EU-Gipfel in Salzburg, Suizide in Lesbos, Altersbestimmung von Geflüchteten

Sanitäranlagen im Moria Lager in Lesbos
(Foto: MSF)

Was ist neu?    

Krieg gegen Geflüchtete: schweizer Politiker*innen wollen möglichst viele Ausschaffungen
Im schweizer Parlament forderten gleich zwei Motionen eine härtere Praxis bei Ausschaffungen. Der Ständerat nahm einstimmig eine Motion der FDP an, welche fordert, die Bestimmungen über die Ausschaffung „krimineller“ Ausländer*innen zu ändern. Mit den Änderungen soll es schwieriger werden, die Härtefallklausel anzuwenden, also konkret auf eine Ausschaffung wegen besonderen Umständen zu verzichten.
Zudem nahm der Nationalrat eine Motion der CVP an, die fordert, dass Geflüchtete, die „als Gefahr für den Staat“ eingestuft werden, auch in Staaten ausgeschafft werden können, in denen ihnen Folter droht. Bundesrätin Sommaruga beantragte, die Motionen abzulehnen und gab zu, dass Personen bereits jetzt in unsichere Herkunftsländer ausgeschafft würden. Es bestehe also kein Bedarf, die Praxis zu ändern.
Zudem reichen dem Ständerat die momentanen Verschärfungen gegen eritreische Geflüchtete immer noch nicht: Oppositionslos nahm der Ständerat eine Motion von Damian Müller (FDP) an. Er fordert damit, was bereits geschieht: Der Bund soll den Status der vorläufig aufgenommenen Eritreer*innen überprüfen und Bericht erstatten. Dabei soll er den juristischen Handlungsspielraum nutzen, um so viele vorläufige Aufnahmen wie möglich aufzuheben. Zudem soll der Bundesrat die diplomatische Präsenz in Eritrea verstärken, damit Rückführungen vollzogen werden können. Auch Philipp Müller (FDP) will möglichst viele Geflüchtete aus Eritrea ausschaffen. Die 250 bisher überprüften Fälle scheinen ihm zu wenig. Er ist der Meinung, dass alle 9500 vorläufigen Aufnahmen überprüft werden sollten.
Dass immer wieder Geflüchtete nach Ausschaffungen sogar in “sichere Herkunftsländer” in Gefahr geraten, zeigt das tragische Beispiel der Tibeterin Yangdon Chorasherpa, die nach der Ausschaffung nach Nepal in Haft geriet und fast an den desolaten Haftbedingungen starb.
Ausserdem unterhält humanrights.ch eine Liste von etlichen Fällen, in denen der Uno-Ausschuss gegen Folter CAT die schweizer Behörden für ihre Ausschaffungspraxis rügt.

 

Grenzregime: EU will noch mehr Härte gegen Migrant*innen
Diesen Mittwoch fand in Salzburg ein informeller EU-Gipfel zu den Themen „Innere Sicherheit“ und „Bekämpfung der illegalen Migration“ statt. Bei bekömmlichem Essen wie Kaiserschmarrn beschlossen die Fascho-Arschlöcher, genannt Regierungschefs, der rassistischen Europäischen Scheiss-Fascho-Union härter im Asylwesen durchzugreifen. Einerseits soll die übernationale Grenzschutzorganisation Frontex massivst aufgestockt werden. Die Mitarbeiter*innen sollen von ca. 1500 auf 10’000 erhöht werden und das Budget auf über 12 Milliarden für den Zeitraum von 2021 bis 2027 erhöht werden. Zudem soll die Frontex neu auch hoheitliche Aufgaben an den Außengrenzen übernehmen, die bislang bei den Mitgliedsstaaten liegen: die Einreise gestatten oder verweigern, Reisedokumente abstempeln oder Patrouillen an den Grenzen durchführen und Personen aufgreifen.
Ausserdem sind sich die Regierungschefs einig, dass mehr Migrant*innen inhaftiert werden sollten. So beschlossen die EU-Chefs, dass abgewiesene Asylsuchende von Vornherein mindestens 3 Monate inhaftiert werden sollten wenn Gefahr besteht, dass sie abtauchen könnten, oder falls sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit darstellen. Bisher war dies nur möglich, wenn die Gefahr bestand, dass die Person untertauchen könnte. Nebst der Erweiterung der Kriterien zur Inhaftierung, wurden auch die Kriterien für die Bestimmung der »Fluchtgefahr« erweitert. In Zukunft wird es somit noch leichter sein, Migrant*innen, welche von ihrem Recht auf Bewegungsfreiheit Gebrauch machen, einzusperren.
Als Antwort auf den EU-Gipfel findet vom 21. – 23. September der Gegengipfel „Solidarity and Safety for All“ in Wien statt. Das dreitägige Gipfeltreffen wird verschiedene Workshops, Vorträge und Raum zum Vernetzen bieten. Mehr Infos unter https://safety4all.noblogs.org/

 

Rechte Kackescheisse: Geheimdienstchef ist auf dem rechten Auge blind und wird befördert
Als aus Chemnitz die schockierenden Videos zur Hetzte gegen Migrant*innen im Netz auftauchten, bestritt Hans-Georg Maassen, der Chef des deutschen Verfassungsschutzes, die Hetze und die Echtheit der Videos. Mittlerweile krebste Maasen zurück. Er musste eingestehen, dass die Verfolgungen wirklich stattgefunden hat. Trotzdem hat er seine Machtposition genutzt, um das rassistische Lager in und um Chemnitz zu stärken. Obwohl viele seine Absetzung forderten, wurde Maasen nun befördert. Der Mann, der auf dem rechten Auge blind ist, wirkt künftig als Staatssekretär im Bundesinnenministerium. So geht das!


Institutioneller Rassismus: Flächendeckende Altersbestimmung von minderjährigen Geflüchteten
Asylgesuche von minderjährigen Geflüchteten, welche ohne Begleitung in die Schweiz kommen, werden im Vergleich zu anderen Asylgesuchen prioritär behandelt. Zudem werden die Personen in „kindergerechten Einrichtungen“ untergebracht und ihnen wird eine Vertrauensperson zur Seite gestellt. Um zu verhindern, dass sich erwachsene Geflüchtete als minderjährig ausgeben, um von dieser „prioritären Behandlung“ zu profitieren, setzt das SEM auf medizinisch-forensische Gutachten zur Altersbestimmung. Seit 2014 kommt dazu in einem Testbetrieb in Zürich die sogenannte Drei-Säulen-Methode zur Anwendung, welche nun in der gesamten Schweiz eingeführt werden soll. Doch die Drei-Säulen-Methode gilt als höchst umstritten. Bei dem Verfahren wird zuerst das Knochenalter anhand des Handgelenks und der Schlüsselbeinknochen analysiert. Weiter werden die Zähne geröntgt. Anhand des Wurzelwachstums und der Mineralisation der Zähne wird auf das Alter geschlossen. Zuletzt wird die Geschlechtsreife anhand der Entwicklung der Körperbehaarung, Brüste und Genitalien beurteilt.
Die europäische Dachorganisation der Kinderärzte, zu der auch die schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie gehört, empfiehlt, auf radiologische Altersschätzungen mittels biologischer Merkmale zu verzichten, da die Methode veraltet ist und keine eindeutigen Schlüsse über das tatsächliche Alter einer Person zulässt. Somit sei nicht auszuschliessen, dass eine minderjährige Person anhand der Drei-Säulen-Methode fälschlicherweise als erwachsen eingeschätzt werde. Zusätzlich problematisch ist, dass die Altersgutachten nicht angefochten werden können. Erst gegen den definitiven Asylentscheid kann Rekurs eingereicht werden. Bis dann ist die Person aber allenfalls schon volljährig und musste Jahre in Erwachsenenstrukturen verbringen, was eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls darstellt.

 

Was ist aufgefallen?

Kriminalisierung der Solidarität mit Geflüchteten
Das Bezirksgericht Lausanne hat die Verurteilung gegen Flavie Bettex aufgehoben, die eine Wohnung an einen abgewiesenen iranischen Asylbewerber untervermietet hatte.
Sie war wegen Verstosses gegen Artikel 116 des Ausländergesetzes – «Anstiftung zur rechtswidrigen Ein- oder Ausreise oder den rechtswidrigen Aufenthalt in der Schweiz» – verurteilt worden. Der Fall von Flavie Bettex ist nicht einzigartig. Insbesondere in der Schweiz wurden in letzter Zeit mehrere Fälle publik, in denen Menschen aufgrund ihrer Solidarität mit Migrant*innen bestraft wurden. Statistiken zeigen, dass im vergangenen Jahr fast 800 Personen aufgrund eines Verstosses gegen Artikel 116 des Ausländergesetzes bestraft wurden. Viele von ihnen bezahlten Bussen, ohne Rekurs einzulegen.

 

Seenotrettung: Geflüchtete stecken immer noch in Malta fest
Einmal mehr verweigern die italienischen Behörden Hilfe an in Seenot geratene Geflüchtete. Die über 80 Geflüchteten, die sich 9 Stunden in einem Schlauchboot in Seenot befanden, wurden schliesslich von der sogenannten libyschen Küstenwache in das Bürgerkriegsland zurück geschleppt.
Derweil sitzen in Malta und Italien hunderte Geflüchtete fest: Mehrere EU-Staaten hatten diesen Sommer über 320 Zusagen gesprochen, aus Seenot gerettete Geflüchtete aufzunehmen. Nun weigern sich die EU-Staaten (ausser Frankreich) entgegen der gemachten Zusagen, die Geflüchteten aufzunehmen.

 

Was nun?

Solidarität mit den Menschen in Moria und allen Geflüchteten
Die Strategie, Flüchtende auf den griechischen Inseln zu sammeln, hat dazu geführt, dass mehr als 9.000 Menschen auf unbestimmte Zeit im Camp in Moria feststecken, das nur für 3.100 Menschen ausgelegt ist. 80 Personen müssen sich eine Toilette oder Dusche teilen, die Kanalisationen sind völlig überlastet. Die aus den beschädigten Sanitäranlagen strömenden Fäkalien und die unkontrollierbaren Abfallmengen sind stark gesundheitsgefährdend. Das völlig überfüllte Lager in Moria bietet den meist durch Krieg und Gewalt Traumatisierten keinerlei Schutz und belastet diese im Gegenteil psychisch und physisch noch mehr. Fast ein Viertel der Kinder und Jugendlichen, mit denen Mitarbeiter*innen der internationalen Hilfsorganisation in diesem Frühjahr Therapiegespräche führten, hatten daran gedacht oder versucht, sich umzubringen oder verletzten sich selbst.
Ärzte ohne Grenzen fordert, dass alle Kinder und andere besonders verletzliche Menschen umgehend aus dem Lager in Moria auf Lesbos in Sicherheit gebracht werden. Sie müssen in Unterkünfte auf dem griechischen Festland und in andere Staaten der Europäischen Union verlegt werden. Die griechische Regierung verweist auf mangelnde Kapazitäten. Manche der Flüchtenden in Moria warten bereits über zwei Jahre auf ihren Bescheid.
Es wäre gut, wenn auch von hier aus Druck auf die griechische Regierung (und die Botschaft) ausgeübt würde. Doch auch wenn es äusserst wichtig ist, dass die Menschen in Moria in ‘bessere’ Lager gebracht werden, sollten wir gegen Lagerpolitik als solche kämpfen.

 

Lagerpolitik: Wer wehrt sich gegen den Ausbau des Bundesasyllagers in Kappelen?
Um in Kappelen nicht bis anhin 160 sondern künftig 270 geflüchtete Menschen zu isolieren, planen die Behörden einen Ausbau des bestehenden Bundeslagers. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat den Gemeinden Kappelen und Lyss sowie dem Kanton Bern die Projektunterlagen zur Stellungnahme geschickt. Auch die ansässige Bevölkerung kann am Verfahren mitwirken und versuchen, das rassistische Bauvorhaben durch Einsprachen zu stoppen. Öffentlich aufgelegt sind die Pläne in Kappelen zwischen 18. September und 18. Oktober.

 

Was steht an?

Antira-Cup Aarau Sanierungsfest  | SAMSTAG, 6. OKTOBER 2018
https://barrikade.info/Antira-Cup-Aarau-Sanierungsfest-1429

#Neue Schweiz | SAMSTAG, 22. SEPTEMBER 2018
Postmigrantisches Forum 10-18 Uhr
Late Night Show und Afterparty 20:30-Open End
Aula Progr/Turnhalle, Bern
https://ines.rokfor.ch/asset/149/914/INES_Broschu__re_D_korr.pdf

 

Wo gab’s Widerstand?

Antirassistischer Erfolg: «Agassiz-Platz» in Neuenburg wird umbenannt
Nach Jahren des Widerstands hat es das Komitee „Demontrer Louis Agassiz“ geschafft, dass in Neuenburg ein Platz umbenannt wird, der zur Ehrung des Rassisten Louis Agassiz dessen Namen trägt. Ab 2019 wird der Platz nach der Neuenburger Politikerin Tilo Frey benannt. Frey wurde 1969 als erste Frau in den neuenburgischen Grossen Rat gewählt. Dort setzte sie sich für Lohngleichheit und die Entkriminalisierung der Abtreibung ein. 1971 wurde sie als erste Schwarze Frau in den Nationalrat gewählt.
Louis Agassiz war ein Wissenschaftler und Rassist. Seine Eiszeittheorie erregte im 19. Jahrhundert weltweites Aufsehen. Doch Agassiz interessierte sich leider nicht nur für Gletscher. Für ihn waren Schwarze Menschen «verderbte und entartete Rassen». Um dies zu beweisen, liess er Sklaven nackt fotografieren und vermessen. Agassiz kritisierte auch die Abschaffung der Sklaverei forderte Ghettos für die schwarze Bevölkerung.
Zu Ehren dieses Rassisten ist in den berner Alpen noch immer ein Berg nach ihm benannt. Und der schweizerische Alpenclub (SAC) will Agassiz nicht von der Liste seiner Ehrenmitglieder streichen.

 

Mittelmeer: Mare liberum
Seit dem EU-Türkei-Deal ist die östliche Mittelmeerroute (Türkei-Griechenland) medial ausser Fokus geraten ist. Jedoch kommen laut UNHCR  im Schnitt täglich rund 100 Menschen in kaum seetüchtigen Booten auf den griechischen Inseln an. Um mit einem eigenen Schiff die Menschenrechtssituation vor Ort zu beobachten, gründeten Aktivist*innen in Berlin den Verein Mare liberum.

 

„Runter von der Matte – Kein Handshake mit Nazis“ existiert seit 2017 und versteht sich als Recherche- und Aufklärungsplattform. Sie haben eine denkbar einfache Grundhaltung: Kein Kampf- und Kraftsport mit Neonazis, „einfach, weil das jeder Logik von Fairness und Respekt auf der Matte widerspricht.“

 

Hörens -/Sehens -/Lesenswertes

Reflektion auf Barrikade über Antisemitismus
https://barrikade.info/Stellungsnahme-II-zu-Antisemitismus-1426

Radiobeitrag über das Alarmphone für Flüchtende in Seenot
https://www.freie-radios.net/91051