antira-Wochenschau: Mehr Abschottung, mehr Tote, mehr Widerstand

Was ist neu?

Busse wegen Antiziganismus
Der SVP-Rassist Roland Schöni aus Aarbon muss mehrere hundert Franken Busse bezahlen. Für die Staatsanwaltschaft ist es ein Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm, Fahrende als «Schlitzohren und Kleinkriminelle» zu bezeichnen. Genau so hat sich Schöni zitieren lassen. Was die Gesellschaft für bedrohte Völker nicht tatenlos durchlies und ihn verklagte. Mit seinen Äusserungen schüre der Mann Vorurteile gegen Roma und verstärke das feindselige Klima gegenüber fahrenden Minderheiten, so die GfbV. Schöni hat Einsprache erhoben. Nun muss sich ein Gericht der Sache annehmen.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kreuzlingen/strafbefehl-wegen-rassendiskriminierung-ld.1104776

Cholera greift im Jemen um sich
Der Krieg im Jemen geht in sein fünftes Jahr. Médecins Sans Frontières berichtet nun wieder von einem Cholera-Ausbruch. Die Regensaison stehe kurz vor dem Anbruch und drohe das Problem noch weiter zu intensivieren. Beim letzten grossen Ausbruch im Jahr 2016 wurden 1,3 Mio. Menschen angesteckt, von denen 2’800 starben. Das verheerendste Problem ist jedoch weiterhin der gravierende Nahrungsmangel. Der UN zufolge leiden 10 Mio. Menschen unter extremem Hunger. Allein 2 Mio. Kinder werden wegen akuter Unterernährung behandelt.
https://www.doctorswithoutborders.org/what-we-do/news-stories/news/yemen-cholera-cases-rise-again
https://www.washingtonpost.com/business/why-hunger-rivals-bombs-as-the-biggest-danger-in-yemen/2019/03/18/c5e763f6-49be-11e9-8cfc-2c5d0999c21e_story.html?noredirect=on&utm_term=.7e30c5932bca

Frontex wird weiter aufgestockt
Die europäische Abschottung geht weiter. Obwohl die Zahl der illegalisierten Grenzübertritte in die EU seit Jahren zurückgeht, soll die Grenzschutztruppe Frontex bis 2027 auf 10’000 Einsatzkräfte ausgebaut werden. Der Frontex-Ausbau soll stufenweise erfolgen. Die Truppe soll von 2021 an ausgebaut werden und aus Frontex-Mitarbeitenden sowie Personal der EU-Staaten bestehen.
Ziel der Aufstockung ist es, die Aussengrenzen dermassen stark zu kontrollieren, dass die derzeitigen Kontrollen an den EU-Binnengrenzen überflüssig werden. Wer drinnen ist, darf sich also frei bewegen, wer draussen ist, wird es in Zukunft noch schwieriger haben, in die EU zu kommen.
https://derstandard.at/2000100382315/Frontex-soll-in-zehn-Jahren-ueber-10-000-Grenzschuetzer-verfuegen


Was ist aufgefallen?

Mittelmeer: Mehr Abschottung, mehr Tote
– Wir berichteten bereits letzte Woche über die Strategien und Ziele der EU-Mission Sophia. Der einzige positive Aspekt der Mission war die Tatsache, dass sie durch das internationale Seerecht dazu verpflichtet war, Menschen in Seenot zu retten. Da die Sophia-Mission relativ oft im Mittelmeer unterwegs war, hat sie so (mehr oder weniger unbeabsichtigt) tausende Menschen aus Seenot gerettet. Vor allem auf Druck der italienischen Regierung wird die EU-Mission ihre „Anti-Schmuggel-Aktion“ aber in Zukunft ohne die Präsenz von Schiffen im Mittelmeer durchführen, sondern beispielsweise stärker auf die Ausbildung der libyschen „Küstenwache“ fokussieren. Somit entfällt nun auch noch der letzte positive Nebeneffekt der Sophia-Mission, was sehrwahrscheinlich zu noch mehr Toten im Mittelmeer führen wird, da es jetzt nebst einigen zivilen Rettungsbooten fast keine Rettungsschiffe mehr im Mittelmeer gibt.
Einmal mehr forderte die Abschottung und das Grenzregime Europas Tote. Beim Versuch von der türkischen Küste zur griechischen Insel Lesbos zu gelangen, sind vier Personen ertrunken.
Die rassistische Haltung hinter der Verhinderung von Seenotrettung im Mittelmeer zeigte sich diese Woche wieder einmal in seiner ganzen Deutlichkeit. Geht es nämlich um weisse Menschenleben, klappt das mit dieser Seenotrettung plötzlich ganz wunderbar. Nachdem das Kreuzfahrtschiff „Viking Sky“ vor der norwegischen Küste in Seenot geraten ist, haben sich gleich mehrere Rettunsorganisationen mit hunderten von Retter*innen inkl. Hubschrauber bemüht, die privilegierten Menschen sicher an Land zu bringen. Schön wäre es, wenn sich dieser Elan auch mal bei der Rettung von Nicht-weissen Menschen zeigen würde.
https://www.derbund.ch/panorama/vermischtes/viking-sky-sicher-in-norwegischen-hafen-geleitet/story/25274974

Detain first, ask questions later: Abschiebestrategie der britischen Behörden
2018 wurden in Grossbritannien 15’200 von 24’674 Ausschaffungen kurzfristig gestrichen. Mehr als zwei Drittel der gestrichenen Ausschaffungen wurden in der gleichen Woche, auf welche die Abschiebung angesetzt war, gestrichen und fast die Hälfte davon am Tag der geplanten Abschiebung. Hauptgrund für die Aussetzung der Abschiebungen waren rechtliche Einwände, was bedeutet, dass die britischen Behörden versuchen, gesetzlich nicht haltbare Abschiebungen durchzudrücken, mit der Hoffnung, dass die betreffende Person nicht genügend Zeit oder Geld aufbringen kann, sich rechtzeitig eine Rechtsvertretung zu organisieren. Nebst der Tatsache, dass Abschiebungen sowieso immer grässlich sind, bedeutet diese Taktik ein riesiger zusätzlicher Stress für die betroffene Person. Er oder sie wird stunden –oder gar tagelang in den Glauben versetzt, gleich zwangsweise an diesen Ort abgeschoben zu werden, vor welchem er oder sie geflüchtet ist, nur um dann in letzter Minute doch (vorläufig) bleiben zu können.
Ueli Maurer will die bisher administrativ tätigen Zöllner*innen bewaffnen
Der Staat setzt an der Grenze zwei Arten von Behörden ein. Das bewaffnete Grenzwachtkorps (GWK), das die Grenze mit Gewalt durchsetzt und die Zöllner*innen, die mit Formularen z.B. die Wareneinfuhr oder die Verzollung kontrollieren. Dieses zivile Personal will Maurer kurzerhand bewaffnen und mit dem Grenzwachtkorps fusionieren. Nach einer Schnellbleiche würden schon bald statt 2200 bis zu 3000 Uniformierte mit Waffe an der Grenze stehen.
https://nzzas.nzz.ch/schweiz/grenzschutz-ueli-maurer-ruestet-auf-ld.1469559

Frühlingssession: Rassistisches Parlament
Das Parlament hat in der Frühlingssession gleich mehrere rassistische Motionen angenommen:

Annahme der Motion „Umsetzung einer fairen Asylpolitik in Bezug auf Eritrea“ (mensch beachte die zynische Nutzung des Wortes „fair“ im Motionstitel) die Forderungen :
– Konsequentere Nutzung des juristischen Handlungsspielraumes, um so viele vorläufige Aufnahmebewilligungen wie möglich aufzuheben, v.a. von Menschen, die „nicht integriert“ und von der Sozialhilfe abhängig seien.
– Überprüfung der 3400 vorläufig aufgenommenen Eritreer*nnen mit den Ziel, diese abschieben zu können.

Annahme der Motion „Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht“:
Forderung: Personen, die für Taten im Zusammenhang mit dem IS verurteilt wurden, werden in ihr Herkunftsland ausgewiesen, selbst wenn die Staaten als „unsichere Länder“ gelten.
Die aktuelle Rechtslage sieht vor, dass Personen ohne schweizer Pass, die wegen der Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilt wurden, die Schweiz verlassen müssen. Dieser obligatorischen Landesverweisung stehen völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Garantien entgegen, die Menschen vor Folter und unmenschlicher Behandlung schützen: Vor der Ausschaffung einer Person ist zu prüfen, ob das Rückschiebungsverbot eingehalten ist. Die Motion fordert, dass dies bei Personen, die für Taten im Zusammenhang mit dem IS verurteilt wurden, nicht mehr geprüft werden soll.

Annahme der Motion „Konsequenter Vollzug von Landesverweisungen“
Forderung: Bestimmungen über die strafrechtliche Landesverweisung sollen angepasst werden. Bei der Ausschaffung von „Straftäter*innen“ soll verfahrensrechtlich eine Unterscheidung zwischen Personen mit Aufenthaltsrecht und Personen ohne Aufenthaltsrecht gemacht werden, sodass bei Letzteren die Härtefallklausel seltener angewendet würde und es somit häufiger zu Ausschaffungen kommt.
https://beobachtungsstelle.ch/news/fruehlingssession-besorgniserregende-resultate/

Neue Studie zeigt das Ausmass der Gewalt in den libyschen Lagern
Dass in den libyschen Lagern gefoltert und vergewaltigt wird ist schon länger bekannt. Eine neue Studie der Women’s Refugee Commission (WRC) zeigt jedoch, anhand von Augenzeug*innenenberichten, erstmals das ganze Ausmass der Brutalität auf. Migrant*innen werden systematisch gefoltert, sexuell missbraucht und dabei gefilmt, um die Familien der Gefangenen zu erpressen. Eine Person aus Sierra Leone musste zusehen, wie Mitgefangene, mit denen kein Geld gemacht werden konnte, umgebracht wurden. Viele dieser Vorfälle geschehen in den offiziellen libyschen Haftanstalten, die von der EU mitfinanziert werden. Mit der Neustrukturierung der Sophia-Mission wird nun noch mehr Geld von der EU nach Libyen fliessen und dieses grausame Spiel unterstützen.
https://www.womensrefugeecommission.org/gbv/resources/1689-more-than-one-million-pains-sexual-violence-against-men-and-boys-on-the-central-mediterranean-route-to-italy?utm_source=ECRE+Newsletters&utm_campaign=f77b91b4ae-EMAIL_CAMPAIGN_2019_03_27_11_41&utm_medium=email&utm_term=0_3ec9497afd-f77b91b4ae-422328393

Was war gut?

Freigabe der „Mare Jonio“
Das zivile Rettungsschiff „Mare Jonio“ ist wieder frei. „Our ship is free! Free to sail again in the Mediterranean, to engage in new monitoring operations and to rescue migrants in distress. Against a politics that aims at emptying out the sea of witnesses and rescue vessels we’ll continue to claim the right to intervene. #FreeTheShips“
https://twitter.com/RescueMed/status/1110966419456491520
https://ffm-online.org/ngo-schiff-mare-jonio-wieder-frei-ansa/

Wo gab es Widerstand?

Widerstand gegen Verschleppung in libysche Lager
Diese Woche haben 108 Geflüchtete gegen ihre Verschleppung zurück nach Libyen Widerstand geleistet. Nachdem sie im Mittelmeer in Seenot gerieten, sollten sie von einem türkischen Öltanker, der sich in der Nähe befand, zurück nach Libyen gebracht werden. Kurz vor der libyschen Küste machte der Tanker aber kehrt und war plötzlich nicht mehr in Richutng Libyen sondern in Richtung Italien unterwegs. Wie es den 108 Geflüchteten 6 Seemeilen vor Tripolis gelungen ist, dass der Öltanker umdrehte, ist noch unklar. Der Tanker mit den Geflüchteten fuhr dann unter militärischer Begleitung nach Malta. Da die sogenannte libysche Küstenwache vor, während und nach der Rettung gerade „out of service“ war, erfolgte die Anweisung des Push-Back’s sehrwahrscheinlich direkt von der EU-Luftüberwachung (wahrscheinlich handelte es sich um ein Militärflugzeug der europäischen Operation „Sophia“). Abgesehen davon, dass ein derartiges Refoulement zurück in die libyschen Lager äusserst brutal und verachtend ist, ist es auch ausdrücklich verboten.
https://ffm-online.org/aufruf-sicherer-hafen-fuer-die-120-boat-people-auf-der-flucht/
https://www.jungewelt.de/artikel/352141.migranten-kapern-handelsschiff-im-mittelmeer.html
https://ffm-online.org/sterbenlassen-oder-refoulement-eu-marineflugzeug-bitte-melden/
https://www.theguardian.com/world/2019/mar/28/ship-hijacked-by-migrants-off-libya-escorted-to-malta

Bern: Antirassistische Demo
Am vergangenen Samstag Abend nahmen sich 400 Menschen in Bern die Strasse, um ein antirassistisches Zeichen zu setzen.
 Auslöser war die Zerstörung einer Skulptur gegen Rassismus, sowie das Verschmieren der Schilder der Antirassismuswoche der Stadt Bern mit rassistischen Parolen.
https://www.facebook.com/rjgbern/posts/1318849094934274

Was steht an?

Einladung zur Planungssitzung einer gesamtschweizerischen Demo zum Flüchtlingstag im Juni
Sonntag 31. März | 13 – 16:30 Uhr | Güterstrasse 8 (2. Stock) | Bern
Nach unserer Demo gegen die Ausschaffungen am 8. Dezember schlagen wir vor, dass wir am Flüchtlingstag das Leben und die Probleme in den neuen Bundesasylcamps und in den (Nothilfe-)Camps der Kantone zum Thema machen. Unser Ziel ist eine grosse bunte schweizweite Demo in Bern. Um über die Probleme in Camps zu diskutieren und die Demo gemeinsam zu planen, seid ihr alle herzlich eingeladen. Tickets zur Sitzung können bezahlt werden.
Programm:
1. Begrüssung und Organisation der Übersetzungen
2. Diskussion des Entwurf „Asylcamps sind keine Lösung“ (vgl. unten) und Forderungen formulieren
3. Ideen für die Mobilisierung und den Ablauf der Demonstration
4. Aufgabenverteilung und nächste Schritte
Solidarische Grüsse
Migrant Solidarity Network

Talk/Vortrag: Bundes(asyl)lager
Di. 2.4 – 19:00 | Infothek Furia | Fabrikstrasse 16, 3012 Bern
Wie die Schweiz 2019 Migrant*innen kontrolliert und isoliert

Talk/Vortrag: Deportations/Ausschaffungen
Mi. 3.4 – 19:00 | Infothek Furia | Fabrikstrasse 16, 3012 Bern
– Die verschiedenen Stufen der Ausschaffung
– Verantwortliche für die ärztliche Begleitung
– Welche Änderungen wird es mit der Revision geben

Innensichten auf Asylcamps
Sa. 6.4 – 13:00 | Infothek Furia | Fabrikstrasse 16, 3012 Bern
Drei Personen, die vom Nothilfe- und Lagerregime betroffen sind, erzählen, was dieses System für ihren Alltag und ihre Lebensrealität bedeutet.
Input von geflüchteten Aktivist*innen von Migrant Solidarity Network

Austausch + Vernetzung: Die Bundeslager sind da. Wie weiter mit unserem Widerstand?
Sa. 13.4 – 14:00 – 2019 | Infothek Furia | Fabrikstrasse 16, 3012 Bern
In den letzten Jahren haben viele gegen die Bundesasyllager Widerstand geleistet. Nun sind sie da. Am 13. April wollen wir uns Zeit nehmen, um einen Blick auf den anarchistischen Widerstand gegen die Bundesasyllager zu werfen.
Wir wollen auf vergangene Aktionen und Strategien in den verschiedenen Landesregionen zurückblicken, uns mit der aktuellen Umsetzung der Lagerpolitik auseinandersetzen und nach vorne schauen, um verschiedene Widerstandsstrategien zu diskutieren.
+++Mit Mittagessen+++

Apartheid damals und heute – Widerstand von Südafrika nach Israel/Palästina
2. April 2019, 19 Uhr | kleine Bühne im PROGR, Speichergasse 4, 3011 Bern
Vortrag und Diskussion mit Ronnie Kasrils

 

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Alarmphone-Report
Das Alarmphone bringt alle sechs Wochen einen Report heraus. Der aktuelle Report beschäftigt sich mit den europäischen Zurückweisungen im Mittelmeer
https://alarmphone.org/en/2019/03/20/the-european-refoulement-industry-at-sea-alarm-phone/?post_type_release_type=post&fbclid=IwAR2ob39S_NMp869mvlQqW6A1ZBijVZTtsH3TI78SxB9yBf4zrkqYfhu2GFQ

Gute und schlechte Seiten des Kolonialismus?
Lesesnwerte Antwort auf das in den Medien immer häufiger anzutreffende Statement, der Kolonialismus sei für die kolonialisierten Länder nicht nur schlecht gewesen (lediglich der letzte Abschnitt wäre nicht nötig gewesen).
https://geschichtedergegenwart.ch/die-guten-seiten-des-kolonialismus/

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