antira-Wochenschau: Pläne für europäische Sammellager, über Marokko nach Spanien, wegen Italien nach Libyen

Widerständiger Rückblick auf eine Woche voller Rassismus

Was ist neu?

Die EU-Kommission hat erstmals konkrete Pläne für europäische Sammellager veröffentlicht: Mithilfe der sogenannten Controlled Centers sollen Geflüchtete einfacher und schneller abgeschoben werden können sowie die europäische Sekundärmigration bekämpft werden. Die Idee: Geflüchtete, die Europa erreichen, werden in zentralisierte Lager gebracht. Nach ihrer Ankunft im Lager soll die Grenzschutzagentur Frontex die Identität der Personen klären, die Polizeibehörde Europol einen Sicherheitscheck durchführen. Wenn die Ankommenden keinen Asylantrag stellen, soll Frontex direkt die Abschiebung einleiten. Offen ist bis jetzt, ob die Geflüchteten ganz interniert werden oder das Lager auch verlassen dürfen. Wie die Situation in solchen zentralen Lagern für Geflüchtete aussehen kann, zeigt sich in Italien und Griechenland, wo die EU nach 2016 ähnliche Lager aufgebaut hat: In den meisten Lagern herrschen miserable Zustände, die Geflüchteten sind eingesperrt, es gibt zahlreiche Grundrechtsverletzungen, die Presse hat keinen Zutritt etc.

https://taz.de/EU-Plaene-fuer-Asylzentren/!5520426/

Immer mehr Flüchtende gelangen über Marokko nach Spanien in die Festung Europa: Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist Spanien das neue Hauptziel afrikanischer Migrant*innen, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen. Gewählt wird die neue Route, weil jene über Libyen seit Sommer 2017 faktisch gesperrt ist und Marokkos Grenzpolizei die Grenze weniger hermetisch abriegelt als zuvor. Lange gab es in Marokko kein Durchkommen, doch im vergangenen Jahr waren die marokkanischen Behörden stärker mit Aufständen der eigenen Bevölkerung beschäftigt, was Geflüchteten Grenzüberquerungen erleichterte. Zudem scheint es, als würden die Behörden ihre Grenzen absichtlich durchlässiger machen, um Europa zur kompromisslosen Unterstützung der Westsahara-Politik zu bewegen.

In Spanien macht sich derweilen rassistischer Alarmismus breit. Dies obwohl die Gesamtzahl von Flüchtenden, die über das Meer nach Europa kommen, drastisch abgenommen hat. Von Januar bis Juli 2017 waren es rund 114’000. Im gleichen Zeitraum sind es dieses Jahr – wegen der europäischen und schweizerischen Abschottungspolitik – noch knapp 52’000 Personen.

https://www.srf.ch/news/international/endstation-marokko-war-gestern-die-grenzen-nach-europa-sind-durchlaessiger-geworden


Was ist aufgefallen?

Italien bringt Schiffbrüchige nach Libyen zurück: Ein italienisches Schiff hat Medienberichten zufolge im Mittelmeer 108 Flüchtende zurück nach Libyen gebracht. Libyen hatte Ende Juni eine eigene Such- und Rettungszone (SAR-Zone) eingerichtet, die sich auch auf internationale Gewässer erstreckt. Innerhalb dieser Zone weisen libyschen Behörden den Schiffen einen Hafen zu – Italien habe sich nur an deren Empfehlung gehalten. Die Rechtsprechung ist in einem Fall wie diesem nicht eindeutig: Zum einen müssen Seenotretter*innen Schiffbrüchige an einen sicheren Ort bringen. Zum anderen müssen Kapitän*innen den Anweisungen einer SAR-Leitstelle Folge leisten, und damit konsequenterweise auch der libyschen. Unklar ist im Fall der Asso 28, wer welche Befehle gab. Auf jeden Fall wurde so den Menschen an Bord die Möglichkeit genommen, in Italien Asyl zu beantragen.

2012 wurde Italien vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt, weil es Flüchtende nach Libyen abgeschoben hatte. Geklagt hatten damals Menschen aus Eritrea und Somalia, die 2009 nach Libyen zurückgebracht wurden. In dem EGMR-Urteil hieß es damals, mit der Rückführung habe Italien diese Menschen der Gefahr unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Wiederholt sei von „zuverlässigen Quellen“ auf die unmenschliche Behandlung in Libyen hingewiesen und von Folterfällen berichtet worden. Die Situation heute ist überhaupt nicht besser. Diese Woche wurde durch einen geheimen Bericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes EEAS aufgezeigt, dass die EU Staaten genau über die Bedingungen in Libyen (Folter, Vergewaltigung, Zwangsprostitution, menschlichem Organhandel und bewaffneten Milizen) bescheid wissen.

https://www.zeit.de/gesellschaft/2018-07/mittelmeer-italien-schiff-fluechtlinge-libyen-unhcr

https://www.buzzfeed.com/de/marcusengert/eu-sicherheitsbericht-libyen?utm_term=.fy9b3Kdpg#.umDxPOLlz

Breite Allianz von NGOs prangern Haltung des UNHCR an: Ein Verbund von NGOs, darunter Ärzte ohne Grenzen und Pro Asyl, haben am Montag in einem offenen Brief die Haltung des UNHCR zur europäischen Migrationspolitik kritisiert. Sie fordern, dass das UNHCR sein Mandat konsequent vor Augen behält, welches zuallererst im Schutz der Flüchtenden besteht. Konkret wird verlangt, dass es sich vehement gegen Blockaden von Rettungsbooten zu wehren hat. Weiter wird der Vorschlag des UNHCR zu regionalen Ausschiffungsplattformen kritisiert, da er die Verantwortung den nordafrikanischen Staaten zuschiebe. Generell wird gefordert, dass die Behörde stärker Position bezieht gegen von Mitgliedstaaten verordnete Einschränkungen, die die Ausübung ihres Mandats behindern.

http://ffm-online.org/wp-content/uploads/2018/07/Open_Letter_UNHCR.pdf

http://ffm-online.org/2018/07/30/ngos-zeigen-sich-in-offenem-brief-besorgt-angesichts-aktueller-haltung-des-unhcr-in-der-europaeischen-migrationspolitik/


Was können wir tun?

Wem die gewaltsame Ausschaffung droht, hat Unterstützung verdient. Die Gewalt- und Druckmittel, die die Behörden gegen abgewiesene Asylsuchende einsetzen, sind enorm. Illegalisierung, Abschiebelager, Knäste, Sonderflüge, Ausschaffungsdeals und so weiter. Vor einigen Tagen veröffentlichte die Ausschaffungsbehörden vom Staatssekretariat für Migration (SEM) ihre Halbjahresstatistik und verkündeten, dass sie seit Anfang des Jahres insgesamt 2533 Menschen gewaltsam abgeschoben haben. Rund 14 Personen pro Tag, das ist krass. Die Asylstatistik weist aber auch darauf hin, dass es vielen gelingt, durch Untertauchen der Abschiebung zu entkommen. Dieses Jahr sind es bereits 2881 Menschen, sprich mehr als ausgeschafft wurden. Um zu (über-)leben, sind diese Menschen auf solidarische Unterstützung angewiesen.

https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/publiservice/statistik/asylstatistik/archiv/2018/06.html


Was steht an?

Dass Menschen ertrinken, ist Kalkül. Erfahrungsbericht eines Seenotretters: Im Mittelmeer herrscht ein tödlicher Krieg gegen Migrant*innen. Als Reaktion darauf haben sich Seenotrettungsorganisationen gebildet. Durch ihre Rettungsmissionen versuchen sie, das Sterben im Mittelmeer zu verhindern. Am Montag 6. August erklärt ein Aktivist, wie Seenotrettungen erfolgen und wie die Herrschenden diese sabotieren und blockieren.

18:30 Uhr Essen | 19:15 Uhr Input | Güterstrasse 8 (2. Stock) | Bern

Dass Menschen ertrinken, ist Kalkül. Erfahrungsbericht eines Seenotretters


Wo gabs Widerstand?

„Women in Exile – Women breaking borders“ war auf einer zweiwöchigen Reise in Deutschland und Basel unterwegs, um gegen Rassismus und diskriminierende Asylgesetze laut zu werden. Sie haben beispielsweise die gerade eingerichteten Ankerzentren in Bamberg, Regensburg und Deggendorf besucht und wurden währenddessen immer mehr. Nachzulesen hier im Interview oder hier

https://telebasel.ch/2018/08/01/wenn-fluechtlingsfrauen-grenzen-brechen/?channel=105100

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1095048.fluechtlingspolitik-in-deutschland-gefluechtete-frauen-starten-protesttour-durch-deutschland.html

#MeTwo – Innerhalb weniger Tage teilten zehntausende User*innen den #MeTwo-Hashtag und Medien griffen das Thema Alltags-Rassismus und Diskriminierung auf.

https://twitter.com/hashtag/metwo?lang=en

http://www.taz.de/!5520336/

8000 Personen am Berner «No Borders, No Nations»-Festival: Mit dem jährlich vor dem 1. August stattfindenden Sommerfest auf der Berner Schützenmatte wurde ein Zeichen gegen den Nationalismus gesetzt. Nebst zahlreichen Workshops und Vorträgen wurde im Dachstock eine Ausstellung zu den neuen Bundeslagern in der Schweiz gezeigt. Die Ausstellung wird wahrscheinlich noch an weiteren Orten zu sehen sein, weitere Infos folgen.