Medienspiegel 17. März 2019

+++SCHWYZ
Essensgelder führen zu Unruhe im Schwyzer Asylwesen
Je nachdem, in welcher Gemeinde vorläufig Aufgenommene untergebracht sind, steht ihnen – zum Beispiel – mehr oder weniger Geld für auswärtige Verpflegung zur Verfügung. Weil dies zu Frustrationen führt, wird der Kanton nun aktiv.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/schwyz/unruhe-im-schwyzer-asylwesen-ld.1102757

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Für Klimaaktivisten macht die Stadt Bern eine Ausnahme
Die Stadt Bern will Ausschreitungen vor Wahlen wie 2007 verhindern: Deshalb verbietet sie Demos im Wahlmonat. Die Klimaaktivisten erhalten aber eine Bewilligung.
https://www.derbund.ch/bern/fuer-klimaaktivisten-macht-die-stadt-bern-eine-ausnahme/story/21727379
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/trotz-verbot-klima-aktivisten-sollen-demonstrieren-duerfen/story/31895878
-> https://www.nzz.ch/schweiz/klima-allianz-darf-wohl-kurz-vor-den-wahlen-auf-dem-bundesplatz-demonstrieren-ld.1467861
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/eine-absolute-sauerei-erich-hess-aergert-sich-ueber-kundgebungs-erlaubnis-der-klima-aktivisten-134221166

+++SPORTREPRESSION
Feuer unterm Dach – Vereine fordern Konsequenzen nach Pyro-Skandal
Am Samstag wurde das Spiel Sion gegen GC abgebrochen. Das wird Konsequenzen für die Klubs haben. Aber auch für die Liga? Zumindest fordern das die Präsidenten vom FC Thun und den Grashoppers.
https://www.srf.ch/news/panorama/feuer-unterm-dach-vereine-fordern-konsequenzen-nach-pyro-skandal

+++SEXWORK
Eine Sexarbeiterin mit besonderem Ziel spricht in der Bibliothek Zug
Im Rahmen von «Living Library» erzählt Isabelle Kölbl in der Bibliothek Zug von ihrer mutigen und aussergewöhnlichen Arbeit. Sie ist Sexualbegleiterin für Menschen mit Behinderung.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/eine-sexarbeiterin-mit-besonderem-ziel-ld.1102543

+++JUSTIZ
Sonntagszeitung 17.03.2019

Staatsanwälte bestrafen auch Unschuldige

Um Massendelikte zu ahnden, greifen Strafverfolger zu fragwürdigen Methoden. Die Gründe.

Roland Gamp

Ein deutscher Künstler, der zur Gewalt gegen Karin Keller-Sutter aufruft. Eine 91-jährige Rentnerin, die in der Migros Waren mitgehen lässt. Oder ein Tierquäler, der eine deutsche Dogge ersticht. Sie alle erhielten im letzten Jahr einen Strafbefehl.

«Es handelt sich um ein Massen­geschäft», sagt Marc Thommen, Strafrechtsprofessor an der Universität Zürich. Jeden Tag gehen in der Schweiz weit über 1000 solcher Entscheide heraus. Und es werden immer mehr. «Alle Bereiche des Lebens sind zunehmend durch Gesetze reguliert. In der Folge gibt es mehr Verstösse und am Ende auch mehr Strafbefehle.» Doch obwohl die Stapel der Dossiers in verschiedenen Kantonen anwachsen, erhalten Staatsanwaltschaften kaum mehr Ressourcen. «Die Frage ist, ob darunter die Qualität leidet», sagt Thommen.

Delikte innert zweier Wochen abgehandelt – vom Sachbearbeiter

Eine gross angelegte Studie, finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds, sucht aktuell nach Antworten. Vier Kantone legten ihre Archive dafür offen. Am weitesten fortgeschritten ist das Projekt in St. Gallen, letzte Woche präsentierte Thommen während eines Fachkongresses vorläufige Ergebnisse. Sein Team untersuchte im Kanton 1371 Entscheide aus den Jahren 2014 bis 2016. Sie zeigen Erstaunliches:

– Die Staatsanwälte arbeiten in horrendem Tempo. Im Normalfall vergeht kein Monat zwischen dem Eingang eines Falls und dem Erlass des Strafbefehls. Drogendelikte oder Verstösse gegen das Ausländergesetz sind gar in weniger als zwei Wochen abgehandelt.

– Jeder Beschuldigte kann Einsprache gegen einen Strafbefehl erheben. 10 Prozent aller Betroffenen tun dies gemäss Studie. Alle anderen akzeptieren die entsprechende Sanktion.

– Die Strafen fallen sehr streng aus. Bei 50 Dossiers haben die Forscher im Detail untersucht, wie sich ein Weiterzug an das Gericht auf Freiheitsstrafen auswirkt. Nur in einem einzigen Fall wurde eine im Gegensatz zum Strafbefehl verlängert. 18-mal blieb die Sanktion unverändert. Aber 31-mal verkürzten die Richter die Freiheitsstrafen, zum Teil massiv. In einzelnen Fällen erfolgten gar Freisprüche.

– Fachmännisch verteidigt sind nur die wenigsten Betroffenen. Gerade einmal 7 Prozent leisten sich laut Studie einen Anwalt. Auch auf der Gegenseite sind nicht immer professionelle Juristen am Werk: 65 Prozent der untersuchten Strafbefehle hat nicht etwa ein Staatsanwalt erlassen. Sondern ein sogenannter Sachbearbeiter mit staatsanwaltlichen Befugnissen.

«Das ist sicherlich eine Folge der hohen Fallzahlen», sagt Thommen. Er findet diese Lösung fragwürdig. «Aus rechtsstaatlicher Sicht ist bereits umstritten, ob neben Richtern auch Staatsanwälte Strafen verhängen sollten. Nun zeigt sich, dass dies systematisch von Sachbearbeitern übernommen wird.»

Eric Cottier vom Vorstand der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz hingegen sieht «kein Problem der Verfassungsmässigkeit». Nur in wenigen Kantonen gebe es diese Praxis. «Für Massenfälle, zum Beispiel Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Trunkenheit am Steuer, sind die Fälle in der Regel einfach. Es ist offensichtlich, dass es keinen Staatsanwalt braucht, der sich um solche Strafbefehle kümmert.» Bei schweren Delikten verfassen die Sachbearbeiter laut Cottier normalerweise lediglich die Texte. «Aber die Staatsanwälte treffen die Entscheidungen und unterschreiben Strafbefehle, nachdem sie formuliert sind.»

Roman Dobler von der St. Galler Staatsanwaltschaft wiederum gibt an: «Unser kantonales Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass Sachbearbeiter mit staatsanwaltlichen Befugnissen Strafbefehle erlassen dürfen.» Diese Mitarbeitenden verfügten in der Regel über ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis Kauffrau/-mann öffentliche Verwaltung oder eine Polizeiausbildung. «Ferner bringen die meisten die Ausbildung zum Rechtsagenten mit. Darüber hinaus finden nach Eintritt in die Staatsanwaltschaft interne und externe juristische Ausbildungen statt.»

Ein als «Hehler» Verurteilter ist plötzlich nicht mehr schuldig

Die Frage nach der Qualität ist damit aber noch nicht beantwortet. Denn manchmal treffen Strafbefehle die falsche Person, wie ein realer Fall aus der Analyse verdeutlicht. Ein Mann gerät an der Schweizer Grenze in eine Kontrolle. Die Beamten finden in seinem Auto ein teures Messgerät, das als gestohlen gemeldet ist. Zwar kann der Lenker detailliert schildern, wie er die Apparatur an einem Flohmarkt in Zürich gekauft hat. Trotzdem erhält er später von den St. Galler Behörden einen Strafbefehl – er soll ein Hehler sein.

Dagegen legt der Beschuldigte Einsprache ein. Also geht der Fall zurück an die Staatsanwaltschaft. Wie aus den Akten hervorgeht, erhebt diese keinerlei zusätzliche Beweise. Sie kommt aber trotzdem zu einem anderen Ergebnis. Und stellt das Verfahren ein.

«Einzelne Personen erhielten zu Unrecht Strafbefehl»

«Meines Erachtens liegt hier ein sogenannter Versuchsballon vor», sagt Jurist Daniel Cornaz. Er untersuchte dieses Phänomen im Rahmen der Studie. Es besagt, dass Staatsanwälte im Zweifelsfall auf Vorrat einen Strafbefehl verschicken. Und darauf vertrauen, dass sich Unschuldige wehren. In den Daten fanden sich 59 Fälle, die nach einer Einsprache eingestellt wurden. Einige aus guten Gründen, etwa dank neuer Beweise. Bei 19 Stück gab es laut Cornaz aber «deutliche Hinweise» auf einen Versuchsballon. «Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass einzelne Personen zu Unrecht einen Strafbefehl erhielten.»

Roman Dobler von der St. Galler Staatsanwaltschaft betont, dass die Studie noch nicht abgeschlossen sei. Zur Problematik der Versuchsballone äussert er sich nicht. «Dazu müsste ich die konkreten Fälle kennen, die im Rahmen der Studie untersucht wurden.» Die Zahlen seien generell sehr klein. «Das vorläufige Fazit der Studie ist aber, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen systematisch Versuchsballone steigen lässt.»

Warum die Strafbefehle praktisch immer härter ausfallen als Entscheide durch ein Gericht? «Denkbar ist, dass sich ein Beschuldigter in der Zeit zwischen dem Erlass eines Strafbefehls und der Gerichtsverhandlung in den Augen des Gerichts positiv entwickelte. Und dieses damit eine günstigere Prognose ausfällt», sagt Dobler.

Betroffene könnten sich wehren – tun es aber oft nicht

Über 90 Prozent aller Straffälle landen nicht vor Gericht, sondern werden mit Strafbefehlen erledigt. Staatsanwälte können diese bei Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen und Freiheitsstrafen von maximal sechs Monaten verhängen. Ohne Einsprache werden sie nach zehn Tagen rechtskräftig. Ein effizientes Mittel, das aber auch oft in der Kritik steht. Weil Staatsanwälte eine richterliche Gewalt erlangen. Weil sie Beschuldigte nicht zwingend einvernehmen müssen. Oder weil die Entscheide für Ausländer nicht übersetzt werden.

Zwar kann sich jeder Betroffene per Einsprache wehren. «In der Praxis ist dies aber Augenwischerei», sagt Niklaus Ruckstuhl vom Schweizerischen Anwaltsverband. «Den Allermeisten fehlt das juristische Verständnis, oder sie scheuen sich vor den Kosten. Viele akzeptieren deshalb auch fälschlich ausgestellte Strafbefehle.» Die Konferenz der Staatsanwälte findet die Situation unproblematisch. Vorstandsmitglied Eric Cottier: «Es ist zu beachten, dass mehr als 90 Prozent der Strafbefehle ohne Widerspruch angenommen werden.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/staatsanwaelte-bestrafen-auch-unschuldige/story/26054173)

+++REPRESSION DE/G-20
Grundrechteabbau: Dein Feind und Peiniger
Strafrecht gegen Kritiker und Schwache. Die staatlichen Angriffe auf Linke und Migranten werden immer vielfältiger, verfolgen jedoch alle das gleiche Ziel: Die Schwächung missliebiger Organisationen
https://www.jungewelt.de/artikel/351185.grundrechteabbau-dein-feind-und-peiniger.html

Solidarität mit Inhaftierten
Mit Wunderkerzen gegen Repression: Warmlaufen für »Tag der politischen Gefangenen« in Hamburg
https://www.jungewelt.de/artikel/351663.politische-gefangene-solidarit%C3%A4t-mit-inhaftierten.html

Hafenstraße auf St. Pauli Drogenrazzia mit Diplomaten-Hilfe
Das gab’s noch nie: Eine Drogen-Razzia mit Unterstützung eines ausländischen Konsulats! Bei der Aktion an der Hafenstraße am Donnerstag ging die Hamburger Polizei ganz neue Wege und ließ sich von einer konsularischen Delegation aus Gambia helfen.
https://www.mopo.de/hamburg/polizei/hafenstrasse-auf-st–pauli-drogenrazzia-mit-diplomaten-hilfe-32228068

Pressemitteilung zum Internationalen Tag gegen Polizeigewalt am 15.03.2019 und der rassistischen Polizeimaßnahme am 14.03.2019 in der St. Pauli Hafenstraße
Im Rahmen des Internationalen Tags gegen Polizeigewalt fanden am 15. März in mehreren deutschen Städten Aktionen mit dem Fokus auf rassistische Polizeigewalt statt. Organisiert wurden die Aktionen von einem Bündnis bestehend aus der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt sowie den Copwatch-Initiativen vor Ort.
https://www.facebook.com/copwatchHH/posts/2267718823491621?__tn__=K-R

+++BIG BROTHER
NZZ am Sonntag 17.03.2019

Erkennt der Computer unsere sexuelle Orientierung?

Das Äussere eines Menschen verrate seine Persönlichkeit. Die Physiognomik behauptet das seit der Antike. Jetzt kehrt die umstrittene Theorie zurück – unter dem Deckmantel der künstlichen Intelligenz.

von Yaël Debelle

Schwule Männer haben längere Nasen. Lesbische Frauen eine schmalere Stirn. Und heterosexuelle Männer ein breiteres Kinn. Das ist kein Hokuspokus, und es stammt auch nicht aus der Nazi-Zeit, sondern es sind heutige Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie. Und die Ergebnisse verwirren gar die Forscher selbst. «Es hat uns zutiefst erschreckt», schrieben der Psychologie-Professor Michal Kosinski und der Experte für künstliche Intelligenz Yilun Wang von der Stanford University.

Ihre Studie zeigt, dass ein mit künstlicher Intelligenz trainiertes System Schwule und Lesben an ihrem Gesicht erkennen kann. Sein neuronales Netz konnte mit einer Trefferquote von bis zu 91 Prozent sagen, ob eine Person homo- oder heterosexuell ist. Menschen kamen bei derselben Aufgabe lediglich auf 54 bis 61 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass Homosexuellen in mehreren Ländern der Welt die Todesstrafe droht, ist das in der Tat ein bedenkliches Resultat.

Die Idee, dass dicke Lippen, krumme Nasen oder hohe Wangenknochen etwas über unsere Persönlichkeit aussagen, gibt es seit der Antike. Pythagoras soll seine Schüler danach ausgewählt haben, die ältesten Ausführungen dazu finden sich bei Aristoteles. Die sogenannte Physiognomik geht davon aus, dass sich Charakter und Eigenschaften in unseren Gesichtsformen spiegeln. Sie bediente sich stets der neuesten wissenschaftlichen Methoden, um solche Zusammenhänge zu untermauern: Im 19.Jahrhundert der Biometrie und der Anthropologie, im 20.Jahrhundert der Statistik und der Genetik und heute der künstlichen Intelligenz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Physiognomik ein Tabu. Sie hatte sich disqualifiziert, weil dem Nationalsozialismus nahestehende Forscher behauptet hatten, anhand der Schädel- und Gesichtsformen die Minderwertigkeit der «jüdischen Rasse» beweisen zu können.

Zehntausende Porträts

Nun feiert die Physiognomik ein Comeback im digitalen Kleid. Sogenannte «Deep Neural Networks» werden mit Zehntausenden von Gesichtsfotos gefüttert, die zwei bestimmten Gruppen zugeordnet sind – etwa hetero- und homosexuellen Menschen wie in der Studie von Kosinski und Wang. Das System lernt dann selbständig, Muster in den Abermillionen von Daten zu erkennen. Zeigt man ihm nach dieser Trainingseinheit eine Foto, die es noch nicht kennt, wird das Bild einer der erlernten Kategorien zugeordnet.

Die Schwulen-Studie löste einen Shitstorm aus. Die Wissenschafter hätten ein Werkzeug für die Diskriminierung von Schwulen geschaffen, so der Vorwurf. Man habe mit bereits existierenden Programmen gearbeitet, konterten die Forscher, die ihre Studie 2018 im «Journal of Personality and Social Psychology» publiziert hatten. Sie hätten bloss zeigen wollen, welch grosse Gefahr diese verbreiteten Technologien für Lesben und Schwule darstellten.

Kosinski und Wang hatten ein allgemein erhältliches Gesichtserkennungs-Programm mit über 35000 öffentlich zugänglichen Fotos einer Online-Datingplattform gefüttert. Die Bilder waren dadurch bereits in homo- und heterosexuell eingeteilt, das Programm lernte, wie ein «homosexuelles Gesicht» aussieht. Aus ihren Resultaten konstruierten die Forscher künstliche idealtypische Gesichter. Das «schwule Gesicht» zeigte, dass homosexuelle Männer weniger männliche Züge haben, also schmalere Kiefer, längere Nasen, breitere Stirnen. Lesbische Frauen sind demnach weniger weiblich: Sie haben breitere Kiefer und eine schmalere Stirn, ausserdem sind die Abstände zwischen Augen und Augenbrauen grösser.

Der Stil der Selfies

Ob das System wirklich anhand der Gesichtszüge einteilt, ist umstritten. Der Psychologe Alexander Todorov hat eine andere These: Es sei der Selfie-Stil, der in der Schwulenszene anders sei als in der Heterokultur. «Hetero-Männer tendieren dazu, ihre Selfies von unten zu machen», schreibt Todorov. Die Perspektive lasse den Kiefer breiter wirken und schwäche das Lächeln ab. Der Mann wirke so dominanter. Fotografiere man hingegen von oben, wirkten die Augen grösser und das Kinn schmaler, was als weiblich und attraktiv gelte. Schwule würden sich eher von oben fotografieren, vermutet Todorov. Ausserdem zeigten die künstlichen Gesichter der Studie, dass Lesben weniger stark geschminkt seien und Schwule häufiger Brillen und seltener Bart tragen würden. Der Professor an der Princeton University hat zusammen mit zwei Google-Experten für Machine Learning mehrere Streitschriften gegen die neue Physiognomik im digitalen Kleid geschrieben und warnt vor deren diskriminierenden Resultaten.

Das Problem: Systeme, die nach den Prinzipien des «Deep Learning» funktionieren, sind eine Blackbox. Wie die Programme zu ihren Resultaten kommen, welche Merkmale sie wie gewichten, das wissen selbst die Forscher nicht im Detail. «Es sind hochkomplexe Prozeduren, mit denen die Systeme schichtweise zig Millionen von Parametern durchforsten und optimieren», sagt der ETH-Professor für Computerwissenschaften Joachim Buhmann. «Sie produzieren eine wilde Mischung von Informationen, die schwierig zu interpretieren ist.»

Dennoch hätten Kosinski und Wang nach den Regeln der Kunst gearbeitet und analysiert, welche Gesichtspartien das System zu präzisen Resultaten geführt haben. Trotzdem sei es nicht auszuschliessen, dass das tiefe neuronale Netz anhand der Selfie-Perspektive oder des Make-ups entschieden habe. «Man kann nie alle Störfaktoren ausschliessen.» Um Todorovs These zu überprüfen, müsse man eine neue Studie durchführen.

Der Impuls, das Gegenüber anhand des Gesichts einzuordnen, ist zutiefst menschlich. Aber ob sich Eigenschaften wirklich im Gesicht zeigen, ist wissenschaftlich umstritten. Mehrere Studien belegen, dass zumindest die Breite des Gesichts Rückschlüsse auf den Charakter erlaubt: Männer mit breiten Gesichtern verhalten sich in Versuchen aggressiver und egoistischer. Testosteron könnte die Ursache sein. Das männliche Sexualhormon soll für breitere Knochen sorgen – und für erhöhte Aggressivität.

Neben den Hormonen hätten Gene, Ernährung, Durchblutung und Umweltfaktoren Einfluss auf unser Gesicht, vermuten Forscher. Bereits Darwin dachte, dass wir unsere Gesichtsmuskeln je nach vorherrschenden Emotionen unterschiedlich stark trainieren und sich so unsere Persönlichkeit in unser Gesicht eingräbt.

Menschen sind sich erstaunlich einig, wenn sie Gesichter beurteilen müssen. So empfinden wir grundsätzlich die gleichen Züge als vertrauenerweckend: u-förmiger Mund, grosse Augen, absteigende Augenbrauen. Aber liegen wir damit auch richtig? Alexander Todorov glaubt nicht daran. Seine Studie zeigt, dass vertrauenswürdige Gesichter lediglich positiven Emotionen ähnlich sehen. Nicht vertrauenswürdige Gesichtszüge gleichen hingegen der Emotion Wut. Und wir haben gelernt, aggressiven Menschen aus dem Weg zu gehen. Wir interpretieren also auch Emotionen in neutrale Gesichter, weil wir darauf geeicht sind.

«Zutiefst beunruhigend»

Nun soll künstliche Intelligenz das schaffen, was wir Menschen ungenügend können – Menschen anhand ihrer Gesichtsformen beurteilen. «Maschinen können natürlich sehr viel mehr Merkmale extrahieren und systematisch darin Muster erkennen als Menschen», sagt ETH-Professor Buhmann. Ob ihre Resultate aber wirklich robust und gleichzeitig aussagekräftig sind, ob sie also auf die Realität übertragbar sind oder ob das System bloss Bilder des trainierten Datensatzes erfolgreich zuordnen kann, bleibt umstritten.

Trotzdem wird die digitale Physiognomik längst eingesetzt. Die israelische Firma Faception verkauft solche Lösungen bereits. Sie könne mithilfe künstlicher Intelligenz anhand von Fotos Terroristen, Kriminelle oder Pädophile enttarnen, bevor diese Schaden angerichtet hätten. Man arbeite bereits mit einem «führenden Geheimdienst» zusammen, behauptet die Firma.

«Zutiefst beunruhigend» nennt das einflussreiche New Yorker Forschungsinstitut «Artificial Intelligence Now» Technologien, die Physiognomik und Machine Learning vermählen. Die Vorstellung, dass künstliche Intelligenzen am Gesicht erkennen könnten, wer wir wirklich sind und was wir fühlen, sei sehr attraktiv für Firmen und staatliche Organisationen. Wissenschaftlich sei sie allerdings höchst fragwürdig und erinnere an längst totgeglaubte Nazi-Ideen. Es brauche dringend verbindliche Regeln gegen den Einsatz solcher Technologien.

Auch Kosinski und Wang warnen vor den Verfahren, die sie selbst getestet haben. «Ehrlich gesagt, wären wir hocherfreut, wenn unsere Resultate falsch wären», schreiben sie zu ihrer Studie. «Die Menschheit hätte ein Problem weniger.»
(https://nzzas.nzz.ch/wissen/erkennt-der-computer-unsere-sexuelle-orientierung-ld.1467546)

+++POLICE FRAU
Macron will mehr Härte
Frankreichs Regierung fordert Verschärfung von Gewalteinsatz gegen »Gelbwesten«. Polizisten klagen über »illegale« Befehle
https://www.jungewelt.de/artikel/351132.frankreich-und-die-gelbwesten-macron-will-mehr-h%C3%A4rte.html

+++ANTIFA
Attentat von Christchurch: Der Troll-Terrorist
Der Attentäter von Christchurch verknüpft seine faschistische Ideologie mit der Netzkultur. Die mediale Verbreitung der Tat ist Teil des Terrors – wir müssen uns hüten, unabsichtlich mitzumachen.
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/christchurch-wie-der-troll-terrorist-sein-attentat-im-netz-bewarb-a-1258272.html

Brenton T. und “Der große Austausch” – das ist die Geschichte der Verschwörungstheorie
“Der große Austausch” – so hieß das Manifest des Christchurch-Terroristen. Brenton T. hing offenbar einer Verschwörungstheorie nach, die seit Jahrzehnten verbreitet wird – und auch hierzulande Anhänger hat.
https://www.stern.de/politik/ausland/verschwoerungstheorie-des-christchurch-moerders—der-grosse-austausch–8623972.html

+++ANTIRA
Fasnacht 2019 – Die «Alten Stainlemer» haben sich wieder gern
Nach dem Zoff um das Sujet der Alten Garde habe es eine Aussprache gegeben, sagt Cliquen-Präsident Roman Meier.
https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/fasnacht-2019-die-alten-stainlemer-haben-sich-wieder-gern

Sonntagszeitung 17.03.2019

Rassismus-Kommission knöpft sich Fasnacht vor

In mehreren Kantonen kam es an der Fasnacht zu rassistischen Vorfällen. Jetzt reagiert die Präsidentin der Rassismus-Kommission.

von Andrea Kučera

An der Basler Fasnacht treten Tambouren als Schwarze und bärtige Islam-Prediger auf und warnen vor der Überfremdung Kleinbasels. In Schwyz marschieren am Güdelmontag zwölf Neonazis in den weissen Kutten des Ku-Klux-Klan auf. Und in Egerkingen im Kanton Solothurn fragt ein Zwölfjähriger die Gemeindepräsidentin, ob die Verballhornung des Gemeindenamens zu «Negerchinge» nicht diskriminierend sei.

Die Vorfälle rund um die diesjährige Fasnacht rufen die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) auf den Plan: «Der Vorstand wird sich an einer der nächsten Sitzungen mit den Symbolen befassen, die an den Umzügen gezeigt werden», sagt Kommissionspräsidentin Martine Brunschwig Graf. «An der Fasnacht gelten zwar andere Codes als während des Rests des Jahres», meint die frühere Genfer FDP-Staatsrätin. «Aber das heisst nicht, dass alles erlaubt ist.»

Laut Brunschwig Graf muss man klar unterscheiden zwischen dem Aufmarsch der Neonazis in Schwyz und etwa der Diskussion in Egerkingen. Der Ku-Klux-Klan ist ein Geheimbund, der 1865 in den USA gegründet wurde und gewaltsam gegen Schwarze, aber auch gegen Juden vorging.

Die Ku-Klux-Klan-Männer aus Schwyz

Die Ku-Klux-Klan-Anhänger aus Schwyz trugen an der Fasnacht eine Keltenkreuz-Fahne mit sich, Symbol für die angebliche Vorherrschaft der weissen Rasse. «Falls der Auftritt ein Scherz war, war es ein sehr schlechter Scherz», sagt Brunschwig Graf. «Diese Personen kommen aus dem rechtsextremen Milieu und haben die Fasnacht für ihre Propaganda missbraucht», sagt sie. Es sei an der Justiz, zu urteilen, ob die Gruppe sich strafbar gemacht habe. Für Brunschwig Graf jedenfalls steht fest: «Dieses Verhalten geht definitiv zu weit.»

Differenzierter beurteilt die EKR-Präsidentin die Kontroverse in Egerkingen. Die Verballhornung des Namens zu «Negerchinge» sei eine langjährige Praxis, da stecke wahrscheinlich kein rassistisches Gedankengut dahinter. «Man hält einfach eine alte Tradition aufrecht», so Brunschwig Graf. Sie begrüsse es aber, wenn sich die Leute vermehrt Gedanken über die Bedeutung von Namen und Bildern machten. «Wir sind heute viel sensibler in Bezug auf die Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen, namentlich von Dunkelhäutigen», sagt sie. «Es ist gut, dass solche Diskussionen stattfinden.»

Eine vergleichbare Debatte gebe es auch in Bezug auf die Repräsentation von Schwarzen in Wappen. So störten sich etwa vor einigen Jahren zwei Lokalpolitiker in Bern am Emblem der Zunft zum Mohren: Das Wappen zeigt den Kopf eines dunkelhäutigen Mannes im Profil, wobei die vollen Lippen und die breite Nase, wie in der Bildsprache der Kolonialzeit üblich, stark überzeichnet sind. Auch mit der Symbolik von Wappen werde sich die Kommission gegen Rassismus an ihrer Sitzung befassen, sagt Brunschwig Graf weiter.

Ziel sei aber nicht, einzelne Symbole zu verbieten. «Wir sind keine Zensurbehörde.» Es gehe darum, einen Diskussionsbeitrag zu leisten zur Frage, wie mit Traditionen umzugehen sei. In Basel schwelt die fasnächtliche Rassismusdebatte bereits seit letztem Sommer: Ein türkischstämmiger Medizinstudent empörte sich im August in der Gratiszeitung «20 Minuten» über die Clique «Negro-Rhygass».

Der Sklave im Bastrock

Das Logo der Gruppierung zeigt einen trommelnden schwarzen Mann im Bastrock. «Das stellt ganz klar einen Sklaven dar», befand der Mann. Prompt brach in den sozialen Medien ein Shitstorm über die Clique herein. Es kam zu Solidaritätskundgebungen im Namen der Narrenfreiheit und Gegendemonstrationen von Leuten, die mit «rassistischen Traditionen» brechen wollten. Im Dezember gab die Clique bekannt, sie verzichte auf das Logo. Am Namen halte sie aber fest.

An der Fasnacht selbst kochte die Geschichte wieder hoch: Unbekannte brachten einen Zettel in Umlauf mit dem Titel «Mir mache doch nid dr Näger». Der junge Türke wird darin beleidigt als angeblicher Student, der von Steuergeldern profitiere, keine Ahnung habe von den lokalen Traditionen und sich um die Gastfreundschaft foutiere. Wie im Fall von Schwyz prüft nun die Staatsanwaltschaft, ob ein Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm vorliegt.
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/rassismus-kommission-fasnachts-traditionen-unter-der-lupe-ld.1467786)

+++PATRIARCHAT
Schweizer Frauenstreik – «So geht es nicht, wir Frauen sind unzufrieden!»
Die Mobilisierung läuft: 28 Jahre nach dem ersten Frauenstreik organisieren Frauen in der ganzen Schweiz die Neuauflage.
https://www.srf.ch/news/schweiz/schweizer-frauenstreik-so-geht-es-nicht-wir-frauen-sind-unzufrieden