Medienspiegel 7. September 2018

+++ZÜRICH
«Unmenschliche Situation im Urdorfer Nothilfe-Lager»: neue Kritik an Notunterkunft
Eine Gruppe setzt sich gegen die Notunterkunft für abgewiesene Asylsuchende ein.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/region-limmattal/unmenschliche-situation-im-urdorfer-nothilfe-lager-neue-kritik-an-notunterkunft-133093642

tagesanzeiger.ch 07.09.2018

Uster machts vor

Deutsch lernen und Arbeit statt Nichtstun: Funktioniert das Pionierprojekt mit Flüchtlingen im Oberland? Eine Bilanz.

Iwan Städler

Die Stadt Uster investiert mehr als andere Gemeinden in die Integration ihrer Flüchtlinge. Statt am Bahnhof herumzuhängen, sollen diese vormittags Deutsch lernen und nachmittags einer Beschäftigung nachgehen. In der Hoffnung, sie schneller an die Schweizer Arbeitswelt heranzuführen. Ein entsprechendes Pionierprojekt wurde vor gut zwei Jahren lanciert. Haben sich die Hoffnungen inzwischen erfüllt?

Auf jeden Fall, findet Jörg Schilter, Leiter der Ustermer Asylkoordination. Nach gut zwei Jahren sei knapp die Hälfte der inzwischen aufgenommenen Flüchtlinge nur noch zum Teil oder gar nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig. Zum Beispiel Roshdnabat Hosseini. Der 47-Jährige ist mit seiner Frau und zwei Kindern aus dem Iran geflüchtet. Nun arbeitet er als Bodenleger.

Für seinen Chef, den Iraker George Darwish, verlegt er unter anderem Parkett und Teppiche für 25 Franken pro Stunde. Das reicht noch nicht, um seine Familie ohne staatliche Hilfe durchzubringen. Doch es geht aufwärts. Erst bewährte sich der einstige iranische Maurer in den Beschäftigungsprogrammen als zupackende und zuverlässige Arbeitskraft. Dann absolvierte er ein zweimonatiges Testpraktikum als Parkettleger.

Und nun – nachdem sein Asylgesuch gutgeheissen wurde – arbeitet er zu rund 80 Prozent. Sowohl das Pensum als auch der Stundenlohn werde mit der Erfahrung steigen, sagt sein Chef, der einst selbst in die Schweiz geflüchtet ist.

«Ich will keine Sozialhilfe, ich bin ein Mann»

Noch steiler verlief die Karriere von Sabah Aljanabi. Er habe Glück gehabt, dass er Uster ­zugeteilt worden sei, sagt der 36-jährige Iraker. «Hier konnte ich jeden Vormittag in den Deutschunterricht. Meine Kollegen in anderen Gemeinden ­haben diese Möglichkeit nicht und sprechen daher viel schlechter Deutsch.» Aljanabi hat bislang drei Sprachprüfungen bestanden, die letzte auf dem Niveau B1. Will heissen, dass er sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen äussern kann.

Inzwischen ist der Iraker nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen. Er fand auf eigene Faust einen Job, noch bevor er als Flüchtling anerkannt wurde. Der 36-jährige arbeitet als Halal-Metzger für einen türkischen Laden in Volketswil – sehr zur Zufriedenheit seines Chefs Kubilay Turan. ­Solche Mitarbeiter, die richtig anpacken, seien äusserst schwierig zu finden.

Der irakische Flüchtling verdient monatlich 4000 Franken. Das reicht. «Ich will keine Sozialhilfe, ich bin ein Mann», sagt Aljanabi. Und er ist stolz, bereits mit Status N finanziell unabhängig geworden zu sein, was im Kanton Zürich nur wenigen gelingt. Unterdessen ist auch sein Asylgesuch gutgeheissen worden.

Acht Flüchtlinge haben eine Lehrstelle angetreten

Nebst Aljanabi schaffte es noch ein zweiter Ustermer Flüchtling, vollständig von der Sozialhilfe unabhängig zu werden. Weitere 30 der 68 Asylbewerber, die vor gut zwei Jahren nach Uster kamen und inzwischen (zumindest vorläufig) aufgenommen wurden, sind nur noch zum Teil auf Unterstützung angewiesen. Hinzu kommen acht Jugendliche, die inzwischen eine Lehrstelle angetreten haben.

Knapp die Hälfte ist dagegen immer noch in Beschäftigungsprogrammen tätig, wo sie lediglich 1.80 Franken pro Stunde als Integrationszulage verdienen. Etwa 10 Prozent, schätzt Schilter, hätten gesundheitliche oder psychische Probleme oder seien bereits über 60 Jahre alt, weshalb sie wohl nie in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

Alles in allem zieht Uster aber eine positive Bilanz: «Wir sind nach zwei Jahren betreffend der beruflichen Integration besser oder gleich weit wie der Schweizer Durchschnitt nach fünf bis sieben Jahren», sagt Schilter. Der tägliche Deutschunterricht durch freiwillige Kursleiter ab dem ­ersten Tag ermöglicht eine schnellere Verständigung und Integration.

Ausserfamiliäre Betreuung als Schlüsselelement

Inzwischen haben die allermeisten Flüchtlinge mindestens das Niveau A2 erreicht. Sie können also Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen, die sich auf den Alltag beziehen. Dank der nachmittäglichen Beschäftigungsprogramme als Waldräumer, Maler oder Velo­stationbewacher haben sie sich auch an die hiesigen Strukturen und Gebräuche gewöhnt – etwa daran, dass man pünktlich zur Arbeit kommt.

Besonders wichtig ist laut Schilter die ausserfamiliäre Betreuung aller Flüchtlingskinder an mindestens drei Tagen pro Woche. Dadurch kommen die Kinder neben dem ordentlichen Schulunterricht mit anderen Kindern in Kontakt, lernen schneller Deutsch und werden früh sozial integriert.

Mundart macht Mühe

Wie aber steht es mit den freiwilligen Helfern? Hält deren Willkommenskultur auch nach zwei Jahren noch an? Gemäss Schilter hat es nie an Freiwilligen für den Deutschunterricht gemangelt. Auch nicht, als vorübergehend täglich vier Kurse stattgefunden haben. Die einzelnen Kursleiter übernehmen jeweils ein bis drei Vormittage pro Woche und sprechen sich untereinander ab, um die Lektionen aufeinander abzustimmen. Insgesamt engagieren sich in Uster 45 Frauen und Männer ehrenamtlich – einige davon schon seit Beginn des Integrationsprojekts.

Dank der vielfältigen Kontakte zwischen den Flüchtlingen, den Freiwilligen und den Schulen entstand auch ein Netzwerk, das bei der Jobsuche nützlich sein kann. Zakera Masoumi aus Afghanistan fand ihre Teilzeitstelle als Küchenhilfe einer Tagesschule über die Lehrerin ihres Sohnes. Der Job in der Tagesschule gefällt ihr gut, wobei das Verständigen mit den Kindern nicht ganz einfach sei, weil diese meist Mundart sprächen, schmunzelt Masoumi.

Die Arbeit ist das Wichtigste

Alle drei Flüchtlinge, mit welchen der TA gesprochen hat, sind des Lobes voll für ihre Sprachlehrerinnen, die viel Geduld gehabt hätten. Sie bedauern denn auch, keinen Deutschunterricht mehr zu geniessen. Doch die Arbeit sei das Wichtigste – nebst der Anerkennung des Asylgesuchs natürlich.

Bei aller Dankbarkeit für die rasche Integration in Uster machen die drei auch auf einen negativen Punkt aufmerksam: die unterirdische Kollektivunterkunft, in der sie als Übergangslösung einquartiert waren. Sieben Monate lang habe er dort gewohnt, sagt Sabah Aljanabi. «Das tut einem nicht gut.» Inzwischen leben alle drei in Wohnungen.

Besseres Einvernehmen mit den Einheimischen

Für Uster hat sich die Strategie der schnellen Integration ausbezahlt. Die Stadt glaubt, dadurch die Sozialhilfekosten auf die Dauer erheblich reduzieren zu können. Denn sie ging stets davon aus, dass die Flüchtlinge längerfristig ohnehin bleiben. Und sie hat recht bekommen: Von den Asylbewerbern, die vor zwei Jahren in Uster waren, wurde lediglich eine Person abgewiesen. Fast 20 Prozent erhielten als ­anerkannte Flüchtlinge die Niederlassungsbewilligung, knapp 70 Prozent eine vorläufige Aufnahme, bei gut 10 Prozent steht der Entscheid noch immer aus.

Das Ustermer Pionierprojekt hat auch andere Gemeinden inspiriert, die Integration zu verstärken. Nicht nur wegen der Sozialhilfekosten. Es kommt auch bei der einheimischen Bevölkerung besser an, wenn sie die Asylbewerber beim Reinigen der Strassen sieht statt beim Herumhängen im Park.
(https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/arbeitsprogramm-fuer-fluechtlinge-zeigt-erste-erfolge/story/31098424)

+++DEUTSCHLAND
Kleine Anfrage – Kein Schutz für queere Flüchtlinge in Ankerzentren
Die Bundesregierung plant keine speziellen Maßnahmen, um homosexuelle oder transgeschlechtliche Menschen vor Gewalt und Übergriffen zu schützen.
https://www.queer.de/detail.php?article_id=31899

Geflüchteten in Bulgarien droht Armut: Abschiebungen ins Elend gestoppt
Niedersachsen wird Menschen nicht mehr in eine drohende Obdachlosigkeit nach Bulgarien abschieben. Das gilt so lange, bis die Zustände besser sind.
http://taz.de/Gefluechteten-in-Bulgarien-droht-Armut/!5530950/

+++ÖSTERREICH
Wer ist schwul genug für Asyl in Österreich?
Erneut lässt der vorurteilsbehaftete Bescheid eines österreichischen Asylreferenten auf gröbere Probleme im Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen schließen
http://derstandard.at/2000086926783/Wer-ist-schwul-genug-fuer-Asyl-in-Oesterreich

+++MITTELMEER
“They took us, they even deported us. Inshallah next time…”
Alarm Phone 6 Week Report, 23 July – September 2
Over 1,500 counted fatalities in the Mediterranean this year +++ Mass crossings to Spain +++ Seebrücken-Demonstrations – Solidarity on Europe’s streets +++ Developments in all three Mediterranean regions +++ Summaries of 197 Alarm Phone distress cases
https://alarmphone.org/en/2018/09/06/they-took-us-they-even-deported-us-inshallah-next-time/?post_type_release_type=post

+++EUROPA
Von der Herrschaft des Rechts zur Herrschaft der Willkür in Ungarn: Artikel 7-Verfahren jetzt!
Das EU-Parlament stimmt am 12. September darüber ab, ob ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn eingeleitet wird. Es geht um die Frage, ob dort die Werte, auf denen die EU gründet, gefährdet sind. Um der Orbánisierung Europas entgegenzutreten, müssen die Abgeordneten für Ja stimmen und sich an die Seite der ungarischen Zivilgesellschaft stellen.
https://www.proasyl.de/news/von-der-herrschaft-des-rechts-zur-herrschaft-der-willkuer-in-ungarn-artikel-7-verfahren-jetzt/

+++LIBYEN
Details zum Zusammenbruch der sog. libyschen Küstenwache
Il Giornale hat am vergangenen Mittwoch ein Interview mit Abdelbari Abujela geführt, dem Kommandant der sog. libyschen Küstenwache in Tripolis, dem auch die von Italien geschenkten Patrouillenboote unterstehen. Nach Ausbruch der Kämpfe vor knapp zwei Wochen sei im Hafen von Tripolis und der Hauptstadt die Infrastruktur zur Aufnahme verhafteter Boat-people zusammengebrochen, so dass ein libysches Patrouillenschiff 270 aufgebrachte Boat-people bis in die Nachbarstadt Al Khoms habe bringen müssen. Die Aufnahme-, Verteilungs- und Lagerverwaltung in und um Tripolis habe sich aufgelöst. Anschliessend seien die Reste der sog. libyschen Küstenwache in die Milizenkämpfe im Süden der Hauptstadt verwickelt gewesen, d.i. weitab der Küste. Sodann sei angesichts der zahlreichen Check-points kein Durchkommen mehr bis zur Küste oder gar zum Hafen gewesen.
https://ffm-online.org/details-zum-zusammenbruch-der-sog-libyschen-kuestenwache/

+++MAROKKO
Marokko will 54’000 Überfahrten von Migranten verhindert haben
In Marokko sollen laut Behörden 54’000 Versuche von Personen nach Europa zu gelangen vereitelt worden sein. Zudem seien über 70 Netzwerke zerschlagen worden.
https://www.nau.ch/marokko-will-54000-uberfahrten-von-migranten-verhindert-haben-65414502

+++JORDANIEN
Unicef muss Jordanienhilfe kürzen:”Es steht zu befürchten, dass weniger Kinder zur Schule gehen”
Das Kinderhilfsprogramm Unicef müsse Schulprogramme für syrische Flüchtlingskinder in Jordanien kürzen, weil die Unterstützung wichtiger Länder nachlasse, sagte Unicef-Pressesprecherin Ninja Charbonneau im Dlf. Das sei “total dramatisch”, denn die Schule sei das einzige, was diesen Kindern Hoffnung gebe.
https://www.deutschlandfunk.de/unicef-muss-jordanienhilfe-kuerzen-es-steht-zu-befuerchten.680.de.html?dram:article_id=427556

+++AFGHANISTAN
Neue UNHCR-Richtlinien: Abschiebungen sind dringend auszusetzen
UNHCR hat seine neuen Richtlinien zu Afghanistan veröffentlicht und bringt es auf den Punkt: Geflüchtete Afghan*innen können nicht nach Kabul geschickt werden! PRO ASYL fordert, die nächste geplante Sammelabschiebung für kommenden Dienstag, 11.09., akut auszusetzen. Entscheidungen über Leib und Leben dürfen diese Erkenntnisse nicht ignorieren.
https://www.proasyl.de/news/neue-unhcr-richtlinien-abschiebungen-sind-dringend-auszusetzen/

+++JENISCHE/SINTI/ROMA
20 Jahre Standplatz Buech Bern – Ein Fenster zum Leben der Sinti geht einen Spalt weit auf
Die Sinti sind die kleinste Volksgruppe der Fahrenden. In einer Ausstellung geben sie erstmals Einblick in ihr Leben.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/20-jahre-standplatz-buech-bern-ein-fenster-zum-leben-der-sinti-geht-einen-spalt-weit-auf

Schweizer Sinti – RaBe-Info 07.09.2018
Mit der Ausstellung «Latscho Diwes – Sinti – die unbekannteste Minderheit der Schweiz» öffnen sich die Sinti erstmals der Mehrheitsgesellschaft. Weil die Sinti vor zwei Jahren endlich als eigenständige Minderheit in der Schweiz anerkannt wurden, wollen sie der Öffentlichkeit ihre Kultur näher bringen. Lange Zeit hielten sie ihre Bräuche verborgen. Wie die Roma und Jenischen wurden die Sinti Jahrhunderte lang verfolgt. Die Mehrheitsgesellschaft bezeichnet sie abschätzig als «Zigeuner», später als «Fahrende», was auch nicht völlig korrekt ist. Viele Sinti, Roma und Jenische sind heute nicht mehr unterwegs.
http://rabe.ch/2018/09/07/schweizer-sinti-toilettengespraeche-polizei/

derbund.ch 07.09.2018

«Wir leben zwar in der Hauptstadt, aber praktisch niemand sieht uns»

Seit genau zwanzig Jahren leben Berns Fahrende auf dem vielleicht besten Standplatz der Schweiz. Sinti-Präsident Fino Winter, sagt: Der Ort ist toll, aber entwickeln kann er sich nicht.

Marc Lettau

Fino Winter, seit 20 Jahren existiert der Standplatz Bern-Buech. Ist das ein Grund zum Feiern oder zum Klagen?

Ein Grund zum Feiern. Es genügt, sich daran zu erinnern, wie erbärmlich die Lage für die Sinti und die Jenischen in Bern vor 1998 war. Unter der Autobahnbrücke Weyermannshaus zu hausen, war eher ein Erdulden als ein Leben. In der schlechten Luft und eingeklemmt zwischen Öltanks, Strassen und Zentralwäscherei wurden viele krank. Buech ist klar der bessere Ort.

Gleichzeitig sagen Sie, der Standplatz Buech sei überfüllt. Er ist so proppenvoll, dass Immobilien Stadt Bern 2016 mit der Räumung «illegal aufgestellter Fahrnisbauten» drohte.

Das war ein Tiefpunkt. Heute ist der Dialog zwischen der Gemeinschaft von Buech und der Stadt wieder viel besser. Der Platz ist so voll, weil eine junge Generation heranwächst, die bei der traditionellen Lebensweise bleiben will. Das ist eigentlich ein Erfolg. Aber gleichzeitig entstehen Spannungen: Der Platz lässt sich nicht erweitern. Und nirgends ist die rasche Lösung in Sicht. Trotzdem ist für mich Buech in allerester Linie das ganz positive Beispiel.

Das positive Beispiel wofür ?

Vor gut 20 Jahren entschieden die Bernerinnen und Berner an der Urne, das Leben der Minderheiten zu verbessern. 75 Prozent sagten Ja zum Standplatz Buech. Das berührt mich noch immer. Heute tönt es an der Urne ja oft ganz anders, wenns um Anliegen der Sinti und der Jenischen geht. Das macht den damaligen Entscheid noch wertvoller.

Sie sagen, in Buech sei das Leben viel besser als unter dem Viadukt. Ist es bloss besser – oder ist es nun gut?

Ja, es ist gut. Nicht perfekt, aber gut.

Nicht perfekt ist aus Behördensicht in Buech die Einhaltung der Schulpflicht.

Ich kenne diese Kritik. Sie ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz fair. Wenn einzelne Familien Mühe haben, ihre Kinder regelmässig zur Schule zu schicken, dann wird das der ganzen Gemeinschaft zum Vorwurf gemacht. So übersieht man leicht, was alles besser wird.

Was deuten Sie damit an?

Unsere Kinder sind schulisch viel weiter, als wir es waren. Offen gesagt habe ich als Kind nicht wirklich lesen und schreiben gelernt. Deutsch ist ja auch nicht meine Muttersprache, sondern Sintitikes. Meine eigenen Kinder sind mir schulisch weit voraus, sprechen Fremdsprachen, beherrschen den Computer. Heutige Sinti und Jenische sind stolz, wenn ihre Kinder die besseren Startbedingungen ins Leben haben.

Umso verwunderlicher, dass die Einhaltung der Schulpflicht ein heikler Streitpunkt geblieben ist.

Wichtig ist zu sehen, wie es heute ist: Die Schulfrage hat sich normalisiert.

Wie ist das zu verstehen?

Das Problem hat sich «ausgewachsen». Es gab Kinder, die nicht zur Schule gingen. Aber es gibt heute in Buech kein schulpflichtiges Kind, das sich dem Schulbesuch einfach ganz entzieht. Das meine ich mit Wandel. Für die jungen Eltern von heute ist es ganz klar, dass die Schule wichtig ist. Ich persönlich finde den Schulbesuch im Winter, die von der Stadt Bern angebotenen Lernateliers für unsere Kinder und das Schulprojekt «Lernen unterwegs» sehr gut und extrem wichtig.

Warum?

Ganz einfach: Weil es bitter ist, wenn junge Menschen in die Sozialhilfe abrutschen und abhängig werden. Es sind bei uns noch zu viele. So gesehen hat Buech vielleicht auch Züge eines Ghettos.

Ein Ghetto? Das war bisher eher die Wortwahl der ärgsten Kritiker.

Buech ist der vielleicht allerbeste Standplatz der Schweiz. Aber er kann sich nicht richtig weiterentwickeln. Vor allem aber ist er zu unsichtbar. Neulich war Regierungsrätin Evi Allemann bei uns zu Besuch. Sie musste sich zunächst erkundigen, wo Buech überhaupt liege. So geht es allen. Wir leben in der Hauptstadt, aber praktisch niemand sieht uns. Für eine Minderheit ist das nicht gut und für die Mehrheit auch nicht. Man muss sich kennen lernen können. Das ist schwierig, wenn man verborgen bleibt.

Bis anhin schien es, die Sinti und Jenischen schätzten die Verborgenheit.

Das ist richtig beobachtet. Besonders die Sinti versuchten ihre Kultur zu schützen, indem sie sich verschlossen. Aber das hat sich gründlich geändert. Wir kommen aus dem Versteck heraus.

Warum jetzt? Wegen des Jubiläums?

Nein, wegen der historischen Wende an der Feckerchilbi von Bern. Bundesrat Alain Berset hat uns dort als Jenische und Sinti anerkannt. Zuvor waren wir immer nur mitgemeint, wenn von Fahrenden die Rede war. Damals ist ein Ruck durch die ganze Gemeinschaft gegangen. Das Selbstwertgefühl der Jenischen und der Sinti ist gewachsen. Die Leute organisieren sich besser, haben neue Ideen und wollen mehr teilen. Zum Beispiel wird morgen in Bern die neue Wanderausstellung der Sinti vorgestellt: Das ist der erste Versuch der schweizerischen Sinti, ihre eigene Geschichte fassbar zu machen – für sich selbst und für die anderen.

Trotz Geschichtsbewusstsein bleibt doch die Zukunft der fahrenden Jenischen und Sinti voller Fragezeichen.

Es ist ein grosser Unterschied, ob man verunsichert oder mit Selbstvertrauen einen Weg sucht. Aber es stimmt: Die Widerstände gegen die fahrende Lebensweise sind gross. Wir erfahren viel Zurückweisung, viele Vorurteile, viel und leider wachsenden Rassismus.

Darum lassen immer mehr Familien das Reisen bleiben?

Nein, wir sind keine «Scheinfahrenden». Wer im Sommer den Standplatz besuchte, fand ihn fast leer vor. Etwa zwei Drittel der Buech-Gemeinschaft sind im Sommer auf der Reise. Das führt auch zu Missverständnissen: Viele begreifen nicht, warum wir trotzdem eine feste Adresse brauchen.

Warum brauchen Sie eine?

Unser Leben pendelt zwischen der Freiheit des Reisens und der Verwurzelung an einem Ort. Diese Verwurzelung ist wichtig für die Kinder, die zur Schule gehen und den Kontakt zu anderen Kindern brauchen. Kein Kind hätte eine Chance, wenn wir jeden Winter woanders überwintern müssten. Wer findet, eine feste Adresse sei für Fahrende ein unnötiger Luxus, irrt sich.

Die Zahl der regulären Plätze für Fahrende nimmt in der Schweiz ab statt zu. Aber Sie selbst haben ja diesen Sommer auf Ihrer Reise gar keine regulären Durchgangsplätze gebraucht.

Das stimmt. Ich ging jeweils auf Landwirte zu und vereinbarte mit ihnen für unsere zehn bis zwanzig Gespanne einen Halt auf ihrem Land. Das ist der beste Weg. So entsteht eine Beziehung, ein Geben und Nehmen. Der Landwirt erhält die Miete fürs Land und wir die Chance fürs Arbeiten in seiner Region. Mal genügt ein Handschlag, mal schliessen wir einen Vertrag ab. Solche Spontanhalte entschärfen die ganze Platzproblematik sehr. Aber die Spontanhalte sind gefährdet.

Man kann doch die Bauern nicht zwingen, Hand zu bieten…

… Das ist der komplett falsche Blickwinkel. Viele Bauern sind sehr offen und interessiert.

Aber sie werden von den Gemeinden unter Druck gesetzt. Viele Gemeinden beschliessen «Campingverbote» und machen den Bauern mit finanziellen Forderungen Angst.

Das ist sehr schlecht. Und es ist schlecht, dass die Kantone den Gemeinden nicht klarmachen, dass so kein einziges Problem gelöst wird. Es entsteht nur noch mehr Druck, teure, offizielle Plätze zu schaffen.

Wird es in Zukunft überhaupt noch Plätze brauchen? Der fahrende Teil der Sinti und Jenischen ist im Clinch zwischen Tradition und Wandel. Ihre Perspektive ist ungewiss.

Ich sehe das nicht so schwarz. Sie hat vieles in Bewegung gesetzt. Die Anerkennung gibt uns auch die Kraft, offener über die Schwierigkeiten zu sprechen, die wir haben. Das macht uns gleichzeitig offener für den Wandel. Zudem wird die ganze Arbeitswelt mobiler. Das kommt den Fahrenden entgegen. Junge Sinti und Jenische können sich heute gut vorstellen, traditionell zu leben, aber modern zu arbeiten – etwa als Computerfachleute, Webmaster, Musiker, Fotografen.

Computertechniker statt Scherenschleifer: Ist das die neue Formel?

Nein, ich glaube eher: Beides ist eine Möglichkeit. Wenn es allen wirklich ernst ist mit dem ökologischen Leben, dem Recycling, dem Schonen von Rohstoffen, dann müssten unsere Scheren- und Messerschleifer Berge von Arbeit haben. Eine stumpfe Schere einfach wegzuwerfen, weil eine neue so billig ist, ist sicher nicht modern, sondern nur kurzsichtig. Scheren und Messer schleifen zu lassen, müsste also unbedingt Zukunft haben. Aber wir müssen uns dazu gegenseitig überhaupt finden.
(https://www.derbund.ch/bern/stadt/wir-leben-zwar-in-der-hauptstadt-aber-praktisch-niemand-sieht-uns/story/10779043)

Die Lage für die Berner Fahrenden spitzt sich zu
Die Siedlung Bern-Buech stösst an ihre Grenzen. Sie Stadt hofft auf Unterstützung – vergeblich.
https://www.derbund.ch/bern/kanton/die-lage-fuer-die-berner-fahrenden-spitzt-sich-zu/story/23071384

+++FREIRÄUME
Oder warum der Smiley uns gehört.
Samstagnacht, im Hagel von Gummischrot und beissenden Wolken von Capsaicin, da lag er plötzlich am Boden, zwischen den Scherben, mit Kugelschreiber gezeichnet auf das gelbe Wuchtgeschoss.
Dieser Smiley galt uns – aber gehören tut er das sowieso.
https://blog.derbund.ch/kulturstattbern/blog/2018/09/07/oder-warum-der-smiley-uns-gehoert/

+++GASSE
«Iss mit – Mobile Gassenküche»: Eine Gassenküche geht auf Tour
Um für das Thema Armut zu sensibilisieren, kann zweimal wöchentlich in Zürich in aller Öffentlichkeit gegessen werden.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/iss-mit-mobile-gassenkueche-eine-gassenkueche-geht-auf-tour-133095252

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Nun kommen auch die Rechtsradikalen
Die rechtsextreme Partei Pnos will die Demo von Abtreibungsgegnern in Bern besuchen. Die christlich-konservativen Veranstalter distanzieren sich nicht von der Pnos.
https://www.derbund.ch/bern/stadt/nun-kommen-auch-die-rechtsradikalen/story/17114118

Auch Pnos kommt nach Bern
Am 15. Sep¬tember könnte es in Bern ungemütlich werden: Auch die rechtsextreme Pnos will am «Marsch fürs Läbe» teilnehmen. Linksautonome haben Widerstand angekündigt.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/auch-pnos-kommt-nach-bern/story/17270294

Interview mit “Bern stellt sich Queer”
Wir haben mit zwei Menschen von „Bern stellt sich Queer“ gesprochen, die gegen den „Marsch fürs Läbä“ mobilisieren. Es geht um die rechtskonservativen fundamentalistischen ChristenInnen, die unter anderem gegen Abtreibung auf die Strasse gehen. Wir sprechen über Selbstbestimmung, Abtreibung, die eigene Sozialisierung und wie wir den Fundi-ChristenInnen entgegnen.
https://barrikade.info/Interview-mit-zwei-Menschen-von-Bern-stellt-1383

Landfriedensbruch trifft oft «Zufallsopfer»
Dank Aufnahmen durch unbewilligte Videokameras beim Schweizerhof in Bern wurde ein friedlicher Demonstrant wegen Landfriedensbruchs verurteilt.
https://www.derbund.ch/bern/stadt/landfriedensbruch-trifft-oft-zufallsopfer/story/22558652

Wer einen Polizeieinsatz provoziert, soll dafür zahlen
Wenn die Polizei bei Gewaltausschreitungen an Demonstrationen eingreifen muss, sollen die Verursacher die Kosten für den Einsatz übernehmen. Die Justizkommission des Solothurner Kantonsrates unterstützt einen entsprechenden Auftrag aus dem Parlament.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/wer-einen-polizeieinsatz-provoziert-soll-dafuer-zahlen-133103182
-> https://www.telem1.ch/35-show-aktuell/27530-episode-freitag-7-september-2018#auch-justizkommission-will-demo-veranstalter-haftbar-machen

+++FREE NEKANE
Free Nekane – Wer kämpft gewinnt!
Montag 17. September 2018, 18.00 Uhr, Restaurant Ziegel Au Lac, Zürich
Mit Bildern und Stimmen dokumentieren wir die Free Nekane-Kampagne und schauen zurück, wie sie zur Befreiung führte. Während 17 Monaten haben Nekane und solidarische Menschen für ihre Freilassung gekämpft. Ein Jahr nach der Befreiung von Nekane wollen wir uns an diesen Erfolg erinnern.
https://barrikade.info/Free-Nekane-Wer-kampft-gewinnt-1382

+++KNAST
Deutscher sass verschieden Strafen ab: Häftling (†55) in Hinwil ZH tot aufgefunden
Im Vollzugszentrum Bachtel ist heute Freitag, 7. September 2018, ein Häftling in seiner Zelle tot aufgefunden worden. Der Häftling war 55 Jahre alt und deutscher Staatsangehöriger.
https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/deutscher-sass-verschieden-strafen-ab-haeftling-55-in-hinwil-zh-tot-aufgefunden-id8825810.html
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/toter-haeftling-im-vollzugszentrum-bachtel-0095380/

+++BIG BROTHER
Kampfzone Bahnhofplatz
Eine Rückkehr in die digitale Unschuld ist utopisch. Aber vor den Schweizerhof-Kameras zu kapitulieren, ist der Bundesstadt unwürdig.
https://www.derbund.ch/bern/stadt/kampfzone-bahnhofplatz/story/18808512

Kameras am Hotel Schweizerhof in Bern verletzen Persönlichkeitsrechte von PassantInnen. Bist du auch betroffen? Stelle jetzt ein Auskunftsbegehren. Vorlage unter diesem Link: https://www.djs-jds.ch/images/Auskunftsbegehren_für_Überwachungskameras_nach_EDÖB.pdf

Das Überwachungshotel
Kameras am Hotel Schweizerhof in Bern verletzen mutmasslich Persönlichkeitsrechte von Passanten, die unwissentlich gefilmt werden. In einem aktuellen Fall griff die Staatsanwaltschaft auf die Videos zurück.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/das-hotel-dein-freund-und-helfer/story/22948465
-> https://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Schweizerhof-filmt-ohne-Bewilligung-11521697
-> https://www.derbund.ch/bern/schweizerhof-filmt-ohne-bewilligung/story/19597601
-> https://www.woz.ch/1836/private-videoueberwachung/in-bern-spielt-ein-luxushotel-polizei
-> https://www.telebaern.tv/118-show-news/27520-episode-freitag-7-september-2018#kurzmeldungen

Vorsicht Kamera
Wenn YB im Cup nach Schaffhausen reist, werden die Fans im und um das Stadion videoüberwacht.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/vorsicht-kamera/story/19487117

EU-Staaten zeigen wenig Interesse an Fluggastdatenspeicherung
Ende September will das Bundeskriminalamt mit der Sammlung und Analyse von Passagierdaten beginnen. Bei der offiziellen Anmeldung der Zentralstelle hat die Behörde jedoch getrödelt. Schon jetzt liefern mehrere Fluglinien Personendaten für den Testbetrieb dorthin. Seine Erfahrungen teilt das BKA in einer selbst geleiteten EU-Arbeitsgruppe.
https://netzpolitik.org/2018/eu-staaten-zeigen-wenig-interesse-an-fluggastdatenspeicherung

+++UNDERCOVER
Im inneren Kreis
Iris P. ist nett, charmant und findet schnell Freunde in der Roten Flora. Niemand dort ahnt, dass sie für die Hamburger Polizei die linke Szene ausspioniert. Erst Jahre später fliegt ihre Tarnung durch einen Zufall auf.
Seit Jahren schleust das Hamburger Landeskriminalamt immer wieder verdeckte Ermittlerinnen in die linke Szene in Hamburg ein. Diese scheuen auch nicht davor zurück, mit Zielpersonen ins Bett zu gehen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Wie weit darf der Staat bei der Ermittlungsarbeit gehen? Sehen Sie hier die Dokumentation “Im inneren Kreis” von Hannes Obens und Claudia Morar.
http://www.spiegel.tv/videos/1553782-im-inneren-kreis

+++POLIZEI CH
Diese Schweizer Polizeikorps haben am meisten Social-Media-Freunde
Kantonspolizei, Stadtpolizei oder Regionalpolizei? Welche Polizei hat auf den sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram am meisten Follower oder Abonnenten? Hier die Übersicht.
https://www.securnews.ch/stadtpolizei-zuerich-kantonspolizei-bern-luzern-st-gallen-graubuenden/

+++POLICE DE
Mehr Panzer für die Polizei
Nach den Spezialkräften erhalten jetzt auch Bereitschaftspolizeien der Länder und die Bundespolizei moderne gepanzerte Fahrzeuge. Rüstungskonzerne konkurrieren mit bis zu 15 Tonnen schweren Modellen
https://www.heise.de/tp/features/Mehr-Panzer-fuer-die-Polizei-4156963.html

+++ANTIFA
Rechte attackieren Antifa mit gefälschtem Foto
Mit einem Foto kritisiert der Verein Sifa Gewalt gegen Polizisten durch Linksextreme. Nur: Das Bild ist eine Fälschung. Bereits die AfD benutzte es für politische Zwecke.
https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Sifa-16936711

Daniele Ganser am Networking-Tag der FHS St.Gallen: «Ich bin so gefragt wie nie zuvor, aber der Preis ist hoch»
Nichts weniger, als die Demokratie auf den Prüfstand zu stellen, muteten die Verantwortlichen des Networking-Day ihrem Publikum zu. Der Nachmittag wurde so anregend wie erhofft und präsentierte zum Glück keine pauschalen Antworten.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/daniele-ganser-am-networking-tag-der-fhs-stgallen-ich-bin-so-gefragt-wie-nie-zu-zuvor-aber-der-preis-ist-hoch-ld.1051628

MUSS DAS SEIN? 3X DANIELE GANSER + SEINE SPINNER-FREUND*INNEN IN BERN:
14.9. 2018– Hotel National, 19.30
Wie kann Friedensforschung helfen, Gewalt und Lüge zu überwinden?
https://www.danieleganser.ch/assets/files/Inhalte/Vortraege/Oeffentliche_Vortraege/Bern%20(2018)%20-%20Wie%20kann%20die%20Friedensforschung%20helfen,%20Gewalt%20und%20Luege%20zu%20ueberwinden.pdf
Eintritt: 35.–/40.—Franken (http://die-quelle.ch)

21.9. – Waisenhausplatz, 19.50
Illegale Kriege und das Gewaltverbot der UNO
https://www.danieleganser.ch/assets/files/Inhalte/Vortraege/Oeffentliche_Vortraege/Bern%20(2018)%20-%20Illegale%20Kriege%20und%20das%20Gewaltverbot%20der%20UNO.pdf
Eintritt: Gratis (http:// friedenskraft.ch)

19.10.2019 – Kursaal Bern, 18.30
Mut ist die Antwort auf Angst
https://www.danieleganser.ch/assets/files/Inhalte/Vortraege/Oeffentliche_Vortraege/Bern%20(2019)%20-%20Mut%20ist%20die%20Antwort%20auf%20Angst.pdf
Eintritt: ab 99.—Franken (angst-kongress.ch)

+++ANTIRA
antira-Wochenschau: Bleiberechtsentzug für Eritreer*innen, Kriegsmaterialexporte, schweizer Lagerpolitik
https://antira.org/2018/09/07/antira-wochenschau-bleiberechtsentzug-fuer-eritreerinnen-kriegsmaterialexporte-schweizer-lagerpolitik/

Das Glas überläuft (Ab 01:12)
http://www.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2018-09-07#chapter-e61b97e5-b18a-4cdf-b347-71a1a002810a

+++GEWALT-GEWALT-GEWALT
Ralph Hurni und Baschi Dürr über Gewalt in den Städten
Kaum eine Woche ohne Gewaltexzesse in Schweizer Städten: Woher kommt diese Gewaltbereitschaft? Und wie soll sie bekämpft werden? Ralph Hurni, der höchste Stadtpolizist der Schweiz, und der Basler Sicherheitsdirektor Baschi Dürr, diskutieren im «Tagesgespräch» bei Marc Lehmann.
https://www.srf.ch/sendungen/tagesgespraech/ralph-hurni-und-baschi-duerr-ueber-gewalt-in-den-staedten

tagesanzeiger.ch 07.09.2018

SBB geben Schutz von Fanzügen auf

Die Polizisten der Bahn ziehen sich aus den Extrazügen für Fussballfans zurück. Die SBB wollen dadurch Kosten senken. Personalvertretungen warnen vor einem enormen Sicherheitsrisiko.

Bernhard Odehnal, Simone Rau, Thomas Knellwolf

Die Attacke war so heftig, dass die Betroffenen danach psychologisch betreut werden mussten. Bei der Rückfahrt von einem Auswärtsspiel in Lausanne im Mai dieses Jahres rasteten einige Fans des Zürcher Fussballclubs GC derart aus, dass das Zugpersonal und die Mitglieder der Transportpolizei (TPO) sich im letzten Waggon in Sicherheit bringen mussten, dann die Notbremse zogen und aus dem Zug flüchteten. Seither fahren in den Extrazügen der GC-Fans keine Transportpolizisten der SBB mehr mit.

Dass die TPO auf den Zügen geblieben wäre, wenn der Gewaltausbruch nicht stattgefunden hätte, ist allerdings unwahrscheinlich. Denn die bahneigene Polizei zieht sich generell aus den Extrazügen für Fussballfans zurück. Begleitet werden heute nur noch die Fanzüge des FC Zürich und des FC St. Gallen, wie die SBB Recherchen Tagesanzeiger.ch/Newsnet bestätigen. In allen anderen Zügen werden Lokführer und Kondukteure nicht mehr durch die Polizei geschützt. Begleitet werden sie einzig von Fanbetreuern der Vereine.

Manche Vereine finden das sogar gut: Die Anwesenheit von Uniformierten im Zug hätte nur zu schlechter Stimmung und mehr Aggression unter den Fans geführt. Allerdings sagen auch alle Vertreter von Fanclubs, mit denen Tagesanzeiger.ch/Newsnet sprach, dass der Abzug der Transportpolizisten aus den Extrazügen nicht ihr Wunsch war: Die Initiative sei von der Leitung der TPO ausgegangen.

In einem Protokoll zu einem Offiziersrapport der Transportpolizei vom 26. Juli 2018 heisst es: «Nach intensiven Verhandlungen haben wir erreicht, dass die TPO nur noch zwei Clubs (FCZ und St. Gallen) begleiten muss. Unser Ziel ist weiterhin, keine Begleitung mehr.» Die TPO-Kommandanten beklagten sich im Rapport, dass sich für die Begleitung der Züge zu wenige Freiwillige meldeten. «Hauptgründe sind der undankbare Job, die Rechte können nicht durchgesetzt werden, die fehlende Bewaffnung etc.» Die Zitate stammen aus dem aktuellen Bulletin der Sektion Transportpolizei des Verbandes Schweizerischer Polizei-Beamter.

«Defizit mit Extrazügen wird im Rahmen gehalten»

Zieht sich die Transportpolizei der SBB, eigens geschaffen, um für Sicherheit in Zügen und auf Bahnhöfen zu orgen, stillschweigend aus einer besonders heiklen Sicherheitsaufgabe im Bahnbereich zurück? SBB-Mediensprecher Christian Ginsig verneint: Aufgrund von Abmachungen mit Fans oder Fanorganisationen «konnten wir den Aufwand in Fan-Extrazügen reduzieren, weil die Fanorganisationen Verantwortung übernehmen. Dadurch konnten wir auf die Begleitung mit zusätzlichem Sicherheitspersonal der SBB im Zug verzichten.» Das helfe, das durch die Extrazüge für Fussballfans entstandene Defizit in einem ­vernünftigen Rahmen zu halten. Es gehe darum, «den Personalaufwand für Fussball-Extrazüge möglichst gering zu halten».

Dem widerspricht ein Insider: Die SBB sparten nicht viel ein, wenn sie die TPO von den Fanzügen abzögen. Wenn, dann höchstens bei den sogenannten Rückzugswagen für das Personal, die zum Teil gestrichen würden. Der Grund, die TPO abzuziehen, sei ein anderer, sagt der Insider, der anonym bleiben will. Der Dienst auf den Fanzügen sei bei vielen Transportpolizisten unbeliebt, wegen langer Arbeitszeiten am Abend und an Wochenenden und wegen der aggressiven Fans.

«Braucht es erst Tote, bis gehandelt wird?»

Ganz ähnlich wird im Bulletin des Verbandes Schweizerischer Polizei-Beamter die Stimmung in der Transportpolizei geschildert: Es sei allseits bekannt, dass die Fanzüge einen rechtsfreien Raum darstellten und niemand etwas dagegen unternehme. «Man stellt sich die Frage, ob es erst Tote und Verletzte braucht, bis dass endlich gehandelt wird», schreibt der Vorstand der Sektion TPO. Auch der Personalverband des Service public, Transfair, sorgt sich um den Schutz des Lok- und Zugpersonals. Auf den Fanzügen brauche es mehr Polizei und nicht weniger, fordert der Leiter der Branche öffentlicher Verkehr, Bruno Zeller: «Alles andere geht zulasten der Bahnmitarbeiter.»

Die SBB sehen das anders: Langjährige Erfahrungen mit repressiven Massnahmen zeigten, dass es andere Modelle für die Fanbegleitung brauche. «Fanorganisationen müssen stärker eingebunden werden und Verantwortung übernehmen», sagt SBB-Sprecher Christian Ginsig. «Jene Transportpolizisten, die nicht in den Zügen mitfahren müssten, könnten besser zur Erhöhung der Sicherheit an den Abfahrts- und Ankunftsbahnhöfen eingesetzt werden.»

Über viele Jahre hinweg wurden Fanzüge stets von einem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften begleitet. Der Abbau begann erst ab 2012. Laut mehreren Informanten, mit denen Tagesanzeiger.ch/Newsnet sprechen konnte, setzte sich vor allem die TPO-Spitze für den Abbau ein. In den folgenden Jahren wurde die Anzahl der Transportpolizisten pro Fanzug schrittweise reduziert, von anfangs 10 bis 12 Polizisten auf 2 bis 3. In einem voll besetzten Zug mit bis zu 700 Fans hatten diese Polizisten nichts mehr zu melden.

Weshalb ist der Dienst in den Fanzügen freiwillig?

Ein Mitarbeiter der TPO sagt, dass die älteren, erfahrenen Polizisten den Dienst in den Fanzügen gerne machten, weil sie Sinn darin sähen. Die Jüngeren hingegen seien verunsichert und hätten Angst. Es fehle ihnen die Abgeklärtheit, um mit Anfeindungen im Zug umgehen zu können. Dass der Einsatz in den Fanzügen freiwillig wurde, verstanden offenbar selbst in der TPO nicht alle. Die Transportpolizei habe doch ein Pflichtenheft, sagt der Insider. Dazu gehöre die Begleitung von Fanzügen. Auch im erwähnten Offiziersrapport heisst es, dass «die Begleitung eines Extrazuges eigentlich zum Job eines Transportpolizisten gehört».

Sicherer ist die Fahrt in diesen Zügen nicht geworden: Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) führt Statistiken über Hooliganismus-Vorfälle vor, während und nach Fussballmatchs. Laut diesen Aufzeichnungen bleibt die Gesamtzahl der Vorfälle stabil. 2012 zählte die KKJPD 217 Ereignisse, 2017 sind es 221. Anders die Statistik bei den Fanzügen: In und rund um diese gab es 2012 nur 25-mal Vorfälle, fünf Jahre später sind es bereits 48.

Den Verdacht, in ihren Extrazügen herrsche Anarchie, weisen Vertreter von Fanorganisationen scharf zurück. Der erste Club, mit dem die SBB eine Vereinbarung trafen, um die Transportpolizei aus den Zügen abzuziehen, waren die Berner Young Boys. Der Verein stellt seit einigen Jahren für jeden Zug 10 bis 15 Betreuer, die den Fans bekannt sind. Durch die persönliche Beziehung sei es viel leichter, deeskalierend zu wirken, sagt YB-Sprecher Stefan Stauffiger. Mit der TPO gebe es keinen Kontakt mehr.

Personalvertreter zeigen Unveständnis

Andere Vereine wurden von der TPO vor vollendete Tatsachen gestellt. Nach den Terroranschlägen von Paris im November 2015 wurden in Basel die Transportpolizisten für die verstärkte Bewachung der Bahnhöfe benötigt. Die Fanzüge des FC Basel fuhren unbegleitet, und nachdem sich das bewährt hatte, beschlossen TPO und SBB, dass es so bleiben solle. Die Fans hätten sich schnell daran gewöhnt, schreibt die Fan­ar­bei­te­rin Ornella Pessotto im Jahresbericht 2015 der Fanarbeit Basel: «Es scheint, als vermisse die TPO niemand.» Das sei bis heute so geblieben, bestätigt Pessotto gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet. Sie warnt aber auch, dass es nun ­keinen Weg mehr zurück gebe. Wenn sich nun die Stimmung bei den SBB ändere oder neue Regeln eingeführt würden und plötzlich wieder Bahnpolizisten in den Extrazügen auftauchten, «dann dürfte es schwierig werden».

Die SBB hätten nach intensiven Gesprächen mit mehreren Fanorganisationen Abmachungen getroffen: Die Fanorganisationen übernehmen Aufgaben in der Reinigung, die SBB konzentriert sich auf die Zugbegleitung und Billettkontrolle. Wenn das wirklich ohne Polizei funktioniere, wäre es natürlich gut, meint Personalvertreter Bruno Zeller. Aber wenn nicht? Die SBB könnten sich nicht einfach um den Schutz des Personals foutieren, sagt Zeller: «In dem Fall muss sie die Polizeikräfte verstärken.»

FC St. Gallen bestand auf Begleitung durch Polizei

Auch beim FC St. Gallen wollte die Transportpolizei die Begleitung der Fanzüge aufgeben. Die Vereinsleitung konnte die TPO in gemäss eigener Angabe «nicht einfachen, aber stets konstruktiven Verhandlungen» überzeugen, dies nicht zu tun. Ohne geschultes Personal gehe es nicht, ist der für Sicherheit verantwortliche Bereichsleiter des Vereins, Benni Burkart, überzeugt: «Es braucht Leute, die sich im Zug auskennen, die auch Erste Hilfe leisten können.»

Mit der TPO hat der FC St. Gallen in letzter Zeit gute Erfahrungen gemacht. Die Extrazüge würden nun von Polizistinnen und Polizisten begleitet, die gerne und gut mit Jugendlichen arbeiten könnten, sagt Benni Burkart. Die Forderung nach mehr Rechten und besserer Bewaffnung sei ein komplett falscher Ansatz: «Wenn es im Zug zum Konflikt kommt, kann der nur durch Dialog gelöst werden.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/sbb-geben-schutz-von-fanzuegen-auf/story/27136125)