Drei Fragen zu den EU-Wahlergebnissen in Italien

Antworten von Maurizio Coppola, lebt, schreibt und ist aktiv in Neapel beim Ex Opg Je so’ pazzo und bei Potere al Popolo.

  1. Was waren die empörenden Ergebnisse dieser Wahlen?

Wenn wir uns die Resultate in Italien anschauen, dann fällt natürlich gleich der Anstieg des Stimmanteils der rechtskonservativen Lega ins Auge. Innerhalb eines Jahres hat die Partei des aktuellen Innenministers Matteo Salvini einen massiven Zuwachs erlebt: Bei den nationalen Wahlen im März 2018 hatte er noch mit rund 5.7 Millionen Stimmen einen Stimmanteil von 17.4 Prozent. Ein Jahr später, bei letzten Europawahlen also, stieg der Anteil auf 34.3 Prozent, das sind rund 9.2 Millionen Wähler*innen. Innerhalb von 14 Monaten konnte die Lega 3.5 Millionen Stimmen gewinnen und löste somit die 5-Sterne-Bewegung, ihr Koalitionspartner in der Regierung, als stärkste Partei Italiens ab. Europaweit ist die Lega zur zweitstärksten Partei überhaupt aufgerückt, nach der Fidesz-Partei des ungarischen Präsidenten Orban.

Wenn wir die Verteilung nach Regionen unter die Lupe nehmen, dann stellen wir fest, dass die Lega im Norden ihren Anteil bestätigen konnte, jedoch im Süden massiv zugenommen hat. Das ist darum so erschreckend, weil die Lega lange ein stark antimeridionalistischen (anti-süditalienischen) Profil aufbaute und erst in den letzten zwei Jahren, eben unter der Führung von Salvini, zu einer italienweiten Partei mutierte. Ihr Slogan ist heute auch „Prima l’Italia“, ganz nach dem Slogan des US-Präsidenten Donald Trump „America first“. Bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen konnte die Lega in Gemeinden zulegen, die einen hohen symbolischen Wert haben für die antirassistische Bewegung, sprich die kalabresische Gemeinde Riace, wo Bürgermeister Mimmo Lucano eine solidarische Asylpolitik verteidigte oder in Lampedusa, wo die Solidarität mit Geflüchteten immer einen hohen Stellenwert hatte. In Riace hat die Lega über 30 Prozent, in Lampedusa 45 Prozent der Stimmen geholt. Dieser Zuwachs im Süden ist unter anderem auch dadurch gelungen, weil sich die Lega vermehrt mit der organisierten Kriminalität vernetzt.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hingegen haben linke Parteien verloren und keine*n Kandidat*in schaffte es ins EU-Parlament nach Brüssel. Die Demokratische Partei PD, die sich unter der neuen Führung von Nicola Zingaretti als linke Opposition präsentiert, konnte 22.7 Prozent holen und wurde zweitstärkste Partei Italiens. Sie stellt jedoch keineswegs eine Alternative dar: Als sie regierte, verschärfte sie das Asylgesetz und startete einen Angriff auf die Rechte von Migrant*innen. Und noch während der Wahlkampagne meinte der ehemalige Ministerpräsident des PD Paolo Gentiloni, Salvini solle weniger Wahlkundgebungen organisieren und mehr Ausschaffungen vollziehen.

Zusammengefasst haben wir also auf der einen Seite eine Stärkung rechtskonservativer und faschistoider Positionen, auf der anderen Seite praktisch das totale Verschwinden traditionell Linker Parteien. Diese Verschiebung des (partei-)politischen Kräfteverhältnisses birgt nicht nur Gefahren, sondern eröffnet auch Chancen für eine antirassistische Klassenpolitik.

  1. Was steht aus antirassistischer Sicht auf dem Spiel?

An der Medienkonferenz gleich nach der Ankündigung des Sieges der Lega trat Matteo Salvini dezidiert auf: Mit einem Rosenkranz in der Hand, welchen er während seiner Rede auch immer wieder küsste, erklärte er, das Wahlresultat sei eine Bestätigung für seine Politik, die er weiterführen werde. Nebst ökonomischen Reformen wie beispielsweise die Flat-Tax, welche die Lebensbedingungen der Arbeiter*innen massiv beeinträchtigen werden, wird er sein repressives und konservatives Programm weiterführen. Mit dem ersten Sicherheitsdekret hat er die humanitären Asylstatus abgeschafft und Strafen für Hausbesetzer*innen und Strassenblockaden bei Protesten eingeführt. In einem zweiten Sicherheitsdekret, welches in den nächsten Wochen vom Minister*innenrat verabschiedet wird, sind Geldstrafen in der Höhe von bis zu 5.500 Euro für jede*n gerettete*n und nach Italien transportierte*n Geflüchtete*n und der Entzug der Lizenz für die Seeretter vorgesehen. Des weiteren sollen höhere Strafen gegen Demonstrant*innen gesprochen und Polizei und Militär mit neuen Mitteln und Personal aufgestockt werden. Darüber hinaus soll mit einer Verordnung die Schliessung der italienischen Häfen für zivile Seenotrettungsschiffe formalisiert werden. Das Wahlresultat des letzten Wochenendes gibt Salvini natürlich den nötigen Aufwind, um sein Programm möglichst schnell durchzusetzen.

Es weist also alles darauf hin, dass jede Form der Solidarität weiter kriminalisiert werden soll: Die Solidarität zwischen den Proletarisierten, die Solidarität zwischen Italiener*innen und Migrant*innen, die Solidarität zwischen Männer* und Frauen* – eine ganze emanzipatorische Praxis steht unter Angriff.

  1. Wie können Anti-Rassist*innen reagieren?

Während des gesamten Wahlkampfes fanden rechte Kundgebungen statt, nicht nur von Salvini, sondern auch von Exponent*innen anderer rechtskonservativer und rechtsradikaler Parteien. Diese wurden von der Polizei beschützt, trafen aber auf Gegenkundgebungen, die oft besser besucht waren. Und es kam oft zu Ausschreitungen, bei denen auch Journalist*innen und unbetroffene Personen verprügelt und festgenommen wurden.

Bei den Kundgebungen von Salvini wurden sehr kreative Protestformen angewendet. So haben Menschen spontan Transparente mit Aufschriften gegen Salivni und seine Politik an ihre Balkone gehängt, was wiederum zu Repression und Verhaftungen führte. Bei seinem Besuch in Neapel haben wir einen öffentlichen Aufruf gemacht, die Menschen sollen ihre Balkone mit kreativen Transparenten schmücken. Tatsächlich folgten viele diesem Aufruf und die Medien berichteten darüber.

An den Kundgebungen in anderen Städten waren vor allem Jugendliche Protagonist*innen der Proteste. Da Salvini bekannt dafür ist, auf seinen Social Medias ständig Selfies zu posten, haben Jugendliche nach einem Selfie mit ihm gefragt. Viele Mädchen haben sich dann beispielsweise geküsst und somit den Innenminister, der für seine antifeministische und homophobe Positionen bekannt ist, bloss gestellt. Solche Videos zirkulierten sehr breit in den Social Medias und sie wurden von den grossen nationalen Zeitungen übernommen. Solche Proteste haben ein wenig Sonnenschein in die düstere Wahlkampagne gebracht.

Aber das reicht natürlich nicht aus, um politisch und gesellschaftlich Salvini die Stirn zu bieten. Die grosse Herausforderung bleibt die Definition einer neuen Klassenpolitik, welche von der konkreten Praxis der Solidarität zwischen den Ausgebeuteten ausgeht und diese zu organisieren und zu radikalisieren versucht. Diese Praxen können ganz unterschiedlicher Natur sein, je nach Kontext: Anlaufstellen für Geflüchtete und Papierlose, gewerkschaftliche Organisierung von migrantischen Arbeiter*innen in besonderen Sektoren wie beispielsweise die Pflege, die Logistik und die Landwirtschaft etc. Wichtig dabei ist, diese Praxen nicht als in sich abgeschlossen zu betrachten, sondern sie mit einem politischen Projekt zu verbinden, welches sich an einer neuen Klassenpolitik orientiert. Denn die Linke hat in den letzten 15 Jahren, also nach dem Abflauen der globalisierungskritischen Bewegung und der Niederlage der Antikriegsbewegung, massiv an Legitimität und Konsens verloren, weil sie sich immer mehr von den alltäglichen Problemen und Konflikten der Arbeiter*innen distanziert hat. Es geht darum, durch gegenseitige Hilfe das Soziale zu politisieren und sich eben dieses gesellschaftliche Terrain wieder anzueignen. Das ist die effizienteste antirassistische Praxis.