Medienspiegel 16. Dezember 2018

+++SCHWEIZ
Zu traumatisiert zum Arbeiten
Die Schweiz evakuiert Menschen direkt aus Krisengebieten. Ihre Integration erweist sich teils als schwieriger als erwartet. Das liegt auch an einer verfehlten Zielsetzung.
https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/zu-traumatisiert-zum-arbeiten-ld.1078946

+++DEUTSCHLAND
166.000 Asylanträge: Obergrenze wird nicht erreicht
Laut einem Zeitungsbericht bleibt die Zahl der nach Deutschland eingereisten Asylbewerber in diesem Jahr deutlich unter der im Koalitionsvertrag festgelegten Obergrenze von 220.000 Menschen.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-obergrenze-von-asylantraegen-wird-2018-nicht-erreicht-a-1243974.html
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-12/asyl-antraege-fluechtlinge-obergrenze-bamf
-> https://www.heise.de/tp/features/Deutschland-Asylantraege-2018-deutlich-unter-der-Obergrenze-4252103.html
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-12/asylzahlen-antraege-bamf-fluechtlinge-migration
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/zahl-der-asylbewerber-bleibt-2018-unter-der-obergrenze-100.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/asylbewerber-obergrenze-101.html

Dublin-Fälle: Weniger Leistungen für Doppel-Asylbewerber
Die Länder wollen Asylbewerbern, die schon in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, Leistungen kürzen. Von einem solchen Gesetz wäre etwa jeder dritte nach Deutschland kommende Asylbewerber betroffen.
https://www.tagesschau.de/inland/doppel-asylbewerber-101.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1108131.leistungen-fuer-asylbewerber-unmenschlichkeit-ist-kein-massstab.html

Flüchtlinge in Wiesbaden: Hilfe für die Seenotretter und Flüchtlinge
Wiesbaden wird sich der Initiative der Oberbürgermeister von Düsseldorf, Köln und Bonn anschließen und sich bereit erklären, auf See gerettete Flüchtlinge aufzunehmen.
http://www.fr.de/rhein-main/alle-gemeinden/wiesbaden/fluechtlinge-in-wiesbaden-hilfe-fuer-die-seenotretter-und-fluechtlinge-a-1638513?GEPC=s3

+++BALKANROUTE
Verdeckt gefilmt
Schiebt Kroatien über die grüne Grenze ab?
Nichtregierungsorganisationen, sowie Flüchtlinge und Migranten erheben seit mehreren Monaten schwere Vorwürfe gegen die kroatische Polizei. Diese soll Menschen von Kroatien aus über die grüne Grenze in Richtung Bosnien-Herzegowina zurückschieben. Das kroatische Innenministerium und Vertreter der Grenzpolizei bestehen konsequent darauf, dass die kroatische Polizei streng nach Recht und Gesetz handle. Der ARD und weiteren Medien wurden nun 132 verdeckt gefilmte Videos übergeben. Sie sollen insgesamt 54 mutmaßlich illegale Gruppenabschiebungen aus dem EU Land Kroatien in Richtung Bosnien-Herzegowina zeigen.
https://www.ard-wien.de/2018/12/16/schiebt-kroatien-ueber-die-gruene-grenze-ab/
-> https://www.tagesschau.de/ausland/abschiebung-kroatien-101.html
-> https://derstandard.at/2000094071909/NGO-dokumentiert-Kollektivausweisungen-von-Migranten-in-Kroatien?ref=rss
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/kroatien-spricht-von-einreiseverweigerung-statt-abschiebung,RCPxyKB
-> http://www.spiegel.de/politik/ausland/kroatien-schiebt-migranten-offenbar-illegal-nach-bosnien-ab-a-1244015.html
-> http://taz.de/Kroatien-betreibt-illegale-Push-backs/!5556569/

+++SPANIEN
Spanien: 11.000 Marokkaner*innen angekommen, Abschiebungen stocken
Im laufenden Jahr sind 10.816 Marokkaner*innen nach Spanien migriert, zum grössten Teil als Harragas. Im Vergleich zu 2017 hat sich diese Zahl verdoppelt, im Vergleich zu den Vorjahren sogar verzehnfacht. Die angekommenen Marokkaner*innen stellen in 2018 nach Herkunftsnationalität den größten Anteil der diesjährigen nach Spanien Immigrierten dar (21,4% von 53.382 Personen). Die Rückübernahmen verlaufen langsam, entsprechend der zugelassenen Tageskontingente des marokkanischen Staats.
https://ffm-online.org/spanien-11-000-marokkanerinnen-angekommen-abschiebungen-stocken/

+++ITALIEN
Flüchtlingspolitik in Italien: Demo für offene Gesellschaft
Tausende protestieren in Rom gegen die restriktive Einwanderungspolitik der Regierung. Schutzbedürftige würden so in die Illegalität abgedrängt.
http://taz.de/Fluechtlingspolitik-in-Italien/!5559039/

+++EUROPA
Marokko erhält von EU 148 Mio Euro in 2018
Für das Abfangen von Boat-people auf dem Weg nach Spanien, für die vorverlagerte Bewachung der EU-Zäune von Ceuta und Melilla sowie für die Razzien und Abschiebungen von Transitgeflüchteten erhält Marokko im laufenden Jahr 148 Mio. Euro aus dem EU-Treuhandfonds Afrika. Ob unter anderen Titeln weitere Mittel für die Abschottung in Marokko fließen, ist nicht ausgeschlossen.
https://ffm-online.org/marokko-erhaelt-von-eu-148-mio-euro-in-2018/

+++FREIRÄUME
Altglascontainer: Reitschule blitzt vor Gericht ab
Die Reitschule wehrte sich gegen neue Auflagen zum Altglascontainer auf dem Vorplatz bis vors Verwaltungsgericht. Vergeblich.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/altglascontainer-reitschule-blitzt-vor-gericht-ab/story/11171728

+++GASSE
Weihnachtsessen für Bedürftige im Marriott auch ohne Pfarrer Sieber
Wie jedes Jahr organisierte das Sozialwerk Pfarrer Sieber ein Weihnachtsessen für Bedürftige. Über 500 Personen kamen an die Feier im 5 Sterne Hotel Marriott.
https://www.nau.ch/news/videos/weihnachtsessen-fur-bedurftige-im-marriott-auch-ohne-pfarrer-sieber-65464293
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/weisse-weihnachten-fuer-obdachlose-00101793/

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
NZZ am Sonntag 16.12.2018

Demonstranten gegen SVP bleiben straffrei

Die Staatsanwaltschaft stellt die Strafverfahren gegen vier Personen ein, die 2015 einen SVP-Anlass im Zürcher Hauptbahnhof gestört haben.

von Lukas Häuptli

Es war ein Novum in der langen Geschichte des Zürcher Hauptbahnhofs: Zum ersten Mal hatten die SBB einer Partei erlaubt, in der grossen Bahnhofshalle eine Wahlkampfveranstaltung durchzuführen. Und so traten am 30. Juli 2015 der damalige SVP-Präsident Toni Brunner sowie die SVP-Nationalratsmitglieder Albert Rösti, Roger Köppel und Nathalie Rickli inmitten von Tausenden Pendlern auf.
Bald aber störten rund vierzig Linke und Linksautonome den Anlass. Sie beschimpften die SVP-Exponenten und bewarfen sie mit Nebelpetarden. Auch wurde eine Besucherin von einem unbekannten Gegenstand im Gesicht getroffen. Schliesslich nahm die Kantonspolizei fünf Personen im Alter zwischen zwanzig und dreissig Jahren fest.
Jetzt steht fest, dass vier dieser fünf straffrei bleiben. «Ich stelle die Strafverfahren gegen diese Personen ein», sagt Daniel Kloiber, Leiter der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl. «Zwei Einstellungsverfügungen habe ich Mitte November erlassen, zwei werden in den nächsten Wochen folgen.»
Polizei und Staatsanwaltschaft hatten gegen die vier Personen wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch ermittelt. «Wir haben sowohl umfangreiches Videomaterial der SBB als auch die Handys der Beschuldigten ausgewertet», sagt Daniel Kloiber. Von den vier habe es aber keine Videoaufnahmen gegeben. «Deshalb liess sich nicht beweisen, dass die Betroffenen tatsächlich an der Demonstration teilgenommen hatten.»
Anders verhält es sich beim fünften Beschuldigten. Von ihm existieren Videoaufnahmen. «Deshalb werde ich gegen ihn wahrscheinlich einen Strafbefehl wegen Landfriedensbruchs erlassen», sagt Kloiber. Wenn der Beschuldigte diesen nicht akzeptiert, kommt der Fall vor Gericht.
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/demonstranten-gegen-svp-bleiben-straffrei-ld.1445162)

+++SPORTREPRESSION
Heftige Ausschreitungen nach GC-Niederlage in Thun
Nachdem die Grasshoppers 0:1 gegen den FC Thun verloren haben, gerieten Fans und Polizei aneinander. Die Konfrontation eskalierte komplett.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/heftige-ausschreitungen-nach-gc-niederlage-in-thun-133856108
-> https://www.police.be.ch/police/de/index/medien/medien.meldungNeu.html/police/de/meldungen/police/news/2018/12/20181216_1311_thun_massive_ausschreitungennachfussballspiel
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/170236/
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/thun/krieg-am-thuner-bahnhof/story/24518121
-> https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/GC-Anhaenger-randalieren-am-Thuner-Bahnhof-18080612
-> https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/GC-Anhaenger-randalieren-am-Thuner-Bahnhof-26787718
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/170229/
-> https://www.neo1.ch/news/news/newsansicht/datum/2018/12/16/massive-ausschreitungen-nach-fussballspiel.html

+++ANTIFA
NZZ am Sonntag 16.12.2018

Gölä und Trauffer beschwören eine heile Heimat für Bünzli

Die beiden Schweizer Musikstars besingen eine Schweiz, die es nie gab, und flirten mit der SVP. Aus dem Soundtrack der Rebellion ist blosse Anbiederung geworden.

von Manfred Papst

Dreimal hat der singende Bauarbeiter Marco Pfeuti alias Gölä Anfang Dezember das Zürcher Hallenstadion gefüllt. 37 500 Leute sahen die Konzerte zum Karrierejubiläum des 50-Jährigen und bejubelten Gassenhauer wie «Schwan», «I hätt no viu blöder ta» und «I ha di gärn». Gäste von Bonnie Tyler über Krokus bis zu Trauffer standen mit Gölä auf der Bühne.

Nach dem sensationellen Erfolg seines Debütalbums «Uf u dervo» (1998) und einigen Jahren, in denen er sich erfolglos bemühte, englisch zu singen, ist Gölä wieder «bi de Lüt», und er volkstümelt mehr denn je: Statt Lederjacke trägt er Tracht, seine alten Hits hat er neu mit Jodlerchören eingesungen.

Inzwischen passt er besser in den «Musikantenstadl» als sonst wohin. Daran ist zunächst nichts Falsches. Wer diese Art von Musik mag, soll mit ihr glücklich werden. Banalität und Kitsch sind nicht verboten, Mitgrölen hat seinen Platz in der liberalen Gesellschaft.

Ärgerlich wird es da, wo Vorurteile und Ressentiments ins Spiel kommen. Den Klimawandel hält Gölä für ein Märchen, Waffenbesitz für alle «anständigen Bürger» findet er gut, und der Satz «Wenn irgendwo eingebrochen wird, ist es halt meistens ein Jugo», stammt auch von ihm. Solche Sprüche sind bei Gölä nicht neu.

Schon 2008 hat er im Gespräch mit der «NZZ am Sonntag» gegen «die Linken mit ihrer Kuschelpädagogik» gewettert, unverblümt erzählt, dass er seine Kinder prügle, wenn sie nicht recht täten, und dazu aufgefordert, Vergewaltiger an den nächsten Baum zu knüpfen. Er mag es gern grob, wie nicht zuletzt seine ungeschlachten Reimereien zeigen.

Gölä inszeniert sich als Büezer, der er längst nicht mehr ist, und tritt dabei rücksichtslos gegen unten. Überall wittert er Faulheit und Schmarotzertum. Von Scheininvaliden und kiffenden Studenten sieht er sich umzingelt.

Die «Penner vor dem Denner» nerven ihn. «Ig, wo chrampfä, mir wärchä si z leid, und de fuule Arschbacke wird mi Chole heregleit»: Das sind, mit Verlaub, bornierte Sprüche. Wir dürfen als aufgeklärte Gesellschaft Grundwerte wie Toleranz und Hilfsbereitschaft nicht verraten, weil Einzelne sie missbrauchen.

Aber der SVP gefällt Göläs Haltung natürlich. Altnationalrat Hansruedi Wandfluh hat den Barden bekniet, 2019 für den Nationalrat zu kandidieren. Er hat sich Bedenkzeit ausbedungen und schliesslich «schweren Herzens» abgesagt, sich aber für die ehrenvolle Anfrage bedankt.

Die Volkspartei hat sich mit dieser Anfrage einmal mehr blamiert. Sie hat bewiesen, dass es ihr einzig um Populismus geht und dass Fachkompetenz und Anstand ihr schnurzegal sind. Sie dachte einfach, ein Polterer wie Gölä sei gut fürs Geschäft. Vermutlich würde sie am liebsten Chris von Rohr zum Bundesrichter machen.

Ein politisch weniger brisanter, aber nicht weniger interessanter Fall ist der 1979 in Brienz geborene Mundart-Popsänger Trauffer. Hauptberuflich führt er die Holzspielwarenfabrik seiner Eltern und Grosseltern, die für ihre Schweizer Kühe weltberühmt ist. Bekannt wurde er in den nuller Jahren als Sänger der Band Airbäg.

2008 lancierte er mit dem Album «Pallanza» seine Solokrarriere, nachdem er eine schmerzvolle Scheidung und Lebenskrise überwunden hatte. Seither präsentiert er sich als Sonnyboy und Liebling der Boulevardmedien, die übrigens auch Gölä unermüdlich zu bedienen weiss, obwohl er scheinheilig sagt, der «Promi-Scheiss» interessiere ihn nicht.
Eingängig und belanglos

Trauffers Musik ist nicht direkt politisch, doch sie präsentiert eine heile Welt, die als Projektionsfläche für ein vorwiegend städtisches Publikum dient. Der gewiefte Unternehmer tut gern so, als käme er gerade barfuss von der Alp ins Zürcher Hallenstadion und als wartete er jeden Tag sehnsüchtig am Gartenzaun auf den Pöstler. Seine Musik ist so eingängig wie belanglos. Da gibt es keine Ecken und Kanten.

Trauffer macht zwar gern einen auf lüpfig, aber mit Rock hat sein Schaffen nichts zu tun. Er ist auf seine Weise eine so widersprüchliche Figur wie weiland der deutsche Schlagerstar Peter Maffay, der auch immer gern ein Rocker sein wollte und nie einer wurde. Idealisierung, Idyllisierung, Affirmation: Auch damit könnten wir leben. Wenn wir Trauffer seinen Gestus denn glauben würden. Gegen Naivität ist nichts einzuwenden.

«Leben und leben lassen», sagen wir auch hier. Doch wir haben Grund, in Trauffers Beschwörung der Vergangenheit Berechnung, ja sogar Zynismus zu vermuten. Von Authentizität finden wir keine Spur. Als «Rechtsröcklein light» hat Autor Bänz Friedli diese Musik einmal trefflich glossiert. Wir wagen die Behauptung: Trauffer vertritt Werte, an die er selber nicht wirklich glaubt. Er verschaukelt sein Publikum. Mag es sich verführen lassen! Aber wir müssen nicht dabei sein.

Rock von rechts ist kein neues und kein Schweizer Phänomen. Teile der US-Musikindustrie, namentlich die Country-Hochburg Nashville, sind in weiten Teilen seit Jahrzehnten erzreaktionär. Der Rockgitarrist Ted Nugent ist Vorstandsmitglied der National Rifle Association.

Und in Deutschland gibt es nicht nur die harte Neonazi-Szene mit ihrem unerträglichen Gebrüll, sondern auch am rechten Rand des Mainstreams agierende Bands wie die Bösen Onkelz aus der Ex-DDR und wie Rammstein, die sich zwar nicht auf explizite Nazi-Positionen festlegen lassen, aber rechtsextreme Fans an ihren Konzerten dulden, mehr noch: sie einkalkulieren und ihre Erwartungen bedienen. Dass es auch anders geht, haben die Toten Hosen immer wieder bewiesen. Sie haben an ihren grossen Konzerten Aufpasser, die Besucher mit Nazi-Emblemen sofort aus der Halle weisen.

Mit solchen Auswüchsen hat die Schweizer Szene zum Glück nichts zu tun. Trotzdem gibt es zu denken, wie der Mundartrock in den letzten Jahren seine Sprengkraft verloren hat und, zumindest was seine erfolgreichsten Vertreter betrifft, ins Spiessbürgerliche abgerutscht ist. Während Jahrzehnten wurde er geprägt von Formationen wie Züri West mit Kuno Lauener, Patent Ochsner mit Büne Huber und Stiller Has mit Endo Anaconda.

Diese Bands waren engagiert, auch wenn sie nicht direkt in die Tagespolitik eingriffen. Sie standen – und stehen – für eine innovative, weltoffene, neugierige Schweiz. Sie erlaubten sich, ihr Land zu kritisieren und zu karikieren, etwa in Anacondas Hauswart Hene, nicht, um es schlechtzumachen, sondern um es voranzubringen. Kritische Köpfe waren da am Werk. Sie streuten Sand ins Getriebe des saturierten Establishments. Das war ein wichtiges Korrektiv.
Künstliche Landliebe

Leute wie Gölä und Trauffer bauen eine Kulissenwelt vor uns auf. Sie erinnern damit an die Wiener Welt der Fiaker und der Heurigen-Gemütlichkeit im ausgehenden 19. Jahrhundert. Diese entstand just dann, als die Metropole explosionsartig wuchs und die Stadtbahn die Quartiere vernetzte.

Die Welt der Kutschen und Beiseln war schon damals ein Fake, und sie ist es bis heute; genauso wie der Schweizer Volksrock. Er spielt uns etwas vor. Ob er auf Landliebe und Idylle macht wie bei Trauffer oder dahertrampelt wie bei Gölä: Er ist ein Teil der Gegenaufklärung, also der Volksverdummung.

Kunst hat unter anderem die Aufgabe, Gegenwelten zu entwerfen. Wir sollen uns, mit Ernst Bloch zu sprechen, nicht mit dem schlecht Vorhandenen zufriedengeben. Wir sollen aufwachen, wenn unsere Träume schlecht sind. Und wir sollen kritisch hinschauen und hinhören, wenn ein Sänger wie der Österreicher Andreas Gabalier immer wieder rechts aussen am Rand des politischen Spektrums zeuselt und es dann nicht gewesen sein will.

Es nützt nichts, den Zeiten nachzutrauern, als die Rockmusik auch hierzulande noch eine innovative Kraft war. Wir leben in zugleich hedonistischen und mutlosen Zeiten. Gleichwohl müssen und dürfen wir uns nicht damit zufriedengeben, dass der Sound, der seit den späten 1950er Jahren als Befreiung vom kleinbürgerlichen Mief aus den USA und England zu uns kam, von Kreisen vereinnahmt wird, die es exakt in die Enge von damals zurückdrängt.
(https://nzzas.nzz.ch/kultur/goelae-und-trauffer-beschwoeren-eine-heile-heimat-fuer-buenzli-ld.1444995)