Medienspiegel 26. Mai 2019

++++LUZERN
Das lange Warten hat ein Ende: Meron aus Eritrea darf in der Schweiz bleiben
Nach fast vier Jahren ist jetzt klar: Meron Tesfay aus Eritrea muss nicht in seine Heimat zurück. Sein sehnlichster Wunsch geht damit in Erfüllung. Der 24-Jährige will demnächst eine Lehre starten
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/das-lange-warten-hat-ein-ende-meron-aus-eritrea-darf-in-der-schweiz-bleiben-ld.1121584

Projekt «Laptops für alle» ermöglicht geflüchteten Menschen Zugang zur digitalen Welt
60 ausrangierte Laptops, viele engagierte Helfer und Helferinnen: Das SAH Zentralschweiz arbeitet mit @ctive Asyl und HelloWelcome zusammen an einem Projekt, durch welches Flüchtlinge Zugang zu Computern erhalten und in der Handhabung geschult werden.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/projekt-laptops-fuer-alle-ermoeglicht-gefluechteten-menschen-zugang-zur-digitalen-welt-ld.1122450

+++ZÜRICH
Illegale Besetzer haben Pfingstweidareal verlassen
Die Besetzer haben das Areal im Zürcher Kreis 5 heute Vormittag verlassen. In den letzten beiden Tagen haben rund 3000 Menschen an der Kundgebung teilgenommen.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/illegale-besetzer-haben-pfingstweidareal-verlassen-134531856
-> https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/aktivisten-hinterlassen-besetztes-gelaende-sauber/story/29504543
-> https://www.nzz.ch/zuerich/aktivisten-haben-den-besetzten-zuercher-pfingstweidpark-wieder-geraeumt-ld.1484527
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/nach-besetzung-aktivistinnen-und-aktivisten-haben-den-pfingstweidpark-wieder-verlassen-134531419

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Klimajugend will radikaler werden
Die Klimajugend will einen Schritt weitergehen und mit Störaktionen, die wirtschaftlichen Schaden anrichten, auf die Dringlichkeit des Klimawandels aufmerksam machen.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/klimajugend-will-radikaler-werden-134531854
-> https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Flacht-Klima-Bewegung-langsam-ab–17063673
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/streikende-wollen-druck-erhoehen-klimajugend-plant-stoeraktionen-an-schweizer-flughaefen-id15342998.html
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/zwei-klima-jugendliche-ueber-die-zukunft-ihrer-bewegung-es-gibt-viel-mehr-als-nur-demos-id15343013.html

Das war 1 schönes politisches Wochenende
Zwei der dramatischsten politischen Themen unserer Zeit wurden am Wochenende in Zürich gewürdigt; und gefeiert.
https://tsri.ch/zh/das-war-1-schones-politisches-wochenende/
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/aktivisten-besetzen-zwei-tage-lang-den-pfingstweid-park-00112371/

+++SPORTREPRESSION
Randale nach Fussballspiel in Zürich
Nach dem Spiel des FCZ gegen St. Gallen haben Gästefans die Stadtpolizei angegriffen. In der Nacht gab es weitere Ausschreitungen.
https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/randale-nach-fussballspiel-in-zuerich/story/21979789
-> https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-st-gallen-match-angriff-von-fussballfans-auf-polizei-ld.1484733
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/vermummte-eskalieren-nach-fussballmatch-angriffe-auf-polizisten-und-sachschaeden-in-unbekannter-hoehe-134530376
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/randale-nach-fussballspiel-in-zuerich-00112378/
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/mit-steinen-flaschen-und-boellern-vermummte-fcsg-chaoten-greifen-nach-dem-spiel-in-zuerich-polizisten-an-ld.1122430
-> https://www.zsz.ch/ueberregional/pyrotechnik-und-angriffe-gegen-die-polizei-nach-fussballspiel/story/30992389
-> https://www.landbote.ch/ueberregional/pyrotechnik-und-angriffe-gegen-die-polizei-nach-fussballspiel/story/30992389
-> https://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/FCSG-Chaoten-schiessen-auf-Zuercher-Polizei-26746945
-> https://www.watson.ch/schweiz/blaulicht/196371186-randalen-schlaegereien-fussballchaoten-zuercher-polizei-im-einsatz-in-der-nacht-auf-sonntag
-> https://www.nau.ch/ort/bern/randale-nach-fussballspiel-in-zurich-65529335
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/erneut-aerger-wegen-fussball-chaoten-chaoten-greifen-in-altstetten-zh-polizisten-an-id15343048.html
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/fans-von-fc-st-gallen-gehen-auf-zuercher-polizisten-los-134531868
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2019/mai/pyrotechnik_angriffegegendiepolizeiundsachbeschaedigungennachfus.html

Fussballfans bestehlen Shop und blockieren Zug
Unbekannte haben am Samstagabend in Grenchen den Avec-Shop am Bahnhof bestohlen und den Regionalzug an der Weiterfahrt gehindert.
https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Fussballfans-bestehlen-Shop-und-blockieren-Zug-22278930
-> https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/vermummte-fussballfans-bestehlen-avec-shop-und-hindern-zug-an-weiterfahrt-134530333
-> https://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/regionalzug-gestoppt-solothurner-fussballfans-ueberfallen-grenchner-bahnhof-shop
-> https://www.telem1.ch/aktuell/nach-fussballspiel-vermummte-solothurn-fans-bestehlen-avec-shop-134532537
-> https://www.so.ch/verwaltung/departement-des-innern/polizei/medienmitteilungen/medienmitteilungen/news/grenchen-solothurn-avec-shop-bestohlen-und-zug-an-weiterfahrt-gehindert/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=8b5e5e7a4f73276a15d9111a4d2f8bea

+++BIG BROTHER
Sonntagszeitung 26.05.2019

5G erschwert die Arbeit von Geheimdienst und Polizei

Mit dem neuen Mobilfunkstandard funktioniert die staatliche Überwachung nicht mehr wie gewohnt.

Simon Widmer, Andreas Tobler

Der neue Mobilfunkstandard 5G ist bis zu 100-mal schneller, er wird aber auch die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden erschweren. Im Fokus steht die sogenannte International Mobile Subscriber Identity (IMSI), eine Identitätsnummer, die auf dem Handy oder der SIM-Karte gespeichert ist. Mit dem neuen 5G-Standard wird sie verschlüsselt; diese Sicherheitsmassnahme haben Telecomfirmen bei der Arbeitsgruppe 3GPP durchgesetzt, die weltweit die Sicherheitsstandards definiert.

Sogenannte IMSI-Catcher könnten bei 5G damit nicht mehr eingesetzt werden. Das sind unauffällige Koffer, die eine Handyantenne simulieren und sich so zwischen Mobiltelefone und Antennen einklinken können. Das Handy loggt sich beim IMSI-Catcher ein, dieser kann sämtlichen Datenverkehr abgreifen und auch Telefongespräche abhören. In der EU gibt es deshalb konkrete Pläne, die Sicherheit der 5G-Netzwerke zu schwächen. Der EU-Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove hat in einem internen Schreiben, das der TV-Sender ORF publik machte, die Mitgliedsstaaten aufgefordert, eine Verschlüsselung von 5G zu verhindern, um die Überwachung durch IMSI-Catcher doch noch zu ermöglichen.

Probleme bei der Fernmeldeüberwachung möglich

Auch die Schweizer Strafverfolger reagieren. Gemäss der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) laufen zurzeit Abklärungen, inwiefern der Einsatz eines IMSI-Catchers durch den neuen Mobilfunkstandard tatsächlich behindert wird. Bei der Bundespolizei Fedpol heisst es: «Technische Weiterentwicklungen der Telekommunikation sind nicht neu. Die Strafverfolgungsbehörden müssen ihre Ermittlungsinstrumente dementsprechend auch weiterentwickeln.» Bei der Kantonspolizei Zürich seien Anpassungen geplant, sagt ein Sprecher. Welche Anpassungen vorgenommen werden, bleibt unerwähnt.

Beim Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (ÜPF) weist man darauf hin, dass das 5G-Netz in der Schweiz in zwei Etappen ausgerollt werde. Mit der ersten Etappe werde das sogenannte Non-Standalone 5G etabliert, mit dem der bisherige Standard 4G weiterhin als Kernsystem verwendet wird. Ab 2020 wird das Standalone 5G aufgebaut. «Ab Einführung von Standalone 5G könnte es effektiv zu Problemen bei der Fernmeldeüberwachung und dem Einsatz von besonderen technischen Geräten wie IMSI-Catchern kommen, wenn keine geeigneten Alternativen gefunden werden», sagt Sprecher Nils Güggi.

IMSI-Catcher: Wichtig für Spionage und Rettung

Im vergangenen Jahr wurden 84 Einsätze mit IMSI-Catchern durchgeführt. «Dabei handelt es sich lediglich um die Zahl der abgeschlossenen Verfahren», sagt Martin Steiger, Rechtsanwalt und Sprecher der Digitalen Gesellschaft, die sich gegen Massenüberwachung starkmacht. Noch laufende Verfahren, bei denen IMSI-Catcher im Einsatz waren, wurden also nicht mitgezählt. Zudem würden für die Statistik nur jene Einsätze berücksichtigt, die von den Polizeibehörden gemeldet wurden. Beim Fedpol weist man darauf hin, dass IMSI-Catcher auch zwei- bis dreimal pro Monat bei Not­suchen, etwa bei Menschen, die von Lawinen verschüttet werden, zum Einsatz kommen.

Die Telecomfirmen äussern sich unterschiedlich zur Frage, ob mit IMSI-Catchern auf ihre Netze zugegriffen werden kann. Salt konnte Fragen bis Redaktionsschluss nicht beantworten. «Sunrise stellt heute und künftig technisch sicher, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Überwachungsformen auch über 5G möglich sind», sagt ein Sprecher. Weitere Angaben könne man aus Sicherheitsgründen nicht machen.

«IMSI-Catcher haben beispielsweise die Möglichkeit, die Verbindungen zwischen dem Handy und der nächsten Antenne zu blockieren, sodass ein Mobiltelefon sich erst gar nicht mit dem 5G-Netz verbinden kann», sagt Martin Steiger. Die Swisscom widerspricht: IMSI-Catcher würden bereits seit der dritten Generation Mobilfunktechnologie bei der Swisscom nicht mehr funktionieren. «Zudem ist es unwahrscheinlich, dass jemand mit einem IMSI-Catcher über unser GSM-Netz (2G) Gespräche abhören kann, wir haben hier zusätzliche Sicherheitsschwellen eingebaut», sagt eine Sprecherin.

«Eine End-zu-End-Verschlüsselung wird es nie geben», sagt hingegen Steiger von der Digitalen Gesellschaft. «Jeder Telekommunikationsanbieter ist heute zudem verpflichtet, in seinen Netzen eine Schnittstelle offen zu halten, die von Sicherheitsbehörden für die Überwachung genutzt werden kann.» Diese Schnittstelle kann allerdings von Hackern attackiert werden. Auch nach der Einführung von 5G.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/5g-erschwert-die-arbeit-von-geheimdienst-und-polizei/story/25380904)

+++POLIZEI ZH
SVP auf Streife mit der Stadtpolizei Zürich: Hier steigt Rösti ins Milieu ein
«SVP bi de Lüt» ist für SVP-Parlamentarier mittlerweile Routine. Einmalig und ohne Show war hingegen das Format «SVP bi de Schmier»: SonntagsBlick war dabei, als die SVP-Fraktion in Zürich auf Patrouille ging.
https://www.blick.ch/news/politik/svp-auf-streife-mit-der-stadtpolizei-zuerich-hier-steigt-roesti-ins-milieu-ein-id15342529.html

Ein Polizist tritt bei einer Verhaftungsaktion eine Frau mit seinem Stiefel – und wird freigesprochen
Ein 30-jähriger Kantonspolizist, der bei einer Verhaftungsaktion der Lebenspartnerin eines mutmasslichen Drogendealers einen Fusstritt versetzt hatte, ist vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung und des Amtsmissbrauchs freigesprochen worden.
https://www.nzz.ch/zuerich/zuercher-obergericht-polizist-tritt-frau-mit-stiefel-ld.1484574

+++POLIZEI CH
Reto Nause erhält Unterstützung von Parteichef Gerhard Pfister
Gewalt gegen Beamte nimmt zu und die Politik sieht zu, kritisiert Berns Sicherheitschef Reto Nause. Unterstützung erhält er von CVP-Präsident Gerhard Pfister.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/reto-nause-erhalt-unterstutzung-von-parteichef-gerhard-pfister-65528847

+++ANTIRA
antira-Wochenschau: Uni gegen rechts, Pfingstweidpark gegen Lager, Roland Schöni gegen Fahrende
https://antira.org/2019/05/26/antira-wochenschau-uni-gegen-rechts-pfingstweidpark-gegen-lager-roland-schoeni-gegen-fahrende/

+++SONS OF BELP
Thuner Biker-Klub verprügelt Aussteiger
Hells-Angels-Supporter aus Thun verprügeln nicht nur Mitglieder rivalisierter Klubs, sondern auch ihre eigenen.
https://www.derbund.ch/bern/thuner-biker-klub-verpruegelt-aussteiger/story/15126686

+++RECHTSPOPULISMUS
ÖSTERREICH
-> https://nzzas.nzz.ch/international/oesterreichs-kanzler-kurz-er-dreht-ungeruehrt-seine-runden-ld.1484696
-> https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/oesterreich-die-fpoe-heute-ist-eine-noch-abstossendere-variante-des-rechtspopulismus-als-damals-ld.1484678
-> https://www.blick.ch/news/ausland/genug-ist-genug-oesi-kanzler-kurz-beendet-koalition-mit-fpoe-neuwahlen-id15328838.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/zentrum-fuer-politische-schoenheit-soll-strache-video-erworben-haben-100.html
-> https://www.tagesschau.de/ausland/oesterreich-ibiza-skandal-105.html
-> https://www.blick.ch/sonntagsblick/editorial/sonntagsblick-chefredaktor-gieri-cavelty-ueber-die-folgen-von-ibiza-warum-die-rechtspopulisten-von-ibiza-profitieren-id15342684.html
-> https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/nach-der-ibizaaffaere-schwoert-die-fpoe-rache-an-sebastian-kurz/story/13467851
-> https://www.blick.ch/news/ausland/oesterreichs-kult-verleger-wolfgang-fellner-erklaert-den-schweizern-sein-land-strache-wird-wieder-kommen-id15342676.html

+++SCHWEIZ/TSCHETSCHENIEN
Ausschaffung in die Ausweglosigkeit
– augenauf-Bulletin Nr. 101 Mai 2019 –

Wie fahrlässig Schweizer Behörden mit schwerkranken Menschen umgehen, wenn es um deren Ausschaffung geht, und wie wenig die Menschenrechtslage und die medizinische Versorgung in Herkunftsländern berücksichtigt werden, zeigt der erschütternde Bericht von Sandro*, der im Herbst 2018 nach Russland ausgeschafft wurde.

2013 kommt Sandro aus seiner Heimat Tschetschenien in die Schweiz. Sein Asylgesuch wird abgelehnt, doch er bleibt, findet seine grosse Liebe und Freunde. Aufgrund seines illegalen Aufenthalts hat er ständig Angst und keinen Zugang zu Arbeit. Im Mai 2018 stellt Sandro deshalb ein zweites Gesuch beim kantonalen Migrationsdienst Bern. Er wird allerdings sofort verhaftet und kommt in Ausschaffungshaft. Sein Asylgesuch wird erneut abgewiesen. Trotz Bittschreiben mehrerer Menschenrechtsaktivist*innen aus Tschetschenien, die seine Gefährdung in seiner Heimat bestätigen, und seiner schweren psychischen Erkrankung (komplexe posttraumatische Belastungsstörung) hält der Kanton Bern an der Haft und der Ausschaffung fest.

Im Regionalgefängnis Moutier erleidet Sandro einen Nervenzusammenbruch. Weil die Gefängnisleitung keine Deutsch sprechende psychiatrische Fachperson findet, steckt sie ihn in einem kleinen Bunker in Isolationshaft. Sandro ist seit seiner Kindheit traumatisiert. Er hat zwei Kriege im Keller verbracht und wurde Zeuge schwerer Menschenrechtsverletzungen. Seit Jahren ist er auf Psychopharmaka angewiesen. Weil er in Haft keine professionelle Hilfe mehr erhält, verschlimmert sich seine Krankheit zusehends. Nach Interventionen seines Anwalts und des Solidaritätsnetzes Bern wird Sandro dann doch psychiatrisch begutachtet und später nach Bern in die Psychiatrie verlegt, wo man ihm zusätzlich noch eine paranoide Schizophrenie attestiert. Scheinbar war die Extrembelastung durch die Isolationshaft und die Angst vor der Ausschaffung für ihn derart gross, dass er Wahnvorstellungen entwickelte. Beim Austritt aus der Psychiatrie ist Sandro nicht mehr fähig, normal zu sprechen und ruhig zu stehen. Sein Bewusstsein wirkt getrübt, sein Atem geht schwer, er hat Koordinationsprobleme und Schwierigkeiten mit Wasserlösen. Zurück im Gefängnis muss Sandro am 1. Oktober 2018 notfallmässig hospitalisiert werden – der Grund: Harnverhalt nach Einnahme von Haldol, einem starken Neuroleptikum. Die Arztberichte bestätigen, dass Sandro wegen seiner durch die jahrelange Einnahme von verschriebenen Psychopharmaka entstandene Medikamentenabhängigkeit, der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und der zuletzt diagnostizieren paranoiden Störung dringend Behandlung und eine Therapie braucht. Entgegen der Empfehlung der Ärzt*innen, die Ausschaffung zumindest medizinisch vorzubereiten, schafft der Migrationsdienst des Kantons Bern Sandro am 22. Oktober 2018 zwangsweise nach Russland aus.

Bei seiner Rückkehr wird Sandro in schlechtem Allgemeinzustand am Moskauer Flughafen vom Inlandgeheimdienst FSB verhört. Die Beamt*innen unterstellen ihm Teilnahme an kriegerischen Handlungen in Syrien. Er behauptet, in Europa gearbeitet zu haben – seinen Aufenthalt in der Schweiz kann er mit Daten von seinem Handy belegen, sodass er freigelassen wird. An der Grenze zur Tschetschenischen Republik wollen tschetschenische Sicherheitskräfte ihn erneut festhalten; dies mit der Begründung, er sehe aus wie ein Drogenabhängiger. Er hat Glück und gelangt zu seiner Tante in Grosny. Sein gesundheitlicher Zustand wird immer schlechter: Aufgrund des Medikamentenentzugs schläft er kaum, hat ständig Schüttelfrost, Paranoia, Angstanfälle, Halluzinationen und Schmerzen am ganzen Körper. Sein Gewicht schwindet von 72 auf kritische 55 Kilogramm. Da die Medikamente, die Sandro in der Schweiz jahrelang eingenommen hatte, in Russland verboten sind und als Drogen gelten, holt sich Sandro keine medizinische Hilfe. Drogenmissbrauch wird in der Tschetschenischen Republik ähnlich drakonisch geahndet wie Homosexualität. Ärzt*innen sind verpflichtet, potenziell Betroffene bei den Behörden zu denunzieren. Diese werden oft eingesperrt und routinemässig gefoltert. Auch eine Behandlung ausserhalb Tschetscheniens ist für Sandro keine Option – er fürchtet, die Kontrollen an der Grenze wegen seines Erscheinungsbildes nicht passieren zu können.

In Tschetschenien steht die Bevölkerung, allen voran junge Männer und ganz besonders Rückkehrer aus dem Ausland, unter Generalverdacht. Am 14. November 2018 wird Sandro vom Haus seiner Tante abgeholt und auf dem Polizeiposten in Grosny eine Nacht lang unter Schlägen verhört. Ihm wird vorgeworfen, er sei im Syrienkrieg gewesen. Als er erklärt, dass er in der Schweiz gewesen sei, wird er zu seinen Kontakten zu Tschetschenen in Europa befragt. Auf seinem Mobiltelefon finden sie Kontaktdaten von Menschenrechtler*innen, die als Flüchtlinge in Bern leben. Die Polizei reagiert darauf mit brutalen Schlägen. Am nächsten Tag lassen sie Sandro gegen eine informelle Zahlung von umgerechnet CHF 2000.– mit den Worten frei, er solle zu Hause sitzen und warten.  Sofort bringen Angehörige ihn aus der Tschetschenischen Republik heraus und zu einem, einer Ärzt*in im Süden von Russland.

Nicht nur, weil ihm das Geld für eine Wohnung fehlt, kann Sandro dort nicht Wohnsitz nehmen. Auch würde er damit erneut die tschetschenischen Behörden auf sich aufmerksam machen. Weder in Tschetschenien noch in Russland besteht für ihn Zugang zu einer psychiatrischen Behandlung. Die Freundin, die in der Schweiz lebt, äussert gegenüber augenauf Bern: «Er ist jetzt einfach ein kranker, depressiver Mensch. Wenn du eine Minute mit ihm sprichst, willst du selber sterben.» Er leidet unter den Entzugserscheinungen, Panikattacken, starken Kopfschmerzen und einer schweren Depression. Die Platzwunden von den Schlägen sind zwar verheilt – die Folgen der psychischen Folter und die Angst dauern aber an.

* Name geändert, die Red.

augenauf Bern

Ähnlich schockierend ist die lebensgefährliche Situation von Ruslan N. (48)

Beim im Kanton Aargau lebenden Asylbewerber Ruslan N. wird vor einem Jahr die Diagnose einer neurogenen Harnblasenfunktionsstörung mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen und einer Nierenbeckenentzündung gestellt. Ruslan ist an den Rollstuhl gebunden und muss permanente Blasenschmerzen ertragen. Weil ihm als «Ausreisepflichtigem» die Behandlung verwehrt wird, beginnt er – von seinen Schmerzen geplagt –, sich mit dem Rasiermesser selbst zu verletzen. Im August 2018 weist der behandelnde Facharzt darauf hin, dass mit einem Reflux in beide Nieren zu rechnen sei, was mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer terminalen Niereninsuffizienz führe. Ruslan benötige daher dringend eine Operation. Weil das Aargauer Migrationsamt untätig bleibt, schaltet sich eine Kontaktperson ein und verlangt unter Androhung einer Strafanzeige im Falle unterlassener Hilfeleistung vom Migrationsamt sofortiges Handeln und Einsicht in die Akten.

Aus den Akten geht hervor, dass das Migrationsamt die Operationsbedürftigkeit des Betroffenen schlicht ignoriert. Obwohl der Behörde die Diagnose seit Monaten bekannt ist, versucht sie, die Operation in der Schweiz durch Ruslans Ausschaffung zu verhindern. Unter Umgehung der behandelnden Ärzt*innen verhandelt der Kanton dabei einzig mit der Firma OSEARA, die für die medizinische Betreuung bei Ausschaffungen zuständig ist – offenbar ohne diese über Ruslans Gesundheitszustand vollständig zu informieren. Erst am 14. November 2018 wird der OSEARA der urologische Befund vom August 2018 zur Kenntnis gebracht. Nachdem im Dezember 2018 die «Aargauer Zeitung» über den Fall berichtet hat («Was, wenn Ruslan stirbt?» vom 26.12.2018), kann Ruslan im Februar 2019 endlich operiert werden.

Es ist davon auszugehen, dass das Migrationsamt nach der Behandlung weiterhin auf eine rasche Ausschaffung von Ruslan drängen wird. Dieses geht offenbar von wenigen Wochen Erholungszeit aus. Jedoch ist wahrscheinlich, dass Ruslan noch mehrere Monate benötigen wird, um sich von diesem schweren Eingriff zu erholen. augenauf bleibt dran, damit Ruslan nicht – und erst recht nicht in diesem Zustand – ausgeschafft wird!

augenauf Bern


Aus: augenauf-Bulletin Nr. 101 Mai 2019
https://www.augenauf.ch/images/BulletinProv/Bulletin_101_Mai2019.pdf

Was, wenn Ruslan stirbt? Aargau verweigerte Flüchtling eine dringend nötige Operation
Ruslan Nachchaev müsste dringend operiert werden. Doch der Kanton will ihn und seine Familie ausschaffen und verweigert die Operation. Erst als rechtliche Schritte angedroht werden, geht plötzlich alles schnell. Im Nachhinein bereuen die Verantwortlichen den Entscheid.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/was-wenn-ruslan-stirbt-aargau-verweigerte-fluechtling-eine-dringend-noetige-operation-133890529

 


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