antira-Wochenschau: Libyen, Fonds für innere Sicherheit, Antziganismus, Nothilfe

Was ist neu?

Der italienische Regierungschef Salvini will Libyen zu einem sicheren Hafen erklären lassen. Damit würde die rechtliche Grundlage geschaffen, um Geflüchtete im Mittelmeer zurück nach Libyen fahren zu können. Auch die EU will in Zukunft stärker auf Libyen setzen und aussereuropäische Lager errichten, damit Geflüchtete gar nicht erst nach Europa kommen. Angesichts der katastrophalen Zustände in Libyen scheint dieses Vorgehen mehr als problematisch. Nach Angaben der IOM werden derzeit mindestens 9000 Migrant*innen in Lagern festgehalten. Das liegt daran, dass die libysche Küstenwache in den vergangenen Monaten mehr Flüchtlingsboote im Mittelmeer gestoppt hat. Ein Großteil der Personen wird anschließend in die Gefangenenlager gesteckt.
Die Internierung in einem Lager sei laut IOM jedoch keinesfalls das schlimmste Schicksal, das Migrant*innen in Libyen droht. Die größte Gefahr drohe ihnen von bewaffneten Banden, welche Migrant*innen zum Arbeiten auf Farmen verschleppen.
Nebst der Errichtung von Lagern in Libyen will die EU auch die Seenotrettung vermehrt an Libyen abgeben. Ziel davon ist, dass Geflüchtete vermehrt nach Libyen rückgeschafft werden. Auch dieser Vorschlag ist hochproblematisch, unter anderem weil die spanische NGO Proactiva open arms letzte Woche bekannt machte, dass die libysche Küstenwache drei Personen auf See zurückgelassen hatte, welche sich weigerten, zurück in den Folterstaat Libyen zu gehen. Zwei der drei Personen starben.

https://www.nau.ch/nachrichten/europa/2018/07/19/rettungsschiff-mit-uberlebenden-und-zwei-leichen-steuert-mallorca-an-65373655

http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-libyen-das-problem-liegt-an-land-a-1219448.html

https://kurier.at/politik/ausland/salvini-will-libyen-zum-sicheren-hafen-erklaeren-lassen/400067183

Steigende Ausgaben im Krieg gegen Flüchtende:
Die Schweiz beteiligt sich mit rund 20,6 Millionen Franken pro Jahr am sogenannten “Fonds für Innere Sicherheit”. Mit diesem Geld finanziert Europa seine koordinierte Grenzgewalt.
Insgesamt stehen der EU nun 2,76 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist ein Anstieg von einer Milliarde Euro und der Beitrag der Schweiz an den Fonds hat sich mehr als verdoppelt. Die Beteiligung am Fonds wird in der Schweiz von der SP unterstützt, die Grünen lehnten dies ab.

https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2018/2018-07-17.html


Inhaftierung von Minderjährigen gestoppt
Anfang Juli wurde bekannt, dass verschiedene Kantone Kinder in Ausschaffungshaft sperren. Die Geschäftspüfungskommission des Nationalrats spricht von einem Verstoss gegen die Kinderrechtskonvention. Nun haben Zürich und Bern die Inhaftierung von Kindern gestoppt. Allgemein besteht kein Überblick darüber, wie viele Kinder in der Schweiz in Ausschaffungsgefängnisse gesperrt werden.

https://www.derbund.ch/bern/kanton/gefaengnis-thun-schafft-keine-kinder-mehr-aus/story/28618709

https://www.nzz.ch/schweiz/inhaftierung-von-kindern-gestoppt-ld.1405059

Was ist aufgefallen?

Erste Ausschaffungen wegen Sozialhilfemissbrauch
Drei Personen aus dem Kanton Zürich droht die Ausschaffung wegen sogenanntem Sozialhilfemissbrauch. Bisher wurde dafür noch niemand ausgeschafft. In drei Fällen hat die Staatsanwaltschaft nun aber einen Landesverweis beantragt.

https://www.nzz.ch/zuerich/drei-personen-aus-dem-kanton-zuerich-droht-die-ausschaffung-wegen-sozialhilfemissbrauchs-ld.1403241

Häufung von antiziganistischen Vorfällen
In Gossau, ZH haben Gemeindebehörden eine Gruppe fahrende Roma weggewiesen, obwohl ein Mietvertrag mit einem Landwirten vorlag.
Ähnliches droht rund 60 Fahrenden in Egerkingen, SO: der Gemeinderat will das Polizeireglement verschärfen, um zukünftige Mietverträge von Fahrenden mit Landwirt*innen zu verhindern.

https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/thal-gaeu/fahrende-sorgen-fuer-verunsicherung-uns-sind-die-haende-gebunden-132808037

http://zueriost.ch/bezirk-hinwil/gossau/wegweisungen-sind-nicht-zielfuehrend/1083641

Sans-Papiers und Sozialversicherungen
Die Sozialkommission des Nationalrats (SGK) hat im Frühling verlangt, dass Sans-Papiers keine AHV oder Krankenversicherung mehr erhalten. Nachdem der Bundesrat dies ablehnte, zog die SGK ihren Vorstoss zurück. Die Staatspolitische Kommission (SPK) fordert nun vom Bundesrat einen Bericht, der über Sozialversicherungsansprüche von Sans-Papiers informiert und aufzeigt, was passieren würde, wenn diese gestrichen würde.

Interpellation Steinemann: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20183125

Postulat Staatspolitische Kommission NR: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20183381

Motion Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20183005

Tessiner Nazi-Polizist befördert
Vor zwei Jahren wurde der Polizist Edy I. wegen Verherrlichungen von Hitler und Mussolini und Forderungen nach der «grossen Reinemache» zu einer Geldstrafe verurteilt. Jetzt wurde er zum Oberfeldwebel befördert und hat damit mehr Handlungsspielraum. BDP-ler Thomas Keller nutzte die Gelegenheit um mit Hitler zu sympathisieren.

https://www.nau.ch/nachrichten/schweiz/2018/07/17/bdp-politiker-thomas-keller-nimmt-hitler-in-schutz-65371771

https://www.blick.ch/news/schweiz/tessin/edy-i-55-lobte-hitler-auf-facebook-tessiner-nazi-polizist-wird-befoerdert-id8622210.html

Wo sehen wir Handlungsspielräume für Widerstand?
Ein Bericht des SEM gibt bekannt, dass in der Schweiz 8022 abgewiesene Asylsuchende dem Nothilferegime ausgesetzt sind. Die Nothilfe wird verwendet, um Menschen zu zermürben, damit diese das Land verlassen und andere abgeschreckt werden. Nothilfe bedeutet von ca. 8 Franken pro Tag, zusammengepfercht und mit eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem leben zu müssen. Lohnarbeit und Bildung sind verboten. Rund 60% bleiben diesem Regime länger als 1 Jahr ausgesetzt. Sie sind isoliert, leiden physisch und psychisch und sind sicherlich froh um menschliche, politische und juristische Solidarität.

https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/asyl/sozialhilfe/ab-2008/ber-monitoring-2017-d.pdf

Was steht an?
No Borders No Nation Festival beginnt in Bern.

Petition aus Fribourg gegen Ausschaffungen nach Äthiopien und Eritrea, Forderung nach Regularisierung des Aufenthaltsstatus und Grundrechte.
Analyse auf Deutsch: hier.

Wo gabs Widerstand?
Protest an französischer Grenze
Am Wochenende demonstrierten an Italiens Grenze zu Frankreich tausende Menschen gegen eine Abschottung Europas vor Geflüchteten. Durch die ligurische Stadt Ventimiglia zogen am Samstag etwa 3000 Menschen bis zur französischen Grenze.

https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/italien-verweigert-erneut-die-aufnahme-hunderter-fluechtlinge/story/16944602

http://www.spiegel.de/politik/ausland/italien-tausende-demonstrieren-gegen-abschottung-europas-a-1218493.html

Demo in Zürich
Am Samstag 14. Juli haben sich in Zürich über 1000 Leute an einer  antirassistischen Demonstration beteiligt. Hier gehts zu ihrem Communiqué.


Demo in Fribourg
Am 20 Juni haben über 300 Personen in Fribourg demonstriert. Im Zentrum der Demo standen zwei Forderungen, welche an die politischen Autoritäten des Kantons gestellt wurden: Der Verzicht auf Ausschaffungen von Asylsuchenden nach Äthiopien oder Eritrea und die Regularisierung von abgewiesenen Asylsuchenden, welche unter dem System der Nothilfe leben. Siehe auch: Petition.

https://antira.org/2018/07/19/migration-schweiz-eine-mobilisierung-in-fribourg-und-ein-wenig-kontext/


Aktion “Retten verboten”
In der Nacht auf Mittwoch wurden in verschiedenen öffentlichen Bädern und entlang der Aare Schilder platziert, welche das Anlegen mit Booten wie auch das Retten von Ertrinkenden verbieten. Damit soll auf die unmenschliche und mörderische Politik an den europäischen Aussengrenzen aufmerksam gemacht werden.

https://www.facebook.com/rjgbern/posts/1126340980851754

Italienische Küstenwache
Die italienische Küstenwache und Zollpolizei widersetzten sich den Anweisungen der italienischen Regierung und nahmen ca. 450 Geflüchtete von einem Fischerboot auf. Vier Menschen ertranken kurz vor der Rettung.

http://ffm-online.org/2018/07/16/widerstand-aus-den-reihen-der-italienischen-kuestenwache-avvenire/?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter

https://www.nau.ch/nachrichten/europa/2018/07/16/vor-rettung-der-450-migranten-dramatische-szenen-an-bord-65371510