Medienspiegel 28. Januar 2019

+++BERN
Neuorganisation Asyl Bern – Verdrängungskampf unter Flüchtlingsorganisationen
Der Kanton Bern will mehr Erfolge in der Integration von Flüchtlingen. Er krempelt darum den ganzen Asylbereich um.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/neuorganisation-asyl-bern-verdraengungskampf-unter-fluechtlingsorganisationen

+++GENF
[VIDEO] 800 personnes manifestent contre la Suisse forteresse
Ce vendredi 25 janvier nous étions 800 déterminéE.x.s à marcher dans les rues de la ville de Genève pour que les personnes en exil puissent mener la vie qu’elles veulent où elles le décident. 800 derrière les banderoles „Homes not prisons“ et „Stoppons la machine à expulsions“.
https://renverse.co/VIDEO-800-personnes-manifestent-contre-la-Suisse-forteresse-1882

+++ZUG
Gebäudegrösse führt bei Gegnern zu Kritik – Billig, eingezäunt, gross: So wird das neue Asylzentrum in Steinhausen
in Steinhausen wird immer konkreter. Die Pläne der Regierung zeigen: An den Dimensionen, was die Anzahl Plätze angeht, wird festgehalten. Zu reden gibt bei den Gegnern vor allem die Grösse des 15 Millionen Franken veranschlagten Gebäudes.
https://www.zentralplus.ch/de/news/politik/5585848/Billig-eingez%C3%A4unt-gross-So-wird-das-neue-Asylzentrum-in-Steinhausen.htm

+++ZÜRICH
Alles, was Recht ist: Menschen dritter Klasse
Wer sich trotz eines rechtskräftig abgelehnten Asylgesuchs und trotz rechtskräftig verfügter Wegweisung immer noch in der Schweiz aufhält, mutiert zum Menschen dritter Klasse. Er verliert jegliches Verständnis und Ansehen, hat kaum mehr Rechte, wird anders behandelt als alle anderen – und dies in einem erschütternden Ausmass.
https://www.republik.ch/2019/01/28/menschen-dritter-klasse
-> https://www.nzz.ch/zuerich/eingrenzung-missachtet-um-nach-zuerich-zum-migrationsamt-zu-fahren-ld.1455196

+++SCHWEIZ
Umstrittene Adoptionen von Kindern aus Sri Lanka – Rendez-vous
In den 1980er-Jahren sollen über 700 Kinder aus Sri Lanka zum Teil illegal in der Schweiz adoptiert worden sein. Nun hat der Kanton St. Gallen die Ereignisse untersuchen lassen.
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=44fe27f4-0073-4904-89bc-31578ae17d5d
-> https://www.srf.ch/news/regional/ostschweiz/kinder-aus-sri-lanka-st-gallen-nimmt-illegale-adoptionen-unter-die-lupe
-> https://www.tagblatt.ch/newsticker/schweiz/st-gallen-veroffentlicht-bericht-zu-illegalen-sri-lanka-adoptionen-ld.1088899
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kanton-stgallen-aeussert-sich-zum-adoptionsskandal-keine-groesseren-verstoesse-nachgewiesen-ld.1088893
-> http://www.tvo-online.ch/mediasicht/68559
-> https://www.nzz.ch/schweiz/hunderte-kinder-aus-sri-lanka-wurden-illegal-adoptiert-ld.1455215

+++ÖSTERREICH
Lager in Libyen: Van der Bellen gegen „Zurückschicken“
Die Migrationspolitik ist am Montag bei einem Wien-Besuch des libyschen Regierungschefs Fajis al-Sarradsch eines der Hauptthemen gewesen. Während Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) der Küstenwache des Landes mehr Unterstützung zusicherte, übte Bundespräsident Alexander Van der Bellen Kritik an den Zuständen in libyschen Internierungslagern. Er sprach sich dagegen aus, Menschen dorthin zurückzuschicken.
https://orf.at/stories/3109418/

+++GRIECHENLAND
Flüchtlinge in Griechenland
Seit der Abriegelung der Balkanroute und dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals ist Griechenland zur Endstation und zur Falle für viele Schutzsuchende geworden. Statt Schutz und Hilfe zu erhalten, stranden sie im Elend ohne Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und Würde. In Griechenland gibt es kein funktionierendes Schutzsystem. Es mangelt Flüchtlingen an allem: an Unterkünften, Nahrungsmitteln, medizinischer Basisversorgung. Die anderen Staaten der Europäischen Union sehen dem Elend der Flüchtlinge zu. Legale Möglichkeiten, in andere EU-Staaten weiterzureisen, werden den meisten Flüchtlingen verweigert.
https://www.proasyl.de/thema/fluechtlinge-in-griechenland/

+++MITTELMEER
Rettung im Mittelmeer: Wie Libyer Flüchtlinge bewusst ertrinken lassen
Seit Jahresbeginn sind bereits 210 Menschen im Mittelmeer ertrunken. An dieser Stelle berichten wir künftig fortlaufend über die Einsätze ziviler Helfer.
https://www.tagesspiegel.de/politik/rettung-im-mittelmeer-wie-libyer-fluechtlinge-bewusst-ertrinken-lassen/23895048.html

Sea Watch / Salvini vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR)
Der Fall der 47 Geretteten, die vor Syrakus auf dem NGO-Seenotrettungsschiff „Sea Watch 3“ über die maximale Zeit eines Polizeigewahrsams vom italienischen Staat blockiert und unter menschenunwürdigen Umständen vom Anlanden ferngehalten werden, landet vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.
https://ffm-online.org/sea-watch-salvini-vor-dem-europaeischen-menschenrechtsgerichtshof-egmr/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/newsticker/international/rettungsschiff-sea-watch-schaltet-menschenrechtsgerichtshof-ein-ld.1089150

Italienische Regierung verweigert Hilfe – Echo der Zeit
Vor der italienischen Küste liegt das Rettungsschiff einer Hilfsorganisation und wartet darauf anlegen zu dürfen.
Die italienischen Hafenbehörden setzen die Politik von Innenminister Matteo Salvini durch: Kein Migrant betritt italienischen Boden, solange nicht geklärt ist, welches EU-Land die betreffende Person aufnimmt.
https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=557f7332-20b9-464e-8ff3-2954bfb31c5a
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1111048.seenotrettung-von-gefluechteten-schafft-sofort-sichere-haefen.html

Sea Watch: Wahlkampf in Italien auf dem Rücken von 47 Migranten
Im Streit um 47 Gerettete auf der Sea Watch 3 gebärdet sich nun die Fünf-Sterne-Bewegung fremdenfeindlicher als die rechte Lega
http://derstandard.at/2000097146629/Sea-Watch-Wahlkampf-in-Italien-auf-dem-Ruecken-von-47

»Lifeline« geht juristisch gegen die »Bild« vor
Boulevardmedium verbreite »wider besseres Wissen« falsche Fakten über Kapitän Claus-Peter Reisch und die Seenotretter
In einem Artikel behauptet die »Bild«, »Lifeline«-Kapitän Claus-Peter Reisch stehe in Italien wegen »Schleuserei« vor Gericht. Das ist jedoch falsch, weshalb sich die Seenotretter juristisch wehren wollen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110957.seenotrettung-lifeline-geht-juristisch-gegen-die-bild-vor.html

Gefangen in Salvinis Propaganda
Das Rettungsschiff Sea Watch 3 darf in Sizilien nicht anlegen. Gegen die harte Blockadepolitik von Matteo Salvini könnte es nun einen Prozess geben – vielleicht will er das sogar.
https://www.derbund.ch/ausland/europa/gefangen-in-salvinis-propaganda/story/13173650

Italiens Vizepremier fordert Beschlagnahmung des Sea-Watch-Schiffes
Die Sozialdemokraten wollen eine ständige Präsenz eines Parlamentariers an Bord des Rettungsschiffes garantieren – Künstlerprotest am Nachmittag geplant
http://derstandard.at/2000097105278/Italiens-Vizepremier-fordert-Beschlagnahmung-des-Sea-Watch-Schiffes

EU: Spannungen wegen Folter-Dokumentation zu Boat-people und möglicher Dublinaufkündigung
Die europäischen Spannungen steigen: Vor Syrakus liegt nach wie vor das NGO-Seenotrettungsschiff „Sea Watch 3“, seit 10 Tagen mit 47 Geretteten an Bord. Sie waren auf Einladung des Bürgermeisters nach Syrakus gefahren, dürfen aber nicht anlegen. Gestern gelang es – trotz staatlichen Verbots – einer Gruppe von Parlamentarier*innen, Ärzt*innen und Rechtsanwält*innen an Bord zu gelangen und Folter-Gründe der Bootsfluchten sowie den zunehmend lamentablen Zustand an Bord des blockierten Schiffs zu dokumentieren. Inzwischen hat die Hafenbehörde angeordnet, dass sich kein Schiff der „Sea Watch“ mehr ohne außerordentliche Genehmigung nähern darf. Eine Delegation der Partito Democratico, die heute Boat-people und Crew an Bord des zivilen Rettungsschiffs besuchen wollte, hat inzwischen bei der Präfektur einen entsprechenden Antrag gestellt. Die Staatsanwaltschaft hat im selben Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eröffnet.
https://ffm-online.org/eu-spannungen-wegen-folter-dokumentation-zu-boat-people-und-moeglicher-dublinaufkuendigung/

+++GASSE
bernerzeitung.ch 28.01.2019

Bern liebt Kokain

Das in Bern erhältliche Kokain ist reiner, billiger und deshalb für Jugendliche mit schmalem Geldbeutel erschwinglich geworden. Allerdings ist dies nicht dass grösste Problem.

Jürg Steiner

«Ich wurde beim Hinlaufen auf den Vorplatz der Reitschule fünfmal für Koks angehauen und dreimal für Cannabis», schrieb der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) vor zwei Monaten auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: «Ich glaube, dass wir ein Problem haben.»

Die Frage ist, wo genau das Problem liegt.

Niemand – weder Polizei noch Drogenfachleute – bestreitet, dass die illegale Droge Kokain in Europa boomt (siehe Kasten unten). Also auch in Bern. «Kokain putscht auf, macht hemmungsloser und risikobereiter, man ist leistungsfähiger. Diese Wirkung ist völlig gesellschaftskonform», sagt Rahel Gall, Geschäftsleiterin der Suchthilfestiftung Contact. Die wahre Bedeutung von Kokain liegt allerdings im Dunkeln.

3’000 Linien pro Tag

Das ETH-Wasserforschungsinstitut Eawag misst jedes Jahr Kokainrückstände in städtischen Abwässern und schliesst daraus auf den Konsum. 2018 registrierte man auch in Bern eine sprunghafte Zunahme, auf gut 2 Gramm Tageskonsum pro 1000 Personen. Das wäre auf die Bevölkerung hochgerechnet ein täglicher Gesamtkonsum von rund 300 Gramm. Oder in der Kokainwährung: mindestens 3000 Linien pro Tag in der Stadt Bern. Jedoch: Ob die Zunahme der Werte im Abwasser wirklich auf gestiegenen Konsum zurückzuführen ist oder auf die gestiegene Qualität des Stoffs, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Sehr gute Kenntnisse des in Bern konsumierten Kokains hat der Chemielaborant Daniel Allemann. Er arbeitet in der Länggasse im Labor des Berner Kantonsapothekeramts und ist ein inzwischen europaweit anerkannter Pionier auf dem Gebiet des Drug-Checking, zu Deutsch: des amtlich bewilligten Testens illegaler Drogen. Seit 20 Jahren analysiert Allemann mit seinem Team in Zusammenarbeit mit Contact die in der Berner Partygesellschaft kursierenden Substanzen – etwa Kokain, LSD, Ecstasy, Amphetamine – auf ihre Inhaltsstoffe.

Jeden Mittwochabend an der Speichergasse in der Berner Innenstadt und regelmässig im mobilen Labor an einer Party kann man als mindestens 18-jähriger Konsument seinen Stoff gratis analysieren lassen. Eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter ist auch dabei.

Qualität wird immer besser

«Das Gefährlichste», erklärt Allemann den Zweck des Drug-Checking, seien «Leute, die nicht über Zusammensetzung und Konzentration der Substanzen im Bild sind, die sie sich zuführen. Besonders, wenn sie neben Kokain noch Alkohol, Cannabis oder Ecstasy-Pillen konsumieren.» Das mobile Berner Drug-Checking-Labor ist das einzige in der Schweiz, deshalb werden Allemann und sein Team von den Städten Zürich, Basel und bald auch Genf für Einsätze gebucht und von örtlichen Sozialarbeitern begleitet.

Allemann stellt einen klaren Trend fest: Die Kokainqualität steigt. Seit ungefähr 2010 nimmt der Kokaingehalt der gegen 300 Proben, die vom Labor jährlich untersucht werden, kontinuierlich zu. Heute liegt der Wirkstoffgehalt oft bei über 80 Prozent (siehe Grafik). Die Anteile der beliebten Streckmittel – Babymilchpulver, das Pferdeentwurmungspräparat Levamisol oder das Schmerzmittel Phenacetin – sind rückläufig.

Diesen Befund bestätigt die Kantonspolizei. Grundsätzlich senkt die bessere Kokainqualität das Gesundheitsrisiko. Allerdings kann man von der plötzlich erhöhten Wirkung auch heftig überrascht werden.

Deal im Freundenetzwerk

Allemann schränkt ein: Die Proben, die ins Labor gebracht werden, stammten praktisch nie aus dem Strassenhandel, wie er auf der Schützenmatte stattfindet. Der Kokaingehalt dieser meist in Papier gewickelten Ein-Gramm-Kügelchen dürfte deutlich geringer sein. «Die meisten Leute, die zu uns kommen, geben an, den Stoff von Freunden zu beziehen», sagt Allemann. Über den Kollegen des Kollegen des Kollegen: So läuft die Kokain-Feinverteilung in Bern normalerweise. Und eher selten über die afrikanischen Strassendealer.

Kokain, die Droge von Kreativen und Bankern: Dieses Bild sei komplett veraltet, sagt Allemann: «Kokainkonsumenten gibt es heute in praktisch allen sozialen Schichten, Berufen und Altersgruppen.» Kenner und Studien bestätigen: In den letzten Jahren ist der Grammpreis trotz besserer Qualität um zwei Drittel auf etwa 100 Franken gesunken.

Ein Gramm reicht in der Regel für mindestens zehn Schnupfdosen – das liegt auch in einem Schülerbudget drin. Die Mehrzahl der Drug-Checking-Nutzer sei zwischen 20 und 30 Jahre alt, ab und zu kämen aber auch User aus der Generation Ü-50 vorbei, sagt Allemann. Was ihm in letzter Zeit auffällt: «Kokain hat ein extrem positives Image. Es gilt als sehr cool.»

Diese Begeisterung und gleichzeitige Banalisierung sei es, die ihm am meisten Sorgen mache – vor allem bei den ganz Jungen, die häufig ziemlich ahnungslos mit Pülverchen und Pillen experimentierten.

Vorteile der Banalisierung

Typische Konsumenten gebe es nicht, sagt Contact-Geschäftsleiterin Rahel Gall. Jeder und jede könne es sein. Der Bauarbeiter, der vor der Büez eine Linie zieht. Die Lehrerin, die sich nach Schulschluss Entspannung gönnt. Minderjährige Schüler, die mit illegalem Kokain ihr Gangsterimage schärfen.

Sie wolle die Banalisierung nicht schönreden, doch: «Weil Kokain in der Öffentlichkeit kein Tabu ist, steigen auch die Chancen, Konsumentinnen und Konsumenten mit Informationen über Risiken zu erreichen», sagt Gall. Konsumiert würden psychoaktive Substanzen sowieso, ob sie legal sind wie Alkohol oder verboten wie Kokain. Aber: Informierte Konsumenten könnten den Umgang mit Drogen eher im Griff behalten.

Der Deal vor der Reitschule

Dieser Grundsatz bestimmt die Prioritäten: Nachdem der Kanton per Ende 2018 die Unterstützung dafür eingestellt hat, finanziert Contact die stationäre Information und Beratung für Konsumenten von Freizeitdrogen wie auch die mobilen Einsätze an Partys nun selber. Im Prinzip müsste man mit einem solchen Angebot aber nicht nur in Bern, sondern auch in Subzentren wie Biel, Burgdorf, Thun, Langenthal oder Interlaken präsent sein, findet Gall.

Sie versteht, dass man sich als Eltern über die Nähe des Kokain-Strassendeals zur jugendlichen Ausgehmeile auf der Schützenmatte Sorgen macht. «Man kann es nicht vom Tisch wischen», sagt sie, «die Verfügbarkeit einer Substanz erhöht deren Konsum.» Besonders angesichts der spürbar gesunkenen Preise. Allerdings würde dieser Handel sonst irgendwo auftauchen, wenn er vom Reitschule-Vorplatz verschwände. «Die Nachfrage ist der Hauptgrund dafür, dass auch in Bern so viel Kokain im Umlauf ist.»

Unter Leistungsdruck

Das Hauptproblem beim Kokain ist das hohe Risiko einer psychischen Abhängigkeit – man möchte den Kick immer stärker und immer häufiger erleben, zumal das Herunterkommen unangenehm sein kann. Starkkonsumenten kombinieren deshalb mitunter Kokain mit Heroin, weil Letzteres die harte Landung nach dem Kokain-Höhenflug abfedern kann.

Was sich laut Rahel Gall zuspitzt, ist der mit Alkohol unterlegte Mischkonsum unterschiedlicher Substanzen. Bis zu einem gewissen Grad präge das Leistungsdenken auch den Konsum von Freizeitdrogen: Man will sich mit Substanzkombinationen selber übertreffen, und das kann bei Missgriffen zu ernsten körperlichen Problemen führen.

Kokain verengt die Blutgefässe, treibt Herzfrequenz und Blutdruck in die Höhe. Gleichzeitig reduziert es beispielsweise die Wirkung von Ecstasy. Man kann also ziemlich viel intus haben – ohne wirklich etwas zu spüren. Viel Wasser zu trinken, ist ein guter Tipp, damit man mindestens der drohenden Dehydrierung entgegenwirkt. «Darüber hinaus», sagt Rahel Gall, «funktioniert die Vorbeugung nur, wenn es uns gelingt, die Konsumenten gut zu informieren.»

Gelegentlich eine Linie

Frank Zobel, Vizedirektor von Sucht Schweiz, bringt den Kokainkonsum in der Schweiz auf eine knappe Formel. 80 Prozent sind Gelegenheitsanwender und konsumieren 20 Prozent des Stoffs. Die restlichen 20 Prozent Kokser ziehen sich schnupfend, inhalierend oder spritzend 80 Prozent des Pulvers rein.

Der Berner Arzt und Psychiater Robert Hämmig beschäftigt sich seit 1984 mit Suchtfragen, früher unter anderem als leitender Arzt Schwerpunkt Sucht der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern, heute als leitender Arzt der Suchtfachpraxis Dr. Robert AG. Auf Anfrage hält er zur Situation in Bern fest, dass eine massive Zunahme des Kokainkonsums bereits «seit den 80er-Jahren kolportiert wird». Es stimme, dass der Kokainkonsum etwas zu-, der Heroinkonsum etwas abgenommen habe.

Hämmig bestätigt aber auch, dass heute «viele Leute Kokain massvoll konsumieren und sich weder in Beratung noch Betreuung begeben». Problemfälle gebe es, aber «eine massive Zunahme beobachten wir nicht». Es komme regelmässig vor, dass abhängige Kokainkonsumenten plötzlich beschliessen aufzuhören – und das auch schaffen. Süchtige, die mit dem Reissen nach Kokain kämpfen, können sich laut Hämmig medikamentös oder mittels transkranieller Magnetstimulation (wie bei der Nikotinentwöhnung) behandeln lassen.

So kommt das Kokain nach Bern

Kurz vor Weihnachten 2018 gelang der Berner Staatsanwaltschaft zusammen mit der Kantonspolizei ein Coup: Nach jahrelangen Ermittlungen wurde laut einer Mitteilung gegen sieben Afrikaner Anklage erhoben, weil sie 2014 und 2015 den Schmuggel von 110 Kilogramm Kokain aus Holland in die Schweiz organisiert haben sollen. Der Stoff wurde in von Bodypackern verschluckten Fingerlingen, aber auch verpackt in Autopneus eingeführt. Eine wichtige Rolle spielte eine als Kokaindepot benützte Wohnung in Köniz.

Ein so heftiger Schlag ins Herz des Kokainhandels ist selten. Trotzdem war die Staatsanwaltschaft für Besondere Aufgaben auf Anfrage nicht bereit, zu den Schwierigkeiten im Kampf gegen den Kokainimport Richtung Bern Stellung zu nehmen.

Lageberichte der europäischen Polizeibehörde und eine ausführliche Studie der Universität Lausanne über den Kokainmarkt in der Waadt zeichnen das Bild einer flexiblen, filigranen, der Illegalität angepassten Organisation. Das Kokain gelangt aus Südamerika über die USA und Spanien, aber auch über Afrika und neuerdings via Osteuropa Richtung Schweiz. Sehr häufig dienen Wohnungen als Zwischenlager, wo Händler die bestellte Ware abholen, sie teilen, strecken und an Feinverteiler weitergeben. Diese sind lokal als Kuriere, unter Umständen mit dem Velo, mit so geringen Mengen unterwegs, dass sie in der Regel höchstens eine Verzeigung riskieren. Die Grenze zum «schweren Fall» liegt bei 18 Gramm.

In den USA haben die Kokainkartelle gemäss den europäischen Ermittlern Absatzprobleme, auch weil die Droge Crystal Meth hoch im Kurs ist. Deshalb gelangt viel und qualitativ guter Stoff nach Europa.

Wie die Kantonspolizei bestätigt, dominieren Nigerianer den Berner Kokainhandel. Oft ist ihr Aufenthaltsstatus prekär. Allerdings ist das Geschäft auch für Schweizer lukrativ. Laut Insidern kann man mit einem Grammpreis von 30 Franken rechnen, wenn man Kokain etwa im Umfang von 500 Gramm kauft. Schon bei einem Verkaufspreis von 100 Franken pro Gramm ist der Businessplan steil.

2017 beschlagnahmte die Kantonspolizei rund 25 Kilogramm Kokain. Gemäss der Waadtländer Studie beläuft sich der konfiszierte Anteil an der kursierenden Kokainmenge auf ungefähr 10 Prozent. Bedeutet: Im Kanton Bern würden ungefähr 250 Kilogramm Kokain pro Jahr gehandelt, der Umsatz beliefe sich auf mindestens 25 Millionen Franken.

Letzte Woche hielt die Kantonspolizei auf der Schützenmatte sechs Männer an und konfiszierte 85 Gramm Kokain. Eine erfolgreiche Razzia. Ein Tropfen auf den heissen Stein.
(https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/bern-liebt-kokain/story/16471921)

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Serie: Anarchisten in der Schweiz / 1 „Sprengung des Bundespalastes diesen Monat. Zittert!“
Eine neue swissinfo.ch-Serie erzählt von den wenig bekannten anarchistischen Attacken auf Schweizer Boden. Sie bietet einen Überblick über die diversen Arten des Terrors, mit denen die Schweiz zu Beginn des 20. Jahrhunderts konfrontiert war. Teil 1: Wie das Bundeshaus zum Terrorziel wurde.
https://www.swissinfo.ch/ger/politik/serie–anarchisten-in-der-schweiz—1_-sprengung-des-bundespalastes-diesen-monat–zittert–/44633218
-> https://www.swissinfo.ch/eng/anarchists-in-switzerland-part-1_did-terrorists-once-plot-to-blow-up-the-swiss-government–/44702574

Nur mit Worten: Stapo Zürich stoppt Hausbesetzer-Party
Hausbesetzter wollten im leerstehenden Casa d’Italia in Zürich eine illegale Party feiern. Die Stadtpolizei konnte dies aber verhindern.
https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/nur-mit-worten-stapo-zuerich-stoppt-hausbesetzer-party-id15140431.html
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2019/januar/stadtpolizei_verhindertillegalepartyundhausbesetzung.html
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/stadtpolizei-zuerich-laesst-illegale-party-in-besetztem-haus-platzen-134018495
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuerich-party-in-besetztem-haus-findet-nicht-statt-00104281/

+++KNAST
Zuger Regierung: Inhaftierte dürfen weiterhin Konzerte besuchen
In der Strafanstalt Bostadel finden jedes Jahr kulturelle Anlässe für die Gefangenen statt. Nach Meinung der Regierung soll dies auch so bleiben – entgegen einem Vorstoss bürgerlicher Kantonsräte.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/inhaftierte-durfen-weiterhin-konzerte-besuchen-ld.1088815

+++POLICE BE
Regierungsratsantwort auf Interpellation (AL/SP) „Neue Gummigeschosse und Werfer: Gutachten, Verletzungsgefahr und Praxisauswertung?2
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-5abd49a4565c42119529e0e8f024283c.html

Regierungsratsantwort auf Interpellation (AL/SP) „Offene Fragen im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz in der Nacht vom 1. auf den 2.9.2018“
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-e2004c197abf407cb7104d0642293c1e.html
-> https://www.derbund.ch/bern/stadt/regierungsrat-verurteilt-angriffe-auf-die-polizei/story/21033463
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/regierungsrat-verurteilt-angriffe-auf-die-polizei/story/25998074

WIE HABEN SIE ES MIT DER POLIZEI?
Die Arbeit der Bernischen Kantonspolizei wird kontrovers beurteilt: Gerade junge Städter fühlen sich von der Kantonspolizei bisweilen unfair behandelt und werfen dem Korps etwa Racial Profiling und unverhältnismässige Härte vor. Viele Berner und Bernerinnen stellen sich aber auch hinter die Polizei. Sie begrüssen ein konsequentes Vorgehen gegen den Drogenhandel und jugendliche «Chaoten». Vor der Abstimmung über das neue Polizeigesetz am 10. Februar wollen wir von Ihnen wissen: Wie haben Sie es mit der Polizei?
Wir wollen von Ihnen wissen:
– Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit der Kantonspolizei Bern gemacht?
– Wie beurteilen Sie die Arbeit der Polizei?
– Wie steht es um Ihr Vertrauen in das Korps?
– Wo könnte sich die Polizei Ihrer Meinung nach verbessern?
– Braucht es eine Ombudsstelle für die Polizei in Bern?
https://stadtgespraech.derbund.ch/2019/01/25/wie-haben-sie-es-mit-der-polizei/

derbund.ch 28.01.2019

HEIKER JOB UNTER DAUERBEOBACHTUNG

Ein Blick auf die Kantonspolizei Bern

Viele Demonstrationen, angriffige Reitschule, Fussballspiele: Keine Polizei in der Schweiz steht derart im Fokus wie die Kantonspolizei der Bundesstadt. Wie tickt das Corps, das regelmässig unter Dauerbeschuss steht?

von Andres Marti, Martin Erdmann, Simon Gsteiger (Text), Adrian Moser, Raphael Moser, Beat Mathys (Bild), Christian Zellweger (Umsetzung)

Demütigende Leibesvisitationen, diskriminierende Kontrollen, Gummigeschosse auf Kopfhöhe: So reden Kritiker über die Arbeit der Kantonspolizei (Kapo). Jüngst hat der Tod eines 20-Jährigen auf dem Polizeiposten Verdächtigungen und Gerüchte befeuert. Was an solchen Anschuldigen dran ist, bleibt meist offen. Das hat auch mit der zurückhaltenden Kommunikation der Polizei zu tun. Mit Verweis auf den Persönlichkeitsschutz lehnt sie Stellungnahmen häufig ab. Zudem erfasst weder die Staatsanwaltschaft noch die Polizei Anzeigen gegen Polizeibeamte separat. Damit ist die Polizei nach eigenen Angaben nicht in der Lage, darüber Auskunft zu geben, wie häufig ihre Beamten angezeigt werden.

Viele tendenziell links wählende Städter ärgern sich, dass der bürgerlich dominierte Grosse Rat der Polizei stets den Rücken freihält. Ihr Misstrauen gegenüber der Kapo äussert sich in Forderungen nach einer unabhängigen Beschwerdestelle, einem Quittungssystem für Polizeikontrollen oder in Aufrufen, Polizisten mit dem Handy zu filmen. Dass das neue Polizeigesetz den Handlungsspielraum der Polizei erhöht, ohne den Rechtsschutz zu stärken, macht das Unbehagen der Gegner nicht kleiner.

Schwieriges Umfeld

Insgesamt ist der Ruf der Polizei aber weit besser, als die meist linke Kritik vermuten lässt. In Bern leisten derzeit rund 2200 Personen Dienst in Uniform, und pro Jahr leistet die Kapo über 150000 Einsätze. Demgegenüber stehen rund 150 Beschwerden, die meisten davon gegen Ordnungsbussen. Laut einer von der Polizei in Auftrag gegebenen Umfrage ist die Mehrheit der Bernerinnen und Berner mit der Arbeit ihrer Polizei zufrieden. 87 Prozent der Befragten gaben dabei an, der Polizei im Allgemeinen zu vertrauen.

Da die Polizei in der Stadt Bern in einem tendenziell schwierigeren Umfeld agieren müsse, so die Autoren der Studie, seien diese positiven Einschätzungen bemerkenswert. Schwieriges Umfeld heisst: über 200 Kundgebungen pro Jahr, viele davon unbewilligt, ausserdem Fussballspiele, Fanmärsche und der nicht totzukriegende Drogenhandel vor dem Jugendtreff Reitschule.

Bei der Bekämpfung des Drogenhandels – im Aufrag der Stadtregierung –  kommt es regelmässig zu Konflikten mit den Reitschule-Betreibern und den Gästen. Nach einem Polizeieinsatz im letzten September äusserte der Gemeinderat Kritik an der Polizei, und die Aufsichtskommission des Berner Stadtrats lud Vertreter der Polizei zu Anhörungen vor.

Die Vorwürfe seitens der Reitschule lauten: Der Betrieb leide unter dem «erfolglosen Kampf gegen den Drogendeal», alle paar Wochen werde das Restaurant von Polizisten «lahmgelegt», teilweise würden Mitarbeitende und Gäste «beschimpft und verhöhnt». Die Einführung einer unabhängigen Beschwerdestelle nennt die Reitschule eine «absolute Minimalanforderung». Die Polizei umgekehrt wirft den Reitschülern vor, sie bei der Arbeit zu behindern. Wenn jemand mit der Arbeit der Polizei nicht zufrieden sei, bestehe die Möglichkeit einer Beschwerde; intern gebe es ein «Beschwerdemanagement». Bei strafbaren Handlungen werde der Fall direkt an die Staatsanwaltschaft oder an Gerichte weitergeleitet.

Lob für Krokus

In anderen «heissen» Zonen ist das Verhältnis weit entspannter. Bubi Rufener leitet die Contact-Drogenanlaufstelle an der Hodlerstrasse, die täglich von rund 120 Süchtigen besucht wird. Er sagt, die Zusammenarbeit mit der Polizei habe sich in den letzten 20 Jahren verbessert. Rufener arbeitet seit 23 Jahren in der Suchthilfe. «Dass sich Polizisten übergriffig verhalten, kommt heute praktisch nicht mehr vor.» Er lobt vor allem die Einsatzgruppe Krokus, die in Bern für die Bekämpfung des Drogenhandels zuständig ist: «Sie ist heute viel weniger repressiv gegenüber Konsumenten.» Die Zeiten, als Polizisten den Süchtigen die frischen Spritzen wegnahmen, sind definitiv vorbei. Wer heute nach der Polizeischule in den Dienst bei der Kantonspolizei eintritt, wird von Rufener durch die Anlaufstelle geführt. «Diese Aufklärungsarbeit ist enorm wichtig», sagt er.

Ausserhalb der Anlaufstelle betreut die kirchliche Gassenarbeit diejenigen, die öfters mit der Polizei zu tun haben. Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist hier nicht so eng. Doch man spricht miteinander und tauscht sich aus. «Aus Sicht der Gassenarbeit verhält sich die Polizei in Bezug auf unser Klientel in den meisten Fällen professionell», sagt der Gassenarbeiter Ruedi Löffel. Bei einzelnen Polizisten wünsche er sich jedoch mehr Einfühlungsvermögen und ein «Verständnis für die Situation der Menschen auf der Gasse».

Genau an diesem Einfühlungsvermögen fehlt es vielen Polizisten laut Kritikern. Das habe auch damit zu tun, dass diese Arbeit einen speziellen Typ Mensch anziehe. Um Polizist zu werden, muss man über eine Erstausbildung verfügen. Laut Polizei wollen Köche, Mechaniker und Krankenpfleger ebenso Polizist werden wie Studenten und Leute mit KV-Abschluss. Ihre Motivation? Eine Vielzahl der Aspiranten gebe an, dass vor allem die Vielseitigkeit des Tätigkeitsbereichs, der Kontakt mit Menschen und an dritter Stelle das Helfen ausschlaggebend für den Entscheid seien.

KANTONSPOLIZEI IN DER KRITIK – DIESE FÄLLE GABEN ZU REDEN

Februar 2014
URINLACHE AUF DER POLIZEIWACHE
Zwei Polizisten in der Polizeiwache am Berner Bahnhof einen renitenten Mann zu Boden gedrückt, durch seinen Urin zogen und dessen Jcke in die Lache gelegt. Sie wurden vom Obergericht wegen Amtsmissbrauch verurteilt und aus dem Polizeidienst entlassen.

Juni 2014
GEZÜCKTE WAFFE IN DER REITSCHULE
Innert zwei Tagen zogen Polizisten in und vor der Reitschule ihre Waffen und zielten damit auf Menschen. Die Vorfälle ereigneten sich während Drogenrazzien. Darauf wurde im Stadtrat eine Interpellation zu „Problempolizisten“ eingereicht.

Oktober 2014
VON MISSEN-KÜR ZUR DANN-PROBE
Während der Miss-Schweiz-Wahl wurde auf dem Bundesplatz gegen den „sexistischen Frauenzoo“ demonstriert. 20 Demonstrierende wurden von der Polizei verhaftet. Einige von ihnen mussten sich zwecks Kontrolle auf der Wache ausziehen. Darunter waren auch Minderjährige. Zudem wurden höchst umstrittene DNA-Entnahmen angeordnet.

April 2015
RAZZIA BEI HIPPIE-KOLLEKTIV
Die Polizei hat in Ostermundigen die Zwischennutzung der „Familie Osterhase“ durchsucht. Wegen der Härte des Einsatzes reichten die Bewohner Klage ein. Unter anderem wegen Nötigung und Gefährdung des Lebens. Der Einsatz blieb für die Polizei schlussendlich jedoch ohne Folgen.

April 2018
AFRIN-DEMO ENDET IM POLIZEIKESSEL
Die Polizei hat eine unbewilligte Demonstration gegen türkische Angriffe auf die kurdische Region Afrin abgebrochen. Einige Demonstrierende wurden eingekesselt, was für Kritik sorgte. Den Eingekesselten seien Trinkwasser und die Verrichtung der Notdurft verweigert worden, berichteten Augenzeugen.

September 2018
FRÖHLICHES GUMMISCHROT
Bei einem Einsatz vor der Reitschule setzte die Polizei Gummischrot ein. Auf einem der Geschosse war ein lachendes Gesicht aufgemalt. Die Kritik darauf liess nicht lange auf sich warten. Die Polizei stritt jedoch zunächst ab, dass das Smiley von Mitarbeitenden angebracht worden sei. Erst danach hat ein Polizist zugegeben, dass er dieses Monate zuvor im Einsatz bei einer Sportveranstaltung gemalt habe.

„DIE POLIZEI NUTZT NICHTWISSEN AUS“

In Teilen von Berns Jugend ist Feindseligkeit gegenüber der Polizei weit verbreitet. Woher kommt diese? Wie weit recht sie? Zwei Jugendliche erzählen.

von Martin Erdmann

Max geht in die Sekundarschule, will im Sommer eine Kochlehre beginnen. Rosa ist im Gymnasium, denkt über ein Studium nach. Beide mögen sie die Polizei nicht besonders. Um offen darüber sprechen zu können, wollen sie ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Denn die Polizei verbinden sie mit einem unangenehmen Gefühl. «Mir wird es unwohl, wenn Polizisten in der Nähe sind», sagt Max. Diese Nähe endete für ihn einmal in Handschellen. «Selbstverschuldet», sagt er.

Dennoch wundert er sich noch immer über das Ausmass der Beachtung, die ihm die Polizei in jener Nacht geschenkt hat. Mit Kollegen habe er in der Länggasse einen Mülleimer besprayt. «Nichts grosses.» Gross sei jedoch das Polizeiaufgebot gewesen. «Plötzlich standen acht oder neun Polizisten um uns herum.» Die Nacht endete auf dem Posten. Er habe von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen wollen, daraufhin habe ihn der Polizisten angefahren. «Das hat mich extrem gestört.»

Gerade gegenüber Jugendlichen, würden sich Polizisten extrem viele Freiheiten herausnehmen, sagt Rosa und erzählt eine Geschichte von einem Kollegen. Diesem sei verschwiegen worden, dass er an einem Verhör einen Anwalt oder Vertrauensperson mitbringen darf. «Er tat es trotzdem und die Polizei war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob das nicht doch zulässig ist.» Die Polizei nutzt das Nichtwissen der anderen definitiv aus, sagt Rosa.

Vorteil für «weisse Gymeler»

Die beiden Jugendlichen schöpfen aus einem reichen Fundus an ähnlichen Geschichten. In allen sehen sie das Verhalten der Polizei als nicht angemessen an. Da war die Kollegin, die auf den Posten musste, weil sie nach einer friedlichen Demonstration mit Kreide Parolen an die Mauern der Heilig-Geist-Kirche schrieb. Oder der dunkelhäutige Kollege, der als Einziger in einer Gruppe von ansonst «weissen, schweizer Gymeler» kontrolliert wurde. Oder die acht Beamten, die den Schönausteg vor Joggern beschützen würden.

Die Richtigkeit solcher Erzählungen stellt Rosa manchmal in Frage. «Durch diese ablehnende Haltung wird wohl manchmal etwas übertrieben.» Dennoch sind es eben solche Geschichten, die auf das Verhältnis der Jugend zur Polizei abfärben. «Wenn sich die Polizei falsch verhält, verbreitet sich das sehr schnell. Alle hören davon», sagt Rosa. Die Ablehnung der Polizei drückt sich in ihrem Umfeld auf verschiedene Arten aus. Da gibt es die Radikalen. «Sie stellen sich gegen die Polizei als Beschützer des politischen Systems, das sie bekämpfen», sagt Max. Und es gibt die Gemässigten. «Der Polizei muss sehr streng auf die Finger geschaut werden, doch das Gewaltmonopol soll ihr überlassen werden.»

Mehr Kontrolle gefordert

Die beiden zählen sich nicht zum radikalen Teil von Berns Jugend. Zu sehen am Beispiel Schützenmatte. Rosa sieht es nicht gerne, wenn sich die Polizei dort formiert. «Das kann schon als Provokation wahrgenommen werden.» Aber: «Deswegen aus der Menge heraus Flaschen und Steine zu werfen, ist falsch.» Dadurch würden bloss alle Leute gefährdet werden, die rundherum stehen.

Die Reflexion des eigenen Umfelds ist für die beiden Schüler wichtig. «Im Gymer sind die meisten links. Mit anderen Ansichten wird man dadurch kaum konfrontiert», sagt Rosa . Deshalb lesen sie beispielsweise Medientitel mit unterschiedlicher politischer Ausrichtungen, «um nicht in ein Schwarz-Weiss-Denken zu verfallen.»

So haben sie teilweise auch Verständnis für die Polizei. Zum Beispiel bei Demonstrationen. «Wenn Parolen gegen die Polizei skandiert oder Gegenstände auf sie geworfenen werden, ist es für diese sicher nicht einfach, die Nerven zu behalten», sagt Max. Rosa findet solches Verhalten kontraproduktiv: «Dadurch wird riskiert, dass sich die Polizei gezwungen fühlt, die Demo aufzulösen – vielleicht unberechtigt.»

Gegen das Polizeigesetz sind sie trotzdem. «Solange es keine unabhängige Stelle gibt, welche die Polizei kontrolliert, sollte diese nicht noch mehr Rechte erhalten», sagt Rosa.

„DIE DEMONSTRATIONSFREIHEIT WIRD GERNE ÜBERINTERPRETIERT“

Polizeirechtsexperte Markus Mohler lobt die Arbeit der Berner Polizei. Wenn es brenzlig werde, könnten trotzdem Fehler passieren. Die internationale Kritik am mangelhaften Rechtsschutz teilt er nicht.

Interview: Simon Gsteiger

Herr Mohler, das Thema Polizeigewalt wird in der Schweiz kaum erforscht. Warum?

Ein breit angelegter Bedarf nach Forschung ist offenbar nicht da. Das hat auch mit dem Behördenvertrauen zu. Die Polizei steht in der Schweiz diesbezüglich ungebrochen an der Spitze.

Das widerspricht zumindest in der Stadt Bern aber der Wahrnehmung. Woher rührt diese Diskrepanz?

Man muss die öffentliche und die veröffentlichte Meinung auseinanderhalten. Was in den traditionellen und den sozialen Medien veröffentlicht wird, gibt manchmal ein ganz anderes Bild ab, als es in Wirklichkeit ist. In Bern hat man mit der Reithalle einen permanenten Konfliktpunkt. Dadurch dürfte die Wahrnehmung verschoben werden.

Wie steht denn die Kapo Bern im Schweizer Vergleich da?

Nehmen wir das Beispiel Sportveranstaltungen. Bern hat mehrere Eishockey- und Fussballclubs in den obersten Ligen. Das ganze Jahr über finden Veranstaltungen statt, von denen teilweise Gewaltpotenzial ausgeht. Dasselbe gilt für Demonstrationen. Die Kapo ist praktisch wöchentlich gefordert bis zum Äussersten. Aus meiner Sicht machen die ihren Job mit Bravour.

Es gibt auch andere Meinungen: Demonstranten beklagen sich oft über unverhältnismässige Eingriffe.

Die Demonstrationsfreiheit wird gerne überinterpretiert. Manche haben das Gefühl, alles sei erlaubt. Das stimmt nicht. Es gibt Regeln, an die sich alle zu halten haben. Die Veranstaltungen müssen friedlich sein, ohne Gewalt gegen Sachen und gegen Personen. Nur darauf erstreckt sich die Demonstrationsfreiheit. Es gilt auch: nur mit Bewilligung. Halten sich die Personen nicht daran, ist die Polizei nicht nur zum Eingriff befugt, sondern verpflichtet. Hier können physische Konflikte entstehen.

Und es kann zu unverhältnismässiger Gewaltanwendung kommen.

Das ist ja der springende Punkt: Bei jeder Gewaltanwendung ist die Verhältnismässigkeit das Scharnier für die Rechtmässigkeit. Die Grenze ist nicht schon dort überschritten, wo sich die Polizei einem Demonstrationszug in den Weg stellt, weil er von der Route abweicht oder diese Route nicht bewilligt worden ist. Die Polizei hat für die Sicherheit aller zu sorgen. Niemand hat ein Vorrecht auf die Nutzung des öffentlichen Raumes.

Was ist mit dem Feindbild der «bösen Bullen»? Gibt es diese nicht?

Die Selektionskriterien der Kantonspolizeien sind streng. Alles, was nach Macho klingt, hat von vornherein keine Chance. Falsche Vorstellungen werden den Kandidaten spätestens in der Ausbildung ausgetrieben. Grundrechtsschutz und Ethik sind Prüfungsfächer.

Die Polizei macht also alles richtig?

Natürlich nicht, Fehler werden überall gemacht. Entscheidungen werden innert Minuten, manchmal innert Sekunden getroffen. Die Zeit ist manchmal zu kurz, um alles zu berücksichtigen. Das ist keine generelle Entschuldigung, aber eine Erklärung. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, kann Beschwerde erheben oder Anzeige erstatten.

International steht die Schweiz seit Jahren in der Kritik: Den Beschwerdeinstanzen fehle es an Unabhängigkeit.

Internationale Organisationen machen eine wichtige Arbeit. Sie verstehen für die Beurteilung solch heikler Fragen unser Rechtssystem aber oft ungenügend. Dass man bei der Staatsanwaltschaft Vorbehalte anbringt, verstehe ich ein Stück weit, weil sie eng mit den Polizeien zusammenarbeitet. Aber deren Entscheide lassen sich an die Gerichte weiterziehen, und die Gerichte sind hier unabhängig.

Für die Kapo Bern gibt es auch keine Ombudsstelle. Wäre eine solche nötig?

In diesem Aspekt ist man im Kanton Bern weniger weit als in anderen Kantonen. Die Vorteile einer Ombudsstelle für die ganze Verwaltung sind offensichtlich: Die Stelle ist unabhängig, das Verfahren läuft unkompliziert. Man kann sich eventuell den Gang ans Gericht oder die Anzeigeerstattung sparen.

Sie haben die Totalrevision des Berner Polizeigesetzes juristisch begleitet. Warum wurde der Rechtsschutz nicht geregelt?

Rechtsschutz ist die unverzichtbare Gegenseite zum rechtsstaatlichen Gewaltmonopol. Dazu gab es verschiedene Meinungen: Ich war für eine ausführlichere Regelung des Rechtsschutzes. Die Gegenmeinung hat obsiegt.

Dr. iur. Markus Mohler lehrte an verschiedenen Universitäten; vormals Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt und zuvor Staatsanwalt.

„NUR IN FILMEN HABEN POLIZISTEN ALLES IM GRIFF“

Steigende Gewalt und grosse psychische Belastung: Ihr Beruf sei nicht so, wie er in Hollywood-Filmen dargestellt werde, sagen Berner Polizisten.

von Martin Erdmann

Es tobt ein heisser Abstimmungskampf um das Polizeigesetz. Deshalb will die Berner Kantonspolizei nicht, dass ihre Mitarbeitenden in den Medien über ihren Beruf reden. Ihre Mitarbeiter sollen nicht dem Rampenlicht ausgesetzt und zu einem Gesicht der Debatte gemacht werden, heisst es bei der Medienstelle.

Nur über Umwege und in anonymisierter Form war es dem «Bund» möglich, einer Handvoll Polizisten Fragen zu ihrem Berufsalltag zu stellen. Die Antworten zeichnen ein Berufsbild mit brutalen Schattenseiten. «In den letzten Jahren haben Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber der Polizei zugenommen», schreibt ein Polizist. Gewalt gegen die Polizei löse gerade bei jungen Menschen einen «Kick» aus. «Jungs fühlen sich stolz, wenn sie auf einen Polizisten eingeprügelt haben.» Gerade während Demonstrationen komme es immer wieder zu Gewalt gegen die Polizei durch «jüngere Kriminelle». «Aus einer Menschenmenge kann man anonym angreifen und das Risiko, erwischt und identifiziert zu werden, ist klein.»

Falsches Bild wird vermittelt

Laut den befragten Polizisten gibt es immer mehr Einsätze, die psychisch belastend sind. Damit meinen sie nicht nur Angriffe auf ihre Person, sondern auch die Bewältigung von Ereignissen wie Suizid oder tödliche Unfälle. Dass auch solche Dinge zu ihrem Job gehörten, sei der Öffentlichkeit oftmals nicht bewusst. «Hollywood-Filme und Krimis vermitteln ein falsches Bild von der tatsächlichen Polizeiarbeit.» Ein Bild, das von Polizeikritikern zusätzlich verfälscht werde: Diese versuchten, die Polizei so hinzustellen, als würde sie alles und jeden überwachen. «Eine völlig absurde Darstellung, die bewusst für gesellschaftliche und politische Zwecke missbraucht wird.»

Leute, die ein solches Bild von der Polizei hätten, würden dabei eines gerne vergessen: «Wir retten tagtäglich Leben, helfen Opfern und sorgen für Sicherheit.» Gleichzeitig schliessen die Polizisten aber nicht aus, dass einmal etwas schiefgehen kann. «Sicher machen auch Polizisten Fehler, das ist menschlich.» Nur die Polizisten im Film hätten immer alles im Griff und lösten Fälle innerhalb einer Stunde.

Härtere Strafen gefordert

Johanna Bundi Ryser ist Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter. Um gegen die steigende Gewalt gegen Polizisten anzukommen, sieht sie nur eine Lösung. «Unserer Meinung nach schafft man das nur mit schärferen Strafen mit Signalwirkung.» Denn durch die aktuelle Gesetzgebung seien Polizisten zu wenig vor Gewalt geschützt. Deshalb unterstützt sie eine parlamentarische Initiative, die bei Gewalt gegen Behörden und Beamte mindestens drei Tage Haft fordert.

Bern entscheidet über Polizeigesetz

Das Stimmvolk des Kantons Bern entscheidet am 10. Februar über das neue Polizeigesetz. Dieses umfasst 189 Artikel und soll der Polizei unter anderem bessere Mittel für die Bekämpfung von schwerer Kriminalität und häuslicher Gewalt bieten. Zudem soll durch den Erlass die Zusammenarbeit zwischen Kantonspolizei und Gemeinden vereinfacht werden. Auch wäre das Personal- und Dienstrecht der Kantonspolizei neu im Polizeigesetz integriert. Dieses wurde bis anhin in einem separaten Gesetz beschrieben.

Im Grossen Rat erlangte das Gesetz klare Zustimmung. Dennoch wurde dagegen das Referendum ergriffen. Die Gegner bemängeln, dass der Erlass den Gemeinden in der Ausgestaltung der Sicherheit zu wenig Mitspracherecht gibt. Zudem würde es die Überwachung verstärken, die Verdrängung von Menschen aus dem öffentlichen Raum fördern und Fahrende diskriminieren. (mer)
(https://webspecial.derbund.ch/longform/polizei/16469-2/)