Im Namen der Frauenrechte? Feministischer Nationalismus und Neoliberalismus

Sara R. Farris ist eine marxistische Feministin die zu feministischem Nationalismus forscht. Sie hat das Buch In the Name of Women‘s Rights geschrieben, das 2017 erschien. Wir haben hier einen Vortrag übersetzt den sie in Frankreich gehalten hat um ihr Buch vorzustellen. Das Original ist hier zu finden.

Ich habe mir gedacht damit zu beginnen, euch ein wenig davon zu erzählen was mich dazu gebracht hat dieses Buch zu schreiben. Im 2011 lebte ich in Deutschland und habe mit ein paar Kolleg*innen eine Konferenz zum Thema der Verwendung feministischer Ideen durch die Rechte organisiert. Das Buch über Homonationalismus von Jasbir Puar [1] war ein paar Jahre früher erschienen und hat zu einer wichtigen Debatte über das Zusammenspiel der Schwulen- und LGBT-Bewegung mit dem amerikanischen Nationalismus und der Islamophobie in den USA geführt. In Europa habe sich verschiedene Feministinnen und Soziologinnen gefragt, wie die rechtsextremen Parteien versuchen uns weiszumachen, sie beschäftigten sich mit Frauenrechten und wollten den Islam bekämpfen, um diese Rechte zu verteidigen.

Da ich während mehreren Jahren zu Fragen der Migration von Frauen und vor allem zu Stereotypen und Repräsentationen migrantischer Frauen und Muslimas in Europa gearbeitet hatte, interessierten mich diese Fragen sehr. Vor allem um die sogenannten „Narrative der Rettung“ zu verstehen, die die Rechte, die Neoliberalen aber auch gewisse Feministinnen benützten, wenn sie über muslimische und migrantische Communities sprachen und davon, dass diese Frauen von ihren zurückgebliebenen Kulturen emanzipiert werden müssen.

Aber ich war nicht so zufrieden mit den Antworten, die die bereits gemachten Untersuchungen lieferten. Denn ich gehöre zur feministischen Strömung des marxistischen Feminismus. Ich interessierte mich daher für die Möglichkeit, eine polit-ökonomische Logik hinter diesen „Narrativen der Rettung“ zu finden. Ich wollte untersuchen, ob die plötzliche Stigmatisierung muslimischer und migrantischer Männer im Namen der Frauenrechte auch einen Zusammenhang mit der Position der muslimischen und migrantischen Frauen in der ökonomischen Sphäre hat. Ich habe also begonnen mich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, woraus schliesslich dieses Buch wurde.

Ich werde euch nun die wichtigsten Argumente vorstellen, die im Buch ausgeführt werden. Zunächst analysiere ich in diesem Buch, was ich die Konvergenz der drei sehr unterschiedlichen politischen Agenden rund um die Anti-Islam-Politik nenne: rechtsnationale, feministische und neoliberale Politik.

Ich analysiere diese Konvergenz in drei Ländern, die wichtige Ähnlichkeiten in der Art aufzeigen, in der diese Konvergenz vonstatten ging: Frankreich, die Niederlande und Italien. Von Geert Wilder über Matteo Salvini bis Marine Le Pen ist ein zentrales Thema dieser rechten Nationalist*innen die grosse Gefahr, die von muslimischen Männern für die westeuropäischen Gesellschaften ausgeht. Insbesondere wegen ihrer Unterdrückung der Frauen. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums haben sich auch berüchtigte Feministinnen dem Anti-Islam-Chor angeschlossen.

Während der 2000er-Jahre haben die feministische Philosophin Elisabeth Badinter, die holländische Politikerin Ayan Hirsi Ali und die berühmte „gelegentliche Feministin“ Oriana Fallaci die muslimischen Communities als sexuelle Ausnahmeerscheinungen verurteilt und verwiesen auf westliche Länder, in denen die Geschlechterverhältnisse besser sind. Ebenso haben Frauenorganisationen und leitende Bürokrat*innen von staatlichen Gleichstellungsbehörden – oft als Femokraten bezeichnet – alle islamische religiöse Praktiken als besonders patriarchalisch identifiziert und argumentiert, dass sie keinen Platz in der westlichen Öffentlichkeit haben.

Daher haben sie alle rechtlichen Vorstösse wie Schleierverbote unterstützt, während sie muslimische Frauen als passive Opfer dargestellt haben, die gerettet und emanzipiert werden müssen. Diese heterogene feministische anti-islamistische Front präsentiert Sexismus und Patriarchat als Domäne die fast nur vom muslimischen Anderen besetzt ist.

Diese Verbindung zwischen einer anti-islamischen Agenda und der emanzipatorischen Rhetorik der Frauenrechte beschränkt sich aber nicht auf die Nationalist*innen und Feminist*innen. Die Verteidiger*innen des Neoliberalismus haben mehr und mehr ebenfalls anti-islamische Bilder im Namen der Frauenrechte in Stellung gebracht. Ein gutes Beispiel findet sich in den Integrationsprogrammen für Migrant*innen die – wie ich später erkläre – ein Symbol des Neoliberalismus sind. Diese Programme, die die Integration von Migranten in die europäischen Gesellschaften fördern sollen, haben die Erteilung von langfristigen Aufenthaltserlaubnissen für Migranten von ihrer Verpflichtung abhängig gemacht, die Sprache, Kultur und Werte des Einwanderungslandes zu erlernen. Sie fordern Migranten daher auf, die Frauenrechte als einen zentralen Wert des Westens anzuerkennen und sich in die westlichen kulturellen Praktiken einzugliedern, die als zivilisierter dargestellt werden.

Angesichts dieser Praktiken lautet die Frage, die ich in meinem Buch untersuche: Warum berufen sich diese verschiedenen Bewegungen auf die gleichen Prinzipien und identifizieren muslimische Männer als eine der gefährlichsten Bedrohungen für die westlichen Gesellschaften? Sehen wir den Aufstieg eines neuen nachhaltigen Bündnisses, oder ist das, was ein Konsens über das gesamte politische Spektrum zu sein scheint, nur Zufall? Und schliesslich, warum werden muslimischen Frauen in einem Kontext wachsender Islamfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit, insbesondere in Bezug auf Beschäftigung und Sozialschutz, „Emanzipation“ und „Rettung“ angeboten? Um diese Fragen zu beantworten und die politische und wirtschaftliche Logik hinter dieser unerwarteten Konvergenz zwischen den verschiedenen politischen Motive zu identifizieren, habe ich den Begriff Femonationalismus gewählt.

Der Femonationalismus bezieht sich sowohl auf die Verwendung feministischer Themen durch Nationalisten und Neoliberale in anti-islamischen Kampagnen (aber auch, wie ich zeigen werde, auf die Anti-Immigration) als auch auf die Beteiligung einiger Feministinnen an der Stigmatisierung muslimischer Männer unter dem Banner der Gleichstellung der Geschlechter. Femonationalismus beschreibt damit zum einen die Versuche rechter und neoliberaler Parteien, fremdenfeindliche und rassistische Politik durch Förderung der Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben und zum anderen die Beteiligung verschiedener Feminist*innen an der Darstellung des Islam als frauenfeindliche Religion und Kultur par excellence.

Ich möchte vorschlagen, dass der Femonationalismus als eine Ideologie verstanden werden muss, die aus einer bestimmten Art der Begegnung oder Konvergenz zwischen verschiedenen politischen Projekten stammt und die von einer spezifisch wirtschaftlichen Logik hervorgebracht wird und diese produziert. Für mich geht es darum, den Femonationalismus als neoliberale politische Ökonomie zu erklären.

Wie ich eingangs sagte, haben nur sehr wenige Studien versucht, die wirtschaftlichen und politischen Grundlagen dieser ideologischen Konvergenzen zu erforschen. Die wenigen Studien, die versucht haben, die politische und wirtschaftliche Dimension des Übergangs zu geschlechtsspezifischen und schwulen Themen im Rahmen konservativer, neoliberaler oder rassistischer Politiken zu berücksichtigen, haben sich hauptsächlich auf den Neoliberalismus als den kontextuellen Rahmen bezogen, in dem dieser Wandel stattfand.

Sirma Bilge argumentiert zum Beispiel, dass die Möglichkeit, dass Geschlecht und Sexualität zu einem „Operationsfeld rassistischer und imperialistischer Nationalismen“ werden können, hauptsächlich auf ihre Vereinbarkeit mit der neoliberalen Methode zurückzuführen ist, strukturelle Ungleichheiten hinter kulturellen Konflikten zu verbergen. Diese Studien nähern sich dem Neoliberalismus jedoch als dem ökonomischen Theater der Begegnung zwischen diesen verschiedenen Kräften, aber nicht als einer der Hauptakteure auf der Bühne. Ich stimme zwar zu, dass der Neoliberalismus für das Verständnis dieser Phänomene von zentraler Bedeutung ist, aber ich würde argumentieren, dass der Neoliberalismus nicht nur der wirtschaftliche Kontext ist, in dem die oben genannte Konvergenz stattfindet, sondern dass er selbst eine solche Konvergenz darstellt.

Das wichtigste Beispiel dafür ist die Politik der Integration von Migrantinnen in die Zivilgesellschaft. Diese Politiken sind äusserst wichtig, weil sie die Beteiligung von Neoliberalen an der Stigmatisierung von Muslimen und Einwanderern im Namen der Frauenrechte widerspiegeln, und weil sie uns nachdrücklich daran erinnern, dass der Feminismus nicht nur ein fliessender, auf die Medien beschränkter Diskurs ist, sondern dass er tatsächlich in reale Politik umgesetzt wird. Wie ich eingangs bereits erwähnte, erfordern diese Politiken, dass Migrant*innen, um ihr Aufenthaltsrecht zu erhalten, lernen, was als die wichtigsten kulturellen Prinzipien der europäischen Staaten bezeichnet werden. Die Gleichstellung der Geschlechter wird hier als eine Säule der westeuropäischen Nationen dargestellt, und die Erklärung der Achtung der Frauenrechte ist zu einer Voraussetzung für die längerfristige Niederlassung von Migrant*innen in Europa geworden.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Integrationsprogramme nicht nur eine kulturelle Dimension, sondern auch eine starke wirtschaftliche Komponente haben. Mit der Einrichtung des Europäischen Integrationsfonds im Jahr 2007 – der Initiativen verschiedener europäischer Organisationen zur Erleichterung der Integration von Migrant*innen finanzieren soll – haben sich die Integrationspolitiken in den Niederlanden, Frankreich und Italien insbesondere an Frauen gerichtet. Eines der Ziele dieses Fonds ist es, materielle Mittel für Programme bereitzustellen, die Migrantinnen bei der wirtschaftlichen Integration durch die Suche nach einer Arbeitsstelle unterstützen.

In den letzten Jahren wurden auf EU-Ebene schrittweise viele statistischen Daten, transnationale Studien und politischen Dokumente erstellt, in denen die niedrigeren Beschäftigungs- und Erwerbsquoten von Migrantinnen im Vergleich zu nicht-westliche Migranten hervorgehoben werden. Die niedrige Erwerbsquote dieser Frauen wird mehr oder weniger explizit auf ihre rückständige kulturelle Herkunft zurückgeführt, die dafür verantwortlich gemacht wird, muslimische und nicht-westliche Migrantinnen in einem Zustand der wirtschaftlichen Unterwerfung und Abhängigkeit zu halten und sie somit vom Eintritt in den Arbeitsmarkt abzuhalten.

Um die Ressourcen des Integrationsfonds zu gewährleisten, wurden seit 2007 eine Reihe von Programmen verabschiedet, die den Eintritt von Migrantinnen aus außereuropäischen Ländern in den nationalen Arbeitsmarkt fördern sollen. Es sei darauf hingewiesen, dass in den drei Ländern, auf die ich mich konzentriere, einige Frauen- und feministische Organisationen an vorderster Front Vorschläge zur Förderung der Integration von Migrantinnen in den Arbeitsmarkt unterbreitet haben. So hat beispielsweise in Frankreich seit 2009 das Gesetz über die Integration von Migranten eine „berufliche Kompetenzbewertung“ als verbindliche Anforderung für alle Unterzeichner*innen des Aufnahme- und Integrationsvertrags (CAI) eingeführt.

Migrant*innen, die das CAI unterzeichnen, müssen einen dreistündigen Kurs besuchen, in dem ihre Schulzeugnisse und Dokumente zum Nachweis ihrer Fähigkeiten und Berufserfahrung bewertet werden. Nach den im Jahr 2011 veröffentlichten offiziellen Daten haben 58,7% der CAI-Unterzeichner*innen das gemacht; 65% davon waren Frauen. Die Durchführung der obligatorischen Bewertung der beruflichen Fähigkeiten wurde der Öffentlichkeit als Mittel zur Förderung der Integration von Migranten*innen vorgestellt, nach dem Motto: „Der Zugang zur Beschäftigung ist eine der Prioritäten der französischen Regierung, um die Integration von Neuankömmlingen in die französische Gesellschaft zu erleichtern“.

Darüber hinaus wurde es als Instrument zur Bekämpfung der benachteiligten Stellung der Migrant*innen auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere der weiblichen, vorgesehen. Obwohl es als Mittel vorgestellt werden, um den Migrant*innen zu helfen, ihre Arbeitssuche an ihre Fähigkeiten anzupassen, hat die Strategie zur Bekämpfung der verminderten Erwerbs- und Beschäftigungsquoten von Migrant*innen, insbesondere von Frauen, sie in der Tat nicht in Sektoren geführt, für die sie über Diplome und/oder Berufserfahrung verfügen, sondern in Sektoren, in denen Arbeitskräftemangel herrscht.

Seit Ende der 2000er Jahre haben aufeinanderfolgende französische Regierungen Abkommen mit Vertreter*innen von Wirtschaftszweigen unterzeichnet, die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung einheimischer Arbeitskräfte haben, darunter die Agence nationale des services à la personne (ANSP), dem Reinigungs- und Sozialwirtschaftssektor sowie dem Restaurant- und Hotelsektor.

Die Ausrichtung von Migrantinnen im Prozess der zivilen Integration auf den Aufnahme-, Haushalts- und Hausarbeitssektor in Frankreich und den Niederlanden wird auch durch spezifische, aus dem Europäischen Integrationsfonds finanzierte Programme umgesetzt. Seit 2008 hat das französische Arbeitsvermittlungsamt – das mit mehreren Verbänden koordiniert wird, die seit 2008 Gelder aus dem Integrationsfonds erhalten, wie dem Centre National d’Information sur les Droits des Femmes et des Familles – eine Vereinbarung mit dem Einwanderungsministerium und der Agence nationale des services à la personne unterzeichnet, um Haushaltsdienstleistungen als Arbeitsmöglichkeit für Migrantinnen zu fördern, die am Integrationsprogramm teilnehmen.

Darüber hinaus hat der Integrationsfonds regelmässig die in Bordeaux ansässige Organisation Promofemmes finanziert, um Migrantinnen eine Ausbildung zu ermöglichen, die ihnen hilft, eine Beschäftigung im Reinigungs- und Hotelbereich zu finden. Insgesamt werden Migrant*innen ermutigt, auf dem Arbeitsmarkt aktiv zu sein, und es werden Mechanismen (wie die Bewertung der beruflichen Fähigkeiten) ermittelt, die ihnen helfen, die Hindernisse zu überwinden, mit denen sie konfrontiert sind. Und sie werden de facto auf Tätigkeiten ausgerichtet, die französische Frauen und Männer nicht machen wollen: Reinigung, Haushaltsarbeiten, Babysitting, Pflege und persönliche Betreuung.

Trotz der Bedeutung, die verschiedene Feministinnen, Frauen- und feministische Organisationen der Notwendigkeit beimessen, dass sich diese Frauen durch den Eintritt in die produktive Öffentlichkeit emanzipieren, sind Migrantinnen tatsächlich auf Pflege und häusliche Arbeit in der privaten Sphäre beschränkt.
Es besteht als insofern ein Widerspruch als dass die Feminist*innen die Emanzipation von Migrantinnen und muslimischen Frauen fordern und sie gleichzeitig in die Sphäre lenken, aus der die feministische Bewegung historisch versucht hatte, Frauen zu befreien.
Aber es ist wichtig, hier die aktive Rolle der rechten Regierungen und einiger nationalistischer rechter Parteien in dieser Politik zu erwähnen, die darauf abzielt, diese Frauen in den häuslichen oder sozialen Bereich der Pflege und Reproduktion zu führen.

So hat die italienische Regierung Berlusconis während der Weltwirtschaftskrise 2007-2011 neue Einwanderungsquoten abgeschafft, die als Reaktion auf die Wirtschaftskrise präsentiert wurden, welche den Rückgriff auf Wanderarbeiter*innen unnötig erscheinen liess. Für Hausangestellte und Pflegekräfte wurde jedoch eine Ausnahme gemacht. Im Jahr 2009 gewährte die Regierung daher die Regularisierung nur für irreguläre Migrant*innen, die als Hausangestellte arbeiteten, da dies der einzige Sektor war, in dem die Nachfrage nach Arbeitskräften nicht durch das nationale Angebot gedeckt werden konnte. Bei dieser Gelegenheit erklärte Roberto Maroni von der Lega Nord (damals Innenminister) erneut:

„Es kann keine Regularisierung für diejenigen geben, die illegal eingereist sind, für diejenigen, die eine Frau vergewaltigen oder eine Villa stehlen, aber wir werden all diese Situationen berücksichtigen, die starke soziale Auswirkungen haben, wie im Falle von Migrant*innen im Betreuungssektor.“

Rechte Parteien wie die Lega Nord waren daher bereit, auch in Zeiten der Wirtschaftskrise beide Augen bei Sans-Papiers zuzudrücken, wenn es um Frauen ging, die im Haus- und Pflegebereich arbeiten. Vor drei Jahren habe ich eine detaillierte Analyse der Daten über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von nicht-westlichen Migrant*innen zwischen 2007 und 2013 im Hinblick auf die Veränderungen der Beschäftigung und die Sektoren, in denen sie beschäftigt sind, durchgeführt.

Diese Daten zeigen, dass muslimische und nicht-westliche Migrant*innen nicht nur während der Krise von Arbeitslosigkeit verschont geblieben sind, sondern dass ihre Beschäftigungs- und Erwerbsquote in diesen Jahren sogar gestiegen ist. Im Gegensatz zu nicht-westlichen männlichen Migranten, die meist in Wirtschaftssektoren wie dem Baugewerbe oder dem verarbeitenden Gewerbe beschäftigt sind, wo Verlagerungen und Schliessungen von Produktionsstätten leicht als „Krisenmanagement“ zur Reduzierung der Zahl der Arbeitskräfte eingesetzt werden können, sind nicht-westliche weibliche Migrantinnen hauptsächlich im Pflege- und Hauswirtschaftssektor beschäftigt.

Dies sind Sektoren, für welche die traditionellen Massnahmen des Krisenmanagements des Kapitals nicht gelten: Die soziale Reproduktion kann in Zeiten der Wirtschaftskrise schlicht nicht verlagert oder geschlossen werden. Die Pflegearbeit muss auch in Zeiten der Rezession fortgesetzt werden, um das tägliche Funktionieren unserer Gesellschaften zu gewährleisten. In Anbetracht der derzeit steigenden Beschäftigungsquoten für Frauen in Westeuropa sind es zunehmend muslimische und nicht-westliche Migrantinnen, die sich um Kinder, Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen kümmern. Dies geschieht genau in einem historischen Moment, in dem Westeuropa sowohl öffentliche Unterstützungs- als auch Pflegedienste privatisiert und mit einer immer grösseren und alternden Bevölkerung konfrontiert ist.

Es ist also kein Zufall, dass Bürger*innenintegrationsprogramme muslimische und nicht-westliche Migrantinnen ermutigen, eine Beschäftigung im Pflege- und Hausarbeitssektor zu finden. Dies ist in der Tat ein Sektor, in dem die Nachfrage zunimmt, insbesondere in einer Situation, in der die Bevölkerung schnell altert, aber die westeuropäischen Frauen nicht als Betreuerinnen arbeiten wollen. Der Fokus auf die Integration von nicht-westlichen Migrantinnen u.a. durch Arbeitsmöglichkeiten ist daher möglich, weil sie im Gegensatz zu Migranten eine strategische Rolle bei der sozialen Reproduktion von Kindern, der Altenpflege und der Reinigung spielen.

Anstatt „Jobdiebe“ werden muslimische und nicht-westliche Migrantinnen als diejenigen dargestellt, die es westeuropäischen Bewohnern und insbesondere Frauen ermöglichen, im öffentlichen Raum zu arbeiten, indem sie die Pflegearbeit bieten, die die neoliberale Umstrukturierung mit sich gebracht hat. Abschliessend möchte ich vorschlagen, dass die Doppelmoral gegenüber muslimischen und nicht-westlichen Migrantinnen in der öffentlichen Vorstellungskraft als Personen, die besondere Aufmerksamkeit benötigen, oder gar „Rettung“, als ideologisches Instrument fungiert, das eng mit ihrer (momentanen oder zukünftigen) Schlüsselrolle bei der Reproduktion der materiellen Bedingungen der sozialen Reproduktion verbunden ist.

Femonationalismus muss als integraler Bestandteil der spezifisch neoliberalen Reorganisation der staatlichen Sozial-, Arbeits- und Migrationspolitik verstanden werden, die im Kontext der globalen Finanzkrise und ganz allgemein der westlichen Sozialen Krise stattgefunden hat. Die Möglichkeit, dass Nationalist*innen und Neoliberale die emanzipatorischen Ideale der Geschlechtergleichstellung sowie die Konvergenz von Feminist*innen mit antiemanzipatorischen und fremdenfeindlichen Politiken nutzen können, ergibt sich weitgehend aus der spezifisch neoliberalen Rekonfiguration der westeuropäischen Wirtschaft in den letzten dreissig Jahren.

[1] Jasbir Puar, Homonationalisme. Politiques queers après le 11 septembre, Paris, Amsterdam, 2012.