+++SCHWEIZ
Sarah Ineichen wurde der Mutter gestohlen: «Meine Adoption ist ein riesiger Betrug»
Sarah Ineichen kam durch eine illegale Adoption in die Schweiz. Jetzt hilft sie Müttern in Sri Lanka, deren Kinder gestohlen wurden. Und kämpft dafür, dass die Hintergründe des Babyhandels aufgearbeitet werden.
https://www.limmattalerzeitung.ch/leben/leben/sarah-ineichen-wurde-der-mutter-gestohlen-meine-adoption-ist-ein-riesiger-betrug-133543716
Das Rettungsschiff «Aquarius» soll unter Schweizer Flagge fahren
Prominente Persönlichkeiten wie Alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey fordern den Bundesrat auf, die Krise um das Flüchtlingsschiff «Aquarius» zu beenden. Druck kommt auch aus dem Parlament.
https://www.nzz.ch/schweiz/fluechtlingsschiff-aquarius-soll-unter-schweizer-flagge-fahren-ld.1425946
-> https://www.blick.ch/news/politik/promi-allianz-appelliert-an-bundesrat-aquarius-soll-unter-schweizer-flagge-fluechtlinge-retten-id8946695.html
-> https://act.campax.org/petitions/schweizer-flagge-fur-das-hilfsschiff-aquarius?bucket=campaxblast&source=twitter-share-button
+++ITALIEN
Italien will deutsche Dublin-Abschiebungen verhindern
Die deutsche Regierung bereitet zwei Charterflüge mit Dublin-Abschiebungen nach Italien im Oktober vor. Der erste Abschiebflug soll am 09.10.2018 stattfinden. Der italienische Innenminister kündigt an, dass er für Abschiebeflüge aus Deutschland oder von Brüssel organisiert die italienischen Flughäfen sperren lassen wird: Es werde keine Landeerlaubnis geben.
https://ffm-online.org/italien-will-deutsche-dublin-abschiebungen-verhindern/
-> https://www.br.de/nachrichten/bayern/bayern-plant-offenbar-abschiebeflug-nach-italien-salvini-droht,R5md0xs
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/asylpolitik-italien-matteo-salvini-abschiebung-fluechtlinge
-> https://www.welt.de/regionales/bayern/article181788690/Bayern-soll-eigene-Sammelabschiebung-nach-Italien-planen.html
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NZZ am Sonntag 07.10.2018
Dieser gute Mensch aus Kalabrien ist der Gegenspieler von Italiens fremdenfeindlichem Innenminister
Im süditalienischen Riace wird der Gemeindepräsident verhaftet. Sein Herz für Migranten ist Innenminister Salvini ein Dorn im Auge.
von Marc Zollinger, Rom
Die beiden sind sich noch nie begegnet. Doch sie könnten ein gutes Paar abgeben. Und zwar für einen dieser unterhaltsamen Spaghettiwestern aus alten Zeiten, in denen der Gute vom Bösen zum Duell herausgefordert wird.
Matteo Salvini hat den Gemeindepräsidenten des kalabresischen Dorfes Riace einmal als «totale Null» verhöhnt. Domenico Lucano wiederum beschrieb Italiens fremdenfeindlichen Innenminister als «Mann mit gewissen Schwächen». Er habe keine Angst vor ihm, sein Gedankengut aber terrorisiere ihn, auch weil es von einem Grossteil der Bevölkerung enthusiastisch geteilt werde. Er sei jedoch bereit, für die Schwachen und Unterdrückten zu kämpfen, auch mit zivilem Ungehorsam.
Es scheint, als ob der starke Innenminister, der bisher nichts zu befürchten hatte, plötzlich einen ernstzunehmenden Gegenspieler bekommen hätte. Darauf lässt die Justizposse schliessen, die sich in dieser Woche in Italien abgespielt hat.
Der Gemeindepräsident des 2300-Seelen-Dorfes in Kalabrien wurde verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Salvini beteuerte zwar im Parlament, er habe nichts damit zu tun. Das habe die Staatsanwaltschaft von Locri veranlasst. Doch niemand zweifelt ernsthaft, dass es der Mann der neuen Rechten war, der insgeheim die Fäden zog.
Domenico Lucano hat schon vor längerer Zeit den Status einer internationalen Berühmtheit erlangt. Zahlreiche Reportagen sind über sein Dorf geschrieben worden. Der Papst und der Regisseur Wim Wenders bewundern ihn.
Dresden hat ihm den Friedenspreis verliehen. Die amerikanische Zeitschrift «Fortune» erkor Lucano in den Kreis der fünfzig wichtigsten Personen, «die die Welt verändern». Denn «Mimmo», wie ihn alle nennen, hatte in der schwierigen Debatte um die nach Europa flüchtenden Menschen eine überraschende Alternative angeboten: Was gemeinhin als Problem gilt, kann auch eine Chance sein. Warum eigentlich nicht?
Flüchtlinge als Chance
Mimmos Mission begann vor zwanzig Jahren. Damals strandete ein Schiff mit Kurs auf Griechenland an der Küste bei Riace. An Bord waren rund 200 Kurdinnen und Kurden aus Irak, Syrien und der Türkei. Riace nahm ein Dutzend von ihnen auf, und Mimmo hatte eine Idee: Er wollte sein Dorf zu einem Empfangszentrum machen, das Gestrandete mit offenen Armen aufnimmt; aber nicht nur, um den Flüchtlingen zu helfen, sondern auch den Einheimischen.
Denn Riace war damals fast ausgestorben, wie es so viele italienische Dörfer heute noch sind. Dafür musste Lucano zuerst aber Gemeindepräsident werden, was 2004 geschah, und einen Verein gründen; die «Città Futura», Stadt der Zukunft.
Mimmos Modell gedieh, und Riace erwachte zu neuem Leben. Die neuen Einwohner renovierten Häuser, brachten verwilderte Olivenhaine in Form, töpferten, Bars und Restaurants wurden eröffnet. Viele zogen weiter, neue kamen. Riace wurde zu einem lebhaften Hafen, zu einem internationalen Symbol für gelungene Integration, das viele zu ähnlichen Aktionen inspirierte.
Als im Mai aber Matteo Salvinis rechtspopulistische Lega mit der Protestbewegung Cinque Stelle an die Macht kam, drehte der Wind.
Es wurde eine juristische Untersuchung gegen den Gemeindepräsidenten eingeleitet. Ziel war, Delikte zu finden, die das Idol der «Buonisti», der Gutmenschen, schlecht aussehen lassen. Irgendeinen Dreck – das weiss man in diesem Land – kann man an jedem Stiefel finden.
Auch wenn es schliesslich kaum mehr als ein Klümpchen war, entschied die zuständige Präfektur von Locri diese Woche, Lucano unter Hausarrest zu stellen. Umgehend verkündete Salvini auf Facebook: «Wer weiss, was jetzt Saviano und alle anderen Buonisti sagen, die Italien wieder mit Migranten füllen wollen?»
Tatsächlich gab es dann auch in den sozialen Netzwerken viel Empörung, in einigen Städten wurden spontane Demonstrationen durchgeführt, und Salvinis Intimfeind Roberto Saviano meldete sich zu Wort: Mit der Verhaftung beweise die Regierung, dass sie daran sei, sich von einer Demokratie in einen autokratischen Staat zu verwandeln, sagte der Anti-Mafia-Autor in einer Videonachricht und doppelte später in einem längeren Artikel in der «Repubblica» nach: Salvini mache glauben, dass das Italiens Problem die Immigranten seien. Und das von Kalabrien sei Mimmo Lucano – «und wir Dummköpfe dachten, es sei der Drogenhandel».
Der Fall Mimmo kehrte für einmal Italiens öffentliche Meinung um. Plötzlich blieben die rechten Wutbürger mehr oder weniger still. All jene, die in den letzten Monaten so ungehemmt gegen die Überfremdung Italiens poltern konnten. Die offensichtliche Ungerechtigkeit, die dem braven Gemeindepräsidenten zuteil geworden war, lockte dafür die anderen aus ihren Schützengräben: die jungen Wilden und die alte Garde. Es gab viel Sympathiebezeugungen, und plötzlich hörte man wieder Wörter aus vergangenen Zeiten, «Resistenza» etwa, Widerstand!
Dass es sich bei der Verhaftung um eine Farce handelt, zeigt der Umstand, dass sich bereits vor dem Verhör Lucanos der schwerste Vorwurf aufgelöst hatte: Die Staatsanwaltschaft hielt fest, dass sich der Gemeindepräsident nicht persönlich bereichert habe, indem er die für die Flüchtlinge vorgesehenen staatlichen Beiträge in die eigene Tasche steckte.
Auch der Vorwurf, Lucano habe bei der Schliessung von Scheinehen mitgeholfen, liess sich nicht halten. Ebenso fragwürdig ist, ob er bei der Vergabe von Aufträgen für die Abfallentsorgung gemauschelt hat. «Wie bitte?», sagte er vor den nach Locri geströmten Medienleuten. «Ich habe versucht, in einem von der Abfallmafia kontrollierten Gebiet mit verseuchten Meeren etwas Sauberes aufzubauen. Und jetzt muss ich dafür bezahlen?»
Vergehen: zu menschlich
Nach jedem Tag, an dem Mimmo verhört worden war, trat er noch selbstbewusster vor die Journalisten. Er habe nichts zu verstecken, nichts zu verheimlichen. Ihm werde vorgeworfen, Regeln missachtet zu haben. Dabei heisse es in der Verfassung ganz zuerst, dass die Menschenwürde zu schützen sei. «Das haben sogar die Richter zugeben müssen», sagte er. «Mein Vergehen ist, dass ich zu menschlich bin.» Vielleicht ist das Einzige, was man dem Südländer tatsächlich vorwerfen kann, dass er die Angelegenheit womöglich etwas zu ernst nahm.
Humor war von den Juristen schon gar nicht zu erwarten. Diese liessen das verlauten, was ausführende Gewalten gerne tun. «Wir machen nur unsere Arbeit», sagte Staatsanwalt Luigi D’Alessio. Schliesslich gelte es, das Gesetz zu respektieren. Geht es um die Zuwanderung, ist dieses tatsächlich sehr restriktiv: Zuwanderer müssen in Italien einen Arbeitsvertrag vorweisen können, um aufgenommen zu werden. Zum Modell von Riace gehörte, dass die Gemeinde solche Verträge ausstellen konnte. Doch in der letzten Zeit wurde das immer schwieriger.
Die Verhaftung hat Mimmo Lucano gewiss mehr genützt als geschadet. Er ist als starker Mann daraus hervorgegangen, auch wenn ihn die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich stark zusetzten und er ziemlich müde vor die Kameras trat.
Die Unterstützung für den Buonista aus Riace ist gross. Journalisten schickten diese Woche sogar einen offenen Brief nach Stockholm, in dem sie den Gemeindepräsidenten für den Friedensnobelpreis vorschlugen. Gestern Samstag sind zahlreiche Sympathisanten nach Riace geströmt, um für Mimmo und sein Modell zu demonstrieren.
Dennoch darf sich auch der grosse Widersacher in der ersten Folge unseres Spaghettiwestern als Sieger fühlen: Innenminister Salvini. Leute von Lucanos Kaliber scheint es im Lande nicht viele zu geben. Allen anderen wurde nun gezeigt, wie einfach man in die Mühlen der Justiz kommen kann, gerade wenn man es nur gut meint.
(https://nzzas.nzz.ch/international/die-gutmenschen-aus-kalabrien-ld.1426300)
+++DROGENPOLITIK
Lieber Koks als das billige Imitat: Ostschweizer sind zu reich für Crystal Meth
Die synthetische Droge Crystal Meth breitete sich in letzter Zeit in Deutschland wie in der Westschweiz aus. In der Ostschweiz gibt es Szenen wie aus «Breaking Bad» aber weiterhin nur am Fernsehen.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ostschweizer-sind-zu-reich-fuer-crystal-meth-ld.1059534
+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
NZZ am Sonntag 07.10.2018
Fragwürdige Visa-Praktiken: Eine Vietnamesin muss private Chat-Auszüge vorweisen
Wer in einem Drittstaat ein Visum für die Schweiz beantragt, muss mit Eingriffen in die Privatsphäre rechnen. Das zeigt ein Fall aus Vietnam.
von Laurina Waltersperger
Was wollen die noch, fragt sich Hoa. Die Vietnamesin steht in einem Visa-Center in Hanoi. Sie ist 1000 Kilometer angereist. Hoa möchte ihren Freund in der Schweiz besuchen. Sie übergibt die Antragspapiere und einige Fotos dem Schalterangestellten. Die Bilder zeigen Hoa mit ihrem Freund David, Arm in Arm. «Das reicht nicht aus», sagt dieser.
Die Fotos bezeugten nicht ausreichend, dass Hoa und David ein Paar seien. So lautet das Urteil des externen Visa-Centers, das die Anträge im Auftrag des Schweizer Konsulats annimmt. Hoa soll Auszüge des täglichen Chat-Austausches auf dem Handy vorlegen.
Hoa hat nur diese eine Chance auf ein Visum. Also geht sie und kopiert die Kuss-Zeichen und süssen Worte, die sie täglich mit David austauscht, auf Papier und händigt sie am Schalter aus.
Sie habe sich ausgeliefert gefühlt, sagt David. Als Hoa ihn danach anrief, war es in der Schweiz drei Uhr nachts. Beide sind schockiert ob der Methoden. Ein solcher Eingriff in die Privatsphäre für ein Visum von 30 Tagen sei absurd und menschenunwürdig, sagt David.
Migrationsrechtler beobachten beim Visaverfahren in Drittstaaten immer häufiger fragwürdige Methoden. Der Visaandrang ist gross: 2017 beantragten 590 000 Personen ein Visum für die Schweiz. Das ist so viel wie noch nie.
Inakzeptable Forderungen
«Die Methoden in Hanoi sind übergriffig und unverhältnismässig», sagt der Migrationsrechts-Experte Marc Spescha. Antragsteller aus Drittstaaten, das heisst aus Ländern ausserhalb des Schengen- und Efta-Raums, können auf Einladung einer in der Schweiz lebenden Person ein Besuchervisum beantragen. Jeder Antragsteller unterliege der Mitwirkungspflicht, sagt Spescha. Das bedeute, dass der Antragsteller die Beziehung zur einladenden Person plausibel darlegen müsse. Methoden wie in Hanoi seien jedoch inakzeptabel.
Das findet auch der Zürcher Migrationsrechtler Babak Fargahi. Er berät Antragsteller aus Drittstaaten und beobachtet, dass bei Paaren die Visaanträge des ausländischen Partners oftmals abgelehnt werden. Er habe etliche solche Fälle aus Kuba, Russland, Weissrussland oder Thailand gesehen.
Der Grund ist stets der gleiche: «Die Behörden befürchten, dass die Personen die Schweiz nicht mehr verlassen.» Handle es sich nicht um reiche Touristen, falle die Risikoanalyse der Schweizer Behörden meist negativ aus, stellen Fargahi und weitere Rechtsexperten fest. Die Schweiz fahre eine restriktive Migrationspolitik
Antragsteller wie Hoa haben schlechte Karten. Die Visapraxis falle in der Regel nicht unter grundrechtliche Schutzbestimmungen, sagt Peter Uebersax, Professor für öffentliches Recht an der Universität Basel. «Damit sind Antragsteller aus Drittstaaten oft dem Ermessen der Behörde ausgeliefert.» Werden Visaabsagen rechtlich angefochten, entscheide letztlich das Bundesverwaltungsgericht. Dort fielen viele Entscheide negativ aus, meist wegen der reinen Prognose, dass der Antragsteller die Schweiz nicht mehr verlassen könnte.
Von den 520 000 Schengen-Gesuchen 2017 entfallen viele auf Touristen aus Indien und aus China (siehe Box). Es seien acht Prozent der Anträge abgewiesen worden, heisst es beim Staatssekretariat für Migration. Die Quote sei jedoch irreführend, sagt Fargahi. Denn viele reiche Touristen kämen über Touristenorganisationen ihres Heimatlandes in die Schweiz. Diese arbeiteten mit den Schweizer Tourismusorganisationen und Behörden zusammen.
Zum Vorfall in Hanoi schreibt das eidgenössische Amt für auswärtige Angelegenheiten (EDA), bei der Einreise oder im Visumverfahren könnten ergänzende Informationen verlangt werden. In Hanoi sei «ein Fehler bei der Entgegennahme der Unterlagen aufgetreten». Man könne nicht weiter Stellung nehmen, zum «Schutz persönlicher Daten». Angesichts des hohen Antragsvolumens könnten einzelne Fehler nicht ausgeschlossen werden.
Dritte prüfen für Schweiz
Das Antragsvolumen bewältigen an 58 Standorten externe Dienstleister für die Schweiz: Vier von fünf Schengen-Anträgen gehen dort oder online ein. Seit 2013 setzt das EDA die luxemburgische Firma TLS Contact und Kuoni-Tochter VFS in jenen Ländern ein, die jährlich mehr als 2500 Anträge zählen.
Juristen kritisieren diese Praxis: «Das Auslagern von staatlichen Aufgaben ist grundsätzlich problematisch», sagt Uebersax. Externe Dienstleister würden oft nicht zureichend instruiert und überwacht. Diese Situation erschwere es Betroffenen, sich zu wehren. Es gebe regelmässige Kontrollen, teilt das EDA mit. In Vietnam wechselte das Amt diesen Monat von TLS Contact zu VFS, nachdem der Vertrag mit TLS Contact ausgelaufen sei.
Weder TLS Contact noch das Schweizer Konsulat antworteten auf Hoas und Davids Beschwerde. Doch Hoa erhielt das Visum. Vom Spiessrutenlauf bei den Behörden hatten ihr viele gescheiterte Landsleute abgeraten. Sie kennt bisher niemanden, der ein Schengen-Visum erhalten hätte.
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Rekord bei Visaanträgen
Die Schweiz nahm 2017 total 590 000 Visaanträge entgegen. Das sind so viele Gesuche wie noch nie. 520 000 Begehren waren Schengen-Visa von Personen aus Drittstaaten. In knapp 480 000 dieser Fälle erteilten die Behörden das Visum. Die meisten Gesuche stammten aus Indien, es folgen Iran, China, Kosovo und Thailand. Die Ablehnungsquote betrug 2017 acht Prozent. Am häufigsten lehnten die Behörden Anträge ab, die aus Indien stammten. Auf sie folgten Gesuche aus Kosovo, Pakistan, Iran und Sri Lanka. (wal.)
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/fragwuerdige-visa-praktiken-ld.1426302)
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NZZ am Sonntag 07.10.2018
Wo straffällige Ausländer herkommen
Die Schweizer Gerichte haben letztes Jahr mehr als tausend Landesverweise gegen Ausländer ausgesprochen. Viele Verurteilte stammen aus dem Balkan – aber auch aus Nachbarländern.
von Lukas Häuptli
Die Frage erhitzt die Gemüter, seit die Ausschaffungsinitiative am 1. Oktober 2016 in Kraft getreten ist: Wie viele straffällige Ausländer, die gemäss der SVP-Initiative ausgeschafft werden müssten, werden nicht ausgeschafft, sondern können dank der sogenannten Härtefallregel weiter in der Schweiz bleiben? Die Regel soll, so steht es im Gesetz, lediglich in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen.
Im letzten Frühling veröffentlichte das Bundesamt für Statistik erste Zahlen dazu. Später korrigierte es diese, nochmals später zog es sie wieder zurück. Die Folge war ein Sturm medialer und politischer Empörung – einerseits wegen der «Verrechner vom Dienst» (wie der «Blick» die Mitarbeiter des Amtes nannte), andererseits weil die Zahlen zeigten, dass die Ausnahme eher die Regel war: Je nach Berechnung bewegte sich die Härtefall-Quote, also der Anteil der tatsächlich verhängten Landesverweisungen an allen Landesverweisungen, welche die Ausschaffungsinitiative im Grundsatz vorschreibt, zwischen 31 und 46 Prozent.
«Nationalität gewechselt»
Jetzt hat das Bundesamt für Statistik zum zweiten Mal Zahlen veröffentlicht. Diese zeigen: Die Schweizer Gerichte haben letztes Jahr gegen 1039 Ausländer eine Landesverweisung verhängt. Von diesen stammen 348 aus dem Balkan (vgl. Grafik), zum Beispiel aus Kosovo, Albanien, Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Mazedonien. Das Bundesamt verzichtet in seiner Statistik auf eine genauere Aufteilung nach Staaten, weil in den Angaben der Gerichte immer wieder «unplausible Nationalitätenwechsel» von Verurteilten auftauchten.
Daneben kommen überdurchschnittlich viele straffällige Ausländer, die 2017 zu einer Landesverweisung verurteilt wurden, aus nordafrikanischen Staaten (beispielsweise Marokko, Algerien oder Tunesien), aus Rumänien, aus Westafrika (Nigeria oder Gambia) und aus der Ex-UdSSR (Russland oder Georgien).
Bemerkenswert ist an den Zahlen: Die Schweizer Gerichte haben letztes Jahr auch gegen 279 EU-Bürger Landesverweisungen verhängt. Es ist umstritten, ob diese nicht gegen das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU verstossen. Das Abkommen sieht nämlich vor, dass eine Person nur weggewiesen werden darf, wenn sie eine «schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung» ist.
Von den Ausländern, die letztes Jahr aus der Schweiz verwiesen wurden, hatten allerdings weniger als 10 Prozent eine schwere Straftat wie ein Tötungsdelikt, eine schwere Körperverletzung oder eine Vergewaltigung begangen. Die restlichen mehr als 90 Prozent aber begingen leichte bis mittelschwere Diebstahl- und Drogendelikte. Ob diese die öffentliche Ordnung «schwer» gefährden, ist fraglich.
So hob das Zürcher Obergericht im August 2017 denn auch die Landesverweisung gegen einen 27-jährigen Deutschen wieder auf. Der Mann war vom Bezirksgericht Winterthur wegen eines sogenannten Angriffs zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt und des Landes verwiesen worden.
Das gehe nicht, urteilte das Obergericht, weil die Landesverweisung eines EU-Bürgers, der keine «schwere Gefährdung der öffentlich Ordnung» sei, gegen das Freizügigkeitsabkommen verstosse. Das Abkommen wiederum sei ein völkerrechtlicher Vertrag und gehe der Bundesverfassung und dem Bundesrecht vor. Das Urteil des Obergerichts ist allerdings noch nicht rechtskräftig; der Fall ist vor Bundesgericht hängig.
Viele Kriminaltouristen
Nur 42 der 1039 Landesverweisungen betrafen Ausländer, die hier eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung hatten und damit länger in der Schweiz lebten (vgl. Grafik). Alle anderen Wegweisungen wurden in erster Linie gegen Ausländer verhängt, die sich hier illegal aufhielten. Dazu zählen unter anderem Kriminaltouristen.
Womöglich muss das Bundesamt für Statistik ein drittes und allenfalls ein viertes Mal Zahlen zum Thema veröffentlichen. So ist noch immer nicht klar, wie hoch die politisch umstrittene Härtefall-Quote genau ist. Dabei ist unter anderem die Frage entscheidend, ob bei einer Verurteilung wegen einfachen Betrugs automatisch eine Landesverweisung ausgesprochen werden muss oder nicht.
Ebenfalls noch unklar ist, wie viele der verhängten Landesverweisungen tatsächlich vollzogen werden und wie viele nicht. «Diese Daten haben wir bis jetzt nicht ausgewertet», sagt Isabel Zoder vom Bundesamt für Statistik. Das Amt müsse diese Angaben zuerst auf Vollständigkeit, Qualität und Aussagekraft prüfen. «Das wird noch Zeit in Anspruch nehmen.»
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Ausschaffungen: Konsequenterer Vollzug gefordert
Die Ausschaffungsinitiative, ihre Umsetzung und ihre Anwendung haben eine mittlerweile mehr als zehnjährige Geschichte. 2007 begann die SVP mit der Unterschriftensammlung, 2010 nahmen die Stimmberechtigten die Initiative an, 2016 trat sie in Kraft.
Allerdings sind noch immer Vorstösse von SVP- und FDP-Parlamentariern zum Thema hängig. So hatte SVP-Nationalrat Felix Müri schon 2013 verlangt, dass der Bund eine Vollzugsstatistik zur Ausschaffung krimineller Ausländer erstellt. Das Parlament nahm seinen Vorstoss ein Jahr später an, die Statistik gibt es allerdings noch immer nicht. FDP-Ständerat Philipp Müller wiederum forderte im letzten Frühling einen konsequenteren Vollzug von Landesverweisungen. Der Ständerat nahm seine Motion letzten Monat an; jetzt muss der Nationalrat darüber befinden. (luh.)
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/wo-straffaellige-auslaender-herkommen-ld.1426305)
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/1039-ausschaffungen-im-letzten-jahr-ein-drittel-der-verurteilten-stammt-aus-dem-balkan-id8947764.html
-> https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Die-meisten-Taeter-stammen-vom-Balkan-18109995
-> https://www.toponline.ch/news/schweiz/detail/news/die-meisten-straffaelligen-auslaender-stammen-aus-dem-balkan-0097212/
+++POLIZEI CH
augenauf-Bulletin Nr. 98 Sept 2018 / megafon Nr. 436 Okt 2018
BERN: AKADEMISCH GEPRÜFTE GUMMIGESCHOSSE VOM LOKALEN WAFFENHÄNDLER
Schon im April 2016 berichtete die „Tageswoche“ über neuartige kugelförmige Gummigeschosse der Basler Polizei, die mit 44-mm-Werfern verschossen worden seien. Jahre später tauchen diese bzw. ihre länglichen Geschwister in Bern auf. Mit universitärem „Gütesiegel“.
Nach der stundenlangen Strassenschlacht zwischen Polizei und Ausgänger*innen auf der Schützenmatte vom 1. September waren sie plötzlich in aller Munde: Die länglichen, gelb-grün-schwarzen neuen Gummigeschosse, von denen eines mit einem „Smiley“ verziert war.
Schon 2017 während den mehrtägigen Auseinandersetzungen nach der Räumung des besetzten Hauses Effy29 verwendete die Berner Kantonspolizei die neuartigen Gummigeschosse (SIR 40x46mm) der Thuner Firma B&T. Diese rühmt ihr (wiederladbares) Geschoss, das aus mehr als 50m aus dem GLO6-Gewehr verschossen werden könne, für dessen Menschenfreundlichkeit: „…keine Hautpenetration, keine Rippenbrüche oder Verletzung innerer Organe (Gutachten der Universität Bern).“
Ballerspiele im universitären Elfenbeinturm
Dieses „Gutachten der Universität Bern“ stammt offenbar von der Abteilung „Forensische Physik und Ballistik“ des Instituts für Rechtsmedizin (IRM). Im IRM-Jahresbericht 2017 (S. 25) wird berichtet:
„Erneuerung der Mehrzweckwerfer der Schweizer Polizeikorps – Zusätzlich zu der regelmässigen Teilnahme des IRM an den Sitzungen der Kommission Polizei Technik und Informatik, hat die Forensische Physik und Ballistik in der Arbeitsgruppe Werfersystem 40 mm (Agr WS 40mm) mitgewirkt. Die Arbeitsgruppe musste in den vergangenen Jahren die heikle Thematik der Erneuerung des heutigen Mehrzweckwerfers 73/91, der heute im Ordnungsdienst angewendet wird, behandeln. Im Rahmen der Arbeitsgruppe hat das ZFPB verschiedene Munitionssorten auf ihre Energie und ihr Verletzungspotential untersucht und die AGr WS 40 mm der PTI hat daraus entsprechende Empfehlungen während der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten angebracht.“
Das IRM befindet sich an der Bühlstrasse im Uni-Quartier Länggasse, wo die Forscher*innen an der Humanisierung von nicht-lethalen Waffen tüftelten. Zwei Strassen weiter, an der Getrud Wokerstrasse, treffen sich einmal pro Jahr die potientiellen Ziele dieser Waffen an der Anarchistischen Büchermesse. In der Mensa, die auch von IRM-Leuten benutzt wird.
Verletzungen trotz universitärem Gütesiegel
„Ein Pferdetritt ins Auge“ titelte die WoZ vom 6.9.2018 und zitierte damit das „Schweizerische Waffenmagazin“ (SWM), dass das neue Geschoss als „gelben Golfball mit angehängtem Eierbecher“ beschreibt oder eben, wie es die Thuner Herstellerfirma B&T nennt: Safe Impact Round (SIR), die sichere Aufprallpatrone. Der Aufprall, so SWM, sei wie ein „Pferdetritt“. Ob die SWM-Redaktion jemals von einem Pferd getreten wurde, ist unbekannt.
Jolanda Egger, Mediensprecherin der Kantonspolizei Bern, erklärte auf blick.ch vom 3.9.2018 die Neuanschaffung: Die 300km/h-schnellen SIR-Geschosse seien dazu da, Einzelpersonen zu stoppen, während die alten Gummischrot-Ladungen Personengruppen stoppen oder auf Distanz halten sollten.
Problem bei Gummigeschossen egal welcher Art: Weil die Mindestschussdistanz von 20m von Polizist*innen notorisch unterschritten oder Schüsse auf Kopfhöhe abgegeben werden (was die Kapo hartnäckig bestreitet), nützen auch universitäre Gutachten nicht viel. Die fatalen Folgen solcher Nah- und Kopfschüsse können auf der Facebook-Seite des autonomen Kultur- und Begegnungszentrums Reitschule begutachtet werden, auf der die Verletzungen der meist Unbeteiligten dokumentiert wurden.
Non Lethal Weapons made in Thun
Die international bestens vernetzte B&T AG entwickelte gemäss einem youtube-Werbevideo den GL-06 44mm-Werfer mit der die SIR-Gummigeschosse verschossen werden ursprünglich für die französische Polizei, die an einer Non-Lethal-Waffe für Crowd Control interessiert war. B&T belieferte auch die südafrikanische Polizei für die WM 2010. Als Zubehör gäbe es auch Ziellaser, Stroboblendlicht, Nachtsichtgeräte und anderes. Unter dem Stichwort „Lanzador B&T“ sind auf youtube einige Berichte aus den Jahren 2011 und 2012 zu sehen, in denen spanische Sicherheitskräfte die neuen Gummigeschosse loben.
In die Schlagzeilen geriet die B&T AG 2012 wegen einer umstrittenen Lieferung von Einzelteilen für die Fertigung von 30 bis 50 Scharfschützengewehren an die ukrainischen Sicherheitskräfte und 2015 wegen einer Lieferung von Scharfschützengewehren, Tränengaspetarden, Gummischrot-Granatwerfern und Rauchgaspetarden, die via Neuseeland in Kasachstan gelandet war – 2018 akzeptierte B&T die Verurteilung wegen Waffenhandel bzw. Verstosses gegen das Kriegsmaterialgesetz.
Was wieder einmal zeigt: Nicht nur die Solidarität, sondern auch der Repressionswaffen-Handel ist international. Nicht selten Made in Switzerland.
augenauf Bern
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Zum Nachlesen:
https://www.bt-ag.ch/shop/deu/accessoires-48/bt-patrone-sir-40x46mm
https://www.bt-ag.ch/shop/deu/bt-gl06/bt-werfer-gl06-kal-40mm
(IRM Bern Jahresbericht 2017, S. 25:
http://www.irm.unibe.ch/unibe/portal/fak_medizin/ber_dlb/inst_remed/content/e40047/e645710/Jahresbericht-2017-final-13.02.2018_ger.pdf)
https://tageswoche.ch/politik/gummischrot-im-ausland-geaechtet-in-basel-mittel-der-wahl/
Reitschule-Dossier-Verletzungen: https://oc.immerda.ch/index.php/s/mfWFTH34Rwk2mW2#pdfviewer
Erklärvideo B&T 2011
https://www.youtube.com/watch?v=3FvVboaCIGQ
https://de.wikipedia.org/wiki/Br%C3%BCgger_%26_Thomet
https://www.bernerzeitung.ch/region/thun2/thuner-waffenfirma-angeklagt/story/16590350
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Aus: augenauf-Bulletin Nr. 98 Sept 2018:
https://www.augenauf.ch/images/BulletinProv/Bulletin_98-Sept2018.pdf
(Wurde ebenfalls in der Reitschule-Zeitschrift megafon Nr. 436 Okt 2018 publiziert)
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Aktuellste B&T-Story:
Schweizer Präzisionswaffe gegen die Rohingya
Bund bewilligt die Lieferung von Scharfschützengewehren in indische Konfliktregion.
https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/schweizer-praezisionswaffe-gegen-die-rohingya/story/19257073
+++ANTIFA
Neue Terrorzelle? Wie gefährlich ist die rechte Szene?
Erst der Nationalsozialistische Untergrund „NSU“, dann die „Gruppe Freital“, jetzt soll sich in Sachsen die nächste rechte Terrorzelle gebildet haben. Sie soll unter dem Namen „Revolution Chemnitz“ Umsturzpläne geschmiedet haben. Ihre Angriffsziele: Ausländer, Politiker und Journalisten.
https://www1.wdr.de/daserste/presseclub/sendungen/rechte-szene-100.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/ist-sturm-34-vorlaeuferorganisation-von-revolution-chemnitz-100.html
«Asylgrund schwul»: Mörgelis freier Umgang mit einem Zitat
Christoph Mörgeli tritt heute vor allem als «Weltwoche»-Autor in Erscheinung. Als solcher hat der ehemalige SVP-Nationalrat kürzlich bei einem vier Jahre alten Text abgeschrieben, ohne dies zu deklarieren.
https://www.limmattalerzeitung.ch/schweiz/asylgrund-schwul-moergelis-freier-umgang-mit-einem-zitat-133551101