+++BERN
Andere Perspektiven auf unsere Geschichte entwickeln – RaBe-Info 04.04.2019
Das arabische Wort «Multaka» steht für «Treffpunkt»; ab sofort wird auch das Bernische Historische Museum zu einem Treffpunkt der besonderen Art. Fünf Menschen, die einst aus dem Iran, Syrien, Afghanistan und Eritrea nach Bern geflüchtet sind, führen durch die Geschichte von Bern und der Welt. Sie betrachten historische Objekte aus ihrer Perspektive.
https://rabe.ch/2019/04/04/andere-perspektive-im-museum/
+++SCHWEIZ
Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel nötig
Nach wie vor mangelt es im neuen Asylverfahren einem strukturierten Vorgehen zur Identifikation von Opfern von Menschenhandel. Die unabhängigen Rechtsvertreter brauchen Zugang zu medizinischen Informationen über ihre Klienten.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2019/verbesserungen-fuer-opfer-von-menschenhandel-noetig.html
+++DEUTSCHLAND
Illegale Migration: Die Unsichtbaren
Innenpolitiker sind zufrieden: Die Zahl der Asylanträge sinkt. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Immer mehr Migranten kommen unentdeckt nach Europa und tauchen unter.
https://www.zeit.de/2019/15/migration-asylantraege-zuwanderung-fluechtlinge-aufenthaltserlaubnis/komplettansicht
Von Integrationsverbot bis Kriminalisierung der Beratung: Gesetzgebungshektik auf Höchststand
Um einen Status von Rechtslosen, maßlose Inhaftierungen und die Kriminalisierung der Zivilgesellschaft durchzusetzen, sollen andere Gesetzesentwürfe zur bloßen Verhandlungsmasse verkommen: Ausbildungsduldung, verfassungsrechtlich vorgegebene Asylbewerberleistungen, endlose Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen – alles wird in einen Topf geworfen.
https://www.proasyl.de/news/von-integrationsverbot-bis-kriminalisierung-der-beratung-gesetzgebungshektik-auf-hoechststand/
Lebensrecht aberkannt
Seenotrettung und Asyl: Mehr als 250 zivile Organisationen werfen Bundesregierung Völkerrechtsbruch vor und fordern sie zum Handeln auf
https://www.jungewelt.de/artikel/352392.geordnete-r%C3%BCckkehr-lebensrecht-aberkannt.html
+++MITTELMEER
„Alan Kurdi“: Italien wälzt Verantwortung für deutsches Rettungsschiff auf Berlin ab
Das Rettungsschiff „Alan Kurdi“ hat im Mittelmeer 64 Menschen gerettet – einen italienischen Hafen darf es nicht anlaufen. Innenminister Salvini forderte Deutschland auf, „die Angelegenheit zu klären“.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/italien-waelzt-verantwortung-fuer-deutsches-rettungsschiff-auf-berlin-ab-a-1261362.html
„Sea-Eye“: Palermo offener Hafen für „Alan Kurdi“ mit 64 Geretteten
Der Bürgermeister von Palermo Leoluca Orlando hat das Rettungsschiff „Alan Kurdi“ der NGO „Sea-Eye“ mit 64 Geretteten an Bord eingeladen, im Hafen von Palermo anzulanden. Er ruft den Innenminister Matteo Salvini auf, mit Drohgebärden keinen Wahlkampf auf dem Rücken von Geflüchteten zu machen.
https://ffm-online.org/sea-eye-palermo-offener-hafen-fuer-alan-kurdi-mit-64-geretteten/
+++LIBYEN
Konflikt in Libyen: General befiehlt Vormarsch auf Tripolis
Zuletzt brachte der libysche General Haftar mit seinen Truppen mehrere Ölquellen unter Kontrolle. Jetzt ordnet er den Marsch auf Tripolis an. Die internationale Gemeinschaft fürchtet eine Eskalation des Konfliktes.
https://www.tagesschau.de/ausland/haftar-101.html
+++JENISCHE/SINTI/ROMA
«Die falschen Bilder über uns müssen endlich weg»
Am 8. April ist Internationaler Tag der Roma. Was wünschen sich Schweizer Roma, Sinti und Jenische?
https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/diverses/Die-falschen-Bilder-ueber-uns-muessen-endlich-weg/story/22816137
Schweizer Sinti und Roma: Foto-Aktion gegen das Wort „Zigeuner“
Am 8. April wird weltweit der internationale Tag der Sinti und Roma begangen. Mit einer Foto-Aktion stellen Schweizer Sinti und Roma dieses Jahr klar: „Wir sind gegen das Wort Zigeuner“.
https://www.swissinfo.ch/ger/schweizer-sinti-und-roma–foto-aktion-gegen-das-wort–zigeuner-/44873046?fbclid=IwAR0gjQ1PEvOWngW8VqVS2CMWxvhhel3a_rI8BpyUosKa69o81TSDchO_UXs
+++FREIRÄUME
Zwischennutzer werden zu Besetzern
Das Kollektiv Fabrikool hat den Vertrag zur Zwischennutzung der alten Schreinerei auf dem Von-Roll-Areal gekündigt, will aber bleiben.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/zwischennutzer-werden-zu-besetzern/story/24605346
+++GASSE
Ja, in der Schweiz gibt es Obdachlose – und so leben sie
Man weiss, es gibt sie, man sieht sie aber kaum: Obdachlose in der Schweiz. Eine neue Studie liefert nun erstmals Anhaltspunkte darüber, wer sie sind, wie sie leben und wie man ihnen am besten helfen kann.
https://www.watson.ch/schweiz/wirtschaft/410702864-neue-studie-so-leben-obdachlose-in-basel-und-der-ganzen-schweiz
-> https://www.nau.ch/politik/international/erste-wissenschaftliche-studie-zur-obdachlosigkeit-in-der-schweiz-65504027
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/basel/erste-wissenschaftliche-obdachlosen-studie-der-schweiz-allein-in-basel-leben-100-menschen-auf-der-strasse-id15255461.html
-> https://telebasel.ch/2019/04/04/100-obdachlose-leben-in-basel/?utm_source=lead&utm_medium=carousel&utm_campaign=pos%205
+++KNAST
Kurt F. stach in Sent GR auf seine Frau (45) ein: Ex-Polizist (†60) tot in Zelle aufgefunden
Am späten Mittwochabend ist in der Justizvollzugsanstalt Sennhof in Chur ein Mann erhängt aufgefunden worden. Er starb trotz sofortiger Wiederbelebungsversuche.
https://www.blick.ch/news/schweiz/graubuenden/in-churer-gefaengnis-mann-60-leblos-in-zelle-aufgefunden-id15254816.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/sennhof-in-chur-haftling-erhangt-sich-in-zelle-65504018
-> https://www.20min.ch/schweiz/ostschweiz/story/Ex-Kantonspolizist-erhaengt-sich-in-Zelle-25383729
-> https://www.nzz.ch/panorama/ein-60-jaehriger-haeftling-begeht-in-seiner-gefaengniszelle-in-chur-suizid-ld.1472748
-> https://www.suedostschweiz.ch/polizeimeldungen/2019-04-04/mann-leblos-in-zelle-gefunden
-> https://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/djsg/kapo/aktuelles/medien/2019/Seiten/201904042.aspx
+++BIG BROTHER
Polizeikongress in Bern – Ruf nach zentraler Polizeidatenbank wird lauter
Schützt der Kantönligeist Kriminelle? Die Polizeikorps sind überzeugt und wollen mehr Vernetzung. Datenschützer warnen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/polizeikongress-in-bern-ruf-nach-zentraler-polizeidatenbank-wird-lauter
-> Motion: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20183592
Speicherpflicht: Bald Fingerabdrücke in allen Personalausweisen
Das EU-Parlament hat die Pflicht zur Speicherung von Fingerabdrücken und biometrischen Fotos in allen Personalausweisen beschlossen. Behörden in ganz Europa könnten damit ihre biometrischen Datenspeicher ausbauen.
https://netzpolitik.org/2019/speicherpflicht-bald-fingerabdruecke-in-allen-personalausweisen/
+++POLICE BE
Bern: Bei Aktion Kokain sichergestellt
Am Mittwochabend hat die Kantonspolizei Bern bei einer gezielten Aktion in Bern Kokain sichergestellt. Drei Personen werden unter anderem wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz angezeigt.
https://www.police.be.ch/police/de/index/medien/medien.meldungNeu.html/police/de/meldungen/police/news/2019/04/20190404_1418_bern_bei_aktion_kokainsichergestellt
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/polizei-erwischt-kokainhaendler-auf-der-schuetzenmatte/story/11958601
-> https://www.derbund.ch/bern/polizei-schnappt-dealer-auf-der-schuetzenmatte/story/26027224
Vereidigung – Geschichtsträchtige Worte in ehrwürdigen Gemäuern
23 Polizistinnen und Polizisten, sechs Mitarbeitende des Botschaftsschutzes und eine zivile Mitarbeiterin haben am vergangenen Freitag den Eid oder das Gelübde abgelegt. Geschichtsträchtig sind dabei nicht nur die gesprochenen Worte, sondern auch die Örtlichkeit; nämlich das Berner Münster.
https://www.blog.police.be.ch/2019/04/04/vereidigung-geschichtstraechtige-worte-in-ehrwuerdigen-gemaeuern/
+++POLIZEI ZH
Polizei entlässt Mitarbeiter wegen «Mad Heidi»-Film
Die Nebenbeschäftigung als Drehbuchautor beim Film «Mad Heidi» hat G. W. seinen Job bei der Kapo Zürich gekostet.
https://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/Polizei-entlaesst-Mitarbeiter-wegen–Mad-Heidi–Film-19643320
+++POLIZEI DE
Verbrennungstod in der JVA Kleve – Massive Zweifel an der offiziellen Darstellung zur Verhaftung des Syrers Amad A.
Bisher klang es nach einer tragischen Verwechslung: Die Inhaftierung des jungen Syrers Amad A., der in der JVA Kleve im Herbst 2018 unter ungeklärten Umständen verbrannte. Doch an dieser offiziellen Version gibt es jetzt erhebliche Zweifel, wie gemeinsame Recherchen der WDR-Magazine MONITOR und „Westpol“ zeigen.
https://www1.wdr.de/daserste/monitor/extras/pressemeldung-jva-kleve-102.html
-> TV-Beitrag: https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-tod-in-der-zelle-wurde-der-syrer-amad-a-opfer-von-polizeiwillkuer-100.html
-> https://police-it.org/wie-manipulationen-in-inpol-den-syrer-a-a-hinter-gitter-brachten
+++POLICE FRA
Bretagne: Le maire d’une commune de 700 habitants prend un arrêté interdisant le LBD
SÉCURITÉ Le maire de Motreff veut interpeller les élus et la population avec cet arrêté symbolique
https://www.20minutes.fr/societe/2489479-20190404-bretagne-maire-commune-700-habitants-prend-arrete-interdisant-lbd
+++ANTIFA
Rechtspopulismus ist dem Frauenschutz nicht dienlich
Frauen aus dem rechtsextremen Spektrum nennen sich „Töchter Europas“ und sprechen sich in einem Video gegen „importierte Gewalt“ aus. Damit stehen sie nicht allein da. Immer wieder werden von migrantischen Personen verübte Sexualstraftaten politisch instrumentalisiert. Dieser Zugang ist nicht nur hetzerisch, er ist auch kontraproduktiv und degradiert Frauenschutz zum trojanischen Pferd rassistischer Ressentiments. Eine Annäherung.
https://daslamm.ch/rechtspopulismus-ist-dem-frauenschutz-nicht-dienlich/
Angriff auf die Rassismus-Strafnorm
Das Referendum gegen die Ausweitung soll der erste Schritt sein zur Abschaffung der Rassismus-Strafnorm.
https://www.tachles.ch/artikel/news/angriff-auf-die-rassismus-strafnorm
+++ANTIRA
«Ich will, dass die Leute so wütend werden, wie ich es bin»
Die britische Autorin Reni Eddo-Lodge wollte eigentlich nicht mehr mit Weissen über Rassismus reden. Dann hat sie ein Buch darüber geschrieben – und tut seither nicht mehr viel anderes, als mit Weissen über Rassismus zu reden.
https://www.republik.ch/2019/04/04/ich-will-dass-die-leute-so-wuetend-werden-wie-ich-es-bin
+++SOZIALES
Prämienverbilligung : Entlastung für Familien mit Kindern und jungen Erwachsenen in Ausbildung
Der Regierungsrat hat entschieden, wie er die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichts im Bereich der Prämienverbilligung umsetzen will. Mit einer Kombination von Massnahmen werden gezielt Familien mit Kindern und junge Erwachsene in Ausbildung bei unteren mittleren Einkommen entlastet. Damit profitieren rund 13’000 Personen neu von einer Prämienverbilligung und rund 50’000 Berechtigte erhalten eine höhere Verbilligung. Die jährlichen Mehrausgaben für den Kanton belaufen sich im Jahr 2020 auf 23 Mio. Franken, ab den Folgejahren auf 30 Mio. Franken.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2019/04/20190403_1929_entlastung_fuer_familienmitkindernundjungenerwachseneninausbildu
-> https://www.derbund.ch/bern/tausende-berner-erhalten-mehr-praemienverbilligung/story/12735201
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/kanton-passt-praemienverbilligung-an-63-000-berner-profitieren/story/20109571
-> https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/reaktion-auf-bundesgericht-tausende-erhalten-hoehere-praemienverbilligungen-im-kanton-bern
-> https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/kanton-bern/entlastung-fuer-familien-mit-kindern-und-jungen-erwachsenen-ausbildung
-> https://www.spbe.ch/index.php?id=4520&no_cache=1&tx_t3extblog_blogsystem%5Bpost%5D=2962&tx_t3extblog_blogsystem%5Bday%5D=04&tx_t3extblog_blogsystem%5Bmonth%5D=04&tx_t3extblog_blogsystem%5Byear%5D=2019&tx_t3extblog_blogsystem%5Baction%5D=show&cHash=80f60a543fd51244c88542f3cfbf8e73
– Schweiz Aktuelles: https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=005a0cf2-539c-4e16-b1bf-2ba8f23d5494&startTime=578.075
Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zur Steuergesetzrevision 2021: Regierung will «STAF»-Vorlage wirkungsvoll umsetzen und natürliche Personen gezielt entlasten
Mit der kantonalen Steuergesetzrevision 2021 will der Regierungsrat zwingende Vorgaben des Bundesrechts umsetzen sowie gleichzeitig die natürlichen Personen mit höheren Abzügen für die Kinderdrittbetreuung und die Versicherungsprämien um 53 Mio. Franken im Jahr entlasten. Im Zentrum der Revision steht die Umsetzung des Bundesgesetzes über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung, kurz «STAF». Der Regierungsrat möchte die Ersatzmassnahmen aus der «STAF» möglichst wirkungsvoll ausgestalten, verzichtet dafür aktuell auf eine Senkung der Gewinnsteuern. Im Wissen um den Ausgang der STAF-Abstimmung und der aktualisierten Finanzlage plant der Regierungsrat nach den Rückmeldungen aus der Vernehmlassung, die Steuervorlage 2021 im Sommer 2019 allenfalls mit weiteren Massnahmen zu ergänzen oder rasch eine weitere, nachfolgende Steuergesetzrevision aufzustarten.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2019/04/20190403_1816_regierung_will_staf-vorlagewirkungsvollumsetzenundnatuerlicheper
-> https://www.derbund.ch/bern/statt-firmen-werden-nun-familien-entlastet/story/18288262
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/regierung-will-familien-entlasten-statt-gewinnsteuern-senken/story/24143280
-> https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/neue-steuergesetz-revision-kanton-bern-will-nun-auch-privatleute-entlasten
+++HISTORY
derbund.ch 04.04.2019
«Wir waren angesteckt von der Krankheit der Gewissheit»
Der Berner Peter Sigerist wollte mit der Revolutionären Marxistischen Liga einst die Welt aus den Angeln heben. Heute blickt er kritisch zurück.
Bernhard Ott
Herr Sigerist, wann kommt die Revolution?
Heute klingt diese Frage seltsam. Aber in den Siebzigerjahren war das ein Thema für die Revolutionäre Marxistische Liga (RML), die sich später in Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) umbenannt hat. Wir haben gedacht, wir seien Teil einer Revolution. Das Ende der Diktaturen in Spanien, Portugal und Griechenland liess uns hoffen, dass die Gewerkschaften und die Arbeiterklasse Räterepubliken einführen würden.
Und die Schweizer Arbeiterschaft wäre den Beispielen gefolgt?
Wir rechneten damit, dass Räterepubliken in Südeuropa Auswirkungen auf die Schweiz hätten. Schliesslich fand hier 1848 die einzige gelungene bürgerliche Revolution statt. Warum sollte nicht auch eine proletarische stattfinden? Die Demokratie samt Gewaltenteilung lehnten wir als «bürgerliches Herrschaftsinstrument» ab.
Wie konnte man in den Siebzigerjahren noch daran glauben?
Es war eine Art Glaube, der auf einer falschen Theorie beruhte. Wir waren angesteckt von der «Krankheit der Gewissheit», wie sie die türkische Autorin Elif Shafak beschrieben hat. Gewissheit führt zum Abwürgen der Neugierde und zu Blindheit. Der renommierte britische Historiker Timothy Garton Ash schrieb jüngst zu 1968: «Von heute aus betrachtet erscheint die marxistische, trotzkistische, maoistische oder anarcho-libertäre Rhetorik von 1968 weitgehend lächerlich.»
Wann haben Sie gemerkt, dass sich die Geschichte nicht nach dem marxistischen Fahrplan entwickelt?
Marx sagte ja von sich, er sei kein Marxist. Den «Fahrplan» haben erst seine Adepten entwickelt.
Aber die RML verstand sich ja als leninistische Kaderpartei, die der Revolution nachhelfen wollte.
Wir verstanden uns als Vorhut der Arbeiterklasse. Aber die Geschichte verläuft nicht nur in Brüchen, sondern auch in einer Kontinuität. Ein Blick ins Archiv der RML/SAP macht deutlich, dass die Partei immer auch pragmatisch war. Wir hatten handfeste politische Forderungen, die später zu einem schönen Teil auch umgesetzt wurden. Bei den Nationalratswahlen 1979 haben wir uns für die 40-Stunden-Woche, öffentliche Lehrwerkstätten, Mutterschaftsschutz, Recht auf Abtreibung, Verzicht auf Atomenergie und gleiche Rechte für Ausländer eingesetzt. Wir haben früher und besser als andere Ex-68er-Organisationen begriffen, dass man in der Schweiz mit Wahlen, Initiativen und Referenden Einfluss auf die Politik nehmen muss.
Der Peter Sigerist von einst würde den Peter Sigerist von heute wohl als «Reformisten» bezeichnen. Wann sind Sie zum «Reformisten» geworden?
Auf diese Begrifflichkeit sollte man sich gar nicht erst einlassen. Damit begibt man sich in den Bereich von Dogmen, die der Komplexität der Gesellschaft nicht gerecht werden. In den iberischen Demokratien hatten die Arbeiterklasse und die Frauen viel zu wenig Rechte. Diktator Franco ist leider nicht während des Spanischen Bürgerkriegs in den Dreissigerjahren, sondern erst 1975 eines natürlichen Todes gestorben.
Hätte man nachhelfen sollen wie bei seinem Stellvertreter Carrero Blanco?
Nein, nein. Mit Terror hatten wir nie etwas zu tun. Wir machten symbolische Aktionen und besetzten etwa die spanische Botschaft, weil Franco Todesurteile gegen fünf baskische Separatisten verhängt hatte.
Als «Vorhut der Arbeiterklasse» war die RML nicht bereit, der Diktatur des Proletariats nachzuhelfen?
Der Begriff der Diktatur des Proletariats beruht auf der Fehleinschätzung der Pariser Kommune von 1871 durch Karl Marx. Friedrich Engels und die Nachgeborenen haben diesen Illiberalismus dann noch überhöht.
Sie lehnten die Diktatur des Proletariats also ab?
Nein. Aber die Diktatur des Proletariats ist bei Marx an die massenhafte Erhebung der Ausgebeuteten gebunden. Die RML hat immer verstanden, dass Minderheitsaktionen ohne Unterstützung der Massen zu nichts oder gar zu Unheil führen.
Glaubten Sie, dass die Diktatur des Proletariats eintreten würde, wenn die Masse sich den Aktionen der RML anschliesst? Das wäre das Ideal gewesen, blieb aber letztlich eine Illusion. Das klingt jetzt alles historisch. Aber Bewegungen der Zivilgesellschaft sind nach wie vor topaktuell. Zu Grossdemonstrationen kommt es immer dann, wenn es grosse Provokationen der Herrschenden gibt. Als aufflog, dass der Staat 900000 Fichen über Bürgerinnen und Bürger angelegt hatte, kam es 1990 zur grössten Kundgebung, die je in der Schweiz durchgeführt wurde, mit gegen 60000 Teilnehmenden. Und heute gibt es eben wieder einen Frauenstreik, weil Frauenrechte nicht umgesetzt werden. Und es gibt einen Klimastreik, weil die Herrschenden den Umbau zu einer grünen Wirtschaft verhindern.
Nochmals: Wann haben Sie Ihren revolutionären Glauben verloren?
Anfang der Achtzigerjahre begann die parteiinterne Debatte über die Frage, warum unsere Erwartungen nicht eingetroffen sind. Es gab aber kein auslösendes Ereignis.
Sind Sie froh, dass die von der RML angestrebte Revolution nicht gelungen ist?
Es ist gut, dass wir unsere strategischen Ziele von damals nicht eins zu eins umsetzen konnten. Im Übrigen sind sämtliche gesellschaftlichen Experimente im Namen des Kommunismus gescheitert.
Aber die RML/SAP hat den Realsozialismus ja ohnehin abgelehnt.
Wir haben daran geglaubt, dass es nebst dem Realsozialismus eine ideale Variante von Sozialismus gibt, die einfach noch nie realisiert worden ist. Wir waren zu wenig selbstkritisch, um einzusehen, dass man mit der absolut gesetzten Utopie des Kommunismus nur eine Gesellschaft schaffen kann, die zu Autoritarismus und Diktatur neigt. In jedem Konzept des Kommunismus ist das Autoritative angelegt, weil die Kontrolle der Macht nicht vorgesehen ist. Die Macht verabsolutiert sich selber. Das geschah selbst bei jenen Projekten, die wir einst unterstützt hatten – etwa in Nicaragua und El Salvador.
Gibt es keine positive Ausnahme?
Nein. Die Mitglieder der einstigen Guerillabewegung Tupamaros in Uruguay haben im Gefängnis ihre theoretische Basis revidiert. Sie haben sich von der Ideologie des kubanischen Revolutionärs Ernesto «Che» Guevara (1928–1967) distanziert, aber nicht vom Ziel einer gerechteren Gesellschaft. Der Ex-Guerillero José Mujica wurde 2010 zum Präsidenten gewählt und übte sein Amt bis 2015 aus.
Die RML/SAP ging im Grünen Bündnis (GB) auf, das in der Stadt Bern mitregiert. Hat die Kaderpartei ihr Machtziel doch noch erreicht?
Das GB ist ja bloss mit einer Gemeinderätin im Bündnis von Rot-Grün-Mitte (RGM) vertreten, das sich ständig neu erfinden muss.
Die Linke in Europa steckt in einer Krise. War alles für die Katz?
Nein, nein. In Bern waren wir mit RGM ziemlich erfolgreich. Zudem feiern die Grünen, bei denen viele Frauen und Männer der 68er-Bewegung aktiv sind, grosse Erfolge in der Schweiz, in Deutschland, in Holland und anderen Ländern Europas. Es gibt eine neue Frauen- und eine neue Ökobewegung.
Aber in vielen Ländern kollabiert das Parteiensystem.
Ja, die Lage ist dramatisch. Grün-Rot scheint sich aber wirksam zu reorganisieren, auch wenn wieder dogmatische Klein-Organisationen entstehen wie damals die RML/SAP.
Was würden Sie den Letzteren sagen?
Bleibt auf dem Boden. Hört auf mit der dogmatischen Untermalung Eurer Vorschläge zur Verbesserung der Gesellschaft. Es gibt keine historische Periode, deren Erkenntnisse man auf spätere Phasen übertragen kann. Man muss selber innovativ und kreativ werden und sich überlegen, was politisch und organisatorisch machbar ist.
–
Neues Buch, neues Domizil
Soeben ist das Buch «1968…Jahre der Hoffnung. Rückblick auf die Revolutionäre Marxistische Liga/Sozialistische Arbeiterpartei» im Verlag Edition 8 erschienen. Das Buch ist das Ergebnis einer Umfrage unter 600 Ex-Mitgliedern der Partei, an der ungefähr 110 teilgenommen haben. Ausgewertet wurde das Material von der Soziologin Jacqueline Heinen, die selber auch der RML angehörte. Das RML-Politbüro tagte einst an der Neubrückstrasse 17, wo bis vor kurzem das Grüne Bündnis (GB) und die Gruppe Schweiz ohne Armee (Gsoa) domiziliert waren. Letztere sind nun an der Breitenrainstrasse 59 umgezogen (bob).
(https://www.derbund.ch/bern/wir-waren-angesteckt-von-der-krankheit-der-gewissheit/story/21068445)
+++JUSTIZ
tagesanzeiger.ch 04.04.2019
Darf ein Undercover-Agent im Gefängnis ermitteln?
Dass ein Polizist in eine Zelle eingeschleust wird, ist unüblich. Für den Genfer Staatsanwalt war es «die letzte Chance».
Philippe Reichen
Das Genfer Strafgericht griff mit aller Härte durch. Es hat gestern einen Portugiesen für die Ermordung seiner Nachbarin zu 20 Jahren Haft verurteilt. Anschliessend wird der 53-Jährige verwahrt.
Der Mordfall hat eine aussergewöhnlichen Geschichte. Der Genfer Staatsanwalt Endri Gega stand im Sommer 2016 vor einigen Rätseln. Er verdächtigte Antonio F., seine Nachbarin Nicole B. im Februar 2015 ermordet zu haben. Ermittler hatten in der Wohnung von Antonio F. persönliche Gegenstände von Nicole B. gefunden. Doch sie fanden keine Spuren für ein Gewaltverbrechen und keine Leiche.
«Er war die letzte Chance»
Ein Suizid schien ausgeschlossen. Ermittler hatten Nicole B.s Katze halb tot in einem Containerraum der Wohnsiedlung gefunden. Ihre Familie und Freunde beteuerten: «Nicole hätte ihre Katze nie sich selbst überlassen.»
Der Staatsanwalt entschied, einen Undercover-Agenten ins Untersuchungsgefängnis von Champ-Dollon einzuschleusen. Die Justiz fingierte alles: den Vornamen Paolo, einen Diebstahl als Straftat und die Verhaftung. In Wahrheit war Paolo ein auf verdeckte Ermittlungen spezialisierter Polizist aus Portugal. «Er war die letzte Chance, den Mord aufzuklären», sagte Staatsanwalt Gega vor Gericht. «Weil wir ihren Körper nicht fanden, konnte Antonio F. alles behaupten», so Gega.
Anonyme Briefe an die Justiz
Zehn Tage lebte Paolo in der Zweierzelle mit dem mutmasslichen Täter. Er sollte sich mit Antonio F. anfreunden. Die Wärter kannten seine Identität nicht, nur ein Mitglied der Gefängnisdirektion wusste Bescheid.
Paolo durfte keine investigativen Fragen stellen. Er sollte ohne Druck bewirken, dass Antonio F. von selbst über die Mordtat sprach und sagte, wo die Leiche von Nicole B. war. Einzelne Gespräche nahm Paolo mit dem Handy auf. Von anderen machte er Notizen und erstellte später Protokolle.
Antonio F. freute sich über den Zellengenossen aus Portugal. Der Tatverdächtige begann über Nicole B. zu sprechen. Er beschimpfte sie, berichtete, ein lebloser Körper sei sehr schwer und deutete an, die Mordtat mit blossen Händen verübt zu haben.
Als Paolo die Zelle verliess, hinterliess er Antonio F. ein Handy, damit sie in Kontakt blieben, und besuchte ihn regelmässig im Gefängnis. Die Ermittler hörten die Handygespräch ab. Sie erfuhren, dass Antonio F. Paolo aufforderte, der Justiz anonyme Briefe zu schreiben, um den Mordverdacht auf einen Unschuldigen zu lenken. Die Briefe sollten weiter den Eindruck erwecken, Nicole B.s Mörder sei in Freiheit. Die Ermittler erfuhren auch, dass Antonio F. Paolo den Auftrag gab, seinen Schwager umzubringen, und falls nötig auch seine Schwester.
Der Durchbruch gelang der Staatsanwaltschaft 2017, nachdem Paolo Antonio F. beschieden hatte, er könne ihn nicht mehr besuchen. Vom Haftalltag zermürbt, händigte Antonio F. Paolo eine Umgebungsskizze aus, wo er die Leiche in einem Waldstück zunächst verscharrt und eine Woche später verbrannt hatte. Er gab Paolo den Auftrag, Nicole B.s Schädel auf ihren Briefkasten zu legen und auf einen Zettel zu notieren: «Das bin ich, Nicole.»
Dank der Skizze konnte die Staatsanwaltschaft die sterblichen Überreste in Frankreich bergen. Erst jetzt erfuhr Antonio F. die Wahrheit über Paolo und wurde teilweise geständig.
Kritik der Anwälte
Antonio F.s Anwälte verlangten vom Gericht, es soll die vom verdeckten Ermittler gesammelten Beweise nicht zulassen. Sie seien rechtswidrig, da man ihren Mandanten täuschte. Staatsanwalt Gega sagte, das Zwangsmassnahmengericht habe die Aktion bewilligt, Antonio F.s Verteidiger seien nach dem Fund der sterblichen Überreste informiert worden, rekurrierten aber nicht.
Laut Gega sind Einsätze von verdeckten Ermittlern in Schweizer Gefängnissen «extrem selten». Auf Anfrage verweigern die Staatsanwaltschaft und das Zwangsmassnahmengericht Zürich Auskünfte dazu. Die Staatsanwaltschaft Bern sagt bloss, sie setze pro Jahr durchschnittlich acht verdeckte Ermittler ein. Diese dürften aber kaum in Gefängnissen zum Einsatz kommen.
Das letzte Recht genommen
Strafrechtler halten verdeckte Ermittlungen für umstritten, weil man einen Tatverdächtigen damit das Recht auf Aussageverweigerung nimmt und ein Tatverdächtiger auch in Untersuchungshaft ein Recht auf einen Rest an Persönlichkeitsschutz haben soll.
Bundesrichter Niklaus Oberholzer will sich zum Genfer Fall nicht äussern. In seinem Strafprozesslehrbuch schreibt er aber: «Ein verdecktes Verhör durch einen als Besucher in der Untersuchungshaft getarnten, nicht offen ermittelnden Polizeibeamten unterliegt einem Verwertungsverbot. Unterbreitet der verdeckte Ermittler unter Ausnützung des geschaffenen Vertrauensverhältnisses in einer vernehmungsähnlichen Weise dem Beschuldigten Fragen, oder drängt er ihn gar zu einer Aussage, liegt eine Umgehung des Aussageverweigerungsrechts vor.»
Die Zürcher Strafrechtlerin Tanja Knodel teilt diese Sicht. Sie sagt: Wenn die Justiz das Aussageverweigerungsrecht umgehe, nehme sie einem Beschuldigten sein letztes Recht in einem Verfahren. «Die Folgen einer unzulässigen verdeckten Ermittlung stehen in Widerspruch zum Beweisverwertungsverbot, wonach Beweise aus unfairen und täuschenden Ermittlungsmethoden zu einer Verfahrenseinstellung oder einem Freispruch führen müssen», kritisiert Knodel. Sie fordert: «Kann ein Mord mit legalen Ermittlungsmethoden nicht aufgeklärt werden, muss dies zum Freispruch führen.» Die Genfer Justiz entschied anders.
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/darf-ein-undercover-agent-im-gefaengnis-ermitteln/story/13912280)
+++AFD/SVP
tagesanzeiger.ch 04.04.2019
AfD-Spende aus Zürich: Es war ein SVP-Gönner
Jetzt ist klar, wer Alice Weidel mit 150’000 Franken unterstützt hat. Unsere Recherche führt zu einer Milliardärsfamilie.
Thomas Knellwolf, Bernhard Odehnal
Henning – wer? Das fragten sich britische Journalisten, als sie entdeckten, dass ein schweizerisch-deutscher Immobilienunternehmer nach und nach einige der bekanntesten und historisch wertvollsten Gebäude Londons gekauft hatte. Ihr Wert soll heute rund 2,5 Milliarden Pfund betragen. Doch der Familienname Conle war so unbekannt, dass ihn die Briten nicht einmal richtig schreiben konnten.
Henning – wer? Das werden sich auch jene Staatsanwälte in Deutschland und der Schweiz fragen, welche die Spenden aus Zürich an prominente Exponenten der deutschen Rechtspartei AfD untersuchen.
Henning Conle: Das ist jener Mann, den die Journalisten des Rechercheverbunds von WDR, NDR, «Süddeutscher Zeitung» und Tamedia jetzt als jenen mysteriösen Spender identifizieren konnten, der hinter dem 150’000-Franken-Wahlkampf-Zustupf steht, der 2017 aus der Schweiz an die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel ging.
Damit scheint ein Rätsel gelöst, mit dem sich viele Reporter in Deutschland und in der Schweiz fast ein halbes Jahr lang beschäftigt haben. Im November wurde die Spende an Weidel bekannt. Überwiesen worden waren die 150’000 Franken in mehreren Tranchen über ein Konto der Firma PWS des Zürcher Apothekenbesitzers Kurt Häfliger.
100’000 im Hosensack
Häfliger hielt die Identität des Spenders damals geheim – und tut es bis heute. Über seinen damaligen Rechtsvertreter liess er dieser Zeitung ausrichten, der Geldgeber sei «ein reicher Mann vom Zürichberg», der nicht genannt werden wolle. Für diesen Mann sei der Betrag nicht viel Geld, er trage «100’000 im Hosensack herum».
In Deutschland begannen sich jedoch die Bundestagsverwaltung und die Staatsanwaltschaft Konstanz für die Identität des Geldgebers zu interessieren. Parteispenden aus einem Nicht-EU-Land wie der Schweiz sind nach deutschen Gesetzen nämlich verboten, wenn sie mehr als 1000 Euro betragen.
Häfliger schickte kurz vor Weihnachten eine Liste mit 14 Namen angeblicher Spender an die AfD, welche sie an die Bundestagsverwaltung weiterleitete. Allerdings stimmte auf dieser Liste so gut wie gar nichts. Die Spendenbeträge waren falsch und die angeblichen Spender entpuppten sich schnell als Strohmänner, die nur ihre Namen hergaben und gemäss eigenen Angaben zum Teil sogar dafür bezahlt wurden.
Dies gibt nun auch der gelernte Drogist Häfliger zu. Sein neuer Anwalt Valentin Landmann sagt: «Es trifft zu, dass auf dieser Liste im Wesentlichen Leute stehen, die nicht die Spender sind. Herr Häfliger fühlte sich nicht der Wahrheit verpflichtet und hat darum einen Mist unterzeichnet.»
Ein «etablierter Geschäftsmann»
Landmann, der eben für die SVP in den Zürcher Kantonsrat gewählt wurde, will den Namen des wahren Spenders ebenfalls nicht preisgeben. Der bekannteste Strafverteidiger der Schweiz verrät nur: Der Geldgeber sei ein Bekannter Häfligers, ein «ebenfalls sehr etablierter Geschäftsmann, deutscher Bürger», der aus geschäftlichen Gründen nicht persönlich auftreten wolle. Illegal sei aber nichts an der Sache.
Der schweizerisch-deutsche Rechercheverbund konnte den schwerreichen AfD-Unterstützer nun wegen einer weiteren Achtlosigkeit in den schriftlichen Auskünften des Apothekenbesitzers vom Zürichberg nach Berlin ausfindig machen. Dies gelang über einen Umweg nach Belgien. Auf der Strohmännerliste, die Häfliger einreichte, stehen 13 Personen aus Deutschland und ein Belgier; Philippe M., der für eine Immobilienfirma in Antwerpen arbeitet. Als ihn TV-Reporter von WDR und NDR aufsuchten, erzählte M., er sei von «einem Mann aus der Schweiz» gebeten worden, seinen Namen zu Verfügung zu stellen.
Recherchen in belgischen Firmenregistern zeigten: Die Firma, für die M. arbeitet, gehört Henning Conle senior und junior. Die Familie Conle hat mehrere Wohnsitze in einer Privatstrasse auf dem Zürichberg, in unmittelbarer Nähe zur Apotheke von Kurt Häfliger.
Die SVP unterstützt
Weder Vater noch Sohn Conle waren in den Villen anzutreffen und sie beantworteten auch schriftliche Anfragen des Rechercheverbunds nicht. Hausangestellte sprachen über die Familie in den allerhöchsten Tönen. Die Conles hielten sehr stark zusammen, sie seien sehr grosszügig und «spenden viel».
Bekannt ist ihr Engagement in der Schweizer Politik. Bei der 100-Jahre-Feier der SVP des Kantons Zürich vor zwei Jahren gehörte «Hennig Conle, Zürich» zu den «grosszügigen Sponsoren», wie das Parteiorgan «Zürcher Bote» dankend vermeldete. Auf der Spenderliste der Jubiliäumsfeier taucht der Name neben Parteigrössen wie den Nationalräten Thomas Matter oder Roger Köppel und neben Christoph Blocher auf. Auch aufgeführt ist der langjährige SVP- und AfD-Werber Alexander Segert aus Andelfingen ZH, der in der AfD-Spendenaffäre eine zentrale Rolle spielt.
Ob Vater und Sohn Conle SVP-Mitglieder sind, liess sich nicht in Erfahrung bringen. Der Junior zumindest, der auch sporadisch an Schweizer Schiesswettbewerben teilnimmt, scheint mehr als Sympathien für die Partei zu haben. Ende 2014 war er für einen Ausflug der SVP Stäfa ins Toggenburger Restaurant des damaligen SVP-Präsidenten Toni Brunner angemeldet. Zum Unterhaltungsabend «in geschlossener Gesellschaft» mit Willis Wyberkapelle wollte er gemäss Teilnehmerliste im Car anreisen.
Auch ausserhalb der SVP hatten viele Schweizerinnen und Schweizer schon mit der Familie zu tun. Den Conles gehört die Zürcher Immobilienverwaltung «Miwo», die über 2500 Mietwohnungen in der Schweiz betreut. «Es ist eine der grösseren und bekannten Verwaltungen», bestätigt der Sprecher des Zürcher Mieterinnen- und Mieterverbands, Walter Angst. Sie falle aber weder positiv noch negativ auf: «Business as usual.»
Vorwürfe in Deutschland
Das war in Deutschland teilweise anders: Dort berichteten die Medien über die Familie Conle vor allem in Zusammenhang mit Vorwürfen von überhöhten Mieten, verfallenen Häusern und der Einschüchterung von Mietern. Möglich ist, dass die zum Teil öffentlich geführten Auseinandersetzungen die Conles zur Unterstützung rechter Parteien geführt hat.
Ursprünglich liess sich die Conle-Sippe politisch links verorten. Den Grundstein ihres Immobilienimperiums legten die Brüder Heinz und Kurt Conle in der Nachkriegszeit im Ruhrpott. Laut damaliger Berichte im «Spiegel» stiegen sie mit Hilfe sozialdemokratischer Genossen zu «SPD-Baumillionären» auf. Gleichzeitig beteiligte sich Kurt Conle an der privaten Fluglinie LTU, die vor dem Grounding zur Swissair gehörte und später von der AirBerlin übernommen wurde.
Sein Bruder Heinz ist der Vater des geheimen AfD-Unterstützers Henning Conle senior, der das Immobiliengeschäft erst auf Hamburg und Berlin ausdehnte, dann auf die Schweiz und Grossbritannien. Und auch er hat seine Familie ins Geschäft eingebunden. Henning junior leitet die Miwo in Zürich, eine Tochter eine britische Firma namens «Scampi Kingdom». Die wertvollsten Immobilien in London wie etwas das «Shell Mex House», das Kaufhaus Liberty oder die Kensington Roof Gardens, kaufte die Familie Conle laut Medienberichten in Grossbritannien und Deutschland über die Liechtensteiner Anstalt Sirosa.
Die «Bilanz» gibt das Vermögen der Conles mit 1 bis 1,5 Milliarden Franken an, für die Aufnahme der Eheleute Conle in das Zürcher Bürgerrecht habe die Gemeinde 49’000 Franken in Rechnungen gestellt.
Unterschiedliche Rechtslage
Im Gegensatz zu seiner Gattin und seinem gleichnamigen Sohn, die Einkommen beziehungsweise Vermögen von Dutzenden Millionen versteuern – hat Henning Conle senior sein Steuerdomizil nicht in der Stadt Zürich. Sein Wohnsitz und seine Staatsbürgerschaft könnte in der AfD-Steueraffäre noch eine zentrale Rolle spielen. In Deutschland sind Parteispenden von Nicht-EU-Bürgern illegal.
In der Schweiz muss wegen der AfD-Unterstützung alleine niemand eine Strafverfolgung fürchten. Das Spenden an Parteien, auch an ausländische, sind hier kein Delikt. Die Zürcher Staatsanwaltschaft leistet aber den Konstanzer Kollegen Rechtshilfe. Der Zürcher Apothekenbesitzer Häfliger soll als Zeuge befragt werden. Es geht dabei nicht um die Überweisungen für Alice Weidel an sich. Im Vordergrund steht der Vorwurf der Urkundenfälschung, weil Häfliger eine Liste mit falschen Spendernamen verschickt habe.
Sein Rechtsvertreter Valentin Landmann zweifelt jedoch, dass diese Anschuldigung gerechtfertigt sei. Sein Mandant habe zwar eine falsche Auskunft unterschrieben, sagt Landmann: «Ich sehe das aber nicht als Urkunde an. Es war einfach ein Quatsch in einem Brief.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/zuercher-immobilienmogul-und-svpgoenner-spendete-fuer-weidel/story/28350679)
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-> https://www.sueddeutsche.de/politik/afd-weidel-spenden-1.4396937
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/weidel-spendenaffaere-spur-fuehrt-zu-milliardaer-aus-der-schweiz,RMgVHCs
-> http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-spendenaffaere-neue-spur-fuehrt-zu-schweizer-unternehmer-a-1261299.html
-> https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr-sz/afd-spenden-115.html
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