antira-Wochenschau: Bleiberechtsentzug für Eritreer*innen, Kriegsmaterialexporte, schweizer Lagerpolitik

Was ist neu?   

Fluchtursache Schweiz: Kriegsmaterialexporte in Bürgerkriegsländer:
Nach dem Nationalrat hat nun auch der Ständerat grünes Licht für den Export von Waffen in Bürgerkriegsländer gegeben. Heute sind Exporte verboten, wenn das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. Neu sollen Exporte in Länder mit einem internen bewaffneten Konflikt bewilligt werden können, unter der absurden Voraussetzung, dass kein Grund zur Annahme besteht, dass das Kriegsmaterial in diesem Konflikt eingesetzt wird. Auf Länder wie Jemen oder Syrien würde die Regelung nicht angewendet. Jedoch ermöglicht die Lockerung bspw. Kriegsmaterialexporte in die Türkei.
Die fortschreitende Abschottung Europas und der menschenverachtende Umgang mit Geflüchteten macht diesen Entscheid noch zynischer. Schweizer Rüstungsfirmen profitieren in grossem Stil vom Export von Kriegsmaterial. 2016 wurden Waffen im Wert von 412 Millionen CHF exportiert. Gleichzeitig werden Menschen, welche vor den Folgen dieser Politik flüchten, kriminalisiert und entmenschlicht.

 

Libyen: Katastrophale Zustände in Libyen verschlimmern sich
In Tripolis sind im letzten Monat Kämpfe unter verschiedenen Milizen ausgebrochen. Es ist ein Krieg um Territorien in der Stadt und der Umgebung. Letzte Woche haben sich die Kämpfe verschärft. Damit haben sich die sowieso bereits katastrophalen Zustände für die in Libyen gefangenen und versklavten Geflüchteten noch weiter verschlimmert.
Nun ist die EU-gesponserte libysche Küstenwache wegen des anhaltenden Kriegs um die Hauptstadt Tripolis zusammengebrochen. Für die Patrouillenschiffe gibt es keinen Treibstoff mehr, und es ist unklar, welchen Milizen sich diese auflösenden Marine-Einheiten zuordnen. Die libysche Küstenwache hatte in der Vergangenheit im Auftrag der EU viele Boatpeople im Mittelmeer abgefangen und zurück in die misslichen Umstände nach Libyen gebracht. Um die libysche Küstenwache zu umgehen, gingen Schlepper vermehrt Risiken ein – zum tödlichen Nachteil für Flüchtende: Das Risiko bei der Überquerung zu sterben ist, unter anderem deswegen, 2018 stark gestiegen (jede 18. Person ertrinkt momentan beim Versuch). Da die Seenotrettung von der EU weiterhin kriminalisiert wird, bedeutet der Zusammenbruch der libyschen Küstenwache aber auch, dass weniger Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden können.

 

Krieg gegen Geflüchtete: Spanische Kollektivabschiebung nach Marokko forderte 2 Tote
Vor zwei Wochen berichteten wir bereits, dass Spanien Geflüchtete ohne Anhörung umgehend nach Marokko abgeschoben hat. Nun zeigten sich die tragischen Folgen dieser Vorgehensweise. Nach ihrer Kollektivabschiebung verschwanden die Geflüchteten im Willkürapparat der marokkanischen Behörden. Laut der marokkanischen Wochenzeitung TelQuel starben dabei zwei von ihnen als die Geflüchteten versuchten, sich dagegen zu wehren. Einer der beiden wurde nur 16 Jahre alt.

 

Ausschaffung: Das SEM beginnt mit Ausschaffungen von Eritreer*innen mit Ausweis F
Das Bundesverwaltungsgericht sagt, vorläufig aufgenommene Geflüchtete aus Eritrea sollen ausgeschafft werden. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat nun bei 250 Eritreer*innen mit F-Ausweis geprüft, ob sie gemäss der neuen Rechtsprechung ausgeschafft werden können. Offenbar sind es neun Prozent. Bis Mitte 2019 prüft das SEM die Ausschaffung bei weiteren 2800 Eritreer*innen mit Ausweis F. Trotz des Friedensabkommens bleibt in Eritrea ein despotisches Regime an der Macht. Der eritreische Diktator Isayas Afewerki hat in den letzten Monaten die Repression sogar verstärkt. Zwar hat Afewerki versprochen, den unbegrenzt langen, obligatorischen Nationaldienst wieder auf 18 Monate zu beschränken, die Realität sieht aber anders aus. Besonders absurd ist dabei, dass das SEM die Betroffenen gar nicht zurückschicken kann. Sie werden damit ins Elend von Nothilfe und Illegalität abgedrängt. Das SEM und das Bundesverwaltungsgericht nehmen bewusst und unnötig in Kauf, die Würde, Selbstbestimmung und Sicherheit von tausenden Menschen zu gefährden.

 

Was ist aufgefallen?

Lagerpolitik: Abtauchen statt Ausschaffungslager, Knast statt Nothilfebunker
Rund 60 Prozent der Menschen, welche die Behörden ins Ausschaffungslager Giffers schicken, damit diese in totaler Abgeschiedenheit auf ihre Ausschaffung warten, treffen dort gar nicht ein oder tauchen unkontrolliert ab. Im vor fünf Monaten eröffneten Ausschaffungslager können bis zu 250 Personen isoliert werden, um darauf zu warten abgeschoben zu werden. Das SEM geht davon aus, dass diese untergetauchten Personen in ein anderes Land ausgereist sind. Wir denken, dass diese Lagerpolitik vorwiegend Sans-Papiers produziert.
Auch in den Nothilfelagern im Kanton Schwyz zeigen sich die brutalen Auswirkungen der schweizer Lagerpolitik. Dort begehen Menschen, welche von der Nothilfe leben müssen Straftaten, damit sie den Winter im Knast verbringen “dürfen”, anstatt in einem Nothilfebunker. Denn: Das Nothilfelager muss jeweils um neun Uhr verlassen werden und das Tagesbudget, das den Menschen dort zur Verfügung steht, beträgt maximal zehn Franken. So stellt für viele der Knast eine bessere Wahl dar. Da erhalten sie wenigstens ein warmes Bett, regelmässige Mahlzeiten, die Möglichkeit zu arbeiten und müssen nicht den ganzen Tag in der Kälte verbringen.

 

Alltagsrassismus: Das rassistische Klima der Schweiz im Vergleich zu 2002 etwas weniger schlimm
Die schweizer Bevölkerung steht laut einer Umfrage den Geflüchteten etwas einladender gegenüber. 34 Prozent der Befragten glauben, dass Geflüchtete in ihrer Heimat wirklich bedroht sind. Bei der letzten Umfrage glaubten dies nur knapp ein Viertel der Schweizer*innen. Weiter sprachen sich 36 Prozent der Befragten für einen grosszügigen Umgang mit Asylsuchenden aus, 2002 waren es nur 22 Prozent gewesen. Obwohl wir der Überzeugung sind, dass Bedrohung im Herkunftsland keine Voraussetzung für ein Bleiberecht ist, sehen wir diese Entwicklung doch als einen kleinen Schritt in die richtige Richtung an.

 

Was können wir tun?

Alltagsrassismus: Die Migros macht mit dem M-Wort Profit
Aus antirassistischer Sicht ist es eindeutig, dass ein Schokokuss nicht Mohrenkopf genannt werden darf. Das M-Wort ist eine entmenschlichende Bezeichnungen für Schwarze. Trotzdem verwendet Migros diesen offensichtlich rassistischen Begriff. Es wäre wünschenswert, dass diese rassistische Symbolik vermehrt auf direkte Aktionen trifft.

 

Was steht an?

Heute Freitag ab 18.00 Uhr: Solianlass Seenotrettungen in Basel
Konzerte, Redebeiträge, Rave: https://barrikade.info/Solianlass-Seenotrettung-1351

19-23. September Anti-Border Camp in den Bergen zwischen Bardonecchia und Claviére
Selbstorganisiertes Lager, um Widerstand gegen das Border-Control-System zu besprechen. http://www.passamontagna.info

8. September um 17 Uhr im Fabrikool in Bern: Infoveranstaltung zu den Knastaufständen in den USA
Diskussion der Strategien, Taktiken und Herausforderungen im Widerstand gegen das rassifizierte Ausbeutungssystem Knast. https://barrikade.info/Infoveranstaltung-zu-den-Knastaufstanden-in-den-USA-1371

 

Wo gab’s Widerstand?

Protest: Die Strasse will eine Seebrücke
Am Samstag demonstrieren in Zürich tausende für sichere Fluchtrouten. Die Botschaft richtete sich unter anderem auch an Städte. Diese sollen sich solidarisch zeigen und sich für das massenhafte Willkommenheissen von Geflüchteten stark machen. Die Demonstrierenden machten zudem deutlich, dass sich ihre Mobilisierung auch gegen die rechtsradikalen Demos in Chemnitz richtete.
Im Rahmen der Seebrücken-Proteste gingen in Hamburg am gleichen Tag 16.000 Menschen auf die Strasse und forderten, Hamburg zu einem sicheren Hafen zu erklären.

Seenotrettung: Proteste gegen Verhaftung von tunesischen Seenotrettern
Italien und die EU kriminalisieren weiterhin Menschen, die andere Menschen vor dem Ertrinken retten. So verhaftete die italienische Küstenwache in Zusammenarbeit mit Frontex beispielsweise am 1. September Chemseddine Bourassine und seine Fischerkollegen, die 14 Schiffbrüchige retteten. Sie wurden gewaltsam in ein italienisches Gefängnis gebracht und konnten bis jetzt nicht mit ihren Familien sprechen. Gestern organisierten die Fischer von Zarzis eine Demo mit über 200 Teilnehmenden und forderten die sofortige Freilassung der Männer und eine Positionierung der tunesischen Regierung gegen die europäische Kriminalisierung von Seenotrettungen.

Protest: Mahnwache gegen das Sterben im Mittelmeer
Mit Transparenten und Schwimmwesten protestierten Aktivist*innen am Donnerstag im Oltner Bahnhof um auf die Lage im Mittelmeer aufmerksam zu machen. Mit Fotos und Texten zum Thema Flucht und Seenotrettung ausgerüstet, haben sie sich bei der Einfahrt des Zuges Richtung Zürich auf den Bahnsteig gelegt.

 

Hörens -/Sehens -/Lesenswertes

Augenzeug*innenberichte von Leuten die übers Mittelmeer flüchten – SOS Mediterranee
Oft kommen Menschen, die das Mittelmeer überquerten, selber gar nie zu Wort. Auf der Webseite von SOS-Mediterranee sind bisher 50 Augenzeug*innenberichte über die Lebens- und Fluchtgeschichte von Geflüchteten aufgeschaltet:

 

Zwei Berichte von Flüchtenden, die im libyschen Bürgerkrieg festsitzen

 

Ausnahmezustand in Tripolis – Echo der Zeit
Die freischaffende Journalistin Bettina Rühl gibt ihre Einschätzung zur Lage in Libyen und die Heuchelei der EU in ihrer Beziehung zu Libyen: