Medienspiegel 3. Juni 2019

+++BERN
Asyl-Aktivisten protestieren vor Berner Rathaus gegen Isolation
Flüchtlinge und Aktivisten haben am Montag vor dem Berner Rathaus gegen den Anwesenheitszwang in den bernischen Asylunterkünften protestiert.
https://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/asyl-aktivisten-protestieren-vor-berner-rathaus-gegen-isolation/story/26817486
-> https://www.derbund.ch/bern/asyl-aktivisten-protestieren-gegen-isolation/story/26304827
-> https://www.nau.ch/ort/bern/asyl-aktivisten-protestieren-vor-berner-rathaus-gegen-isolation-65532970

Aktion gegen den menschenrechtswidrigen Anwesenheitszwang in Asylcamps im Kanton Bern. Der Grosse Rat hat es aktuell in der Hand, sich für Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung der Betroffenen auszusprechen. #GRBern #Bewegungsfreiheit #humanrights #bern #refugeeswelcome
(https://twitter.com/DJS_JDS/status/1135506453245124608)

Aktion: Sagt stopp dem Leben in Gefangenschaft
Aktion gegen den Anwesenheitszwang in den Asylcamps im Kanton Bern
Vor dem Rathaus am ersten Tag der Parlamentssession | Mo 3. Juni 2019 | Rathausplatz | Bern | 12:30 Uhr: Essen | 13-14 Uhr Aktion
Wir kritisieren: In den Asylcamps im Kanton Bern herrschen immer strengere Regeln und Lebensbedingungen. Damit Geflüchtete Sozialhilfe oder Nothilfe bekommen können, müssen sie jeden Tag unterschreiben und in der Nacht im Asylcamp übernachten. Der Kanton Bern verletzt mit dieser Anwesenheitspflicht die Menschenrechte. Mit diesem Anwesenheitszwang bekommen die Asylcamps immer mehr einen Gefängnischarakter. Die Isolation verunmöglicht Integration.
Wir sagen: Geflüchtete brauchen Freiheit und kein Leben in Gefangenschaft. Auch Geflüchtete haben ein Grundrecht auf Bewegungsfreiheit, persönliche Kontakte.. Geflüchtete sollen nicht wie kriminelle Menschen behandelt werden.
Wir fordern:
Kein Schlaf- und Unterschriftenzwang in Asylcamps
Kein Freiheitsentzug in Asylcamps
Keine Spezialbedingungen für Geflüchtete in Asylcamps
Mehr Freiheit
Mehr Kontakt zu Mitmenschen
Mehr Gleichberechtigung
(https://migrant-solidarity-network.ch/2019/05/26/aktion-sagt-stopp-dem-leben-in-gefangenschaft)

Weitere Gründe für Protest!
Am Montag berät der Grosse Rat des Kantons Bern über die zwei neuen Gesetze für Geflüchtete: Das neue Gesetz über Sozialhilfe im Asyl- und Flüchtlingsbereich (SAFG) und die Totalrevision des Einführungsgesetzes zum Ausländer- und Integrationsgesetz und zum Asylgesetz (EG AIG und AsylG). Die neuen Gesetze verfolgen u.a. diese Ziele:

Die Kosten im Asyl- und Flüchtlingswesen des Kantons sollen gesenkt werden. Sowohl in der Betreuung an sich als auch in der Sozialhilfe. Jährlich sollen 7 Millionen gespart werden.
Um das zu erreichen, sollen Geflüchtete, die nicht sowieso abgeschoben werden sollen, so schnell als möglich der Lohnsklaverei zugeführt werden. Vom Bund ist den Kantonen vorgegeben, dass nach sieben Jahren nach Einreise die Hälfte der erwachsenen Geflüchteten mit Status ‚vorläufig Aufgenommen‘ oder ‚Flüchtling‘ „nachhaltig im ersten Arbeitsmarkt integriert sind“.
Sozialhilfe und Unterbringung sollen neu vom „Integrationsstand„ abhängen. Nur wer sich den vorgegebenen „Zielvereinbarungen“ völlig unterwirft, kriegt keine Kürzung der Leistungen.
Die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen soll ausgebaut werden, damit bei Bedarf Geflüchtete einfacher in den Niedrigslohnsektor eingeschleust werden können.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.assetref/dam/documents/portal/Medienmitteilungen/de/2019/02/2019-02-14-rr-gesetz-nabe-vortrag-de.pdf
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.html/portal/de/meldungen/mm/2019/02/20190214_1111_vorlage_zum_neuengesetzueberdiesozialhilfeimasyl-undfluechtlings?utm_source=rss&utm_medium=Medienmitteilungen&utm_campaign=Vorlage+zum+neuen+Gesetz+%C3%BCber+die+Sozialhilfe+im+Asyl-+und+Fl%C3%BCchtlingsbereich+geht+an+den+Grossen+Rat
(https://www.facebook.com/events/428776597678942/?active_tab=discussion)

+++DEUTSCHLAND
Baden-Württemberg: Analverkehr tat nicht weh? Kein Asyl!
In einem Asylverfahren stellte ein Karlsruher Richter bemerkenswerte Thesen zur Glaubwürdigkeit von Flüchtlingen auf, die sich auf ihre Homosexualität berufen.
https://www.queer.de/detail.php?article_id=33747

Abschiebung nach Afghanistan: Am langen Arm Horst Seehofers
Dürfen Mujtaba S. und Ali Merzai in Deutschland bleiben? Ein Mal im Monat geht ein Abschiebeflug nach Afghanistan – trotz instabiler Sicherheitslage.
http://taz.de/Abschiebung-nach-Afghanistan/!5596657/

+++BULGARIEN
Bulgarien: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit
Die Lage der Geflüchteten im Transit, ihre Unterbringung und Integrationsperspektiven in Bulgarien
https://www.rosalux.de/publikation/id/40498/

+++MITTELMEER
Bedford-Strohm besucht “Sea-Watch 3”: EKD-Ratschef unterstützt Seenotretter
Bei einem Besuch auf Sizilien spricht Bedford-Strohm privaten Flüchtlingshelfern Mut zu, die Migranten auf dem Mittelmeer aus Seenot retten. Damit kritisiert er auch die italienische Regierung.
https://www.tagesschau.de/ausland/bedford-strohm-sea-watch-101.html

Liz Fekete über »gesteuerte Migration« und die Folgen der Kriminalisierung humanitärer Hilfe
»Die Solidarität wächst«
Über das Mittelmeer führte 2018 die gefährlichste Seeroute der Welt. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk lag dies an der restriktiven Flüchtlingspolitik der Europäischen Union (EU). Die »Jungle World« sprach mit Liz Fekete vom Londoner Institute of Race Relations über die Kriminalisierung der Flüchtlingshilfe und die Verantwortung der EU.
https://jungle.world/artikel/2019/22/die-solidaritaet-waechst

»Uns drohen 20 Jahre Knast«
nd-Interview: Wer in Italien »Beihilfe zur illegalen Einwanderung« leistet, wird hart bestraft. Auch Seenotretter sollen kriminalisiert werden. Hendrik Simon ist einer davon.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1119870.iuventa-uns-drohen-jahre-knast.html

Italien: 170 Boat-people am Wochenende angelandet
Am Wochende sind ca. 170 Boat-people in Italien angekommen. Das italienische Kriegsschiff „Cigale Fulgosi“ hat ungefähr 100 Geflüchtete nach Genua gebracht. Die Geretteten berichteten den Ärzten in Genau, dass in den zwei Tagen auf See mehrere Personen gestorben sind. Das italienische Kriegsschiff hatte – nach einem Tag beobachtendem Abwarten – erst gerettet, als Alarmphone und Seenotrettungs-NGOs die Kunde eines gestorbenen Kleinkinds weiterleiteten.
70 Boat-people sind bei Taranto in Apulien eigenständig bis an einen Strand gefahren und wurden an Land aufgehalten. Die örtliche Bevölkerung gab ihnen eine erste Versorgung.
https://ffm-online.org/italien-170-boat-people-am-wochenende-angelandet/

+++EUROPA
Flüchtlinge in Libyen: Rechtsanwälte zeigen EU in Den Haag an
In Libyen werden Menschen gefoltert und versklavt, vor der Küste ertrinken Flüchtlinge im Mittelmeer. Eine Gruppe internationaler Juristen erhebt nun schwere Vorwürfe gegen die EU.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-libyen-rechtsanwaelte-zeigen-eu-in-den-haag-an-a-1270301.html
-> https://www.zeit.de/politik/2019-06/fluechtlingspolitik-eu-menschenrechtsverstoesse-anzeige
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1120084.fluechtlingspolitik-rechtsanwaelte-verklagen-eu-in-den-haag.html
-> https://www.afp.com/de/nachrichten/3966/menschenrechtsanwaelte-zeigen-eu-im-zusammenhang-mit-fluechtlingskrise-doc-1h735a6
-> https://www.tagesspiegel.de/politik/bundesregierung-weist-vorwuerfe-zurueck-menschenrechtsanwaelte-zeigen-eu-wegen-fluechtlingskrise-an/24416802.html
-> https://www.srf.ch/news/international/massensterben-im-mittelmeer-menschenrechtsanwaelte-wollen-eu-vor-strafgerichtshof-zerren

+++FLUCHT
Sichere Fluchtwege retten Leben – 7 Gründe
Mehr Informationen zu sicheren Fluchtwegen findest Du unter http://www.fluechtlingstage.ch
https://youtu.be/qVR6iKUDziQ

+++DROGENPOLITIK
Kritik an Cannabispolitik: «Wenn jemand kiffend auf einer Parkbank sitzt und von Polizisten kontrolliert wird, kann er seinen Führerschein verlieren»
Der ehemalige Zürcher Drogenbeauftragte Michael Herzig gilt als einer der profiliertesten Kenner der Schweizer Drogenpolitik. In einem neuen Buch kritisiert er den Umgang des Staates mit Cannabis aufs Schärfste.
https://www.nzz.ch/zuerich/scharfe-kritik-an-cannabispolitik-vollkommene-intransparenz-ld.1485998

Vernichtendes Urteil für Schweizer Cannabispolitik – Rendez-vous
Die Schweiz rühmt sich für ihre liberale Drogenpolitik. Diese sei aber nur ein Mythos, sagt nun ein renommierter Drogenfachmann: Insbesondere bei Cannabis sei die Schweizer Praxis härter als jene in Deutschland oder Frankreich. Ausserdem gebe es stossende Unterschiede zwischen den Kantonen.
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=19bf8594-ed5e-442d-ada0-1b5841dd2f62
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/wildwuchs-bei-cannabispolitik-prohibition-ist-die-duemmste-form-der-regulierung

Cannabis-Versuch auch in Winterthur gefordert
Das Parlament fordert den Stadtrat von Winterthur auf, die Auswirkungen einer kontrollierten Abgabe der Droge zu prüfen. Und ein Experte übt Kritik an der Cannabis-Repression.
https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/winterthurer-parlament-will-cannabis-abgeben/story/31512004
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/aerzte-begruessen-einen-cannabis-pilotversuch-in-winterthur-00112849/

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Anklage im Fall Gundula: Unterstützen Sie zentralplus im Kampf für die Medienfreiheit
Weil sie sich über die besetzte Luzerner Villa Gundula ein eigenes Bild machen wollte, wurde Journalistin Jana Avanzini angeklagt. Nun steht sie bald vor Bezirksgericht. Für die Kosten ihrer Verteidigung wurde ein Crowdfunding organisiert. Doch noch fehlt Ihre Hilfe.
https://www.zentralplus.ch/de/news/gesellschaft/5595943/Unterst%C3%BCtzen-Sie-zentralplus-im-Kampf-f%C3%BCr-die-Medienfreiheit.htm

+++BIG BROTHER
Medienmitteilung 3. Juni 2019
Reitschule Bern //
Der Gemeinderat hat heute mitgeteilt, dass er eine Videoüberwachung des öffentlich zugänglichen Reitschulareals und der Schützenmatte prüfen will.
Die Reitschule ist nicht erstaunt über diesen Entscheid. Er reiht sich nahtlos in die gemeinderätliche Politik der letzten Jahre, die auf die sozialen Herausforderungen des Areals nur Repression als Antwort hat und kaum Wert auf ein gutes Verhältnis zwischen Stadt und Reitschule legt.
Eine Videoüberwachung des Areals lehnen wir klar ab. Es entbehrt jeglicher Verhältnismässigkeit, die tausenden friedlichen Besucher*innen der Schützenmatte und der Reitschule einer Überwachung zu unterziehen. Die Erfahrungen mit Videoüberwachung zeigen klar, dass Straftaten dadurch nicht verhindert werden können.
Wir fordern den Gemeinderat auf, von seiner unkonstruktiven Repressionspolitik abzukommen und für Lösungen wie die Präsenz von Sozialarbeiter*innen ohne ordnungspolizeilichen Auftrag zu sorgen.
Freundliche Grüsse
Mediengruppe Reitschule Bern
https://www.facebook.com/Reitschule/posts/10156919644600660

Stadt prüft Videoüberwachung der Schützenmatte
Kameras als Mittel gegen Drogenhandel und Gewaltdelikte: Der Berner Gemeinderat kann sich vorstellen, Teile des Reitschul-Areals und der Schützenmatte künftig mit Videokameras zu überwachen.
https://www.derbund.ch/bern/stadt-prueft-videoueberwachung-der-schuetzenmatte/story/13865418
-> https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/kameras-auf-der-schuetzenmatte-berner-stadtregierung-will-kameras-bei-der-reitschule-pruefen
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/videokameras-auf-der-schuetzenmatte/story/31888005
-> https://www.nau.ch/politik/regional/berner-regierung-will-kulturzentrum-reithalle-mit-kameras-uberwachen-65532956
-> https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Reitschule-videoueberwacht-21272524
-> Interview mit Reto Nause: https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=e290ece8-c8ca-4ba2-8a37-d032abff49d6
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/gegen-gewalt-und-drogenhandel-stadt-bern-prueft-videoueberwachung-bei-reitschule-134566647

Gemeinderatsantwort auf Motion Fraktion SVP “Stopp der Gewalt bei der Reithalle durch Installation einer geeigneten Überwachungsanlage auf der Schützenmatte (inklusive Reithallenareal und der Innenräume der Reithalle)” (PDF, 88.8 KB)
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-3-juni-2019/motion-fraktion-svp-stpp-der-gewalt-bei-der.pdf/download

Verstärkung der Sicherheitskontrollen an den Grenzen Europas
Statt eines Stempels sollen Pässe und Visa von Bürgern ausserhalb des Schengen-Raums elektronisch erfasst und zentral gespeichert werden. Die Datenbank EES soll den Behörden helfen, die Sicherheit im Schengen-Raum zu erhöhen. Der Nationalrat hat heute der Übernahme dieser Datenbank mit grossem Mehr zugestimmt.
https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=5d0f1508-1edc-4607-bfce-a4f6ae457230&startTime=976.058

+++ANTIRA
(VIA FB Halua Pinto de Magalhães)
Mit der Umbennenung des Louis-Agassiz Platzes in mitten des Uni Campus in Espace Tilo-Frey hat die Stadt Neuchâtel einen mutigen Schritt gemacht in Richtung Anerkennung der eigenen historischen Komplizenschaft im Wissensarchiv des Kolonialismus. Ebenfalls ehrt die Stadt damit die erste Schwarze Nationalrätin aus Neuchâtel, die in dieser Symbolik so ziemlich das Gegenteil verkörpert, für was der Rassentheoretiker Agassiz einstand. Diese Ehrung ist nicht selbstverständlich und ein Verdienst diverser antirassistischer Initiativen aus den vergangenen zehn Jahren.
Dieses Ereignis gilt es zu feiern – gleichzeitig gilt es aber auch nicht zu vergessen, inwiefern die Stadt Neuchâtel ihren Beitrag zur Kontinuität kolonialer Denkmuster geleistet hat, sowie sie auch in Kolonialunternehmungen verstrickt war und davon (bis heute sichtbar) profitiert hat. Die Umbennung ist somit eine Chance die vielfältigen globalen und historischen Verschränkungen zu thematisieren, sowie die damit verbundenen emanzipatorischen Kämpfe sichtbar zu machen.
https://www.facebook.com/events/2305628342982820/

Nach Antisemitismus-Vorwürfen wegen Dusch-Plakat in Hotel: Jetzt sollen jüdische Vermittler in Arosa GR schlichten
Vor zwei Jahren erlangte das Hotel Paradies in Arosa GR schweizweit zweifelhafte Bekanntheit. Grund war eine Botschaft an die jüdischen Gäste, sie sollten doch die Dusche benutzen. Solche «Missverständnisse» sollen jüdische Vermittler nun verhindern.
https://www.blick.ch/news/schweiz/graubuenden/nach-antisemitismus-vorwuerfen-wegen-dusch-plakat-in-hotel-jetzt-sollen-juedische-vermittler-in-arosa-gr-schlichten-id15356026.html

+++VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN
Die neue Art der Verschwörungstheorie: Es zählt die krude Behauptung
Im Internet macht ein neuer Typ Verschwörungstheorie die Runde. Ziel ist nicht das Widerlegen, sondern das Delegitimieren. Attackiert wird gezielt die Glaubwürdigkeit von Menschen und Institutionen mit gesellschaftlich tragenden Rollen – also die freie Presse, Universitäten oder Regierungseinrichtungen. Über die Gefährlichkeit eines neuen Phänomens.
https://www.nzz.ch/feuilleton/die-neue-art-der-verschwoerungsteorie-es-zaehlt-die-krude-behauptung-ld.1485263
-> https://www.nzz.ch/international/us-praesident-donald-trump-bei-verschwoerungstheoretikern-beliebt-ld.1486298

+++GEWALTDEBATTE
tagesanzeiger.ch 03.06.2019

Mit dem Messer in den Ausgang

In Zürich steigt die Zahl schwerer Körperverletzungen durch Stichwaffen. Die Täter werden immer jünger, die Taten brutaler.

David Sarasin

Und plötzlich sticht einer zu. Der 26-Jährige geht zu Boden. In seinem Unterarm klafft ein langer Schnitt. Er blutet stark. Es ist kurz vor 4 Uhr in der Nacht auf Sonntag, als der Türsteher eines Clubs an der Dienerstrasse im Langstrassenquartier um Hilfe gerufen wird. Er eilt mit einem Sanitätskoffer zum 26-Jährigen und verarztet ihn, bevor dieser kurzzeitig ohnmächtig und ins Spital eingeliefert wird. So erzählt es der Türsteher dem «Tages-Anzeiger». Die Polizei bestätigt den Vorfall. Eine Gruppe von rund zehn Personen habe eine Frau belästigt. Ein 26-jähriger Mann habe sich dazwischengestellt, um die Frau zu beschützen. Dann sei er von jemandem aus der Gruppe verletzt worden. Die Täter flüchteten.

Ereignet hat es sich Ende Mai. Die Stadtpolizei spricht von einem «aussergewöhnlichen Wochenende». Der Vorfall in der Langstrasse war einer von drei, nach denen Opfer mit Schnitt- oder Stichwunden ins Spital gebracht wurden. Bei einer Massenschlägerei auf dem Sechseläutenplatz wurde ein 15-Jähriger am Oberkörper verletzt, bei einer Auseinandersetzung unter mehreren Männern an der Häringstrasse traf es einen 29-Jährigen.

Mehr Vorfälle mit Messern

Wegen dieser «aussergewöhnlichen Häufung» nun von einem Trend zu sprechen, wäre übertrieben. Doch verschiedene Zahlen sprechen dafür, dass solche Vorfälle wieder zunehmen. In der aktuellen Zürcher Kriminalstatistik sind Fälle von schwerer Körperverletzung, bei denen Schneid- und Stichwaffen involviert waren, von 2017 bis 2018 um ein Viertel gestiegen. Von 30 auf 40 Fälle. Dies, nachdem die Anzahl Vorfälle in den acht Jahren zuvor eher gesunken ist. Der Anstieg der Fälle setzte sich bisher fort. Auf Anfrage sagen Kantons- wie auch Stadtpolizei, sie hätten in den ersten vier Monaten leicht mehr Fälle von schweren Körperverletzungen mit Stichwaffen ­registriert als in der Vorjahres­periode.

Die einfachen Körperverletzungen wie jener Fall am letzten Maiwochenende in der Dienerstrasse werden vom Statistischen Amt nicht nach Tatmitteln aufgeschlüsselt. Wird im Ausgang zugestochen, sind es selten Fälle von schwerer Körperverletzung, bei denen jemand lebensgefährlich verletzt oder beispielsweise im Gesicht bleibend entstellt wird. Was die Statistik der schweren Körperverletzung durch Stichwaffen neben der Zunahme der totalen Anzahl der Fälle auch zeigt: Vor allem Vorfälle mit Tätern im Alter zwischen 18 und 24 Jahren nehmen zu. In dieser Altersgruppe hat sich die Anzahl der Fälle mehr als vervierfacht. 2018 stieg sie von 3 auf 14 Fälle.

Jugendliche rüsten auf

«Die Zahlen sind zwar niedrig, doch der Anstieg ist auffällig», sagt der Soziologe Dirk Baier, Leiter des Instituts für Kriminalprävention und Delinquenz der ZHAW. Er beschäftigt sich seit zwanzig Jahren mit Messern. Zürich habe in den vergangenen Jahren schweizweit eine Vorreiterrolle eingenommen. «Man muss genau hinschauen», sagt Baier und verweist auf Deutschland. «Gerade unter jungen Männern gehört es in Deutschland heute dazu, ein Messer in der Hosentasche zu haben.» Das Messer sei zu einem Lifestyleprodukt geworden. Ein Drittel der jugendlichen Männer trage eines bei sich. Baier weiss auch, dass es rasch zu einer Art Aufrüsten unter Jugendlichen kommen kann. Junge Menschen, die mit einem Messer unterwegs seien, hätten ein doppelt so hohes Risiko, eine Gewalttat zu begehen.

Betreiber von Zürcher Verkaufsgeschäften sagen, Messer seien zwar bei jungen Männern sehr beliebt, doch hätten sie in den vergangenen Jahren nicht wesentlich mehr verkauft. Warum Messer insbesondere auf junge Männer eine Faszination ausüben, erklärt Richard Eigenheer, der in einem grossen Onlinehandel tätig ist: «Sie gelten als männlich und sind eine Art Machogegenstand.» Messer seien gut zu verstecken und leicht anwendbar. Er betont auch, dass keines seiner Messer im Angebot unters Waffengesetz falle. Eigenheer fügt an, junge Straftäter würden in der Regel günstige Messer einsetzen, die zwischen 15 und 30 Franken kosten. Diese machen bei ihm nur einen kleinen Teil der abgesetzten Messer aus. Denn im Gegensatz zu Onlineverkäufern etwa in Deutschland oder Italien müsse man sich bei ihm auf der Website vor dem Kauf registrieren.

Gestiegene Brutalität

Was Experten wie auch Exponenten, die im Zürcher Nachtleben arbeiten, aufschrecken lässt: Der Trend zum Messer geht einher mit einer gestiegenen Brutalität. Der eingangs zitierte Türsteher sagt dazu: «Es ist auffällig, wie aggressiv die Jungen heute auftreten und rasch dreinschlagen.» Er selber sei zwar noch nie mit einem Messer bedroht worden, doch die Aggressivität habe in den vergangenen Jahren zugenommen. Das schlägt sich in der Kriminalitätsstatistik nieder. Sie verzeichnet eine kantonsweite Zunahme einfacher Körperverletzungen um fast acht Prozent im Jahr 2018. «Diese Zahl ist mehrheitlich aufs Nachtleben zurückzuführen», sagte der Kommandant der Zürcher Kriminalpolizei bei der Präsentation der Statistik im März. Die Auseinandersetzungen seien brutaler geworden, es werde mehr nachgetreten, und es kämen mehr Waffen zum Einsatz. Dies bei sinkender Anzahl Gesamtstraftaten.

Für die Stadtpolizei ist die Häufung der Vorfälle, bei denen Messer im Spiel waren, noch kein Grund, zu reagieren. «Wir beobachten die Tendenzen genau», sagt Stadtpolizeisprecher Marc Surber zwar. Aber auch: «Die Zahlen befinden sich in Zürich noch auf einem sehr tiefen Niveau.» Und so ist das letzte Maiwochenende vorerst ein Sonderfall, die Opfer der Attacken sind aus dem Spital entlassen worden. Was bleibt, ist das Prädikat «aussergewöhnlich».
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/mit-dem-messer-in-den-ausgang/story/18254808)

tagesanzeiger.ch 03.06.2019

«Wer eingreift, muss sich seiner Sache sicher sein»

Was tun, wenn man im Ausgang Zeuge einer gewalttätigen Auseinandersetzung wird? Was, wenn eine Waffe im Spiel ist? Ein Experte gibt Rat.

Corsin Zander

Herr Brändle, wie verhalte ich mich, wenn ich im Ausgang eine Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen beobachte, die eskaliert?

Sie müssen sich bewusst sein, dass ein Teil der jungen Männer im Ausgang gefährlich sein kann. Oft geht es bei gewalttätigen Männern um die Behauptung des eigenen Egos. Und wer eingreift, behauptet oft auch sein Ego. Das wird schnell gefährlich. Deshalb müssen Sie eine Risikoeinschätzung vornehmen, ob Sie sich dieser Gefahr aussetzen wollen.

Soll ich besser nicht eingreifen?

Nein, denn wir wünschen uns alle mehr Zivilcourage. Wer eingreift, hinterlässt grundsätzlich eine positive Wirkung. Aber man muss sich seiner Sache sicher sein. Wichtig ist dabei das Bauchgefühl. Wer das Bedürfnis hat, einzugreifen, soll das tun. Wer lieber weg möchte, sollte weggehen.

Wie gehe ich denn beim Eingreifen konkret vor?

Es ist wichtig, dass Sie keine Opferhaltung einnehmen, sondern mit geradem Rücken und erhobenen Hauptes eingreifen. Und Sie sollten nicht auf den Aggressor zugehen, sondern auf das Opfer mit dem Ziel, das Opfer möglichst schnell aus der Gefahr zu bringen. Schauen Sie den Angreifer gar nicht erst an.

Kann ich das üben?

Es gibt verschiedene Anbieter, die entsprechende Kurse durchführen. Wir empfehlen Angebote mit einem Rollenspiel, bei denen das Eingreifen mit Schauspielern geübt werden kann. Dies bieten auch wir von der Fachstelle Gewaltprävention mit ihrem Zivilcourage-Rundgang im ganzen Kanton Zürich an. Gut ausgebildete Schauspieler inszenieren Übergriffsituationen, und so kann man sein Verhalten live testen.

Ist es gefährlicher, bei einer Gruppe einzugreifen als bei einer Einzelperson?

Die Unterschiede sind riesig. Eine Gruppe ist enorm gefährlich. Da ist es besser, sich zurückzuhalten oder zu flüchten. Denn die Gruppe legitimiert für Gewisse – vor allem junge Männer – die eigenen Gewalthandlungen. In der Gruppe tun sie Dinge, die sie einzeln nie machen würden, und sind viel brutaler.

Fällt es Frauen oder Männern leichter, einzugreifen?

Da gibt es grosse Unterschiede. Wir sehen in den Schulungen immer wieder, dass Frauen durch ihr Auftreten deeskalierender wirken und eher offensiv auf den Aggressor zugehen können. Aber verallgemeinern will ich das nicht. Jede Situation ist sehr individuell.

Welchen Unterschied macht es, wenn Waffen wie etwa Messer im Spiel sind?

Wenn eine Waffe im Spiel ist, sollte man sich besser zurückhalten. Da muss das Bauchgefühl schon sehr stark sein, damit man eingreift. Ich würde nicht mein eigenes Leben riskieren, auch wenn ich mir das in der Opferposition vielleicht wünschte, dass jemand das für mich tun würde.
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/wenn-eine-waffe-im-spiel-ist-sollte-man-sich-besser-zurueckhalten/story/26951345)
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/gefaehrliches-zuerich-junge-maenner-stechen-im-ausgang-immer-mehr-zu-id15355013.html
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/nach-jahren-des-rueckgangs-messerattacken-nehmen-wieder-zu-134566963

 


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