+++DEUTSCHLAND
Abschottung als Entwicklungshilfe
Bundesregierung sponsert Flüchtlingsabwehr durch afrikanische Regierungen mit Dutzenden Millionen Euro
https://www.jungewelt.de/artikel/349331.festung-europa-abschottung-als-entwicklungshilfe.html
+++ITALIEN
Papst ließ sich mit Plakette „Öffnet die Häfen“ fotografieren
„Der Papst zeigt Mut“, schreibt ein Pfarrer. Der Slogan wurde von Salvini-Gegnern entworfen.
https://kurier.at/politik/ausland/papst-liess-sich-mit-plakette-oeffnet-die-haefen-fotografieren/400410131
+++MITTELMEER
Lifeboat
Volunteers from a German nonprofit risk the waves of the Mediterranean to pluck refugees from sinking rafts, which had set out from Libya, in the middle of the night.
Directed & Produced by Skye Fitzgerald „Lifeboat“ was nominated for an Academy Award nomination in the category of Documentary Short Subject.
https://youtu.be/E6KafHaD1ZM
-> https://www.newyorker.com/culture/culture-desk/the-screening-room-lifeboat
+++EUROPA
Immer mehr Asylbewerber kommen legal – sogar aus Südamerika
Der Rückgang der Flüchtlingszahlen in der EU ist nicht so stabil wie vermutet. Flüchtlingsströme verändern sich, Behörden sind besorgt.
https://www.morgenpost.de/politik/article216457825/Immer-mehr-Asylbewerber-kommen-legal-sogar-aus-Suedamerika.html
-> https://www.tagesschau.de/ausland/eu-asylantraege-101.html
+++GASSE
Luzern: Wo Menschen am Rande der Gesellschaft den Winter verbringen
Das Leben auf der Strasse ist hart. Besonders im Winter. Zwischen Gassenküche, Notschlafstelle und der Polizei versuchen die Institutionen in den kalten Nächten, alle im Warmen zu wissen. Das ist jedoch nur bedingt möglich.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/wo-menschen-am-rande-der-gesellschaft-den-winter-verbringen-ld.1094305
+++DROGENPOLITIK
luzernerzeitung.ch 17.02.2019
Gruppierung plant neuen Anlauf für legales Kiffen in der Schweiz
Eine breite Koalition von Hanfbauern, Suchtfachleuten und Politikern plant eine neue Volksinitiative zur Legalisierung des Cannabiskonsums. Selbst ein Teil der Jungen SVP macht mit.
Eva Novak
Mehr als ein Drittel der Erwachsenen in der Schweiz hat schon mindestens einmal einen Joint geraucht, geschätzte 300’000 tun es regelmässig.
Trotzdem ist Cannabis bei uns anders als in zahlreichen US-Staaten illegal, und die zahlreichen Versuche, daran etwas zu ändern, sind samt und sonders gescheitert.
«Die Frage ist nur, wann»
Dieses Schicksal schien auch der 2016 angekündigten Volksinitiative des Vereins «Legalize it!» zu drohen: Sie kam jahrelang nicht vom Fleck, die Initianten waren überfordert. «Wir sind noch zu wenig organisiert, um ein gutes Lobbying zu betreiben», gestand ein Sprecher des Vereins im vergangenen Frühling unserer Zeitung.
Doch jetzt hat das Initiativprojekt neuen Schub erhalten. Produzenten des (legalen, da nicht berauschenden) CBD-Hanfs haben es von «Legalize it!» übernommen und zusammen mit Suchtfachleuten und Politikern einen Verein gegründet, dessen Name Programm ist: «Cannabis Consensus Schweiz». Dieser will einen Neuanlauf auf der Grundlage eines breiten Konsenses wagen, wie Michael Mosimann von der IG Hanf bestätigt, dem Branchenverband von rund 70 CBD-Hanfbetrieben in der Schweiz. «Sicher ist: Die Initiative wird starten. Die Frage ist nur, wann», sagt er.
Suchtverbände sollen mitmachen
Mehr will Mosimann nicht verraten. Zunächst gilt es, den Initiativtext fertig zu formulieren und vor allem die wichtigen Akteure an Bord zu holen, damit spätestens im nächsten Jahr der Startschuss fallen kann. Erste Sitzungen im Bundeshaus haben bereits stattgefunden. Dem Vernehmen nach waren Vertreter fast aller Parteien dabei, darunter auch Fabio Nespolo, Präsident der Jungen SVP Graubünden. Seine Kantonalsektion unterstütze das Projekt, sagt er und fügt bei: «Wir sind dafür, dass das Volk und nicht das Parlament über die Legalisierung entscheidet, weil es das Volk war, das vor gut zehn Jahren eine Hanf-Initiative abgelehnt hat.» Von einem «erfolgversprechenden Anlauf» spricht die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, eine der treibenden Kräfte der 2008 abgelehnten Hanf-Initiative.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass diesmal die Suchtverbände mitmachen sollen. Sukkurs gibt es namentlich von der Westschweizer Gruppe für Suchtstudien (Grea). «Wir müssen uns endlich bewegen», sagt Generalsekretär Jean-Félix Savary unter Hinweis auf das Drogendealer-Problem der Westschweizer Städte. «Man sollte nicht glauben, man könne einfach die Augen schliessen, und alles wird gut.»
«Gummibärchen mit THC wollen wir nicht»
Nicht dabei ist vorderhand Sucht Schweiz. Vizedirektor Frank Zobel schliesst eine Unterstützung der Initiative aber nicht aus: «Unsere Position seit 30 Jahren lautet: Man sollte andere Modelle anschauen, um zu wissen, ob man es nicht besser machen kann als mit einem Verbot», sagt er.
Es brauche einen Vorschlag, wie Cannabis strenger reguliert werden könne als Alkohol und Tabak, welche viel zu zugänglich und zu billig seien. Dazu gehöre nicht nur der Jugendschutz, damit Minderjährigen der Zugang zum legalen Cannabismarkt verwehrt werde. Nötig seien auch angemessen hohe Steuern und eine Beschränkung der Verkaufsstellen und der Produkte: «Cannabis bei Coop und Lidl oder Gummibärchen mit THC wie in den USA wollen wir nicht.»
–
Lange Leidensgeschichte
Kurz vor der Jahrtausendwende empfahl die Eidgenössische Kommission für Drogenfragen eine Legalisierung des Konsums, des Handels sowie des Anbaus von Cannabis. In den Städten entstanden Hanfläden, in denen mit Duldung der Behörden Marihuana in «Duftsäckchen» und weitere Hanfprodukte verkauft wurden. Der Bundesrat folgte den Empfehlungen der Kommission und schlug eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes vor, welche der Ständerat unter Führung des Schwyzer Christdemokraten Bruno Frick auch bewilligte. 2004 scheiterte die Legalisierung jedoch am Widerstand von SVP und CVP in Nationalrat.
Kein Erfolg war auch der Volksinitiative «Für eine vernünftige Hanfpolitik mit wirksamem Jugendschutz» beschieden. Sie ging im November 2008 mit 63 Prozent der Stimmen bachab. Seitdem ist die Hanfpolitik jedoch weltweit in Bewegung geraten: Zehn US-Bundesstaaten sowie die Hauptstadt Washington D. C. haben Cannabis legalisiert, ebenso Uruguay sowie neuerdings Kanada.
Anders in der Schweiz. Vergangenen Herbst lehnte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative der Grünen für ein Hanfgesetz ab. Wissenschaftliche Pilotversuche mit einer Cannabisabgabe an Freizeitkiffer in einzelnen Städten sind bisher an der fehlenden gesetzlichen Grundlage gescheitert. Der Bundesrat will diese jetzt nachliefern. (eno)
(https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/cannabis-neuanlauf-fuer-legales-kiffen-ld.1094651)
+++ANTIFA
Schweizer Nazi-Opfer – «Es geht um das Erinnern, nicht um die Wiedergutmachung»
Der Historiker Jacques Picard fordert vom Bund eine umfassende Erforschung der Schweizer Opfer des Nationalsozialismus.
https://www.srf.ch/news/schweiz/schweizer-nazi-opfer-es-geht-um-das-erinnern-nicht-um-die-wiedergutmachung
+++ANTIRA
Sonntagszeitung 17.02.2019
Mehr antisemitische Vorfälle in der Romandie
Koordinationsstelle gegen Antisemitismus fordert Aufklärung an Schulen gegen Verschwörungstheorien.
Simon Widmer
Als die Mitarbeiter einer Pariser Filiale der Imbisskette Bagelstein in der vergangenen Woche ihr Schaufenster ansahen, war es mit einem gelben Graffiti verschmiert, das nur ein Wort zeigte: «Juden». Der Antisemitismus in Frankreich ist wiedererstarkt. 541 Mal wurden 2018 antisemitische Übergriffe angezeigt, ein Anstieg um 74 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Nicht nur in Frankreich scheint die hässliche Fratze des Judenhasses zurückzukehren. Im vergangenen Dezember stellten in einer EU-Umfrage neun von zehn Juden in Europa einen deutlichen Anstieg von Antisemitismus fest.
Und in der Schweiz? Johanne Gurfinkiel, Generalsekretär der Westschweizer Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Verleumdung (CICAD), sagt: «Es gibt eine klare Zunahme an antisemitischen Vorfällen in der Romandie im Vergleich zu den Vorjahren.» 2017 verzeichnete die CICAD 150 antisemitische Vorfälle in der Romandie, wobei Äusserungen in sozialen Medien am häufigsten sind. Wie hoch die Zunahme im vergangenen Jahr genau war, will Gurfinkiel mit Verweis auf den bald erscheinenden Jahresbericht nicht bekanntgeben.
Verbreiteter rechtsradikaler Gruss
Im letzten Jahr seien es vor allem Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker gewesen, die für die Grosszahl der antisemitischen Vorfälle verantwortlich waren, sagt Gurfinkiel. Er fordert, dass vermehrt schon an Schulen gelehrt wird, welche Gefahren von Verschwörungstheorien ausgeht.
Mehrmals zeigten Menschen in der Romandie in den vergangenen Jahren den sogenannten Quenelle-Gruss, auch vor Synagogen. Bei diesem wird eine Hand auf den anderen, durchgestreckten Arm gelegt. Die Geste wurde durch den französischen Komiker Dieudonné popularisiert, der für antisemitische Aussagen berüchtigt ist.
Gurfinkiel: Politiker und Medien nehmen Judenhass nicht ernst
Die aktuellsten Zahlen aus der Deutschschweiz stammen aus dem Jahr 2017, für das der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) in einem Bericht 39 antisemitische Vorfälle verzeichneten. Zahlen zu 2018 liegen noch nicht vor. SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner sagt: «Massiv zugenommen haben antisemitische Äusserungen vor allem in den Sozialen Medien. Dort würden jüdische Stereotypen herumgereicht, Schmähungen geäussert und auch beschimpft und gar gedroht.»
«Politiker und Medien verharmlosen Antisemitismus», sagt Gurfinkiel. Symptomatisch sei eine RTS-Journalistin, die den Hass auf Juden als Teil einer allgemeinen Tendenz zur Diskriminierung bezeichnet habe. Man wolle sich nicht spezifisch mit dem Antisemitismus beschäftigen, der in Frankreich zu oft Mord bedeute.
Wie die Schweiz im internationalen Vergleich dasteht, ist schwierig zu beantworten. Die Berichte von SIG und CICAD beruhen auf Meldungen, eine offizielle Statistik fehlt. Die Dunkelziffer ist sehr wahrscheinlich gross. Der Genfer Gurfinkiel ist teilweise mit Leibwächter unterwegs, «zum Glück nur sehr selten», wie er sagt.
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/mehr-antisemitische-vorfaelle-in-der-romandie/story/19893482)
+++KRIEG & LEICHEN
Sonntagszeitung 17.02.2019
Chemiefirma aus Basel versorgte Assad-Partner
Der Export an eine regimetreue Firma sei rechtens, sagt der Brenntag-Konzern. Experten sind entsetzt.
Antoine Harari, Kurt Pelda und Oliver Zihlmann
Bern – Im August 2013 wurde in der syrischen Hauptstadt Damaskus kaltblütig der Nervenkampfstoff Sarin gegen Zivilisten eingesetzt. Nach den Horrorbildern des Angriffs willigte Präsident Bashar al-Assad ein, seine Chemiewaffen und deren Ausgangsstoffe zu zerstören. Das Schweizer Aussendepartement EDA zahlte damals eine Million Franken an die medienwirksame Vernichtungsaktion. Unter den zerstörten Stoffen war auch eine Substanz namens Isopropanol.
Doch ungerührt von alldem lieferte die Firma Brenntag aus Basel nur wenige Monate später fünf Tonnen von genau diesem Isopropanol nach Syrien – und zwar an eine Firma, die mit Assads Regime verbandelt ist. In der EU gab es damals schon Exportrestriktionen für die Substanz, nicht aber in der Schweiz. Die Lieferung wurde abgesegnet mit dem Stempel der Basler Handelskammer. Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, zuständig für Exportkontrollen, hatte nichts auszusetzen. Das EDA wusste von alldem nichts.
Der Skandal um Exporte von Isopropanol schwelt seit April. Damals berichtete das Schweizer Fernsehen gestützt auf UNO-Handelsstatistiken, dass der Stoff offenbar aus der Schweiz nach Syrien gelangt war. Nun zeigen Recherchen, dass es die Brenntag Schweizerhall AG war, die hinter der Lieferung steckt. Die Nachfolgerin der Schweizerhall Chemie AG gehört seit 2006 zum Brenntag-Konzern im deutschen Essen. Der Jahresumsatz beträgt rund 13 Milliarden Franken.
«Das Produkt Isopropanol wurde von Brenntag im Einklang mit dem geltenden Recht geliefert», erklärt die Firma. Das Seco habe ihr bestätigt, dass der Export korrekt abgewickelt worden sei. «Brenntag hat ein umfassendes Exportkontrollsystem, das sicherstellt, dass die jeweils anwendbaren nationalen und internationalen Exportvorschriften eingehalten werden.»
Dem Recherchedesk von Tamedia liegen allerdings Dokumente vor, die zeigen, dass Brenntag nicht nur Isopropanol lieferte, sondern auch noch 280 Kilogramm einer zweiten Chemikalie, genannt Diethylamin. Sie ist ein Ausgangsstoff für die verheerenden Chemiewaffen VX und Tabun. Diese Substanz erwähnt Brenntag in ihrer Antwort mit keinem Wort.
Zusätzlich kommt dank den Dokumenten jetzt ans Licht, dass eine zweite Schweizer Firma in die Affäre verwickelt ist: der Basler Pharmariese Novartis. Das Unternehmen erklärte dem Bund letztes Jahr, dass die beiden Stoffe an einen syrischen Partner von Novartis gingen, zur Herstellung von Medikamenten. Das ist durchaus möglich. Aber es stellen sich Fragen.
Die beiden Basler Firmen lehnten ein Gespräch ab. Sie bestätigten immer nur so viel, wie durch Recherchen belegt war. Und der Bund gibt sich mit den Erklärungen der beiden Konzerne zufrieden. Was also ist genau geschehen? Das Recherchedesk hat versucht, die Ereignisse zu rekonstruieren.
Im Mai 2014 wollte Brenntag 9,5 Tonnen Chemikalien nach Syrien liefern, darunter die genannten Stoffe. Bestimmt waren sie für die Firma Mediterranean Pharmaceutical Industries, MPI. Dem Seco meldete die Firma, es gehe um die Herstellung von Arzneimitteln.
MPI in Damaskus ist seit langem Lizenznehmerin von Novartis und produziert für sie unter anderem die Schmerzmittel Voltaren und Voltaren Emulgel. Für die Herstellung kann man tatsächlich Diethylamin und Isopropanol verwenden, und zwar in 99 Prozent reiner Form – wie bei Nervenkampfstoffen. Der rasch verdunstende Alkohol Isopropanol hat beim Auftragen des Gels eine kühlende Wirkung.
Das Pharmaunternehmen MPI gehört aber einer Familie, die eng mit dem Regime von Diktator Assad verbunden ist. Der inzwischen verstorbene MPI-Vorsitzende, Abdulrahman Attar, war ein Geschäftspartner von Assads Cousin Rami Makhlouf, ein wichtiger Financier des Regimes. Makhlouf stand damals schon auf der Sanktionsliste der Schweiz. Das Seco sagt dazu, dass Attar selber eben nicht auf den Listen stand. Wenige Tage nach der Anfrage von Brenntag antwortet das Seco also: «Wir können Ihnen mitteilen, dass die unterbreitete Geschäftsaktivität der genannten Güter die bestehenden Bestimmungen des Güterkontroll- und des Embargogesetzes nicht tangiert. Das Seco hat somit keinen Einwand für dieses Geschäft.» Dies trotz des Sarin-Einsatzes in Damaskus wenige Monate davor und trotz der bereits geltenden Exportbeschränkungen in der EU. «Wir sind an das Gesetz gebunden», sagt das Seco dazu. «Wir können einen Export nicht einfach wegen eines schlechten Gefühls ablehnen.»
Das Seco hielt es jedenfalls nicht für nötig, das EDA in den Entscheid einzubinden. Dies, obwohl das Aussendepartement vorher in einer Medienmitteilung mitgeteilt hatte, dass es die Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals mitfinanzierte. Ein Mitarbeiter des EDA, der nicht genannt werden möchte, sagt: «Wir waren überhaupt nicht auf dem Laufenden, was da geschieht. Wenn das Seco uns informiert hätte, hätten wir diese Lieferung natürlich abgelehnt.»
So war die von der UNO überwachte Vernichtungsaktion noch in vollem Gang, als das Seco die Ausfuhr nach Syrien schliesslich bewilligte. Später schoss die Schweiz nochmals 1,5 Millionen Franken für die Zerstörung der syrischen Arsenale nach. In diesen lagerten auch 133 Tonnen Isopropanol. Die Bürger von Seldwyla hätten es kaum besser machen können: Die eine Hand finanziert die Zerstörung der Ausgangsmaterialien von Chemiewaffen, während die andere sie munter weiter nach Syrien liefern lässt.
Ein paar Blätter aus Syrien – und das Seco ist zufrieden
In den folgenden vier Jahren erfuhr niemand in der Schweiz von der heiklen Lieferung. Derweil startete Assad trotz der angeblichen Zerstörung seines Arsenals weitere Chemieangriffe. Am 4. April 2017 starben 86 Menschen durch Sarin. Woher Assad die Ausgangsmaterialien für diese Waffen hatte, ist unbekannt.
Erst im April 2018 deckten Medien auf, dass belgische Firmen Isopropanol nach Syrien geliefert hatten. Es kam zu einem internationalen Skandal. Jetzt bemerkte der Bundesrat offenbar, dass auch eine Schweizer Firma den Stoff schon 2014 nach Syrien geliefert hatte. Ende April 2018 fordert er eine «vollumfängliche und sehr rasche Klärung der Endverwendung». Das Seco gelangt an Brenntag und wird dort an Novartis verwiesen. Novartis verlangt schliesslich von ihrem syrischen Partner MPI Dokumente über die Verwendung der beiden Substanzen.
Daraufhin schicken die Syrer ein paar Blätter Papier mit einer Auflistung, die zeigen soll, dass die Lieferung «vollumfänglich» für die Produktion von Voltaren Emulgel verwendet wurde, und zwar von Januar 2015 bis Oktober 2018. Diese Informationen schickt Novartis per Mail ans Seco. Dieses fragte beim Geheimdienst NDB und auch beim Labor Spiez nach. Einzig aufgrund der dürftigen Liste entdeckte aber niemand einen Missbrauch. Das Seco war zufrieden.
Bei syrischen Dokumenten ist jedoch höchste Vorsicht geboten. Das sagen Experten, die sich mit dem Thema befassten. Assad und seine Entourage haben die Welt mehrfach belogen, wenn es um Chemiewaffen ging. Deshalb ist es schwer verständlich, warum Novartis und das Seco einer Firma in Assads Dunstkreis allein aufgrund solcher Papiere Glauben schenken.
Als dank den UNO-Statistiken öffentlich wurde, dass auch die Schweiz Isopropanol nach Syrien exportiert hat, sagte das Seco eilfertig, dass durch das Geschäft keine Schweizer Gesetze verletzt wurden. Den Namen der Exportfirma hielt die Behörde zurück. Sie sagte auch nicht, dass sogar noch Diethylamin nach Syrien gelangte. Inzwischen stellen sich zu der Affäre eine ganze Reihe Fragen: Zum Beispiel ist unklar, ob die gelieferten Stoffe überhaupt für die Medikamentenproduktion geeignet waren. Brenntag hat auf den Lieferscheinen explizit vermerkt, dass die Substanzen nicht den EU-Bestimmungen zur «guten Herstellungspraxis» für Arzneimittel entsprächen. Diese Praxis ist aber ein zentraler Bestandteil der Qualitätssicherung in der pharmazeutischen Produktion. Weder Brenntag noch Novartis wollten dazu Stellung nehmen.
Fünf Tonnen Isopropanol, zehn Tonnen Sarin
Auch die Rolle von Novartis ist unklar. Hat sie die Syrer beauftragt, die Stoffe bei den Nachbarn in Basel zu bestellen, oder hatten sie gar einen Deal mit Brenntag? Novartis schreibt: «Grundsätzlich liegt die Verantwortung zur Einhaltung sämtlicher Richtlinien und Vorschriften klar beim Exporteur.» Für die Beschaffung sei die Firma in Syrien selber verantwortlich gewesen. Nur: Brenntag schrieb dem Seco, dass die Geschäftsbeziehung von Novartis zu den Syrern die Grundlage gewesen sei, weshalb sie die Stoffe überhaupt geliefert habe.
Experten reagieren jedenfalls konsterniert auf das Vorgehen der beiden Firmen. Dan Kaszeta, ein US-Experte für Chemiewaffen, sagt, dass diese Stoffe in den falschen Händen verheerend wären. «Mit fünf Tonnen Isopropanol kann man zehn Tonnen des Kampfstoffs Sarin herstellen.» Ein Kriegseinsatz solcher Mengen hätte katastrophale Folgen.
–
NGOs fordern: Behörden sollen gegen Novartis und Brenntag ermitteln
Vor zehn Tagen hat ein Gericht im belgischen Antwerpen zwei Manager zu vier respektive zwölf Monaten Gefängnis verurteilt. Der Grund: Sie hatten die Sub¬stanz Isopropanol nach Syrien geliefert und damit die Exportbeschränkungen in der EU verletzt. Die Belgier lieferten also den gleichen Stoff nach Syrien, den auch die Basler Firma Brenntag an ein Assad-nahes Unternehmen bei Damaskus versendete. Und der Export geschah auch im gleichen Zeitraum: ab 2014. Anders als die EU kannte die Schweiz damals aber noch keine Bewilligungspflicht für solche Ausfuhren.
Aufgrund der Recherchen in der Schweiz wollen jetzt drei NGOs erreichen, dass die Behörden auch wegen der Geschäfte von Brenntag und Novartis ermitteln. Sie haben deswegen bereits an verschiedene Zollbehörden geschrieben.
Teil der Koalition sind die Open Society Justice Initiative und das Syrian Archive. Dessen Direktor, der Syrer Hadi al-Khatib, sagt klar, dass der Geschäftspartner von Brenntag und Novartis direkte Verbindungen zum Assad-Regime habe. «Es stellt sich also die Frage, ob die Schweizer die nötigen Abklärungen gemacht haben», ergänzt Montse Ferrer, Rechtsexpertin der dritten NGO, Trial, die für die Aufklärung von Kriegsverbrechen kämpft. «Sollte sich herausstellen, dass die Substanzen für Waffen verwendet wurden, könnte man die Schweizer eventuell zur Rechenschaft ziehen.»
Antoine Harari
–
Sarin, VX und andere Gifte
Was ist Sarin?
Der noch von Nazideutschland entwickelte Kampfstoff ist eine wasserklare und geruchlose Flüssigkeit. Der Körper kann Sarin als Dämpfe via Atemwege oder Augen aufnehmen oder flüssig durch die Haut.
Wie wirkt das Gift beim Menschen?
Sarin blockiert einen Teil des Nervensystems und führt damit zu einer Überstimulierung, man verkrampft sich – als würde man beim Autofahren den Fuss nicht mehr vom Gaspedal kriegen. Bei einer tödlichen Dosis kommt es am Ende zu Atemlähmung.
Welche Rolle spielt Isopropanol bei der Herstellung von Sarin?
Dieser Alkohol ist in hoch konzentrierter Form ein unverzichtbarer Ausgangsstoff von Sarin. Wird Isopropanol mit einer Substanz namens DF gemischt, entsteht der tödliche Nervenkampfstoff Sarin.
Was ist genau mit VX gemeint?
VX, Sarin, Tabun und Soman gehören zur selben Familie von Nervenkampfstoffen. Entwickelt wurde VX von den Briten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Substanz ist ebenfalls flüssig und noch gefährlicher als Sarin. VX lässt sich aber wegen seines hohen Siedepunkts nicht so leicht einsetzen. Es wurde bisher noch nie in einem Konflikt verwendet.
Wurden in Syrien tatsächlich chemische Kampfstoffe eingesetzt?
Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hat dem Assad-Regime Einsätze von Chlorgas und Sarin nachgewiesen. Ausserdem hat der Islamische Staat laut OPCW mit Senfgas gefüllte Artilleriegranaten verschossen. Am Nachweis beteiligt war auch das renommierte Labor Spiez.
Wie kann man sicher sein, dass das Assad-Regime Sarin eingesetzt hat?
Dank der Vernichtung eines Teils der syrischen Kampfstoffarsenale hatten die OPCW-Experten Einblick, wie Syrien Sarin produzierte. Speziell am syrischen Sarin waren bestimmte Inhaltsstoffe. Abbauprodukte dieser Substanzen konnten 2017 auch an einem Einsatzort, in Khan Sheikhoun, nachgewiesen werden. Ausserdem war das damals verwendete Sarin laut OPCW in einer abgeworfenen Fliegerbombe enthalten – und die Rebellen haben keine Luftwaffe. Es war also das Regime.
Könnten womöglich auch die USA Chemiebomben abgeworfen haben?
Dann müssten die Amerikaner syrisches Sarin gestohlen, die Bombe unter ein altes Kampfflugzeug aus sowjetischer Produktion gehängt haben und dann damit unerkannt nach Khan Sheikhoun geflogen sein. Laut dem OPCW-Untersuchungsbericht befand sich zum Zeitpunkt des Bombenabwurfs ein syrisches Kampfflugzeug «in unmittelbarer Nähe von Khan Sheikhoun».
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/basler-firma-lieferte-stoffe-fuer-chemiewaffen/story/21448152)
—
Wenn die Linke nicht weiss,was die Rechte tut
Die Lieferung von 5 Tonnen Isopropanol nach Syrien hätte auffallen müssen, findet Armin Müller.
https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/wenn-die-linke-nicht-weisswas-die-rechte-tut/story/10703208
-> https://www.watson.ch/!415665299
-> https://telebasel.ch/2019/02/17/basler-firma-liefert-stoffe-fuer-chemiewaffen/?utm_source=lead&utm_medium=carousel&utm_campaign=pos%200
—
tagesanzeiger.ch 17.02.2019
Plötzlich bestellten Syrer in Basel Chemikalien
Die Schweizer Tochter eines deutschen Chemiekonzerns hat Dual-Use-Stoffe nach Syrien verkauft. Sie wurden zuvor aus der EU angeliefert. Um die dortigen Sanktionen zu umgehen?
Kurt Pelda, Antoine Harari
Der Brenntag-Chemiekonzern aus Deutschland hat über seine gleichnamige Tochtergesellschaft in Basel zwei Substanzen nach Syrien exportiert, die sowohl für die Arzneimittelherstellung als auch für die Produktion von Chemiewaffen geeignet sind. Über die Transaktionen mit diesen Dual-Use-Stoffen haben die «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche» zuerst berichtet. Bei der Tochtergesellschaft handelt es sich um die Nachfolgerin der Schweizerhall Chemie AG, die seit 2006 zum Brenntag-Konzern gehört.
Brenntag legt Wert auf die Feststellung, dass die Ausfuhr von rund 5 Tonnen Isopropanol und 280 Kilogramm Diethylamin im Jahr 2014 nicht gegen damals gültige schweizerische Bestimmungen verstossen habe. Das bestätigt auch das für die Exportkontrolle zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft.
Nach heutigem Wissensstand stellt sich aber die Frage, ob mit der Lieferung nicht das EU-Sanktionsregime gegenüber Syrien umgangen wurde. Es steht nämlich fest, dass Brenntag die Substanzen nicht in der Schweiz produziert und anschliessend exportiert hat. Die Stoffe waren vielmehr zuerst aus der EU in die Schweiz eingeführt worden, bevor sie Brenntag nach Syrien lieferte. Das Diethylamin stammte aus Belgien und das Isopropanol aus Deutschland. Dies belegen Dokumente, die Tagesanzeiger.ch/Newsnet vorliegen.
Für Voltaren, für Kampfstoff
Schon 2012, also lange vor dem fraglichen Syrien-Geschäft, erliess die EU eine Richtlinie, mit der die Ausfuhr von hochkonzentriertem Diethylamin nach Syrien einer Bewilligungspflicht unterstellt wurde. Denn Diethylamin ist nicht nur ein Ausgangsstoff für Voltaren und ähnliche Schmerzmittel, sondern auch für die Nervenkampfstoffe VX und Tabun.
Nach Ansicht der Schweizer Behörden wurden die 280 Kilogramm in Syrien von der Pharmafirma MPI, einer Lizenznehmerin der Basler Novartis, für die Produktion eines Schmerzgels auf Voltaren-Basis aufgebraucht. Das ist gut möglich, für die Frage der Sanktionsumgehung aber unerheblich. Weil das Diethylamin in Belgien hergestellt wurde, hätte vor einem direkten Export nach Syrien in jedem Fall eine Bewilligung eingeholt werden müssen. Faktisch wurde diese Pflicht umgangen, indem der Ausgangsstoff zuerst in die Schweiz verbracht und erst dann ins Kriegsgebiet ausgeführt wurde.
Bern hat eine vergleichbare Bestimmung erst im Juni 2018 eingeführt. Der Bundesrat liess damals sogar explizit mitteilen, dass er mit dem Nachvollzug der EU-Regeln genau solche Umgehungsgeschäfte verhindern wolle. Zur Frage, wann genau und von wem die beiden Substanzen in die Schweiz eingeführt wurden, wollte Brenntag nicht Stellung nehmen.
Laut Daten der Zollverwaltung, die bis ins Jahr 2005 zurückreichen, hat Syrien vor dem Brenntag-Geschäft noch gar nie Diethylamin in der Schweiz eingekauft. Das verstärkt den Verdacht, dass die Pharmafirma MPI mit der Bestellung in der Schweiz die EU-Sanktionen umgehen wollte.
Untersuchung gefordert
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Isopropanol, einer Alkoholart, die ein unverzichtbarer Ausgangsstoff bei der Herstellung des Nervenkampfstoffes Sarin ist. Im Juli 2013 unterstellte die EU auch Exporte von hochkonzentriertem Isopropanol nach Syrien einer Bewilligungspflicht. Die von Brenntag gelieferte Substanz wurde aber erst im August 2013, also nach Erlass der Bestimmungen, in Deutschland hergestellt. Auch hier könnte also ein Umgehungsgeschäft über die Schweiz vorliegen.
Zum letzten Mal hatte Syrien im Jahr 2005 Isopropanol in der Schweiz eingekauft, und zwar etwa vier Tonnen. Während es also offenbar rund neun Jahre lang kein Interesse gab, sich diese Alkoholart in der Schweiz zu beschaffen, gelangten die Syrer ausgerechnet nach Erlass der EU-Richtlinie im Sommer 2013 an eine deutsche Chemiefiliale im Nicht-EU-Land Schweiz, um sich mit den Dual-Use-Stoffen einzudecken.
Drei Nichtregierungsorganisationen, darunter die Genfer Trial International, fordern nun eine lückenlose Aufklärung der Ereignisse. Hintergrund ist die kürzlich erfolgte Verurteilung von Firmen und Managern in Belgien. Diese hatten ab 2014 illegal Isopropanol nach Syrien geliefert.
–
Was ist Sarin?
Der noch von Nazideutschland entwickelte Kampfstoff ist eine klare und geruchlose Flüssigkeit. Der Körper kann Sarin als Dämpfe via Atemwege oder Augen aufnehmen oder flüssig durch die Haut. Sarin blockiert einen Teil des Nervensystems und führt damit zu einer Überstimulierung, man verkrampft sich – als würde man beim Autofahren den Fuss nicht mehr vom Gaspedal kriegen. Bei einer tödlichen Dosis kommt es am Ende zu Atemlähmung.
Isopropanol, das 2014 aus der Schweiz nach Syrien geliefert wurde, ist in hoch konzentrierter Form ein unverzichtbarer Ausgangsstoff von Sarin. Wird Isopropanol mit einer Substanz namens DF gemischt, entsteht der tödliche Nervenkampfstoff Sarin.
Im Syrienkrieg wurden nachweislich chemische Waffen eingesetzt. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hat dem Assad-Regime Einsätze von Chlorgas und Sarin nachgewiesen. Auch der Islamische Staat hat laut OPCW mit Senfgas gefüllte Artilleriegranaten verschossen. (K.P.)
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/ploetzlich-bestellten-syrer-in-basel-chemikalien/story/20303438)