Übersetzt aus dem französischen, erschienen in Jaune Nr. 2 | jaune.noblogs.org
Seit Beginn der Bewegung der Gilets Jaunes gibt es eine gewisse Konkurrenz zweier Symbole auf den besetzten Kreiseln: Die gelben Warnwesten und die blauweissrote Fahne. Natürlich würden es viele nicht so sagen. Sie würden sagen, die Fahne sei das Symbol des französischen Volkes wobei die gelbe Weste das Symbol des Kampfes sei und sich die beiden also ergänzen würden. Und es stimmt, dass beide Symbole für die, die sie tragen, Zeichen dafür sind, dass sie sich um etwas Gemeinsames versammeln. Aber es handelt sich um verschiedene Arten der Gemeinschaft.
Die Idee einer Gemeinschaft – welche auf die Zugehörigkeit zu einem Territorium gründet, das von einem Staat und durch die Verteidigung der Grenzen dieses Staates definiert ist – ist schon alt. Wir finden sie im Mythos der Gründung des römischen Reiches. In diesem Mythos wird Rom durch die beiden Zwillinge Romulus und Remus gegründet. Romulus habe einen Pflug benutzt, um die Grenzen der zukünftigen Stadt abzugrenzen. Remus sprang als Herausforderung über diese erfundenen Stadtmauern. Gleich drauf wird er von seinem Bruder ermordet der sagt: „So möge es jedem ergehen, der über meine Mauern springt“.
Die Botschaft ist klar: Die vorgeschlagene Gemeinschaft ist nicht offen für alle. Sie ist ganz im Gegenteil darauf ausgerichtet, ihre Grenzen zu verteidigen, auch wenn derjenige der sie überqueren will dein Bruder ist. Manche sagen, das sei halt eine harte Realität. Sie sagen, jedes Land habe seinen Anteil an Elend und dass am Schluss die Verteidigung des eigenen Stammes, des eigenen Territoriums, der eigenen Landsleute halt zum Menschen gehöre. Ihr Slogan ist: Die Unseren vor den Anderen.
Aber wer sind die Unseren? Hast du wirklich mehr gemeinsame Interessen, Wünsche und Nöte mit den Reichen Frankreichs als mit denen die mit dir auf der Baustelle arbeiten, aber nicht die gleichen Papiere haben? Mehr mit der Familie Loréal [1] als mit eine*r italienischen oder algerischen Lieferant*in die bei einem Subunternehmen von Amazon arbeitet? Mehr mit Leuten die ihr Erbe an den Steuerbehörden vorbeischmuggeln als mit eine*r anderen Arbeitslosen?
Der Nationalismus würde sagen: Ja. Er würde sagen, dass die Französ*innen mehr gemeinsame Interessen haben, als bei jeder anderen Form der Solidarität – z.B. eine die auf einer gemeinsamen Situation fusst – egal welche soziale Position sie haben. Aber wem nützt das? Wer gewinnt etwas dadurch, so etwas zu sagen? Wer sind die Nutzniesser*innen des Nationalismus? Alle kennen das Sprichwort „Teile und herrsche“. Es geht natürlich darum, dass die Herrschenden die anderen auseinander spalten. Also geht es um die Frage wer herrscht? Wer besitzt den gesellschaftlichen Reichtum, und wer die Mittel, ihn zu produzieren? Es sind die Reichen, die Bourgeois. Und wer ist durch die Nationalismen voneinander getrennt durch seine Papiere? Es sind die Armen, die Arbeiter*innen, die Arbeitslosen.
Ausserdem: Glaubt ihr wirklich, die Bourgeoisie praktiziert für sich selbst, was sie von uns verlangt? Glaubt ihr wirklich, die Reichen Frankreichs fühlen sich euch näher als ihren Freunden dieses oder jenes Landes, mit denen sie in der Schweiz oder in Dubai skifahren gehen während ihr arbeitet? Seien wir nicht naiv.
Heutzutage fliesst alles ungehindert. Waren, Kapital, Reiche Leute. Alles bewegt sich frei ausser denen, die nichts besitzen. Es gibt sogar viele Länder wie z.B. China, wo Arbeiter*innen landesinterne Pässe brauchen und sich nicht frei zwischen verschiedenen Regionen des Landes bewegen können. Aber natürlich bewegen sich die Leute trotzdem. Sie müssen, denn sie folgen der Arbeit. In China werden sie Mingong genannt. Hier ist es das gleiche mit den Arbeiter*innen ohne Papiere. Weil sie illegal hier sind, ist es für sie schwieriger, für ihre Rechte zu kämpfen. Zudem leiden sie oft unter rassistischen Vorurteilen, die auch auf der ganzen Welt sehr verbreitet sind: Auch in China gibt es Rassismus gegen die Mingong. All das trennt die Lohnarbeiter*innen, hier wie dort, innerhalb der Unternehmen, überall. Es ist ein exzellentes Mittel, um uns zu schwächen. Deshalb sind wir nicht Nationalist*innen.
Aber es gibt eine andere Gemeinschaft: die Gemeinschaft des Kampfes. So gibt es in Frankreich seit langer Zeit eine revolutionäre Tradition, die alle willkommen heisst die kämpfen wollen. Schon während der französischen Revolution haben sich Leute aus allen Ecken der Welt zusammengeschlossen. Auch während der Pariser Kommune (revolutionärer Aufstand der Pariser Arbeiter*innen und Handwerker*innen) war die Organisation der Barrikaden teilweise von polnischen Revolutionär*innen durchgeführt worden.
Wir finden diese Solidarität im revolutionären Kampf in vielen anderen Epochen und an anderen Orten auf dem Globus. Das ist die Gemeinschaft, die uns versammelt. Heute hat sie ein Aufruf: die gelbe Warnweste. Dieser Aufruf ist universell und endlich näher an vergangenen Revolutionen. Also sagen wir es laut heraus: Wir sind auf der Seite der gelben Warnweste und was sie als gemeinsamen Kampf aber auch als gemeinsame Ablehnung unserer Nöte verkörpert. Es sind blaue Vormittage, an denen wir gemeinsam blockieren, gemeinsame Abende an denen ein Nebel vom Feuer der Paletten aufsteigt und wir über unsere miesen Existenzbedingungen reden.
Gelbwesten aller Länder, vereinigen wir uns.