antira-Wochenschau: Krieg in Libyen, Verschärfung in Deutschland, Gestank in Tägerwil

Widerständiger Rückblick auf eine Woche voller Rassismus

Was ist neu?
Zürcher Asylfürsorge gefährdet Kindeswohl
Seit vergangenem Jahr schliesst der Kanton Zürich vorläufig aufgenommene Personen (Ausweis F) von der regulären Sozialhilfe aus. Geflüchtete Personen erhalten seither deutlich tiefere Asylfürsorge als Schweizer*innen in der Sozialhilfe. Die Monitoring- und Anlaufstelle map-F stellt nun in ihrem Bericht zu betroffenen Kindern und Jugendlichen fest, dass die Kürzung das Kindeswohl gefährdet und den schulischen Lernerfolg sowie den Berufseinstieg massiv erschweren.
Wegen dem Krieg in Libyen verschlechtert sich die Situation in Internierungslager
Der Krieg in Libyen spitzt sich seit zwei Wochen zu. Der abtrünnige General Chalifa Haftar, dessen Truppen grosse Gebiete im Osten und Süden des Lands kontrollieren, versucht, in der Hauptstadt Tripolis Terrain zu gewinnen. Dort hat die von der UNO ankerkannte Regierung von Fayiz as-Sarradsch ihren Sitz. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen haben die Gefechte bereits mehr als 18000 Menschen veranlasst, aus der libyschen Hauptstadt zu fliehen. Auch die Zahl der Todesopfer ist erneut angestiegen, momentan spricht die WHO und libysche Spitäler von 174 Toten und mehr als 760 Verletzten.  
Im Schatten der eskalierenden Kämpfe wächst das Elend der zahlreichen Geflüchteten im Land. Mindestens 6000 Menschen befinden sich derzeit unter menschenunwürdigen Zuständen in Lagern, die von der Einheitsregierung in Tripolis kontrolliert werden, vermutlich Zehntausende weitere in Lagern von den konkurrierenden Milizen. Geflüchtete berichten immer wieder von Vergewaltigung, Folter, Sklaverei und Erpressungen ihrer Familien. Die Lebensbedingungen sind katastrophal und viele sterben in diesen Lagern. Geflüchtete berichteten zudem jüngst gegenüber der britischen Journalistin Sally Hayden, dass sie im Zuge der neuausgebrochenen Kämpfe auch gezwungen worden wären, die Truppen der Einheitsregierung unter Ministerpräsident Fayez al-Sarradsch zu unterstützen.
Was jetzt dringend notwendig wäre, ist einerseits die Evakuierung der durch den Krieg noch stärker gefährdeten Menschen in den Internierungslager und die unmittelbare Öffnung von Fluchtkorridoren über das Mittelmeer. Die Abschottungspolitik der EU, die Zusammenarbeit mit der brutalen «lybischen Küstenwache» – welche sich inzwischen komplett zurückgezogen hat und nicht mehr erreichbar ist – und die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung führen dazu, dass momentan wenige bis keine Rettungen durch Marineschiffe oder Rettungsboote im Mittelmeer erfolgen
Die von der EU geförderte ‘libysche Küstenwache’ hatte im vergangenen Jahr mehr als 15.000 Menschen auf dem Weg nach Europa abgefangen und zurück nach Libyen verschleppt. Sabine Eckart, die Projektkoordinatorin Migration und Westafrika von der deutschen Hilfsorganisation medico international, warnte gegenüber »nd« vor den Folgen neuer Fluchtbewegungen für die instabilen Anrainerstaaten. »Wenn der Weg über das Mittelmeer weiter versperrt bleibt, sind Fluchtbewegungen Richtung Süden und Westen zu erwarten«, erklärte die Expertin. »Und das in einer Situation, in der schon jetzt eine Überforderung der Nachbarländer Libyens festzustellen ist.« Diese seien bereits mit »multiplen Krisen und repressiven Regierungen konfrontiert«.
Anstatt zusätzliches Sterben zu verhindern, fordern rechte Politiker wie der deutsche Johann Wadephul, dass die EU Aussengrenze militärisch noch stärker gesichert werden. 

EU-Parlament beschliesst Biometrie-Superdatenbank
Ein Prestigeprojekt von Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und EU-Sicherheitskommissar Julian King hat das EU-Parlament am Dienstag befürwortet. Ziel ist es, unter anderem das Schengen-Informationssystem (SIS) mit rund 80 Millionen Einträgen, das Visa-Register (VIS) oder die Eurodac-Datei, in der vor allem Fingerabdrücke von Asylbewerbern gespeichert werden, über ein Suchportal zu verknüpfen. Dazu kommen werden etwa das neue Ein- und Ausreisesystem zur biometrischen Grenzkontrolle (Smart Borders) sowie das Europäische Reisegenehmigungssystem (ETIAS). Ermöglicht werden soll so ein Abgleich der vorhandenen Daten “mit einem einzigen Klick”.
Auch einen übergeordneten “Speicher für Identitätsdaten” sehen die Abgeordneten vor, eingeschränkt zunächst auf Angehörige von Drittstaaten. Einfließen sollen Informationen wie Geburtsdatum, Passnummer, Fingerabdrücke oder digitale Gesichtsbilder. Dazu kommt ein “gemeinsamer Dienst” für den Abgleich biometrischer Daten, mit dem anhand von Fingerabdrücken und Gesichtsbildern alle bestehenden Informationssysteme abgefragt werden können.
Das von den EU-Gremien im Februar geschnürte Paket muss noch den Ministerrat passieren, was als Formsache gilt.

Was ist aufgefallen
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Gemeinderat von Tägerwil will mit Gestank Integration fördern
Im thurgauischen Tägerwilen müssen (geflüchtete) Asylsuchende in einem Containerlager direkt neben einer grusig stinkenden Kompostanlage leben. Weil das nicht aushaltbar ist, hat eine Lehrerin eine Petition gestartet und über 200 Unterschriften gesammelt. Der Gemeinderat Markus Thalmann sieht das ganze nicht als Problem: Wer unbequem lebt und die Unterkunft schnell verlassen wolle, bemühe sich mehr um «Integration und wirtschaftliche Unabhänigkeit» – er impliziert damit, dass Geflüchtete selbst verantwortlich seien für die schlechten Lebensbedingungen, in die sie die schweizer Behörden zwingen. Das ist eine krass verzerrte, typisch neoliberale Erzählung von Selbstverantwortung, welche Rassismus und strukturelle Unterdrückung komplett ausblendet. Der Gemeinderat sagt zudem, es gäbe keine besseren nutzbare Orte – eine zynische Ausrede wie die Petitionär*innen aufzeigen.

Gesetzesverschärfungen gegen Geflüchtete in Deutschland

Gleich mit zwei Gesetzesverschärfungen treiben die Herrschenden in Deutschland die Entrechtung von Geflüchteten voran. Zum einen erfolgt der Angriff durch das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ zum anderen durch Verschärfungen im „Asylbewerberleistungsgesetz“. Neu vorgesehen sind, (1) dass Geflüchteten, die von einem anderen EU-Staat anerkannt sind, die Sozialleistungen in Deutschland nach zwei Wochen komplett gestrichen werden, obwohl sie in Staaten wie Italien, Griechenland oder Bulgarien unter miserablen Bedingungen leben müssten. (2) Allgemein kam es zu Kürzungen bei den Leistungen sowie Sparmassnahmen und (3) zu einem Ausbau der Repression, durch mehr Knast für abgewiesene Geflüchtete. Diese können eingesperrt werden, wenn ihnen die Behörden unterstellen, dass »Fluchtgefahr« vorliege. Dass es so einfach ist Menschen wegzusperren, widerspricht auch dem an sich bürgerlichen Grundsatz, dass jede Inhaftierung nur als letztes Mittel angewendet werden soll. Ebenfalls verschlechtert hat sich der rechtliche Rahmen für solidarische Personen. Sie könnten durch die Weitergabe von bestimmten Informationen im Rahmen einer Beratung der »Beihilfe zum Geheimnisverrat« bezichtigt werden. Was auffällt ist, dass ein grosser Teil dieser Verschärfung in der Schweiz bereits vollzogen wurde. 

Wo gab es Widerstand? 
Anti-Rassismus Demo in Schwyz
Am Samstag, dem 13. April 2019, versammelten sich in Schwyz rund 450 Menschen um gegen Rassismus und Naziaktivitäten in der Region zu demonstrieren. Anlass war ein Auftritt von rund einem Dutzend Neonazis, welche an der Fasnacht als Ku-Klux-Klan verkleidet und mit Fackeln durch den Ort marschierten. In der Folge formierte sich ein lokales Bündnis buntes Schwyz, welches zeigen wollte, dass Schwyz «kein Nazi-Nest» sei. Viele Menschen aus der Region folgten diesem Aufruf, ebenso wie Antifaschist*innen aus der ganzen Deutschschweiz. Sie zogen vom Bahnhof Schwyz/Seewen ins Ortszentrum von Schwyz.

Was war gut?
Basler Regierung verweigert Dublin-Ausschaffung
Im Falle eines jungen Mannes, der aus Afganistan in die Schweiz geflüchtet ist, widersetzte sich die Regierung des Kantons Basel dem SEM und dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts. Mit Berufung auf das Selbsteintrittsrecht und einer Petition des Grossen Rates droht A. nun keine Dublin-Abschiebung nach Österreich. Sein Asylgesuch wird nun in der Schweiz behandelt. 
Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland – trotzdem schieben auch schweizer Behörden immer wieder Menschen nach Afghanistan ab. Bitte zukünftig alle noch mehr widersetzten und Bleiberecht für alle! 

Was steht an?
Ausstellung Bundeslager 
25.04.2019 – 04:00 | Wasserwerkstr. 110 | Zürich
Über die zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregim Schweiz
Sudan 
28.04.2019 | 06:00 | Lagerweg 10, Bern Lorraine |Film und Gespräch 
mit sudanesischen Geflüchteten und Aktivisten*
 
«Racial Profiling. Struktureller Rassismus und antirassistischer Widerstand»
Ein tolles und wichtiges Buch | Vernissage am Mittwoch, 29. Mai 2019, 19.30 Uhr im Tojo Theater in der Reitschule Bern | Mit Performances und Poetry von Fatima Moumouni, Edwin Ramirez, Burni Aman u.a.