Medienspiegel 8. August 2019

+++ÖSTERREICH
Kommentar: Warum einer der besten Asylanwälte des Landes seine Kanzlei schließt
Einer der besten Asylanwälte des Landes schließt seine Kanzlei, weil er nicht mehr an den Rechtsstaat glaubt. Edith Meinhart über einen Aufschrei, der nicht ungehört verhallen darf.
https://www.profil.at/oesterreich/roland-fruehwirth-asylanwalt-kanzlei-ende-10894507

+++BALKANROUTE
Kroatien weist neue Vorwürfe der Gewalt gegen Migranten zurück
Erneut steht Kroatien unter Verdacht, gegen Migranten unverhältnismäßige Gewalt anzuwenden
https://www.derstandard.at/story/2000107196705/kroatien-weist-neue-vorwuerfe-ueber-gewalt-gegen-migranten-zurueck?ref=rss

+++MITTELMEER
Segeljachten in Italien: Die verschwiegene Flüchtlingsroute
Immer mehr Migranten erreichen Italien über die östliche Mittelmeerroute, viele von ihnen auf Segeljachten. Von der Öffentlichkeit werden sie kaum bemerkt – und die Regierung in Rom schweigt darüber.
https://www.tagesschau.de/ausland/italien-apulien-schlepper-101.html

Malta verbietet Rettungsschiff Ocean Viking zu tanken
Während die Open Arms weiterhin auf See mit geretteten Menschen ausharrt, verbietet Malta zum ersten Mal einem Rettungsschiff die Einfahrt in seine Gewässer
https://www.derstandard.at/story/2000107181358/malta-verbietet-rettungsschiff-ocean-viking-zu-tanken?ref=rss
-> https://www.spiegel.de/politik/ausland/malta-laesst-rettungsschiff-ocean-viking-nicht-tanken-a-1280993.html
-> https://taz.de/Seenotrettungsschiff-im-Mittelmeer/!5616716/
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-08/ocean-viking-malta-rettungsschiff-ngo-seenotrettung
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1124061.sos-mediterranee-rettungsschiff-wird-tanken-verweigert.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/rettungsschiff-vor-malta–ocean-viking–darf-nicht-tanken-100.html
-> https://www.tagesschau.de/ausland/ocean-viking-malta-101.html
-> https://www.nzz.ch/international/malta-weist-erstmals-rettungsschiff-von-hilfsorganisationen-ab-ld.1500563

+++EUROPA
Frontex – Eine EU-Agentur und der Umgang mit den Menschenrechten
Die Recherchen von Report München zusammen mit dem britischen Guardian und dem Recherchebüro CORRECTIV zu Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen und wie die EU-Grenzschutzagentur Frontex mit diesen Vorwürfen umgeht, haben Wellen geschlagen. Hier die wichtigsten Informationen: Worum es geht, wie report München recherchiert hat und wie die EU nun reagiert.
https://www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/videos-und-manuskripte/frontex-eu-menschenrechtsverletzungen-102.html

+++TÜRKEI
Erdogan will die syrischen Flüchtlinge loswerden
Der türkische Präsident hat mit einem Einmarsch in Nordostsyrien gedroht – auch um dort Flüchtlinge anzusiedeln. Die Drohung ist vom Tisch, aber der Druck auf die Syrer bleibt.
https://www.nzz.ch/international/tuerkei-erdogan-will-die-syrischen-fluechtlinge-loswerden-ld.1500399

Asylpolitik in der Türkei: Erdogans Behörden nennen es «freiwillige Rückkehr»
Seit einigen Wochen deportiert die Türkei SyrerInnen ohne Aufenthaltspapiere zurück in ihre Heimat – was gegen internationales Recht verstösst. Zwei Betroffene erzählen.
https://www.woz.ch/1932/asylpolitik-in-der-tuerkei/erdogans-behoerden-nennen-es-freiwillige-rueckkehr

+++LIBANON
In Libanon ist jeder Vierte ein syrischer Flüchtling – das Ende der Toleranz naht
Seit einem Jahr führt Libanon «freiwillige» Rückkehrer nach Syrien zurück. Doch meist haben diese Flüchtlinge aufgrund zunehmender Schikanen und Anfeindungen im Gastland gar keine andere Wahl. In ihrer Heimat drohen ihnen Haft, Folter oder der Tod.
https://www.nzz.ch/international/syrer-im-libanon-fluechtlinge-ohne-zuflucht-ld.1500380

+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Abgelehnt
Kein Platz für Fahrende in Vilters-Wangs
http://www.tvo-online.ch/mediasicht/73740

+++FREIRÄUME
«Das Fest verdeutlicht, dass Bern eine multikulturelle Stadt ist»
Das Afrika-Kulturfest hat nicht nur somalischen Tanz oder nigerianischen Afrobeat zu bieten, sondern will auch zum Verständnis zwischen den Kulturen beitragen (ab Fr, 9. August).
https://www.derbund.ch/kultur/berner-woche/das-fest-verdeutlicht-dass-bern-eine-multikulturelle-stadt-ist/story/22847266

+++GASSE
Gewalt bei der Langstrasse: Anwohner haben Angst
Am 1. August wurde zwei Opfern der Hals aufgeschlitzt. Beide Fälle geschahen am hellichten Tag und das nur innerhalb weniger Stunden. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass Gewaltdelikte in diesem Quartier zunehmen.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/gewalt-bei-der-langstrasse-anwohner-haben-angst-135377496

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Klima-Camp im Elsass trainiert Aktivisten in zivilem Ungehorsam
Menschenketten, Sitzblockaden, Widerstand: Mehr als tausend Umweltschützer üben im Elsass das Demonstrieren.
https://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/Klimaaktivisten-lernen-in-Camp-zivilen-Ungehorsam/story/31446584

+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Das Bundesamt für Polizei kann Gefährder ohne Gerichtsentscheid ausschaffen. Das sorgt für Kritik
Das Fedpol hat in drei Jahren vierzehn islamistische Gefährder ausgewiesen – ohne richterliches Urteil. Während die Linke diese Ausschaffungspraxis kritisiert, möchte die Rechte im Umgang mit islamistischen Gefährdern noch weitergehen.
https://www.nzz.ch/zuerich/ausschaffung-ohne-gerichtsurteil-fedpol-praxis-sorgt-fuer-kritik-ld.1500545

«Ich habe den Krieg erlebt, und Sie können ihn auch erleben» – Marat Yusupovs Leben stürzt ins Chaos
Im Herbst 2018 wird der Russe von den Schweizer Behörden in sein Heimatland ausgewiesen. Der Vorwurf: Terrorgefahr. Doch auf den Radar der Behörden geriet er schon viel früher. Biografie eines Gescheiterten. Teil 2 der Akte Yusupov.
https://www.nzz.ch/zuerich/ausschaffung-von-gefaehrdern-yusupovs-leben-stuerzt-ins-chaos-ld.1500153
-> Teil 1: https://www.nzz.ch/zuerich/ausgeschafft-aus-der-schweiz-marat-yusupov-wird-zur-gefahr-ld.1499963

+++POLICE BE
bernerzeitung.ch 08.08.2019

Polizeieinsatz gefilmt – und verhaftet

Am Mittwochabend nimmt die Polizei Personen an der Neubrückstrasse und am Waisenhausplatz fest. Die Reitschule kritisiert, Personen, die den Einsatz gefilmt haben, seien rechtswidrig verhaftet worden.

Andrea Knecht

Neubrückstrasse, Mittwochabend, kurz nach 20 Uhr: Polizistinnen und Polizisten in Zivil nehmen eine Person fest. Eine weitere Person dokumentiert die Festnahme mit einer Kamera, als die Situation eskaliert: Mehrere Beamte drücken die fotografierende Person gegen eine Wand, schlagen ihr die Kamera aus der Hand und legen die Person in Handschellen.

Immer mehr Menschen versammeln sich am Einsatzort, die Polizei reagiert mit einem Aufgebot an Einsatzkräften mit Helmen und Gummischrotgewehren. Einer der Umstehenden beschwert sich lautstark über den Einsatz – und wird ebenfalls abgeführt. Es ist 20.40 Uhr, als der Einsatz endet.

Rund 45 Minuten später kommt es auf dem Waisenhausplatz zu einem weiteren Zwischenfall: Eine Person, die im Wohnhaus der Reitschule lebt, hatte den Einsatz an der Neubrückstrasse von Fenster und Terrasse aus gefilmt. Als sie sich in einer Pizzeria am Waisenhausplatz ihr Abendessen holen will, wird sie von zwei Polizisten festgenommen – mit der Begründung, sie habe den Einsatz vom Dach der Reitschule aus gefilmt.

Auf dem Polizeiposten muss sich die Person ausziehen. Anstelle eines Ausweises händigt sie den Polizisten ihre Bankkarte aus. Als sie nach mehreren Stunden freigelassen wird, erhält die Person die Karte nicht zurück – der betreffende Beamte erklärt, er habe diese nicht mehr.

Kritik am Gemeinderat

So beschreibt die Mediengruppe der Reitschule die Vorfälle vom Mittwochabend in ihrer Mitteilung. Die Reitschule wirft der Kantonspolizei rechtswidrigen Freiheitsentzug vor. Die Vorkommnisse bezeichnet sie als direkte Folge des Schwerpunktauftrages des Gemeinderates an die Kantonspolizei und fordert dessen Beendigung.

Schon im Juli hatte die Reitschule in einem offenen Brief die Stadtregierung kritisiert: Mit ihrem Auftrag trete sie ihre Verantwortung «immer wieder an die Kantonspolizei ab».

Die Schilderung der Kantonspolizei unterscheidet sich – wie so oft – von derjenigen der Reitschüler: In ihrer Medienmitteilung macht sie eine «gezielte Aktion gegen den Betäubungsmittelhandel» geltend. Zwei Männer hätten den Zivilpolizisten «aktiv» Drogen zum Kauf angeboten.

Vier Männer, bei denen man 34 Gramm Kokain, kleine Mengen Marihuana sowie rund 700 Franken Bargeld sichergestellt habe, habe man auf den Posten gebracht. Die Beamten hätten während des Einsatzes wiederholt festgestellt, dass sie bei der Arbeit gefilmt oder fotografiert worden seien.

Darauf habe man mit Kontrollen reagiert. Polizeisprecherin Jolanda Egger präzisiert, dass keine Personen abgeführt worden seien, weil sie gefilmt hätten, sondern weil sie sich beispielsweise Personenkontrollen entzogen hätten.

Weiter hätten mehrere Personen nach dem Einsatz im Raum Schützenmatte Fahrzeuge und Polizisten am Waisenhausplatz gefilmt und fotografiert, «teils systematisch». Man habe nicht ausschliessen können, dass sich die Personen Zutritt auf das Polizeiareal verschafft hatten, zudem wollten sich manche bei Kontrollen nicht ausweisen. Deshalb habe man eine Frau und einen Mann auf den Posten gebracht.

Das Filmen und Fotografieren von Polizeieinsätzen ist wiederholt Anlass für Konflikte zwischen Polizistinnen und Passanten: Das Dokumentieren ist erlaubt, einen Gesetzesartikel, der es verbietet, gibt es nicht. Jedoch werden Filmende immer wieder wegen «Hinderung einer Amtshandlung» angezeigt.

Die Kantonspolizei Bern sagte kürzlich gegenüber dem «Bund»: «Filmen kann ein Problem darstellen, etwa wenn Aufnahmen in unmittelbarer Nähe gemacht werden, der Einsatzraum dadurch eingeschränkt und der Einsatz somit gestört bis gefährdet wird.» Den Umgang mit Filmenden müssten Polizisten je nach Situation abwägen. Im «Bund»-Artikel kritisierten mehrere Strafrechtler die Anzeigepraxis. Laut Strafverteidiger Konrad Jeker geht es bei den Anzeigen darum, «Menschen gefügig zu machen».

Angesprochen auf die verschwundene Bankkarte sagt Egger: Mitarbeitende hätten nach der Kontrolle tatsächlich eine Bankkarte unter den Tischen in den Polizeiräumlichkeiten gefunden. Diese sei wohl heruntergefallen. Man nehme mit dem Besitzer Kontakt auf, um ihm die Karte auszuhändigen.
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/polizeieinsatz-gefilmt-und-verhaftet/story/31705188)

Polizeieinsätze filmen? Nur wenn Ablauf im Zentrum steht
Die Berner Kantonsregierung hat kürzlich festgehalten, unter welchen Bedingungen Polizeieinsätze gefilmt und veröffentlicht werden dürfen.
https://www.derbund.ch/bern/polizeieinsaetze-filmen-nur-wenn-ablauf-im-zentrum-steht/story/23683669

Reitschule ärgert sich über Polizeieinsatz
Personen, die einen Polizeieinsatz auf der Schützenmatte gefilmt hatten, wurden festgenommen. Wie der Vorfall ablief, schildern Polizei und Reitschule unterschiedlich.
https://www.derbund.ch/bern/reitschule-aergert-sich-ueber-polizeieinsatz/story/19170021
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/polizei-geht-bei-reitschule-gegen-dealer-und-filmende-dritte-vor-65566072

Bern: Mehrere Personen rund um gezielte Aktion angehalten
Die Kantonspolizei Bern hat am Mittwochabend im Rahmen einer gezielten Aktion gegen den Betäubungsmittelhandel in Bern vier Personen angehalten und Kokain sichergestellt. Beim Einsatz und im weiteren Verlauf des Abends störten Drittpersonen wiederholt die Einsatzkräfte bei der Arbeit und machten, teils systematisch, Aufnahmen von Mitarbeitenden und Einsatzfahrzeugen. In diesem Zusammenhang wurden mehrere Personen kontrolliert und teilweise für weitere Abklärungen auf eine Wache gebracht.
https://www.police.be.ch/police/de/index/medien/medien.meldungNeu.html/police/de/meldungen/police/news/2019/08/20190808_1641_bern_mehrere_personenrundumgezielteaktionangehalten

Rechtswidriger Freiheitsentzug und Sachbeschädigung durch die Kantonspolizei Bern

Am Mittwochabend um ca. 20:20 Uhr führten mehrere Zivilpolizist*innen auf dem Trottoir der Neubrückstrasse eine Festnahme durch. Eine anwesende Person dokumentierte diese Festnahme mit ihrer Kamera. Die Situation war friedlich und die Anwesenden störten in keiner Weise den Polizeieinsatz.

Als die festgenommene Person abgeführt worden war, rannten unvermittelt drei Zivilpolizisten auf die fotografierende Person zu und drückten sie gegen eine Wand, um sie festzunehmen. Die Person rief wiederholt ‹Ich habe nur fotografiert›, wurde aber trotzdem in Handschellen gelegt und abgeführt. Im Zuge dieser Festnahme wurde der Person die Kamera aus der Hand geschlagen, wobei das Objektiv und die Fokussiermechanik beschädigt wurden.

Während diesen Geschehnissen versammelten sich weitere Personen, um die Festnahme zu beobachten. Die Polizei zog Unterstützung mit Helmen und Gummischrotgewehren bei. Auch hierbei blieb die Situation friedlich und die Polizei wurde weder bedroht noch tätlich angegangen. Dies hielt die Polizei nicht davon ab, eine weitere Person festzunehmen, die sich lautstark über das Verhalten der Polizist*innen beschwert hatte. Um ca. 20:40 Uhr zog sich die Polizei zurück.

Ein im Haus wohnhafter Reitschüler, der die Geschehnisse von seinem Fenster und seiner Terasse aus gefilmt hatte, befand sich ca. 45 Minuten später beim Waisenhausplatz, wo er bei der dortigen Pizzeria sein Abendessen holte. Zwei Polizisten kontrollierten dort den Reitschüler und nahmen ihn mit der fadenscheinigen und nachweislich falschen Begründung fest, er habe vom Dach der Reitschule aus gefilmt.

Auf dem Polizeiposten muste er sich ausziehen und wurde mehrere Stunden lang festgehalten. Weil er keinen Ausweis auf sich trug, hatte er den Polizisten seine Bankkarte ausgehändigt. Bei seiner Freilassung wurde ihm diese nicht wieder zurückgegeben. Auf Nachfrage hin gab der verantwortliche Polizist an, die Bankkarte nicht mehr zu haben. Der betroffene Reitschüler erwägt nun, Anzeige zu erstatten.

Die Reitschule Bern verurteilt das rechtswidrige Verhalten der Kantonspolizei Bern. Das Fotografieren von Polizist*innen im Einsatz stellt keine Straftat dar. Dass die Polizei aber Menschen ihre Freiheit entzieht, nur weil diese ihre Arbeit dokumentieren, ist ein klarer Fall von Amtsmissbrauch. Wie der ‹Bund› vor Kurzem berichtete, ist dies nicht der erste solche Fall, sondern Ausdruck eines Musters im Vorgehen der Kantonspolizei gegenüber filmenden Personen. Auch das wahllose Schikanieren von Reitschülern aufgrund von vorgeschobenen Falschbehauptungen stellt einen klaren Übergriff dar. Ein solches Vorgehen gehört vor eine unabhängige Untersuchungsinstanz!

Wir fordern die Kantonspolizei zur Einhaltung geltender Gesetze auf und möchten den Gemeinderat einmal mehr darauf hinweisen, dass solche Übergriffe eine direkte Folge seines ‹Schwerpunktauftrags› an die Kantonspolizei sind. Sie zerrütten das Verhältnis zu Stadt und Kantonspolizei unnötig weiter und tragen nichts zur Verbesserung der Lage im Grossraum Schützenmatte bei. Wir fordern daher einmal mehr die Beendigung des ‹Schwerpunkauftrags› an die Kantonspolizei Bern.

Mediengruppe, Reitschule Bern
(https://www.facebook.com/Reitschule/posts/10157084475105660)

+++POLICE DE
neues-deutschland.ch 08.08.2019

Polizei sollte eine Fehlerkultur entwickeln

Tobias Singelnstein und Kollegen untersuchen rechtswidrige Übergriffe Beamter auf Bürger und ihre Ursachen

12.000 rechtswidrige Übergriffe durch Beamte gibt es jährlich. Das haben Kriminologe Tobias Singelnstein und Kolleg*innen mit der bislang größten Studie zu Polizeigewalt in Deutschland herausgefunden. Woran das liegt und wo die Grenze zwischen legal und rechtswidrig verläuft.

Von Peter Nowak

In der letzten Woche wurden erste Ergebnisse eines von Ihnen geleiteten Forschungsprojekts bekannt. Demnach gibt es in Deutschland jährlich rund 12 000 Fälle von illegaler Polizeigewalt. Wie kamen Sie zu diesem Befund?

Nach unseren bisherigen Befunden kann man davon ausgehen, dass das Dunkelfeld mehr als fünfmal so groß ist wie das Hellfeld, das wir in der Statistik sehen. Dies lässt sich unter anderem daraus schließen, dass sehr viele der von uns Befragten sich gegen die Erstattung einer Anzeige entschieden haben. Eine Hochrechnung auf konkrete Fallzahlen kann man anhand dessen aus wissenschaftlicher Sicht nicht vornehmen. Das wird daher von der Studie auch nicht unternommen.

Was bedeutet illegale Polizeigewalt, wo doch das Gewaltmonopol beim Staat liegt und die Polizei in seinem Auftrag handelt?

Das grundsätzliche Gewaltverbot in unserer Gesellschaft gilt im Prinzip auch für die Polizei. Zwar dürfen Polizeibeamte im Einzelfall Gewalt anwenden, wenn eine polizeiliche Maßnahme auf anderem Wege nicht durchzusetzen ist. Bei den gesetzlichen Regelungen, die diesen Gewalteinsatz gestatten, handelt es sich jedoch um Ausnahmebefugnisse. Er ist nur dann erlaubt, wenn die Voraussetzungen dieser Regelungen vorliegen und Gewalt im Einzelfall erforderlich und verhältnismäßig ist. Werden die rechtlichen Grenzen der Befugnisse nicht eingehalten, ist polizeilicher Gewalteinsatz rechtswidrig und stellt dann in der Regel auch eine strafbare Körperverletzung im Amt dar.

Können Sie Beispiele für illegale Polizeigewalt nennen?

Die Bandbreite ist sehr groß. Das kann schon ein Schlag sein, der für die Durchsetzung der jeweiligen Maßnahme, zum Beispiel eine Festnahme, nicht erforderlich ist. Daran zeigt sich, dass die Grenzen zwischen rechtmäßiger und rechtswidriger polizeilicher Gewaltausübung in der Praxis mitunter nicht ganz einfach zu ziehen sind und Grauzonen bestehen.

Welcher Personenkreis ist besonders von Polizeigewalt betroffen?

Es gibt in der Forschung die These, dass marginalisierte Gruppen, die eine geringe Beschwerdemacht haben, in besonderer Weise von rechtswidriger Polizeigewalt betroffen sind. Hierzu gehören Geflüchtete ebenso wie etwa Wohnungslose und Drogennutzende. Dem gehen wir auch in unserer Studie nach.

Wo sehen Sie die wichtigsten Gründe für die illegale Polizeigewalt?

Die sind vielfältig. Dem Forschungsstand zufolge spielen sowohl individuelle und situative Faktoren als auch die strukturellen Besonderheiten der Polizeiarbeit eine Rolle. Das Spektrum reicht von Situationen der Überlastung, Überforderung und Übermüdung, in denen ein Beamter überreagiert, bis zu den Fällen, wo sich bestimmte rechtswidrige Praktiken in einer Dienststelle auf Dauer etabliert haben. Außerdem gibt es die sogenannten Widerstandsbeamten, die entsprechende Konfliktsituation auf sich ziehen und herstellen.

Was ist ein Widerstandsbeamter?

Als Widerstandsbeamte bezeichnen wir Polizisten, gegen die zum Beispiel etliche Anzeigen vorliegen und die offenkundig die Eskalation suchen.

Es gibt immer Forderungen wie die nach einer Kennzeichnungspflicht. Sehen Sie hier Lösungsansätze oder ist das nur Symbolpolitik?

Die in den vergangenen Jahren diskutierten Maßnahmen wie die Kennzeichnungspflicht und unabhängige Untersuchungsstellen sind erste konkrete Schritte. Darüber hinaus wäre aber ein Wandel in der Polizeikultur notwendig. Bislang wird das Problem in der Polizei, aber auch in Teilen der Politik, stark negiert bzw. man betont, es handele sich um Einzelfälle. Die Polizei sollte eine Fehlerkultur und einen professionellen Umgang damit entwickeln, anstatt in reflexhafter Abwehr zu verharren.

Mittlerweile ist der Anteil von weiblichen Polizistinnen gestiegen. Hat das Einfluss auf die Häufigkeit illegaler Gewalt?

In der Forschung wird davon ausgegangen, dass Alter und Geschlecht der handelnden Polizisten einen Einfluss auf das Geschehen haben können. Auch diesen Fragen gehen wir im Rahmen unserer Studie nach.

Steckt hinter der illegalen Polizeigewalt ein strukturelles Problem?

Ja, das kann man so sagen. Die Polizei darf wie beschrieben in bestimmten Situationen Gewalt zur Durchsetzung von Maßnahmen einsetzen und tut das täglich hundertfach, tausendfach. Es wäre ein Wunder, wenn es dabei nicht auch zu Grenzüberschreitungen und Missbrauch kommen würde. Insofern ist die polizeiliche Befugnis zum Gewalteinsatz notwendig mit dem Problem rechtswidriger Gewaltausübung verbunden. Eine Polizei, die das Gewaltmonopol des Staates ausübt, in der es aber keine rechtswidrige Polizeigewalt gibt, ist eine theoretische Idealvorstellung, die in der Praxis nicht vorkommt.

Wann ist Ihr Forschungsprojekt beendet und was soll mit den Ergebnissen geschehen?

Unser Projekt läuft noch bis zum kommenden Frühjahr. Dann haben wir auch den zweiten Projektteil, in dem wir qualitative Interviews führen, abgeschlossen und werden unseren Abschlussbericht vorlegen. Erste Zwischenergebnisse wollen wir aber schon im September präsentieren. Mit den Ergebnissen wollen wir nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die gesellschaftliche Debatte zum Thema voranbringen.

Tobias Singelnstein ist Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Ruhr Universität Bochum. Er leitet ein Forscher*innenteam, das die bislang größte Studie zu Polizeigewalt in Deutschland durchführt, für die mehr als 1000 Betroffene befragt wurden. Peter Nowak sprach mit ihm über die Untersuchung, der zufolge es jährlich mindestens 12 000 rechtswidrige Übergriffe durch Beamte gibt.
(https://www.neues-deutschland.de/artikel/1124091.polizeigewalt-polizei-sollte-eine-fehlerkultur-entwickeln.html)

+++POLICE FR
Polizeigewalt in Frankreich
»Dreckige Linksradikale«
In Frankreich haben Polizisten auf einem Technofestival junge Menschen niedergeknüppelt, ein Partybesucher kam dabei ums Leben. Spielten rechtsextreme Motive eine Rolle?
https://jungle.world/artikel/2019/32/dreckige-linksradikale?page=all

Polizeigewalt in Frankreich: Außer Kontrolle
Frankreichs Sicherheitskräfte haben jedes Maß verloren. Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Staatsmacht radikalisiert den Protest zusätzlich.
https://taz.de/Polizeigewalt-in-Frankreich/!5610995

+++ANTIFA
Schweiz: Hannibal und der UNO-Schwindel
Bei den Ermittlungen gegen den extrem rechten Bundeswehrsoldaten Franco A. ist ein Veteranenverein in den Fokus geraten, der enge Verbindungen in die Schweiz hat – und sich mit fremden Federn schmückt(e).
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/schweiz-hannibal-und-der-uno-schwindel

Warnungen vor Rechtsterror wurden ignoriert
Schon vor zehn Jahren sahen US-Terrorexperten wachsende Gefahren, die von weissen Rassisten ausgehen. Doch das durfte nicht sein.
https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/amerika/warnungen-vor-rechtsterror-wurden-ignoriert/story/13254881

+++ANTIRA
Über Kriminalität berichten: Ausländer sind Ausländer sind Ausländer…?
Bei Straftaten wird öfter die Herkunft der Täter genannt. Nur: Was sagt das aus? Die Idee einer herkunftsbedingten Kriminalitätsneigung ist Schwachsinn – und der Umgang vieler Journalisten damit unprofessionell.
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/warum-man-bei-straftaten-nicht-die-herkunft-der-taeter-nennen-sollte-kolumne-a-1280872.html

+++RECHTSPOPULISMUS
Die Zürcher SVP macht Lärm – und keiner hört hin
Nach empfindlichen Wahlniederlagen kündigte die SVP im Kanton Zürich an, wieder aggressiver aufzutreten. Bis jetzt zünden ihre Provokationen nicht.
https://www.nzz.ch/zuerich/die-zuercher-svp-macht-laerm-und-keiner-hoert-hin-ld.1500741

+++KNAST
36-jähriger Häftling tot in Gefängniszelle aufgefunden
Am Donnerstagmorgen ist im Untersuchungsgefängnis Zürich ein Inhaftierter tot in seiner Zelle aufgefunden worden. Hinweise auf ein Dritteinwirken liegen gegenwärtig nicht vor.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/36-jaehriger-haeftling-tot-in-gefaengniszelle-aufgefunden-135376038
-> https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-haeftling-in-u-haft-tot-aufgefunden-ld.1500729
-> https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/haeftling-lag-tot-in-der-zelle/story/18688577
-> https://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/Haeftling-tot-in-seiner-Zelle-aufgefunden-29351667
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/haeftling-in-zuercher-u-haft-tot-aufgefunden-00117229/

bernerzeitung.ch 08.08.2019

Platznot im Strafvollzug trifft Frauen besonders hart

Die Strafvollzugsanstalten im Land sind voll. Verurteilte warten oft in Regionalgefängnissen auf ihren Platz im Vollzug. Straftäterinnen trifft das besonders hart. Eine von ihnen ist Daniela B.

Cedric Fröhlich

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«Ich bin auch ein Opfer. Ein Opfer meiner Idee, meines Starrsinns.»
Daniela B.* hat Menschen in den Ruin getrieben.

«Ich zähle die Minuten, und die gehen nicht rum.»
Sie wurde zu fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.

«Ich laufe auf und ab wie ein Tier im Käfig.»
Bis heute hat sie in einer Zelle gewartet. In der falschen.
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Im Gefängnis

Die schwere Tür fällt mit einem dumpfen «Klock» ins Schloss. Daniela B.* trägt einen Stapel Papier, sie wird ihn das ganze Gespräch wie einen Schild vor sich halten. Die Frau sitzt auf einem Stuhl, hinter der dicken Glasscheibe, Holzwände zu ihrer Rechten und ihrer Linken. Die Enge, sie folgt ihr überallhin, bis in die Besucherkabine des Regionalgefängnisses Thun.

«Hier bin ich also.» Sie beginnt leise. «Wieder da.» Sie wirkt müde. «Dieses Leben ist menschenunwürdig.» Sie ist wütend.

Daniela B. ist eine Straftäterin, verurteilt zu mehreren Jahren hinter Gittern. Und doch sollte sie nicht hier sein, nicht in diesem Gefängnis sitzen. Um dies zu verstehen, muss man die Natur des schweizerischen Strafvollzugs verstehen. Und seine Platzprobleme kennen.

Wer in der Schweiz eine unbedingte Freiheitsstrafe absitzen muss, der kommt nicht ins Gefängnis, sondern in eine Justizvollzugsanstalt. So wäre dies eigentlich vorgesehen. Nur: Dieser Justizvollzug ist überfüllt. Das gilt für die Schweiz generell und den Kanton Bern im Speziellen. Die Konsequenz: Wer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, muss oft in den Regional­­­­ge­fängnissen des Landes auf seinen Platz warten. Unter knüppelharten Bedingungen.

Das Leben spielt sich auf wenigen Quadratmetern ab. Inhaftierte verbringen im Extremfall bis zu 23 Stunden am Tag in ihren Zellen. Hier essen sie, lesen sie, liegen sie auf ihren Betten, starren sie in den Fernseher. Arbeit ist nur sehr beschränkt oder gar nicht verfügbar. Besuche werden strikt reguliert. Der Kontakt zur Aussenwelt findet vor allem via Telefon statt.

Der Unterschied zwischen dem eintönigen Gefängnisalltag und dem Leben in einer Vollzugsanstalt ist gewaltig. Ersterer ist primär für die Untersuchungshaft konzipiert. Oberstes Gebot ist es, zu verhindern, dass Tatverdächtige den Ausgang von Strafuntersuchungen beeinflussen oder abtauchen. Deshalb das strenge Regime. In den Anstalten geniessen Insassen demgegenüber Resozialisierung, das Etablieren von Strukturen, kurz: Die Besserung von Täterinnen und Tätern hat Priorität.

B. ist eine Wartende. Obwohl ihre Schuld juristisch längst geklärt ist, lebt sie unter U-Haft-Be­dingungen.

Wie vielen Menschen es genauso ergeht, ist nicht ganz klar. Die Zahlen schwanken, und Langzeitanalysen gibt es keine. Bislang verlassen sich die Kantone und ihre Vollzugsbehörden auf punktuelle Erhebungen. Die letzte nationale ergab, dass sich landesweit 804 Männer und 24 Frauen auf Wartelisten für einen geeigneten Platz befinden (siehe Kasten).

Betrug

Daniela B. hat ziemlich viele Menschen um sehr viel Geld gebracht. Sie hatte für ein Immobilienprojekt Millionen bei Investoren aufgenommen. Das Projekt scheiterte, und das Geld war weg. Sie wurde festgenommen und landete in U-Haft. Der Alltag damals war der gleiche wie der heutige: 23 Stunden in der Zelle, irgendwann waren es 24. «Ich habe den Hof nicht mehr ausgehalten. Dieses ständige Auf-und-ab-Gehen.» Über ein Jahr lang wurde sie zwischen den Regionalgefängnissen Bern, Biel und Thun verschoben. Dorthin, wo es gerade Platz hatte. Die Fahrten, das Gitter, die Handschellen. Für sie: «Der Horror.»

Nach 384 Tagen wurde sie entlassen. «Ausgespuckt», wie sie sagt. Das ist nun fast zehn Jahre her. Die U-Haft war nicht das Ende, sie war der Auftakt. Es folgte die Zeit der Prozesse, der Verfahren. B. hat sich derweil draussen wieder zurechtgefunden – so gut das eben ging. Sie hat gearbeitet, Steuern bezahlt. Den Pass musste sie abgeben, das Land hat sie seither nie mehr verlassen. Rückblickend war es nur ein Herauszögern. Ende 2018 bestätigte das Bundesgericht das Urteil der Vorinstanzen: Betrug. Veruntreuung. Mehrfach. Eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.

Hindelbank

Drei Monate nach dem bundesgerichtlichen Urteil traf das Schreiben mit dem Datum ihres Haftantritts ein. Eine Gewissheit schwarz auf weiss. Der 3. Juni. Einrücken im Regionalgefängnis Bern. Einen Monat nach Eintritt hat man sie nach Thun verlegt. Vom einen Gefängnis ins nächste – schon wieder.

An der Freisprechanlage leuchtet ein rotes Lämpchen. Daniela B. erzählt von ihrem Mann. «Er erträgt die Glasscheibe nicht.» Und sie halte es kaum aus, wenn er weine. Darum sehen sie sich nur selten. In Hindelbank, das habe sie gehört, da gebe es einen Garten, in dem man zusammen spazieren könne.

Die Schweizer Anti-Folter-Kommission hat die Hatfbedingungen in den Schweizer Regionalgefängnissen mehrfach kritisiert. Als zu hart und vielerorts als nicht konform mit den verfassungsmässigen Grundrechten. Namentlich die langen Einschlusszeiten und die eingeschränkten Besuchsrechte. Umso erstaunlicher ist das Schicksal von Menschen wie Daniela B. Es ist ein Schicksal, das Frauen überdies besonders hart trifft.

Grund ist das strikte Trennungsgebot. Männlichen und weiblichen Insassen ist jeglicher Kontakt untersagt. Weil nur wenige Frauen in den Regionalgefängnissen einsitzen, sind sie dort stark isoliert. So sagt es Annette Keller, die Leiterin der grössten Schweizer Strafvollzugsanstalt für Frauen: in Hindelbank. «Manchmal haben sie gar keine Mitinsassinnen», so Keller. Die menschliche Inter­aktion sei dann auf das Personal beschränkt.

Der Kontrast zum Leben in Hindelbank könnte kaum grösser sein. Die Frauen haben hier Möglichkeiten. Können sich ihre Freizeit gestalten, Sport treiben. Sie haben Zugang zu Bildungsangeboten und nicht zuletzt: zu Arbeit. Der Alltag soll Vorbereitung sein auf das Leben in Freiheit.

In Hindelbank sitzen verurteilte Mörderinnen, Frauen, die mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt geraten sind – aber auch Betrügerinnen. 107 Frauen aus 25 Nationen verbüssen hier ihre Strafen. Und: Hindelbank ist voll.

Keller hat darauf schon öffentlich hingewiesen, etwa gegenüber den Zeitungen von CH Media. Heute sagt sie: «Das Problem ist seit drei, vier Jahren akut.» Aktuell befinden sich 23 Frauen auf der Warteliste für Hindelbank. Im Schnitt müssen sie sich drei bis fünf Monate in den Regionalgefängnissen gedulden.

Masterplan

Das Platzproblem ist auch ein Berner Problem. Seit Jahren sind die Gefängnisse und Anstalten im Kanton voll oder gar über­belegt, hinzu kommt eine überalterte, teils marode Infra­struktur. Im Mai präsentierte der Berner Regierungsrat ein Massnahmenpaket, wie die Situation in den nächsten Jahren entschärft werden soll. Der neue «Masterplan» sieht unter anderem einen Neubau für 250 Häftlinge vor. Aber auch die Schliessung von Einrichtungen.

Das Angebot soll um 147 Plätze ausgebaut werden, auf insgesamt 1099. Darüber hinaus will der Kanton in die bestehende Infrastruktur investieren. Geplant sind Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe. Das Geschäft wird voraussichtlich in der Herbstsession ein erstes Mal im Grossen Rat behandelt.

Daniela B. wird das nichts nützen. Zwei Monate ihrer Strafe hat sie abgesessen, als Nummer auf einer Warteliste, an einem Ort, an dem sie nicht sein sollte.

Tagebuch und Manifest

Sie hat sich mit ihrem Urteil abgefunden. «Abgeschlossen, bin gescheitert, das ist vorbei. Ich musste das abhaken, sonst wäre ich zerbrochen.» Nicht aber mit ihrer Situation. «Auslöser ist meine Lage, nicht meine Person.» Sie will ihre Rechte wahrnehmen. Arbeiten, vielleicht eine Ausbildung machen, etwas Sinnvolles tun mit ihrer Zeit hinter Gittern. Sie wolle kein Mitleid, sagt sie einmal. «Aber hier läuft etwas schief. Hier!»

Sie meint nicht die Wärterinnen und Wärter. «Sie tun ihr Menschenmöglichstes, haben immer ein gutes Wort parat.» Sie meint den ganzen Rest, die Berner Justiz. «Man hält mich hier drin, damit ich die Decke an­starre – oder in den schwach­sinnigen TV.» Wenn sie wieder draussen ist, wird sie fast im Pensionsalter sein. Sie wolle sich nicht abhängen lassen, wieder zurückfinden.

In all der Zeit hat sich viel Papier angestaut. Urteile, Beschwerden, Gesuche. Einiges davon trägt Daniela B. bei sich – ihr Schild. Auf 55 Seiten hat sie ihre Geschichte aufgearbeitet, die ganze Enttäuschung – auch jene über sich selbst. Es ist teils Tagebuch, teils Manifest. Da steht unter anderem:

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«Heute weiss ich, dass ich den Schaden niemals wieder werde gutmachen können.»
Daniela B. hat Menschen in den Ruin getrieben.

«Das zu akzeptieren, ist das Schlimmste.»
Sie wurde zu fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.

«Mit dieser Schuld muss ich leben.»
Heute wird sie nach Hindelbank gebracht. Zwei Monate zu spät.
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* Name geändert.

Die meisten Plätze fehlen in der Westschweiz

Der Schweizer Strafvollzug hat ein Platzproblem. Die Anstalten sind voll. Obschon ihre Schuld längst bewiesen ist, müssen Straftäterinnen und Straftäter deshalb oft in den Regionalgefängnissen des Landes warten. Dort herrschen grundsätzlich die strengen Be­dingungen der Untersuchungshaft. Das Schweizerische Kompetenzzentrum für den Justizvollzug (SKJV) hat im vergangenen September das letzte nationale Kapazitätsmonitoring in Schweizer Gefängnissen und Vollzugsan­stalten durchgeführt. Das SKJV nahm vor rund einem Jahr seine Tätigkeiten auf mit dem Ziel, eine nationale Koordinationsstelle im komplexen Schweizer Justizvollzug zu schaffen.

Bei der Stichtagserhebung fragte das SKJV auch, wie viele Personen sich aktuell auf einer Warteliste befinden, also als Verurteilte auf einen Platz im geschlossenen oder offenen Vollzug warten. Das Resultat: 804 Männer und 24 Frauen. Wobei diese Zahlen aus zweierlei Gründen mit Vorsicht zu geniessen sind: Erstens umfassen sie auch Per­sonen, die im geschlossenen Vollzug auf einen Platz im offenen warten – obschon das eine Minderheit ist. Und zweitens haben mehrere Kantone unvollständige Angaben geliefert. Das SKJV schreibt dazu: «Es besteht das Risiko, dass die Anzahl der Ge­fangenen auf den Wartelisten zu tief eingeschätzt wurde.»

Besonders in der Westschweiz ist der Platzmangel akut, namentlich in den Kantonen Waadt und Genf. Bezüglich des Vollzugs­konkordats Nordwest- und Innerschweiz – dem der Kanton Bern angehört – fehlen gemäss dem Report 40 Plätze für Männer.

Bezüglich der Vollzugsplätze für Frauen konstatierte das SKJV: «Aufgrund der Warteliste und der praktischen Belegungsgrenze zeigt sich, dass die Anzahl Plätze aktuell unzureichend ist.» Es geht von einem Mangel an 20 Plätzen aus. Auf Rückfrage präzisiert Patrick Cotti, Direktor des SKJV: «Die Situation bei den Frauen ist, im Gegensatz zu derjenigen der Männer, weniger angespannt.» Aber es bestehe Handlungs­bedarf. (cef)
(https://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/platznot-im-strafvollzug-trifft-frauen-besonders-hart/story/24054719)


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