antira-Wochenschau: Kriegsmaterialexport, Integrationszwang, Racism by Tradition

Widerständiger Rückblick auf eine Woche voller Rassismus.

Was ist neu?

Ungarische Behörden verweigern Geflüchteten die Nahrung

Die Menschenrechtsorganisation Hungarian Helsinki Committee (HHC) dokumentierte mehrere Fälle, in denen Geflüchteten Nahrung vorenthalten wurde. Betroffen waren offenbar Asylbewerber*innen in ungarischen Transitzonen. Laut HHC versuchten die ungarischen Behörden, Geflüchtete durch Nahrungsentzug zur Ausreise zu drängen. Um Geflüchtete abzuschrecken, sagten die Behörden ihnen in der Transitzone, dass sie kein Essen bekämen und daher besser nach Serbien zurückkehren sollen. Da die Geflüchteten die Transitzonen nur nach Serbien verlassen dürfen, hätten sie keine andere Möglichkeit gehabt, um sich selbst zu versorgen. Kinder der Betroffenen und eine stillende Mutter hätten zwar Nahrung bekommen, seien aber während der Mahlzeiten von den anderen getrennt worden, um das Essen nicht teilen zu können. Laut HHC hat das ungarische Migrationsamt auf Druck des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) diese Praxis mittlerweile beendet.

https://www.helsinki.hu/wp-content/uploads/Denial-of-food-for-inadmissible-claims-HHC-info-update-17August2018.pdf

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-08/ungarn-asylbewerber-nahrungsentzug-ende-helsinki-komitee

Update: Krieg gegen Geflüchtete im Mittelmeer

Die Zahl der im Rahmen der EU-Mission »Sophia« aus dem Mittelmeer geretteten Menschen ist im ersten Halbjahr drastisch gesunken. Der Rückgang betrage laut Bundesregierung 83% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Erklärung aus Berlin: Die Anzahl der Geflüchteten sei zurückgegangen. Diese Begründung ist höchst zynisch. Denn seit Juni ertranken dort über 700 Schutzsuchende, im Juni und Juli waren es sogar mehr als in den entsprechenden Monaten im Vorjahr, obwohl die Anzahl von Migrierenden übers Mittelmeer insgesamt abgenommen hat. Der Grund für den Rückgang von Seenotrettungen liegt also nicht darin, dass den Seenotretter*innen die „Arbeit“ ausgehen würde, sondern in der politischen Entscheidung der EU, die Menschen im Mittelmeer sterben zu lassen.

Als Reaktion auf den Rückzug der europäischen Staaten und der EU aus der Seenotrettung sind in letzter Zeit vermehrt zivile Rettungsboote zum Einsatz gekommen. Zuletzt häuften sich aber Fälle, in denen die Schiffe tagelang auf dem Mittelmeer umherirrten, weil kein Land einen sicheren Hafen für die Geflüchteten an Bord bieten wollte. Derzeit sind die zivilen Rettungsschiffe ausnahmslos lahmgelegt. Ein Überblick findet sich hier: https://www.tagesschau.de/ausland/zivile-seenotrettung-101.html

Zudem wiederholt sich derzeit das elende Spiel der EU mit aus Seenot geretteten Migrant*innen, diesmal auch gegenüber den Schiffen von staatlichen Küstenwachen. Die 177 Migrant*innen an Bord der italienischen Küstenwache „Diciotti“ dürfen seit 5 Tagen nicht aufs italienische Festland und müssen auf Geheiß Salvinis so lange an Bord bleiben, bis andere EU-Länder sich zu ihrer Aufnahme bereiterklären.

https://www.nau.ch/nachrichten/nau-erklaert/2018/08/21/diciotti-bootsfluchtlinge-in-italien-durfen-nicht-ans-festland-65400840

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1098084.seenotrettung-im-mittelmeer-gipfel-des-zynismus.html

Der Bundesrat will Waffen in Kriegsländer exportieren und ist gegen das UN-Atomwaffenverbot

Die offizielle Schweiz ist eine Fluchtursache, denn sie fördert Krieg. Letzte Woche hat der Bundesrat entschieden, den Uno-Vertrag für ein umfassendes Atomwaffenverbot (TPNW) nicht zu unterzeichnen. Diese Woche erklärte die nationalrätliche Sicherheitskommission (SIK) sie unterstütze eine Lockerung der Regeln zu Kriegsmaterialexporten. Der Bundesrat hat im Juni angekündigt, dass die schweizer Rüstungsindustrie neu Kriegsmaterial auch in Länder exportieren dürfe, die in einen internen bewaffneten Konflikt verwickelt sind.

https://www.nzz.ch/schweiz/skepsis-gegenueber-atomwaffenverbot-ld.1411879

https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/waffenexporte-in-buergerkriegslaender-svp-und-fdp-setzen-sich-durch-lockerung-so-gut-wie-entschieden-132946363

 

Die Reisefreiheit von anerkannten Geflüchteten soll eingeschränkt werden

Der Ständerat und auch die Staatspolitische Kommission des Nationalrates sprechen sich für eine Beschneidung der Reisefreiheit von anerkannten Geflüchteteneten aus. Wenn diese in ihre Herkunftsstaaten oder in deren Nachbarstaaten reisen, um nach Jahren im Exil Familienmitglieder oder Freund*innen zu besuchen, könnten ihnen die Behörden schon bald den Flüchtlingsstatus aberkennen. Ausser, die Person kann beweisen, dass die Reise aufgrund eines Zwangs erfolgte.

https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-spk-n-2018-08-17.aspx

 

Freiburger Gericht findet antiziganistisches Inserat in Ordnung

Die Vereinigung Holzbau Schweiz und der Verband Schweizer Schreinermeister und Möbelfabrikanten publizierten ein rassistisches Inserat in zwei freiburger Tageszeitungen. Die Verbände warnten die Bevölkerung davor, „Fahrenden“ Gipser- oder Malerarbeiten, Plattenlegen sowie Schreiner- und Zimmerarbeiten anzuvertrauen. Dadurch stellten sie die Arbeitsqualität und Arbeitsethik von Fahrenden pauschal in Frage. Für die betroffenen Fahrenden kann dies zu finanziellen Problemen führen. Sie haben oft einen festen Kund*innenstamm und leben davon, dass ihre Arbeit von «Mund zu Mund» weiterempfohlen wird.

Auf eine Privatklage wegen Verletzung der Rassismusstrafnorm trat die freiburger Staatsanwaltschaft nicht ein. Ein Rekurs gegen diesen Entscheid wurde nun auch vom freiburger Kantonsgericht abgelehnt. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) kritisiert das Urteil: “Anstatt über den Inhalt und die möglichen Konsequenzen für fahrende Jenische, Sinti und Roma zu urteilen, standen formaljuristische Argumente zur Rekursfähigkeit der klagenden direktbetroffenen Person im Vordergrund”.

https://www.gfbv.ch/de/medien/medienmitteilungen/rassismus-klage-abgelehnt/

 

Spanische Behörden schieben Migrant*innen aus Ceuta ab

Am Mittwoch haben ca. 100 Migrant*innen den Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Exklave Ceuta überwunden. Bisher wurden Migrant*innen, die nach Ceuta gelangten, aufs spanische Festland gebracht. Nun hat Spanien erstmals ein Abkommen von 1992 angewandt und alle 116 Migrant*innen nach Marokko abgeschoben. Das Abkommen sieht vor, dass Marokko Migrant*innen aus anderen afrikanischen Ländern zurücknimmt, die “illegal” über sein Territorium gekommen sind.

Die Behörden verfrachteten die Migrant*innen aus dem Lager in Ceuta mit Bussen zurück nach Marokko. In diesem Lager halten sich im Moment etwa 1200 Menschen auf. Helfer*innen berichteten, es sei Panik unter den Menschen ausgebrochen, als sie von der Abschiebung erfahren hätten.

https://www.tagesschau.de/ausland/ceuta-abschiebung-101.html

 

Was ist aufgefallen?

Institutioneller Rassismus in der Sozialhilfe

Vorläufig aufgenommene Personen erhalten im Kanton Zürich seit dem 1. Juli nur noch Asylfürsorge. Diese geminderte Form der Sozialhilfe ist deutlich niedriger angesetzt als jene für Schweizer*innen oder EU-Migrant*innen und zeigt beispielhaft was direkter institutioneller Rassismus darstellt. Laut der Monitoring- und Anlaufstelle für vorläufig aufgenommene Personen erhält eine vierköpfige Familie in den meisten Gemeinden noch gut 1400 Franken pro Monat für den täglichen Bedarf. Eine Einzelperson muss mit nicht einmal 700 Franken leben. In Stäfa liegt der Betrag für eine Einzelperson gar bei 360 CHF. Die Gemeinden können weitgehend frei entscheiden, welche Leistungen sie den Betroffenen noch zukommen lassen. Einige Gemeinden überlassen die Festsetzung des Grundbedarfs sogar der ORS AG, welche ihr Gewinn mit der „Versorgung und Unterbringung“ von Asylsuchenden macht. Deren Ansätze sind übrigens durchs Band tiefer als jene der Sozialkonferenz.

https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/so-unterschiedlich-werden-vorlaeufig-aufgenommene-behandelt/story/14463803

https://www.woz.ch/-238c

 

Die erste angenommene Volksinitiative der Schweiz vor 125 Jahren war antisemitisch

Am Montag feierte die schweizer Direktdemokratie ein Jubiläum: Vor genau 125 Jahren wurde die allererste Volksinitiative vom Stimmvolk angenommen. Ein Jubel für die heilige direkte Demokratie und den Rassismus! Die erste Volksinitiative war für das Schächtverbot, welches vor allem aus fremdenfeindlichen Gründen befürwortet wurde. Die Stimmbürger hatten Angst vor der Einwanderung von Jüd*innen, und begrüssten gleichzeitig die Einfuhr antisemitischen Gedankenguts aus Deutschland und Österreich.

https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=7aaca60a-ea4d-4def-90a9-40a2ced55490

 

Disziplinierung durch Integrationsvereinbarungen und neues Ausländer- und Integrationsgesetz

Nächstes Jahr tritt das verschärfte Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) in Kraft. Einen Ausweis C bekommt nur noch, wer integriert ist. Gemäss Gesetz heisst das neu: “(1) Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; (2) Respektierung der Werte der Bundesverfassung; (3) Fähigkeit, sich in einer Landessprache zu verständigen (4) Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung.” Sozialhilfebezug oder mangelnde Sprachkenntnisse können entsprechend zur Ausschaffung führen.

Diese Woche hat der Bundesrat das Gesetz in zwei Verordnungen konkretisiert. Die Behörden können von Migrant*innen verlangen, persönliche Informationen preiszugeben. Sie dürfen Migrant*innen auch “Integrationsvereinbarungen” aufzwingen. Zum Beispiel: “X. besucht für sechs Monate einen Sprachkurs. Die Töchter von X. nehmen am obligatorischen Schwimmunterricht der Schule teil.” Werden die Integrationskriterien nicht erfüllt, kann eine Rückstufung von einer Niederlassungs- (Ausweis C) auf eine Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B) erfolgen. Danach folgt die Ausschaffung.

https://www.basellandschaftlichezeitung.ch/schweiz/wer-sich-nicht-an-den-integrationsvertrag-haelt-wird-ab-naechstem-jahr-bestraft-132939130

https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2018/integration-als-bringschuld-von-auslaenderinnen-und-auslaendern.html

https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2018/2018-08-152.html

           

Berner Polizei toleriert Nazi-Marsch durch die Stadt

Bereits im Vorfeld des YB-Zagreb-Spiels am Mittwoch in Bern war den Behörden bewusst, dass die rechtsextremen Ultras aus Zagreb als eine problematische Fangruppe gilt. Schon am Nachmittag vor dem Spiel bestätigten die Neonazis mit zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Schwimmer*innen ihren schlechten Ruf. Mehrere Meldungen von Übergriffen und Belästigungen gingen bei der berner Polizei am Mittwoch Nachmittag ein. Trotzdem, und trotz des im Voraus ausgesprochenen Verbots, gewährte die berner Polizei einen Fanmarsch der Neonazis und eskortierte die Neonazis freundlicherweise mit minimalem Aufgebot zum Wankdorfstadion. Es zeigt sich wie die berner Polizei Prioritäten setzt: Die letzten vier AntiFa-Spaziergänge wurden mit massivster Repression verhindert. Einen Marsch von übergriffigen Nazis, von denen im Vorfeld klar ist, dass sie gewaltbereit sind, lässt sie gewähren.

 

Was steht an?

Demo für sichere Fluchtrouten und Häfen

Samstag | 1. September | 14:00 | Helvetiaplatz Zürich: Menschen auf dem Mittelmeer sterben zu lassen, um die Abschottung Europas weiter voranzubringen und politische Machtkämpfe auszutragen, ist unerträglich. Gegen diese menschenverachtende Politik hat sich die internationale SEEBRÜCKE-Bewegung gebildet. Diese solidarisiert sich mit allen Menschen auf der Flucht und ruft deshalb am 1. September zur Demo in Zürich auf, um für sichere Fluchtrouten und eine stärkere Seenotrettung zu demonstrieren.

https://www.facebook.com/events/160604018089418/

 

Wo gab’s Widerstand?

Gedenkkundgebung für die Opfer der Taliban und des ISI in Afghanistan

Die Afghanische Gemeinschaft in der Schweiz hat am Dienstag in Bern zu einer Kundgebung aufgerufen. Über 100 Personen gedachten der Opfer der jüngsten Anschläge von Taliban und ISI. Seit einer Woche verüben Taliban und die ISI in Afghanistan in den Gebieten Ghazni, Kabul und Faryab und anderen Provinzen tödliche Anschläge. Die Kundgebung fand auf dem Bahnhofsplatz in Bern statt.

 

Kleiner Widerstand gegen Hunderte, die zur Verteidigung rassistischer Symbole auf die Strasse gingen.

Weil Antirassist*innen die rassistischen Namen und Logos der traditionsreichen Fasnachtsgruppen Clique Mohrenkopf und Negro Rhygass in Frage stellten, mobilisierten sich in Basel innert 24h fast 1000 Menschen. Es gehe ihnen darum ihr Recht auf eine Tradition zu verteidigen. Dass diese Tradition, die Brutalität der kolonialen Vergangenheit verharmlost, deren gewaltmächtigen Symbole und Sprache reproduziert und somit aktualisiert, fällt genauso wenig ins Gewicht, wie die Tatsache, dass sich Schwarze Menschen und People of Colour von dieser Demo und von der Traditionen, für die sie einsteht, bedroht, herabgesetzt oder ausgeschlossen fühlen.

https://telebasel.ch/2018/08/21/fuer-obmann-ist-logo-wechsel-kein-tabu/?channel=105100

https://www.republik.ch/2018/08/21/was-darf-eine-basler-gugge-natuerlich-alles

http://www.beobachternews.de/2018/08/20/fasnacht-mit-bastrock-und-knochen-im-haar/

 

Hörens -/Sehens -/Lesenswertes

Ways to Escape One’s Former Country:

Aus Gesprächen mit Migrant*innen in der Schweiz hat das Künstlerduo “Baltensperger + Siepert” versucht, eine Anleitung zur Flucht zu schreiben. Dadurch sollen sich Menschen, welche nicht von Flucht betroffen sind, besser in die Situation von Geflüchteten hineinversetzen können. Der Fokus liegt dabei vordergründig auf überlebenswichtigen Details – was alles eingepackt werden muss, wo die Route verläuft, mit wem man reist, wofür man Geld braucht etc. Die Anleitung spricht die Lesenden persönlich an und versetzt einem so in die Position der Geflüchteten:

“You travel alone.

You are a woman.

You will be raped.

There’s no getting around this.”

Das Buch kann hier bestellt werden (gratis, ausser 5.- Versandkosten)