Medienspiegel 10. März 2019

+++SCHWEIZ
NZZ am Sonntag 10.03.2019

Krank – und darum nicht abgeschoben

Der Bund stellt eine Zunahme von Asylsuchenden mit «erheblichen Gesundheitsproblemen» fest.

von Lukas Häuptli

Seit zehn Tagen ist die grosse Asylreform der Schweiz in Kraft. Seither ist das Land in sechs Regionen aufgeteilt, in denen knapp zwanzig Zentren des Bundes stehen. In diesen sollen künftig 70 Prozent aller Asylsuchenden einen rechtskräftigen Entscheid erhalten, und zwar dank beschleunigten Verfahren innerhalb von 140 Tagen. Das sei, so der Plan des Bundes, vor allem bei Gesuchstellern möglich, die entweder aus einem europäischen Dublin-Staat oder aus einem sicheren Herkunftsland stammen. Bei den ersten ist die Schweiz für die Asylgesuche nicht zuständig, bei den zweiten lehnt sie diese in aller Regel ab.

Allerdings taucht jetzt ausgerechnet bei diesen Asylsuchenden ein unerwartetes Problem auf. Eine wachsende Zahl von ihnen ist gesundheitlich derart angeschlagen, dass der Bund ihre Gesuche nicht so rasch wie geplant behandeln kann. «Der Anteil an Medizinalfällen in den nationalen Asylverfahren nahm in den letzten Monaten zu», heisst es in einem internen Bericht des Staatssekretariats für Migration zu den Asylverfahren im Jahr 2018. Und in einem anderen Bericht zum letzten Jahr steht, dass in der Schweiz «vermehrt Asylsuchende mit erheblichen Gesundheitsproblemen» Asylgesuche stellten.

Kein Asyl für Georgier

Bemerkenswert ist, dass diese Asylsuchenden gemäss den Berichten vor allem aus Ländern stammen, die als sogenannte Safe Countries, also als sichere Staaten, gelten. Aus diesem Grund erhalten die Gesuchsteller in der Schweiz kaum Asyl. Zu diesen Ländern zählt unter anderem Georgien. Letztes Jahr stellten knapp 900 Personen aus dem Land am Kaukasus ein Asylgesuch in der Schweiz; das waren fast sechs Prozent aller Gesuchsteller. Allerdings erhielt keine einzige Person Asyl. Ähnlich tief war die Anerkennungsquote bei Staatsangehörigen aus Algerien, Marokko und Tunesien sowie aus Nigeria, Guinea und Gambia.

Wegen der wachsenden Zahl von Asylsuchenden mit gesundheitlichen Problemen verzögern sich zahlreiche Asylverfahren. «Bei Personen mit Spitalaufenthalt können die Verfahrensschritte nur verzögert durchgeführt werden», heisst es in einem der Berichte. Die gesundheitlichen Probleme der Asylsuchenden bedingten vertiefte Abklärungen.
«Dies erhöht die Verfahrensdauer.»

Welcher Art die Krankheiten der Asylsuchenden sind, erfasst das Staatssekretariat für Migration nicht. «Es gibt keine gesetzliche Grundlage, um Informationen zu … Diagnosen, Behandlungen, Grad einer Krankheit oder Krankheitsverlauf zu erfassen», sagt Lukas Rieder, Sprecher des Staatssekretariats für Migration. Ein Mitarbeiter eines Asylzentrums des Bundes erzählt aber, es handle sich sowohl um physische als auch um psychische Probleme. «Viele der Betroffenen müssen im Spital behandelt werden. In diesen Fällen ist an eine ordentliche Abwicklung des Asylverfahrens nicht zu denken.»

Bleiberecht für Kranke

In zahlreichen Fällen führen die Krankheiten der Asylsuchenden dazu, dass deren Gesuche zwar abgelehnt werden, dass die Gesuchsteller in der Schweiz aber eine vorläufige Aufnahme erhalten. «Asylsuchende mit gesundheitlichen Problemen, die kurz nach einer Rückkehr in ihre Herkunfts- oder Heimatstaaten wegen fehlender oder mangelhafter medizinischer Versorgung ernsthaft gefährdet wären, werden gemäss gefestigter Praxis in der Schweiz vorläufig aufgenommen», hält das Staatssekretariat fest. Die Wegweisung der Betroffenen wäre, wie es im Asylgesetz heisst, unzumutbar.

«Im letzten Jahr sind in der Schweiz 191 Personen aus medizinischen Gründen vorläufig aufgenommen worden», sagt Lukas Rieder vom Staatssekretariat. «Dabei handelte es vor allem um Staatsangehörige aus Georgien und Eritrea.»

Die knapp 200 Personen machen rund zweieinhalb Prozent aller rund 8500 Asylsuchenden aus, die letztes Jahr in der Schweiz vorläufig aufgenommen wurden. Die meisten von ihnen stammen aus Afghanistan (rund 3900), Syrien (1600) und Eritrea (900). Diese können nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden, weil dort noch immer Krieg herrscht, weil den Betroffenen schwere Menschrechtsverletzungen drohen oder weil ihre Abschiebungen aus anderen Gründen nicht möglich sind.

Bundesasylzentren sind nur zur Hälfte ausgelastet

Der Bund soll in seinen Asylzentren über 5000 Plätze verfügen. Das ist das Ziel der Asylreform, die vor zehn Tagen in Kraft getreten ist. Noch ist dieses Ziel nicht erreicht. Zurzeit fehlen noch mehrere hundert Plätze.

Ob es diese angesichts der sinkenden Zahl von Asylsuchenden braucht, ist allerdings fraglich. Interne Berichte des Staatssekretariats für Migration zeigen, dass die Bundesasylzentren im letzten Jahr lediglich zu 49 bis 58 Prozent ausgelastet waren. Ziel wäre eine Auslastung von 75 bis 85 Prozent gewesen.

Die zusätzlichen Plätze brauche es, weil in den Bundesasylzentren künftig mehr Verfahrensschritte durchgeführt und die Asylsuchenden deshalb länger dort untergebracht würden, heisst es in den Berichten weiter. Auch brauche es «Schwankungsreserven» für den Fall, dass die Zahl der Asylsuchenden in Zukunft wieder steige. (luh.)
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/asylverfahren-verzoegern-sich-bei-erkrankungen-der-asylsuchenden-ld.1465973)

+++BALKANROUTE
Bosnien warnt EU vor neuer Flüchtlingswelle
Die Regierung in Sarajevo rechnet mit einem massiven Anstieg der Anzahl von Flüchtlingen, die die EU-Außengrenze erreichen wollen. Der Sicherheitsminister nimmt die EU-Staaten in die Pflicht.
https://www.dw.com/de/bosnien-warnt-eu-vor-neuer-fl%C3%BCchtlingswelle/a-47830505
-> https://ffm-online.org/bosnien-warnt-eu-vor-neuer-fluechtlingswelle/

+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Thurgau kann ohne Volksabstimmung Plätze für Fahrende schaffen
Eine neue Studie zeigt auf, wie Kantone neue Plätze für Fahrende errichten können. In der Ostschweiz könnte einzig der Thurgau eine Zone für Fahrende direkt und ohne Volksabstimmung festlegen.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/thurgau-kann-ohne-volksabstimmung-plaetze-fuer-fahrenden-schaffen-ld.1100801

+++FREIRÄUME
Reitschule: Lackmustest für FDP und CVP
Ein rechtsfreier Raum
Seit vielen Jahren ist die Berner Reitschule ein riesiges Ärgernis. Zunächst ist es ja ein abscheulicher Anblick, welcher Besucher unserer Bundeshauptstadt bei der Ankunft via Bahn erwartet.
https://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/reitschule_lackmustest_fuer_fdp_und_cvp-3528
-> Glarner: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20173082

+++GASSE
Was macht Hornkuh-Capaul bei Luzi Stamm zu Hause? «Stamm wird von der SVP gemobbt»
Der eine braucht rechtlichen Beistand – der andere ist Jurist: Armin Capaul ist heute Sonntag beim von der SVP in «Ruhezeit» geschickten Luzi Stamm zu Hause. Jetzt nimmt der Hornkuh-Rebell den Aargauer Nationalrat in Schutz.
https://www.blick.ch/news/politik/stamm-wird-von-der-svp-gemobbt-was-macht-hornkuh-capaul-bei-luzi-stamm-zu-hause-id15209897.html

Luzi Stamm wehrt sich gegen Gerüchte: «Jetzt weiss ich, wer meine Todfeinde sind»
Er sei gesund, versichert SVP-Natonalrat Luzi Stamm im Interview. Seine Familie leide am meisten unter der Situation.
https://www.blick.ch/news/politik/luzi-stamm-wehrt-sich-gegen-geruechte-jetzt-weiss-ich-wer-meine-todfeinde-sind-id15208942.html
-> https://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Ich-weiss-jetzt–wer-meine-Todfeinde-sind–25625794
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/aargauer-svp-verordnet-luzi-stamm-eine-auszeit-er-sagt-ich-bin-gesund-134187919
-> https://www.derbund.ch/schweiz/standard/ich-weiss-jetzt-wer-meine-todfeinde-sind/story/24767743
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/luzi-stamm-schiesst-gegen-svp-kollegen-65493415

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Message important concernant l’affaire du 31 décembre 2017
Ces informations s’adressent à toutes les personnes concernées par les arrestations lors de la fête sauvage du 31 décembre à Genève. À lire !!
https://renverse.co/Message-important-concernant-l-affaire-du-31-decembre-2017-1943

+++BIG BROTHER
Missing Link: Überwacht die Überwacher, oder: Klagen gegen den Präventionsstaat
Da hat sich ganz schön was angesammelt: Ein Update aus dem Kampf gegen den Präventionsstaat in Deutschland und in Europa.
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Missing-Link-Ueberwacht-die-Ueberwacher-oder-Klagen-gegen-den-Praeventionsstaat-4330141.html?seite=all

+++POLICE BE
Sicherheit als Basis für Lebensqualität
Infrastruktur und Sicherheit: Am Politforum in Thun sprach Regierungsrat Philippe Müller die Probleme rund um Sportstätten an.
https://www.bernerzeitung.ch/region/thun/sicherheit-als-basis-fuer-lebensqualitaet/story/27185926

+++ANTIFA
Schweizer zwischen 18 und 30 Jahren: Polizei hat alle zwölf Ku-Klux-Klan-Brüder befragt
Bei den Fasnächtlern, die als Ku-Klux-Klan verkleidet an der Schwyzer Fasnacht teilnahmen, handelt es sich um Schweizer im Alter zwischen 18 und 30 Jahren alt. Die Polizei hat alle 12 Männer einvernommen – jetzt liegt der Ball bei der Staatsanwaltschaft.
https://www.blick.ch/news/schweiz/zentralschweiz/schweizer-zwischen-18-und-30-jahren-polizei-hat-alle-zwoelf-ku-klux-klan-brueder-befragt-id15209610.html
-> https://www.derbund.ch/panorama/vermischtes/schwyzer-ku-klux-klan-gruppe-von-polizei-einvernommen/story/16555658
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/ku-klux-klan-kostueme-polizei-ermittelt-134190771
-> https://www.tele1.ch/sendungen/1/Nachrichten#484303_3
-> https://www.tele1.ch/artikel/154444/betroffene-im-ku-klux-klan-fall-ausfindig-gemacht
-> https://www.20min.ch/schweiz/zentralschweiz/story/Ku-Klux-Klan-ist-nicht-als-rechtsextrem-bekannt-18376620
-> https://www.srf.ch/news/regional/zentralschweiz/nach-fasnachts-auftritt-schwyzer-polizei-identifiziert-vermeintliche-ku-klux-klan-maenner
-> https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft%20&%20politik/280421757-nach-fasnachts-auftritt-als-ku-klux-klan-in-schwyz-12-personen-einvernommen
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/ku-klux-klan-polizei-schwyz-hat-12-personen-ermittelt-und-vernommen-65493549
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/schwyz/schwyzer-ku-klux-klan-darsteller-von-der-kantonspolizei-einvernommen-ld.1100923

«Aufmarsch war von langer Hand geplant»
Was soll die Polizei tun, wenn der Ku-Klux-Klan wieder marschiert? Diese Frage soll jetzt der Schwyzer Regierungsrat klären.
https://www.20min.ch/schweiz/zentralschweiz/story/Ku-Klux-Klan–war-von-langer-Hand-geplant–18018588

Schiesstraining und Prügeleien: Das militante Netzwerk hinter dem Schwyzer Ku-Klux-Klan
Die Drahtzieher der Ku-Klux-Klan-Aktion an der Schwyzer Fasnacht stammen aus dem Umfeld des gewaltbereiten Blood-and-Honour-Netzwerks. Auf Facebook äussern sie sich zum Aufmarsch.
https://www.blick.ch/news/schweiz/zentralschweiz/schiesstraining-und-pruegeleien-das-militante-netzwerk-hinter-dem-schwyzer-ku-klux-klan-id15208592.html

+++ANTIRA
Wochengast Pia Inderbitzin – «Ich hatte einen steilen Einstieg wegen der Negro-Rhygass»
Die erste Obfrau des Fasnacht-Comités musste sich nach ihrem Antritt gleich mit einer Rassismus-Debatte auseinandersetzen.
https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/wochengast-pia-inderbitzin-ich-hatte-einen-steilen-einstieg-wegen-der-negro-rhygass

Sonntagszeitung 10.03.2019

Der Morge- wird zum Sorgestraich

Darf man als «Neger» an der Fasnacht auftreten? Über die Narrenfreiheit ist eine hitzige Rassismus-Debatte entbrannt.

Chris Winteler

Der Pauken spielende Afrikaner, barfuss, im Baströcklein und Knochen im Haar – er wird in den kommenden Tagen öfters in Basel zu sehen sein. Schon am Morgestraich, frühmorgens um 4 Uhr, wird die schwarze Figur wohl als Laternen-Sujet durch die Strassen der Innenstadt getragen.

Offiziell jedoch wird das Jahrzehnte alte Logo der Fasnachts-Clique Negro-Rhygass nicht mehr eingesetzt – dies nach einer wochenlangen hitzigen Rassismusdebatte, welche die Namen und Logos der zwei Guggenmusiken Negro-Rhygass und Mohrekopf im Sommer 2018 ausgelöst hatten. Umso reizvoller wird die «verbotene» Karikatur des Afrikaners für die Kollegen der gerügten Basler Cliquen. Und so haben etwa 50 Gruppen beschlossen, das Thema offensiv anzugehen: Die «drey scheenschte Dääg» werden bei ihnen unter dem Motto «Narrenfreiheit» stehen. Die Basler Bebbi zum Beispiel künden sich an mit «Bimbotown – Neuigkeiten us m Dschungel». Die Clique «Olympia» wird sich über «Gutmenschen» lustig machen. Und die «Trotzkepf-Waggis» (Motto Bianco-Rhygass) werden vom Wagen aus Bananen ins Volk werfen.

Es ist der Sinn der Fasnachtszeit, dass für einmal alles rausgelassen und angeprangert werden darf, was einen das Jahr hindurch gestört und beschäftigt hat. «Die Fasnacht hat eine Ventilfunktion», sagt Pia Inderbitzin, die Obfrau des Fasnachts-Comités, an der Fasnacht dürfe man alles sagen, «mit spitzem Humor und scharfer Zunge».

Tradition soll keine Entschuldigung sein

Wie gross ist die Narrenfreiheit während der Fasnachtszeit? Was ist während der fünften Jahreszeit erlaubt, was geht zu weit? In den vergangenen zwei Wochen sorgten mehrere Fasnachtsvorfälle schweizweit für Empörung – meist ging es um den «Neger». Das «Neger-Kostüm» (schwarze Haut, wulstige Lippen, Bastrock, Chruselihaar) scheint nach wie vor beliebt zu sein – bei Kindern und Erwachsenen.

Darf sich das solothurnische Dorf Egerkingen während der Narrenzeit «Negerchinge» nennen? Jahrzehntelang wurde nie Protest gegen den Namen laut – bis diesen Winter ein Schüler aus Egerkingen bei der Gemeindepräsidentin vorsprach: Er fände es diskriminierend, dass die Dorffasnacht «Negerchinger Fasnacht» heisse. Die Antwort der FDP-Politikerin, der Name sei keineswegs diskriminierend gemeint, dürfte den Jungen kaum befriedigt haben.

Das kann auch Celeste Ugochukwu von der afrikanischen Gemeinschaft der Schweiz nicht akzeptieren. Den Namen «Negerchinge» verurteilt er scharf: «Neger ist ein rassistisches Wort, das dunkelhäutige Menschen diskriminiert und beleidigt –- auch während der Fasnacht.» Die Verkleidung als «Mohrenkopf» sei respektlos, verspotte die Black Community. Und Tradition sei ebenfalls keine Entschuldigung. «Selbst wenn der Ausdruck mal normal war, die Gesellschaft entwickelt sich und mit ihr das Vokabular.» Kurz: Die Fasnacht sei kein Freipass für Rassismus.

«Fröhlich tanzende Gestalten mit Chruseliköpfen»

Das «N-Wort» ist rassistisch – immer. Heute sagt etwa Schwingerkönigin Sonja Kälin, die fürs Schweizer Fernsehen an der Lozärner Fasnacht mitkommentierte: «Ich war in meiner Kindheit oft als Afrikanerin verkleidet – damals war das ‹Negerli› normal.» Selber musste die Schwyzer Sekundarlehrerin auch schon als Fasnachtsmotiv herhalten, die Schüler in Einsiedeln SZ kostümierten sich als strenge Lehrerin, darüber kann sie lachen.

In Luzern hat eine «Negermaske», die im Luzerner Bahnhof aus einer Schatztruhe grinste, für Proteste gesorgt. «Eine grinsende Negermaske?» Nein, davon habe er nichts mitbekommen, sagt dagegen Peti («nicht Peter, bitte») Federer, Medienchef des Lozärner Fasnachtskomitees. Überhaupt kann er die Aufregung nicht verstehen: Auch in Luzern seien «fröhlich tanzende Gestalten mit Chruseliköpfen» unterwegs gewesen. «Du wollen billig Sonnebrille kaufen?», hätten sie ihn auf der Kapellbrücke angehauen. «Sie erinnerten mich an die letzten Strandferien», sagt Federer, keine Sekunde hätte er an eine Verspottung von Schwarzen gedacht. Dutzende Ethnien seien vertreten gewesen, «Eskimos, sorry, darf man auch nicht mehr sagen, Asiaten, Russen – wir sind doch alle fasziniert von fremden Völkern.» Und er fragt: «Was darf man denn überhaupt noch? Verletze ich etwa die Frauen, wenn ich mich als Frau verkleide?»

Ferdi Segmüller, 75, der höchste Fasnächtler der Schweiz, lässt einem zuerst einmal das Merkblatt «Definition der Schweizer-Fasnachtskultur» zukommen. Der Präsident des Fasnachtsverbandes Schweiz Hefari hat die Erfahrung gemacht, dass die meisten Schweizerinnen und Schweizer keine Ahnung haben von der Bedeutung der Fasnacht, der viele hundert Jahre alten Tradition.

Im Merkblatt steht: Die Fasnachtskultur solle weder doktrinär noch dogmatisch sein und sei geprägt vom jeweiligen gesellschaftlichen Zeitgeist. «Humorvolle Kritik aus Narrenmund, die auf das Konto mehr oder weniger prominenter Zeitgenossen geht, ist integraler Bestandteil der Fasnacht. Verletzende Attacken auf Wehrlose, Hohnlachen von Mehrheiten über Minderheiten sind fehl am Platz.»

«Die Fasnacht ist das Fest der verkehrten Welt», erklärt Segmüller. Während der tollen Tage dürften die Unteren die Oberen kritisieren. Natürlich ohne religiöse oder ethische Gefühle zu verletzen – und selbstverständlich im Rahmen des Gesetzes, dieses werde auch während der Fasnacht nicht ausgehebelt. Und es ist die Gelegenheit, in fremde Rollen zu schlüpfen. Einmal Superman, einmal Prinzessin sein! Aber auch Rassenfanatiker des Ku-Klux-Klan? Was die zwölf Typen, die am Montag in weissen Kutten und Kapuzen durch Schwyz marschierten, bezwecken wollten, wird die Polizei ermitteln.

Der Türkenbund zieht stolz durch Brig («Brig ist Mekka»)

Ist der Fasnachts-Indianer vom Aussterben bedroht? Eine Hamburger Kita wollte tatsächlich verhindern, dass Eltern ihre Kinder ins Winnetou-Kostüm stecken. Aber gerade mutige Indianer werden sich trotz den Forderungen einer Kindertagesstätte auch künftig noch auf die Strasse wagen. Fasnachts-Präsident Segmüller stellt fest, dass heute die meisten Mädchen und Buben als Tiere unterwegs sind, «vom Bär bis zum Pinguin, der ganze Zoo». Wenn das so weitergehe, habe er kürzlich mit den Kollegen gewitzelt, rufe das bald einmal den Tierschutz auf den Plan.

Im Oberwallis sieht man das alles nicht so eng. «Neger», sagt Thomas Bregy, habe man an der Fasnacht keine. Im Oberwallis ist der Türke der «Neger». Oder eben nicht. Über 100 Mitglieder zählt der Türkenbund, gegründet 1903, der älteste Fasnachtsverein im Wallis. Die Männer tragen osmanische Gewänder und den Fez, den roten Filzhut mit goldener Quaste auf dem Kopf. Der Türkenbund zieht stolz durch Brig («Brig ist Mekka»), auf dem Kamel hockt der Chef- Grossvezier Ben Tradi Medizinali, alias Thomas Bregy, Arzt von Beruf.

Afrikaner im Baströcklein und Knochen im Haar

Schweizer und ein paar Secondos aus Italien gehörten dazu. Auch Türken wären willkommen, sofern sie erprobte Fasnächtler sind. Der Türkenbund sei neutral, noch nie habe sich ein Türke in seiner Ehre verletzt gefühlt. Tabus kennt das Oberwallis nicht: Priester, Nonne oder Papst – während der tollen Tage ist im erzkatholischen Kanton alles möglich.

Zurück nach Basel, wo der Afrikaner im Baströcklein und Knochen im Haar seinen letzten grossen Auftritt hat. Und die Rassismusdebatte garantiert nochmals befeuern wird. Das Fasnachts-Comité sieht dem gelassen entgegen, der Basler Fasnächtler beherrsche diese Gratwanderung, sagt Obfrau Inderbitzin. Die Guggenmusik Negro-Rhygass, deren Logo das ganze Theater ins Rollen gebracht hat, wird sich übrigens unter dem Sujet «S wird äng im Bach» über den sommerlichen Grossandrang im Rhein lustig machen. Wie eh und je sind die 78 Aktiven als Clowns verkleidet, an den Füssen tragen sie silberne Schuhe in Übergrösse – «Silberfiessli» nennt man sie. Den Verlust ihres «Mohren» werden sie verkraften.
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/der-morge-wird-zum-sorgestraich/story/17558585)
-> https://www.derbund.ch/bern/mit-rassismusvorwuerfen-hatten-wir-in-bern-eigentlich-nie-zu-kaempfen/story/13336326
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/fasnacht-wie-weit-darf-die-narrenfreiheit-gehen-65491875

Hier «die Kosovarin», dort «die Schweizerin»
Jehona ist in der Schweiz geboren. Für Aufforderungen wie «der Krieg ist vorbei, geht zurück in euer Land!» hat die 22-Jährige mit kosovarischen Wurzeln kein Verständnis.
https://www.20min.ch/community/stories/story/Hier–die-Kosovarin—dort–die-Schweizerin–13392445

+++PATRIARCHAT
500 Frauen bereiten Streiktag vor – Männer hüten Kinder
Am 14. Juni soll sich ein Ereignis wiederholen, das es in der Schweiz letztmals 1991 gegeben hat: Ein nationaler Frauenstreik.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/500-frauen-bereiten-streiktag-vor-maenner-hueten-kinder/story/29926581
-> https://www.blick.ch/news/politik/frauenstreik-500-frauen-bereiten-in-biel-nationalen-streiktag-vor-id15209669.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/sexismus/921970883-500-frauen-bereiten-in-biel-nationalen-streiktag-vor
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/planungen-fuer-den-frauenstreiktag-laufen-auf-hochtouren-134190214