschränkt werden
Bereits heute wird die Mobilität von Personen mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung (B- bzw. C-Ausweis) stark eingeschränkt, da sie im Gegenzug zu Personen mit einem schweizer Pass ihren Wohnkanton nur dann wechseln dürfen, wenn sie nicht arbeitslos und nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind. Jetzt will die Gemeinde Kirchberg im Toggenburg die Niederlassungsfreiheit von geflüchteten Menschen noch stärker einschränken. Angeblich damit sie sich nicht durch Wegzug den spezifischen Integrationsauflagen einer Gemeinde entziehen können. Geht’s nach Roman Habrik (Gemeindepräsident von Kirchberg) sollen neu nur noch Geflüchtete mit einem Job und ohne Unterstützung durch Sozialhilfe ihre Wohngemeinde frei wählen können. Alle anderen sollen in der ihnen zugeteilten Gemeinde bleiben müssen. Auf kantonaler Ebene lässt sich der Vorschlag aber nicht umsetzen; die Niederlassungsfreiheit von Personen ohne schweizer Pass ist auf Bundesebene geregelt. Wer in der schweiz eine Aufenthaltsbewilligung hat, darf seinen Wohnort im Kanton frei wählen. Um den Vorschlag umzusetzen, müsste also das „Ausländer- und Integrationsgesetz“ geändert werden.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/viele-eritreer-zugezogen-jetzt-will-die-gemeinde-kirchberg-dass-nur-noch-fluechtlinge-mit-job-ihren-wohnort-frei-waehlen-koennen-ld.1146087
Angriffe auf Exarchia und Räumungen von Refugee-Squats
Die griechische Polizei hat am Montag mit einem massiven Aufgebot das autonome Viertel Exarchia in Athen gestürmt. Exarchia ist ein wichtiger Zufluchtsort für Geflüchtete, da sie dort Schutz vor der rassistischen Staatsgewalt und eine Alternative zu den überfüllten Asyllagern finden.
Die Einheiten räumten beim Einsatz vier besetzte Gebäude, von denen drei von Geflüchteten bewohnt waren. 143 Personen wurden auf die Migrationsbehörde gebracht, um ihren Aufenthaltsstatus zu prüfen und sie falls möglich abzuschieben. Doch dies war nur der Anfang. Bedroht sind 23 Besetzungen, in 11 davon leben Geflüchtete. Um einer Räumung zuvorzukommen, hatte im Juli bereits das besetzte City Plaza Hotel, in dem Geflüchtete lebten, präventiv seine Tore geschlossen.
Die Offensive gegen Exarchia erfolgte nur knapp zwei Monate nach der Wahl der neuen konservativen Regierung. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis von der Partei Nea Dimokratia hat Exarchia schon seit seinem Amtsantritt im Visier. Er hat angekündigt, das Viertel zu «säubern» und die «Anarchie im Viertel zu zerlegen». Für Exarchia hegt die neue Regierung die Vision eines «Montmartre von Athen». Sie will das Viertel aufwerten, Graffiti entfernen und smarte Strassenlampen installieren lassen.
Abgesehen vom Angriff auf Exarchia, werden sich durch die neue Regierung die Lebensbedingungen für Geflüchtete nochmals verschlimmern. Die neue Regierung verstärkt die Grenzkontrollen und erschwert den Zugang zu Gesundheits -und Sozialleistungen. Zudem wurde das Migrationsministerium aufgelöst und die Verantwortung für Geflüchtete wurde dem Ministerium für Bürger*innenschutz übergeben, welche auch die Verantwortung über die Polizei hat. Das Parlament hat zudem beschlossen, das sogenannte Universitätsasyl abzuschaffen – ein in Europa einzigartiges Gesetz, das der Polizei in Griechenland seit dem Student*innenaufstand gegen die Militärdiktatur verbietet, Universitätsgelände zu betreten.
https://www.woz.ch/1935/repression/exarchias-saeuberung-hat-begonnen
https://www.theguardian.com/world/2019/aug/26/greece-police-raid-athens-squats-exarcheia-arrest-migrants-agency-reports
https://de.indymedia.org/node/36702
Abgewiesen Asylsuchende sollen Lehre abbrechen müssen.
Erhalten Lernende einen negativen Asylentscheid, müssen sie ihre Lehre abbrechen und gehen. So sieht es die Sicherheitskommission des Grossen Rats im Kanton Bern. Abgewiesene Asylsuchende hätten ihr Bleiberecht verwirkt und müssten ausreisen. Solange sie noch hier seien, dürften sie nicht mehr arbeiten. Die Kommission entscheidet gegen bürgerliche Stimmen, die sich im Vorfeld dafür aussprachen, dass abgewiesene Asylsuchende eine Lehre auch bei einem negativen Entscheid abschliessen dürften. Sie argumentierten jedoch einerseits mit der herabsetzenden Begründungen, dass es besser sei, wenn die Asylsuchenden „etwas zu tun hätten“ und andererseits wirtschaftlich, dass es mühsam für die Lehrmeister*innen sei, „wenn sie jederzeit damit rechnen müssten, dass ihre Lehrlinge die Ausbildung vorzeitig abbrechen müssten“. Dass das Recht auf Bildung ein Menschenrecht ist, ist den Bürgerlichen im Grossenrat wohl nicht bekannt.
https://www.derbund.ch/bern/streit-um-asylbewerber-in-der-lehre/story/26888859
Was ist aufgefallen?
Der parlamentarische Erfolg bleibt der rechtsextreme Pnos verwehrt
Die Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) wollte eigentlich bei den kommenden Wahlen gross mitmischen. Noch im Februar schrieben sie auf Facebook, dass sie in «diversen Kantonen für den Nationalrat kandidieren» würde. Doch daraus wird offensichtlich nichts. Zwar waren Kandidaturen im Aargau, in Basel-Stadt, Bern, Zürich und St. Gallen angedacht. Einzig in Basel und Bern kommen Pnos-Listen zustande. In Bern kandidieren zwei Pnos-Mitglieder für den Ständerat. In Basel stellen sich vier Pnos-Mitglieder auf. An vorderster Front Tobias Steiger, Vorsitzender der Basler Sektion.
https://www.nau.ch/news/schweiz/rechtsextreme-pnos-findet-keine-nationalratskandidaten-65573290
Europa: Ablehnungsrate der Asylanträge verdoppelt sich
Ungefähr 900’000 Asylsuchende in der EU leben in einem Zustand der Unsicherheit bezüglich ihres Niederlassungsstatus. Konservative Politiker*innen versuchen seit längerem aus diesem Verfahrensstau Kapital zu schlagen. Besonders in Deutschland und Italien gehören nun beschleunigte Verfahren zur Norm. Konsequenz daraus: Die Ablehnungsrate der Asylanträge in Europa hat sich in den letzten drei Jahren fast verdoppelt, von 37% auf 64%. Dies trotz einer Halbierung der Ankünfte von (geflüchteten) Migrant*innen in Europa.
Karl Kopp von Pro Asyl fast dies pointiert zusammen: “The agenda of the rightwing extremists is now the agenda of the mainstream and all that matters is high speed, few or no rights in the procedure, highest possible rejection rates and increasing the deportation figures.”
https://www.theguardian.com/world/2019/aug/25/asylum-seekers-limbo-eu-countries
Neues von der Grenzgewalt im Mittelmeer
Es vergeht keine Woche ohne tragische Todesfälle im Mittelmeer und ohne trotziges Gestänkere der EU-Staaten:
– Das Rettungsschiff Eleonore wartet seit Tagen auf einen Landehafen. Das Schiff hatte am Montag 101 Personen vor der libyschen Küste aus Seenot geholt. Der Kapitän warnt vor einer Zuspitzung der Situation. Für das Wochenende ist schlechtes Wetter angesagt, dann werden die Menschen an Deck nass und es besteht Lebensgefahr durch Unterkühlung. Zudem reichen die Vorräte gerade noch für drei Tage.
– Ähnlich desaströs sieht es auf der Mare Jonio aus, ein Schiff, das von der NGO „Mediterranea“ betrieben wird. In den frühen Morgenstunden des 28.08. hat die „Mare Jonio“ ein Schlauchboot aufgelesen, das seit zwei Tagen und Nächten auf dem Meer driftete. An Bord befanden sich 98 Menschen, darunter 22 Kinder unter zehn Jahren und acht schwangere Personen. Die Migrant*innen haben berichtet, dass sechs Personen wahrscheinlich ertrunken seien, die ins Wasser gefallen waren, als das Boot Luft verlor. Einige Menschen waren unterkühlt. Andere tragen die Zeichen der Misshandlungen und Folterungen, die sie in Libyen erlitten haben. Die Mare Jonio wartet seit zwei Tagen auf Anweisungen über einen Landehafen. Schwangere, Kinder und deren Mütter sowie Kranke haben das blockierte Rettungsschiff inzwischen verlassen dürfen. Den restlichen 34 Menschen bleibt nur das weitere Ausharren an Bord.
– Nebst der Blockade von Rettungsschiffen hat die italiensche Regierung nun auch die beiden NGO-Hubschrauber Moonbird und Colibri, welche das Mittelmeer aus der Luft nach Menschen in Seenot absuchte, blockiert.
– Ebenfalls diese Woche sind laut Angaben der UNHCR mindestens 40 Menschen vor der libyschen Küste ertrunken. Die restlichen 60 Menschen wurden von der libyschen Küstenwache zurück nach Libyen geschleppt. In diesem Jahr sind demnach bereits geschätzte 900 Menschen bei der Flucht übers Mittelmeer ertrunken.
– Diese ewigen Blockaden auf dem Mittelmeer stellen mittlerweile sogar für einige EU-Regierungschef*innen ein unhaltbarer Zustand dar. Deshalb findet am 19. September ein EU-Sondertreffen zur Seenotrettung statt. Angestrebt wird eine Übergangsregelung, die verhindert, dass Italien und Malta Rettungsschiffen mit Geflüchteten an Bord die Einfahrt in ihre Häfen untersagen. Deutschlands Innenminister Seehofer mahnt eine Lösung zur Rettung von Geflüchteten an, die keine neuen Anreize schafft, sich auf die Reise über das Mittelmeer zu begeben. Diese Haltung ist bezeichnend für die europäische Migrationspolitik. Prioritär sind stets die „Interessen“ der europäischen Staaten. Seehofer versucht seine Haltung zwar dadurch zu rechtfertigen, dass er sich sorgt, dass sich durch eine verstärkte Seenotrettung wieder mehr Menschen auf den „lebensgefährlichen Weg“ machen könnten. Doch der Weg übers Mittelmeer ist nicht an sich lebensgefährlich. Für Tourist*innen scheint die Überfahrt jedenfalls ganz gut zu klappen. Der Weg ist genau wegen Menschen wie Seehofer so gefährlich. Wegen Menschen, die sich für mehr Grenzkontrollen einsetzen und sämtliche Rettungsstrukturen unterbinden. Wegen Menschen, die dafür sorgen, dass Geflüchtete möglichst unbemerkt und auf nicht funktionstüchtigen Booten ins Meer stechen müssen.
– Die Situation im Mittelmeer könnte sich in nächster Zeit zudem noch stark zuspitzen. Die libysche Regierung hat am 17. Juli „angedroht“, die Internierungslager für Geflüchtete zu öffnen, sollte Libyen nicht zusätzliche Unterstützung für die „Unterbringung“ der Geflüchteten von der EU erhalten. Würde dies geschehen, könnten bis zu 325’000 Menschen Libyen Richtung Europa verlassen. Die Folge wäre ein Massensterben im Mittelmeer, da es praktisch keine zivile Seenotrettungsschiffe mehr gibt und die EU-Mission Sophia ihre Schiffe bereits vor einigen Monaten aus dem Mittelmeer abgezogen hatte. Ein Sprecher des deutschen Bundesverteidigungsministeriums meinte zudem, dass von staatlicher Seite erst wieder geretttet würde, wenn klar ist, wie die Geflüchteten auf die EU verteilt werden. Fragt sich nur, welches Szenario weniger Leid und Tod verursacht: Internierung in libyschen Folterlagern oder Massensterben im Mittelmeer. Traurigerweise scheinen das aufgrund der rassistischen EU-Politik die zwei einzigen Optionen zu sein.
https://www.derstandard.at/story/2000107892325/deutsches-rettungsschiff-eleonore-bittet-vor-malta-um-landehafen?ref=rss
https://ffm-online.org/mare-jonio-has-rescued-about-a-hundred-people/
https://www.unhcr.org/news/press/2019/8/5d6565ac4/scores-dead-coast-libya-latest-mediterranean-shipwreck.html
https://www.theguardian.com/world/2019/aug/27/italy-grounds-two-planes-search-mediterranean-migrant-boats
https://www.buzzfeed.com/de/marcusengert/interner-bericht-eu-mission-sophia-libyen-325000
Der bekennende Faschist Thibault Schaller kandidiert für die waadländischen Jung-SVP
Die Grenze zwischen den Ideologien gewisser SVP-Mitgliedern und dem Faschismus ist extrem schwammig. Dennoch unternimmt die Partei in der Regel einiges, um nicht in die braune Ecke gestellt zu werden. Bei Thibault Schaller ist das anders. Auf Facebook macht er keinen Hehl aus seiner menschenfeindlichen Gewaltgesinnung. Er ist Fan von National-Socialist Black Metal (NSBM), liked 4chan oder postet Photos von sich in einem T-Shirt des ukrainischen neonazistischen Black Metal-Festival Asgardsrei.
https://renverse.co/Thibault-Schaller-fasciste-et-candidat-Jeunes-UDC-vaudois-2170
Bildung gibts nicht für alle
Laut Zahlen des UNCR hat über die Hälfte der 7.1 Millionen geflüchteten Kinder im Schulalter keinen Zugang zu Bildung. Global gesehen, können 63% der geflüchteten Kinder die Primarschule besuchen, verglichen mit 91% bei den nicht-geflüchteten Kindern. Die Sekundarschule können sogar nur 24% der geflüchteten Kinder besuchen, verglichen mit 84% bei den nicht-geflüchteten Kindern. Am grösseten sind die Unterschiede bei der Tertiärbildung: 3% der Geflüchteten haben Zugang zu einer höheren Bildung, während es bei den nicht-Geflüchteten 37% sind.
Besonders in kapitalistischen Verhältnissen, wo der Lebensstandard massgeblich von den Arbeitsmarktchancen abhängt, ist eine fehlende Schulbildung relativ verheerend. Die negativen Auswirkungen wirken sich bei migrantischen Menschen zudem meist noch stärker aus, da sie sich in vielen Bereichen doppelt und dreifach beweisen müssen und sie meist grösseren Herausforderungen ausgesetzt sind, beispielsweise weil sie neue Sprachen lernen müssen. Zudem sind schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt für geflüchtete Menschen besonders schlimm, da die Beurteilung ihrer Asylgesuche oft massgeblich von ihrer „wirtschaftlichen Selbständigkeit“ abhängt.
https://www.theguardian.com/global-development/2019/aug/30/invest-or-pay-the-price-more-than-half-of-refugee-children-not-in-education
Antiblackface-Aktivist kriegt Fasnachtsverweis
Im belgischen Ath fand letzten Sonntag trotz starker Proteste wieder die rassistische Fasnachtspraxis statt, in der ein weisser Mann mit Blackface, genannt «der Wilde», an Ketten durch die Strassen geführt wird. Mouhad Reghif, der Sprecher einer Organisation, die sich gegen den Gebrauch des Blackface einsetzt, wurde vom Bürgermeister der Ortschaft verwiesen. Polizist*innen folgten ihm für 30km, um sicherzustellen, dass er der Verfügung nachkam. Als Grund wurde vorgegeben, man könne nicht für seine Sicherheit garantieren. Aktivist*innen haben bei der UNESCO beantragt, die Tradition vom Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Menschheit zu entfernen. Eine offizielle Antwort steht derzeit noch aus.
https://www.theguardian.com/world/2019/aug/26/belgian-anti-racism-activist-forced-to-flee-town-in-blackface-row#img-2
SEM verweigert medizinische Hilfe
Ein Fall aus Basel zeigt, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) die elementarsten Bedürfnisse von Asylsuchenden ignoriert: Die Familie Tahmazov aus Aserbaidschan reiste 2018 nach Deutschland. Ihr Sohn Mirsadig war in seiner Kindheit an einer Hirnhautentzündung erkrankt und es fehlt in Aserbaidschan an angemessener medizinischer Hilfe. Weil die Schweiz für das Asylgesuch zuständig sei, wurde die Familie in die Schweiz ausgeschaft, obwohl Ärzt*innen der Frau Ulkar eine Risikoschwangerschaft attestiert hatten und sie nicht reisen dürfe. Sie verliert daraufhin ihr Kind. Nach ihrer Ankunft in der Schweiz beobachten die Eltern besorgt, wie sich der Zustand von Mirsadig verschlechtert. Sie wohnen mit 200 weiteren Asylsuchenden im Bundeszentrum Basel. Ihr anderer Sohn Rufat, der Deutsch spricht, bittet über Wochen verzweifelt die zuständige Pflegefachfrau im Zentrum um einen Arzttermin. Diese vertröstet die Familie immer wieder aufs Neue. Auch Physiotherapie, auf die Mirsadig angewiesen wäre, erhält er keine. Fast drei Monate nach der Ankunft in der Schweiz wird Mirsadig erstmals von einem Kinderarzt untersucht. In den Tagen zuvor verschlechterte sich sein Zustand. Rufat drängte bei der Gesundheitsfachfrau erneut darauf, dass sein Bruder endlich eine*n Ärzt*in sehen kann. Es ist wohl Rufats Einsatz und seinen Deutschkenntnissen zu verdanken, dass Mirsadig am nächsten Tag einen Kinderarzt sehen kann. Der Arzt schickt die Familie sofort auf die Notfallstation des Kinderspitals. Dort stellen Spezialist*nnen fest, dass Mirsadigs Hirndruck über Wochen gefährlich angestiegen war. Am nächsten Morgen früh wird Mirsadig operiert. Gerade noch rechtzeitig: Unbehandelt führt ein erhöhter Hirndruck zu Blindheit, Koma und endet im schlimmsten Fall tödlich.
Dass Mirsadig Tahmazov während Monaten auf einen Termin bei einer Ärztin oder einem Arzt warten musste, ist kein dramatischer Ausnahmefall. Denn im Konzept des Bundes steht: „Bei Erkrankungen, die aus Sicht der Gesundheitsbeauftragten keine sofortige Behandlung erfordern, wird mit der Behandlung gewartet, bis die Asylsuchenden einem Kanton zugewiesen wurden.“ Zugang zur medizinischer Grundversorgung erhalten Asylsuchende in den Zentren des Bundes also nur mit Einwilligung der Gesundheitsbeauftragten. Nach welchen Kriterien diese entscheiden, bleibt unklar. Seit in Kraft treten des neuen Asylgesetzes bleiben die Asylsuchenden bis zu 140 Tage in den Bundeszentren, bevor sie einem Kanton zugewiesen werden. Der Fall macht deutlich: Selbst kranke und schwer beeinträchtigte Minderjährige haben offenbar keinen freien Zugang zu ärztlicher Versorgung.
Obendrauf lehnte das SEM auch noch den Asylantrag der Familie ab. Die Familie werde nicht verfolgt und „es deutet nichts darauf hin, dass sich der gesundheitliche Zustand bei einer Rückkehr massiv verschlechtern könnte,“ so der zuständige Sachbearbeiter. Glücklicherweise hat das Bundesverwaltungsgericht den Entscheid des SEMs als ungültig erklärt, das Staatssekretariat habe den „Sachverhalt unvollständig festgestellt“ und damit „Bundesrecht verletzt“.
https://www.woz.ch/1934/medizinische-versorgung-fuer-asylsuchende/keine-hilfe-fuer-familie-tahmazov
Wo gabs Widerstand?
In Dresden demonstrieren 35000 gegen rassistische Ausgrenzung
„Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden.“ Dies ist eine der Kernbotschaften der riesigen #Unteilbar-Demo in Dresden: „Eine Politik, die auf grenzenloses Wachstum und maximale Gewinne setzt, erzeugt massive soziale Ungleichheit und zerstört die Natur. Sie bereitet den Weg für autoritäre Lösungen und das Erstarken völkischer Parteien.“ Antirassismus wie wir ihn brauchen!
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/unteilbar-demo-in-dresden-35-000-demonstrieren-gegen-ausgrenzung-a-1283525.html
Velodemo von Lyss über das Bundesasylzentrum Kappelen nach Bern
Im Rahmen der schweizweiten Velotour d’Horizon fand vergangenes Wochenende eine Velodemo statt. Inhaltlich richtete sich der Protest gegen die repressiven Zustände in den Bundesasylcamps. Die Velotour d’Horizon radelt 18 Tage lang gegen die Politik der Ausgrenzung und der Isolation!
www.augenauf.ch
www.antira.org/velotour
Was steht an?
Demo gegen den brennenden Amazonas
5. September 2019 | 17 Uhr | Bern und Zürich
Die Waldbrände im Amazonas nehmen kein Ende. Die Zeit läuft davon.
Bern: https://www.facebook.com/events/510641949745509/
Zürich: https://www.facebook.com/events/439239243351541/
Solifest fürs Solinetz
Donnerstag, 5. September 2019 | 17:00 bis 23:00 | Heitere Fahne – Wabern
Benefizabend fürs Solidaritätsnetz Bern mit einer Soli-Auktion, Schmaus aus der Heitere Habibiküche und Konzert von Olgas Bagasch.
https://www.facebook.com/events/697127330729652/
Rojava Demo
7. September 2019 | 15.00 | Claramatte Basel
Während den internationalen Aktionstagen am 6./7. September 2019: auf die Strasse gegen die Kriege des türkischen Staates. Setzen wir ein starkes Zeichen des Widerstands und der Solidarität!
https://barrikade.info/event/1056
Solidaritätslauf für Sans-Papiers
7. September 2019 | Bern
http://www.solidaritätslauf.ch/2-uncategorised/29-solidaritaetslauf-fuer-sans-papiers-2015.html
Lauf gegen Rassismus
15. September 2019 | Zürich
www.laufgegenrassismus.ch
Lauf gegen Grenzen
14. September 2019 | Basel
Der Lauf gegen Grenzen ist ein Sponsor*innenlauf, der sich für die Rechte von Geflüchteten, Migrant*innen und Sans-Papiers einsetzt.
https://www.vereingegengrenzen.ch/
Was macht uns wirklich sicher?
Wie können wir Gerechtigkeit herstellen jenseits von Gefängnis und Polizei? Vorstellung und Diskussion des Buches «Was macht uns wirklich sicher? Ein Toolkit zu intersektionaler transformativer Gerechtigkeit jenseits von Gefängnis und Polizei» mit der Herausgeberin Melanie Brazzell.
– Bern: Montag, 9. September 2019 | ab 18.30 Snacks und Broschürentisch | 19.00 Buchvorstellung und Diskussion | Uni Tobler, Raum F-123, Lerchenweg 36, 3012 Bern
– Luzern: Warm-Up Treffen für den Workshop: Mittwoch, 4. September 2019, 19.00. Workshop: Dienstag, 10. September 2019, 18.00 Znacht, 19.00 Start Workshop jeweils im Räzel, Horwerstrasse 14, 6005 Luzern.
https://barrikade.info/article/2563
Besichtigung des neuen Bundesasyllagers
Samstag 14. September 2019 | 12 Uhr bis 16 Uhr
In Kürze wird das neue Bundelager im Deitinger Schachen in Betrieb genommen. Vorher kann dies noch von interessierten Menschen besichtigt werden. Laut SEM gibt es „Führungen durchs Zentrum und man kann sich an verschiedenen Ständen über die neuen Asylverfahren und die Betreuung der Asylsuchenden informieren».
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/am-14-september-kann-das-bundesasylzentrum-besichtigt-werden-135534666
Veröffentlichung der Broschüre „stichwort ASYL – Hinweise für Journalist*innen“
Do, 19.9.2019 | 14 – 16 Uhr | Bern, Waisenhausplatz 30 | Progr: kleine Bühne
Anmeldung bitte bis am 13. September an sekretariat@sosf.ch
Antifa-Festival Basel
21. September 2019 | Wasserstrasse 39, Basel
https://dasguteleben.noblogs.org/
Demo: Solidarität statt Rassismus
5. Oktober 2019 | 16 Uhr | Helvetiaplatz Zürich
Aufruf: Das Mittelmeer ist ein Massengrab, das täglich mit frischen Leichen gefüllt wird. Libyen ist ein Freiluftgefängnis mit Freipass für Sklaverei, sexuelle Ausbeutung und Erpressung der dort gestrandeten. Europa mauert sich ein und kriminalisiert Aktivist*Innen, die Menschen in Seenot retten. Die Schweizer Asylzentren sind isolierte Bunker, in denen ein immer repressiveres Klima herrscht.
Die Gründe, warum sich Menschen auf die Flucht begeben, sind vielfältig: Überfischung der Meere vor den afrikanischen Küsten; Vergiftung der fruchtbaren Böden durch den Abbau von Mineralien; die extreme Klimaveränderung; Korruption, Folter und sexuelle Ausbeutung oder aber auch einfach Krieg.
Dies alles sind massgeblich Folgen der Politik Imperialistischer Staaten. Gerade heute, wo sich der Kapitalismus in einer tiefen strukturellen Krise befindet und die Profite schwinden, setzten diese Staaten ihre jeweiligen ökonomischen Interessen immer aggressiver durch. Vermehrt auch mit militärischen Mitteln.
Gleichzeitig nutzen rechte und rechtsextreme Parteien die Perspektivlosigkeit des Kapitalismus in ganz Europa aus und erstarken zunehmend. Menschen werden gegeneinander ausgespielt. Migrant*innen werden als Feindbilder aufgebaut und müssen als Sündenböcke für die herrschende Misere herhalten.
Wehren wir uns gegen diese menschenverachrtende Politik. Gemeinsam auf die Strasse gegen Rassismus und reaktionäre Hetze!
https://www.facebook.com/events/2327959637457499/?notif_t=plan_user_invited¬if_id=1567078744206204
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Doku: Undercover bei den Neuen Rechten
https://www.arte.tv/de/videos/082246-000-A/undercover-bei-den-neuen-rechten/?fbclid=IwAR211Rq7oJH6D0xsvyv79MF3cMSKMMKElgSy44uPX-AdYiR8A7raSvw7V-s
Interview mit Ibrahim Manzo Diallo von „Alarmphone Sahara“
über die Situation in Agadez und der Wüste in Niger
https://www.disorient.de/blog/die-sahara-ist-ein-friedhof
Text zum Leben in Nothilfe
https://resolut.noblogs.org/post/2019/08/20/28-8-demo-gegen-das-nothilfe-und-ausschaffungsregime/
Einwanderungspanik
Von Trump bis Orbán gewinnen Politiker*innen Stimmen, indem sie Hass schüren. Woher kommt diese Angst vor Migrant*innen? (englisch)
https://www.theguardian.com/uk-news/2019/aug/27/immigration-panic-how-the-west-fell-for-manufactured-rage
Erstes Sklavenschiff 1619 – 400 Jahre danach – die Wunden der Sklaverei sind nicht verheilt
Die USA erinnern dieses Wochenende an die Ankunft des ersten Sklavenschiffs. Das Land hat die Gräueltaten nie richtig aufgearbeitet.
https://www.srf.ch/news/international/erstes-sklavenschiff-1619-400-jahre-danach-die-wunden-der-sklaverei-sind-nicht-verheilt
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