Medienspiegel 15. Juli 2018

+++AARGAU
Der Treffpunkt hat sich etabliert: «Die langen Asyl-Verfahren drücken auf die Stimmung»
Seit einem Jahr gibt es in Frick den Treffpunkt für Asylsuchende und Einheimische. Bei vielen Migranten ist er fester Bestandteil des Wochenprogramms. Einheimische kommen dagegen kaum.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/fricktal/der-treffpunkt-hat-sich-etabliert-die-langen-asyl-verfahren-druecken-auf-die-stimmung-132806058

+++SCHWEIZ
«Sommaruga und Cassis müssen nach Eritrea fliegen»
Nach dem Friedenschluss mit Äthiopien fordert der eritreische Honorarkonsul, Toni Locher, dass der Bundesrat ein Migrationsabkommen aushandelt.
https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/sommaruga-und-aussenminister-cassis-muessen-nach-eritrea-fliegen/story/15008608

NZZ am Sonntag 15.07.2018

Eritreas Regime ist vom Frieden bedroht

Trotz der Übereinkunft mit Äthiopien wird der unbefristete Militärdienst im ostafrikanischen Land wohl nicht so bald aufgehoben.

von David Signer, Dakar

Das Tempo, mit dem die Annäherung zwischen den Erzfeinden Äthiopien und Eritrea vorangetrieben wird, ist erstaunlich. Seit dieser Woche gibt es wieder Telefonverbindungen zwischen den beiden Ländern, ab nächster Woche wieder eine direkte Flugverbindung zwischen den Hauptstädten Addis Abeba und Asmara.

Gestern Samstag schliesslich besuchte Eritreas Präsident Isayas Afewerki erstmals seit 22 Jahren das Nachbarland, wo ihn Regierungschef Abiy Ahmed feierlich begrüsste. Der 41 Jahre junge äthiopische Ministerpräsident ist die treibende Kraft hinter dem Entspannungsprozess. Er ist erst seit April im Amt, hat aber in dieser Zeit sein Land umgekrempelt – und den Frieden mit dem Erzfeind Eritrea gesucht.

Historische Umarmung

Vor einer Woche hatten sich Abiy und Afewerki bereits in Eritrea getroffen und mit einer historischen Umarmung einen Schlussstrich unter Jahrzehnte der Feindseligkeiten gezogen. Allein der Krieg von 1998 bis 2000 zwischen den beiden Ländern am Horn von Afrika hatte schätzungsweise 80 000 Tote gefordert. Im Jahr 2000 wurde zwar in Algier ein Friedensvertrag geschlossen. Doch erst vor gut einem Monat kündigte Abiy an, diesen bedingungslos zu akzeptieren. Dazu gehört etwa die Rückgabe der umstrittenen Grenzstadt Badme an Eritrea.

Afewerki wurde von der Initiative Abiys offensichtlich überrumpelt. Aber es blieb ihm nicht viel mehr übrig, als den angebotenen Ölzweig anzunehmen. Nun stellt sich die Frage, was das für sein repressives Regime bedeutet, insbesondere für den unbefristeten Nationaldienst, der so viele junge Eritreer Reissaus nehmen lässt. In der Schweiz etwa beantragen derzeit etwa 250 Eritreer jeden Monat Asyl. Ein wichtiger Grund dafür ist laut dem Staatssekretariat für Migration der Nationaldienst.

Offiziell dauert dieser für alle Männer und Frauen obligatorische Militärdienst 18 Monate, aber er kann willkürlich verlängert werden. Einige leisten dabei Dienst an der Waffe, viele werden aber auch einfach zu verschiedenen Fronarbeiten, zum Beispiel im Strassenbau oder im Steinbruch, eingesetzt. Oft dient der Dienst nicht dem Gemeinwohl, wie offiziell behauptet wird, sondern den oberen Chargen der Regierung und des Militärs.

Ein Zehntel der Bevölkerung ist derzeit in diese institutionalisierte Zwangsarbeit eingespannt, die es dem Staat zudem ermöglicht, seine Bürger wie in einer Kaserne zu kontrollieren. Wer desertiert, wird mit Internierung bestraft. Eine Untersuchungskommission des Uno-Menschenrechtsrats sprach von «Sklaverei». Gerade für gebildete und ambitionierte Eritreer ist unter solchen Umständen an ein selbstbestimmtes Fortkommen, aber auch an eine Familiengründung nicht zu denken.

Vermutlich hat die ausgestreckte Hand Abiys den 72-jährigen Afewerki in eine arge Zwickmühle gebracht. Das Friedensangebot rundweg ablehnen konnte er nicht, ohne als Kriegsgurgel dazustehen. Aber eine Entspannung mit dem grossen Nachbarn entzieht Afewerkis Militärstaat die Existenzgrundlage.

Denn die Zensur, die Inhaftierung von Oppositionellen, die Unterdrückung aller demokratischen Bestrebungen, die Überwachung – all das wurde mit der äthiopischen Bedrohung begründet. Liberale Reformen, wie sie Abiy in Rekordzeit in seinem Land durchgesetzt hat, kann man sich in Eritrea kaum vorstellen. Vor allem nicht, solange Afewerki noch an der Macht ist.

Seit der Abspaltung Eritreas von Äthiopien im Jahr 1993 ist Afewerki Präsident des Landes und Chef der sogenannten Übergangsregierung. 1997 wurde im Einparteistaat eine Verfassung verabschiedet, die aber bis heute nicht in Kraft ist. Kontakte pflegt Afewerki nur zu anderen autoritären Regimen, beispielsweise in China, Iran oder Kuba. Sonst ist das Land international isoliert.

Afewerki unter Zugzwang

Etwa ein Fünftel der eritreischen Bevölkerung lebt im Ausland. In der Schweiz sind es derzeit rund 37 000. Es ist gut möglich, dass sich die Frustration unter den Eritreern bei einer Lockerung der Repression dammbruchartig über das Land ergiessen würde. Darum gibt es wohl nur zwei Optionen: Entweder wird die totale Kontrolle aufrechterhalten, auch wenn sie sich kaum noch durch einen äusseren Feind legitimieren lässt. Oder es kommt zu einer radikalen Kehrtwende.

Abiy hat Afewerki mit seinem Entgegenkommen wahrscheinlich mehr in Gefahr gebracht, als es die jahrelange militärische Aggression und Drohung aus Addis Abeba jemals vermochte. Aber vorderhand sitzt der alte Despot immer noch fest im Sattel, und nichts deutet auf einen Kurswechsel und die Abschaffung des Nationaldienstes hin.

Insofern war ein diese Woche publiziertes Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in St. Gallen vielleicht etwas voreilig. Demnach können abgewiesene eritreische Asylsuchende jetzt auch dann in ihre Heimat weggewiesen werden, wenn sie dort in den Nationaldienst einberufen werden könnten.
(https://nzzas.nzz.ch/international/eritreas-regime-ist-vom-frieden-bedroht-aethiopien-ld.1403590)

Vom wandernden Wesen: Die neue «Schweizer Migrationsgeschichte»
Der Mensch ist schon immer gewandert, auch der Schweizer. Eine neue Publikation zeichnet diese Wanderungsbewegung nach.
https://tageswoche.ch/gesellschaft/vom-wandernden-wesen-die-neue-schweizer-migrationsgeschichte/

+++DEUTSCHLAND
Deutsche Polizei warnt – Handel mit Flüchtlingsausweisen floriert
Hunderte deutscher Identitätskarten sollen schon verkauft worden sein. Insbesondere von Irakern und Syrern.
https://www.srf.ch/news/international/deutsche-polizei-warnt-handel-mit-fluechtlingsausweisen-floriert

Problem bei Abschiebungen: Jeder Zweite taucht vorher unter
Etwa die Hälfte aller Abzuschiebenden taucht offenbar unter, wenn die Rückführung droht. Nicht nur deshalb ging in diesem Jahr bislang die Zahl der tatsächlich erfolgten Abschiebungen zurück.
http://www.tagesschau.de/inland/abschiebungen-meldeort-101.html

+++MITTELMEER
Zynisches Kalkül
Italien zwingt Europa einen neuen Verteilmodus für Flüchtlinge auf – auf deren Rücken.
https://www.derbund.ch/ausland/europa/zynisches-kalkuel/story/30905292

Die Machtprobe vor Pozzallo
Von 441 Flüchtlingen finden 150 provisorische Aufnahme: Vor Sizilien erprobt Rom das «Modell Lifeline».
https://www.derbund.ch/ausland/europa/die-machtprobe-vor-pozzallo/story/12035480

Drei weitere Länder sagen Italien Aufnahme von Flüchtlingen zu
Im Streit um das Schicksal von 450 im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen hat Italien neue Zusagen erhalten.
https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/italien-verweigert-erneut-die-aufnahme-hunderter-fluechtlinge/story/16944602
-> https://www.watson.ch/international/italien/581405928-mehrere-laender-sagen-italien-aufnahme-von-je-50-fluechtlingen-zu

Deutschland sagt Italien: Aufnahme von 50 Bootsflüchtlingen zu
Frontex brachte 450 gerettete Migranten in italienische Gewässer / Italiens Innenminister Salvini bleibt hart
Wieder schippern gerettete Flüchtlinge tagelang im Mittelmeer – dieses mal an Bord eines Frontex-Schiffes. Italien weigert sich, sie ins Land zu lassen. Nach Malta und Frankreich hat nun auch die Bundesregierung die Aufnahme von 50 Menschen zugesagt.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1094288.streit-um-gerettete-im-mittelmeer-deutschland-sagt-italien-aufnahme-von-bootsfluechtlingen-zu.html
-> https://www.br.de/nachrichten/deutschland-nimmt-50-bootsfluechtlinge-auf-100.html
-> https://www.blick.ch/news/ausland/streit-um-450-gerettete-fluechtlinge-jetzt-hilft-auch-deutschland-italien-aus-id8618824.html
-> http://www.spiegel.de/politik/ausland/deutschland-nimmt-50-fluechtlinge-von-italien-auf-a-1218534.html
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-07/eu-asylstreit-deutschland-aufnahme-bootsfluechtlinge
-> https://www.aargauerzeitung.ch/ausland/italiens-harter-migrationskurs-zwingt-eu-partner-zu-zugestaendnissen-132812143
-> https://www.zdf.de/nachrichten/heute/deutschland-nimmt-50-bootsfluechtlinge-auf-100.html
-> http://www.tagesschau.de/ausland/migranten-mittelmeer-schiff-malta-italien-109.html

Rettungs-NGO „Open Arms“ wieder im zentralen Mittelmeer
„Open Arms“ und „Astral“, beides Rettungsschiffe der spanischen NGO Proactiven Open Arms ist wieder im zentralen Mittelmeer. Auf Facebook schreiben sie: „Auch wenn Italien die Häfen schließt, kann es keine Türen im Meer einsetzen. Wir fahren in das Meeresgebiet, wo keine Klandestinen oder Delinquenten, sondern Menschenleben in Gefahr sind. Und allzu viele Tote auf dem Meeresgrund.“
http://ffm-online.org/2018/07/15/rettungs-ngo-open-arms-wieder-im-zentralen-mittelmeer

NZZ am Sonntag 15.07.2018

Italiens Regierung bleibt bei den Bootsflüchtlingen hart

Ein vor Italien aufgetauchtes Fischerboot mit Migranten an Bord könnte auf eine neue Entwicklung im Mittelmeer deuten: Schlepper setzen Holz- und nicht mehr Schlauchboote ein.

von Patricia Arnold, Palermo

450 Männer, Frauen und Kinder, die an Bord eines grossen Fischkutters auf dem Weg nach Italien gestoppt wurden, dürfen weiterhin nicht an Land gehen. Die Regierung in Rom bleibt bei ihrer harten Haltung gegenüber Bootsflüchtlingen. Damit verschärfte sich am Samstag der Streit zwischen Italien und Europa über die Aufnahme von Migranten.

Der 20 Meter lange Kutter hatte Kurs auf die Mittelmeerinseln Lampedusa oder Linosa genommen, die dicht beieinander liegen. Wahrscheinlich kam das Schiff aus Zuwara im Nordwesten Libyens. Innenminister Matteo Salvini verlangte am Freitag, dass Malta die Flüchtlinge aufnehme. Doch das Land erklärte sich wie schon in anderen Fällen für nicht zuständig.

Darauf versuchte Regierungschef Giuseppe Conte, durchsetzen, dass die Flüchtlinge sofort in andere europäische Länder gebracht werden. Dann könnten die Migranten über Italien in diese Länder reisen, hiess es. Bei einer Absage müssten die Menschen auf hoher See bleiben, bis geklärt sei, ob sie einen Anspruch auf Asyl hätten oder nicht.

Der Fischkutter war offenbar nicht mehr seetüchtig. Die Männer, Frauen und Kinder aus afrikanischen Ländern wurden deshalb am Samstag auf ein Patrouillenboot des europäischen Grenzschutzes Frontex sowie auf ein Schiff der italienischen Küstenwache gebracht. Einzelnen soll es gesundheitlich sehr schlecht gehen. Acht Frauen und Kinder wurden mit einem Helikopter über Lampedusa in ein Spital nach Palermo geflogen. Ein Arzt sagte, eine Frau habe seit Wochen nichts mehr gegessen.

Bemerkenswert am neuen Rettungsfall ist, dass die Menschenhändler in Libyen ihre Strategie zu ändern scheinen. Seit langem haben sie wieder einmal ein Fischerboot aus Holz eingesetzt, um Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Italien zu bringen. Normalerweise benutzen sie Schlauchboote miserabler Qualität, die kaum aus den libyschen Gewässern herauskommen und rasch in Seenot geraten.

Damit passen sich die Schlepper vielleicht auf die neuen Entwicklungen bei der Rettung von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer an. Mit Fischerbooten wollen sie offenbar verhindern, dass Flüchtlinge von der libyschen Küstenwache aufgebracht und sofort wieder in das politisch zerrütteten Land zurückgebracht werden.

Seitdem sich private Seenotretter auf Druck Italiens zurückgezogen haben, ist zudem für die Migranten die Gefahr noch grösser geworden, bei der Überfahrt nach Italien zu ertrinken.
(https://nzzas.nzz.ch/international/italiens-regierung-bleibt-hart-bei-bootsfluechtlingen-ld.1403634)

+++EUROPA
Tschechien will keine der geretteten Migranten aufnehmen
Erst Ungarn, dann Polen, dann die Slowakei und jetzt Tschechien: Die geretteten Migranten finden in Europa keinen Platz.
https://www.nau.ch/nachrichten/europa/2018/07/15/tschechien-will-keine-der-geretteten-migranten-aufnehmen-65370664

+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Fahrende sorgen für Verunsicherung: «Uns sind die Hände gebunden»
In Egerkingen machen rund 60 Fahrende aus Deutschland und dem Elsass mit ihren Wohnwagen Station an der Bannstrasse an der Dünnern. Sie besitzen einen bis 31. Juli laufenden Mietvertrag mit dem Landwirt – dennoch will der Gemeinderat nun das Polizeireglement ändern.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/thal-gaeu/fahrende-sorgen-fuer-verunsicherung-uns-sind-die-haende-gebunden-132808037

+++FREIRÄUME
Broschüre: Aufwertung ist angreifbar!
Wir haben Berichte von verschiedenen militanten Aktionen gegen die Stadtaufwertung in Zürich gesammelt.
https://barrikade.info/Broschure-Aufwertung-ist-angreifbar-1274

+++BIG BROTHER
Sonntagszeitung 15.07.2018

Mit der Dashcam auf Verbrecherjagd

Die Polizei setzt auf Videos von Privatpersonen – obwohl diese laut Datenschützer widerrechtlich sind.

Roland Gamp, Pia Wertheimer

Niemand soll sein Gesicht sehen. Mit der Kapuze über dem Kopf betritt der Räuber den Denner. Er zückt seine Pistole und bedroht damit eine Angestellte. An Geld kommt der Mann nicht, weil sich die Kasse nicht öffnen lässt. Also flüchtet er ohne Beute – aber auch unerkannt.

Die Aargauer Kantonspolizei will den Täter dennoch fassen. Sie geht davon aus, dass er schon vor der Tat um die Filiale herumschlich. Vor einer Woche rief sie deshalb drei Tage nach dem Überfall in Baden Bürger öffentlich dazu auf, «Aufnahmen von Dashcams zur Verfügung zu stellen».

Autolenker bringen die kleinen Kameras im Fahrzeug an. Eigentlich, um selbst Beweise in der Hand zu halten, sollte es zum Schadenfall kommen. Doch immer öfter interessiert sich auch die Polizei für solche Aufnahmen, wie eine Umfrage in den Kantonen zeigt.

Von den 20 befragten Korps geben 14 an, schon solche Videos zur Aufklärung von Delikten eingesetzt zu haben. In Luzern gab es bereits mehrere Aufrufe nach Aufnahmen von Privaten, hier vor allem bei Brandfällen. Im Aargau suchten die Ermittler auch beim Vierfachmord von Rupperswil nach Dashcam-Videos. Und in Zürich reichen Anzeigeerstatter oft gleich selbst Filme von Dashcams mit ein. «Es gab schon immer Meldungen über Gesetzeswiderhandlungen. Dass Bildmaterial als Beweismittel mitgeschickt wird, hat in letzter Zeit jedoch zugenommen», sagt Marc Besson von der Zürcher Kantonspolizei. Mehrere dieser Meldungen hätten bereits zu Anzeigen geführt.

Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft hat in den letzten zwei Jahren bei drei bis vier Verkehrsunfällen Videos von Dashcams ausgewertet. Auch in Nidwalden, Waadt oder Thurgau taten das die Ordnungshüter, genauso in Zug.

Während die meisten Korps damit Verkehrsunfälle klären, verwendete die Polizei in Appenzell Ausserrhoden Videodaten auch bei Einbruchdiebstählen. «Bei schweren Straftaten ist nicht ausgeschlossen, dass ein Aufruf an die Bevölkerung verfasst würde», sagt Polizeisprecher Marcel Wehrlin. Denn: Dashcams können Ermittlern den entscheidenden Hinweis liefern, um Täter zu fassen.

Datenschützer: «Schwerwiegender Verstoss»

Ihre Verwendung ist aber höchst umstritten. Hugo Wyler, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten: «Der Einsatz dieser Kameras verletzt in der Regel die Persönlichkeitsrechte.» Es fehle einerseits die Transparenz. Denn die Gefilmten wissen nicht, dass sie gefilmt werden. «Und es fehlt die Verhältnismässigkeit. Die Überwachung im öffentlichen Raum darf grundsätzlich nur durch eine staatliche Behörde gestützt auf eine gesetzliche Grundlage erfolgen», sagt Wyler. Er hält fest: «Solche Aufnahmen von Dashcams bilden einen schwerwiegenden Verstoss gegen das Datenschutzgesetz.» Deshalb sei es heikel, wenn die Polizei wie jetzt im Aargau aktiv um Aufnahmen bitte. «Weil dies den Dashcam-Usern suggeriert, dass ihr Filmen im öffentlichen Raum datenschutzrechtlich unproblematisch sei.» Ob die entsprechenden Filmchen dann überhaupt bei einem Prozess zugelassen würden, müsse jeweils das Gericht entscheiden.

Eine einheitliche juristische Praxis gibt es dabei nicht. Der deutsche Bundesgerichtshof entschied vor zwei Monaten, dass Aufnahmen von Dashcams vor Gericht grundsätzlich als Beweis genutzt werden dürfen. In der Schweiz hingegen fehlt ein solcher Leitentscheid durch das Bundesgericht bis jetzt. Und so fallen die Urteile unterschiedlich aus. Ein Fahrlehrer im Kanton Schwyz hatte zum Beispiel mit der Dashcam festgehalten, dass ein Lenker zu schnell auf der Autobahn unterwegs war und rechts überholte. Das Kantonsgericht liess das Video letzten September nicht als Beweis zu, weil dieses den Datenschutz verletze. Es kam zu einem Freispruch.

Anders urteilte im April das Bezirksgericht Bülach ZH. Eine Frau wurde gefilmt, wie sie auf der Autobahn drängelte und dann ebenfalls rechts überholte. Es handle sich um ein schweres Delikt, befand der Richter. Aber nur um einen relativ geringen Eingriff in die Privatsphäre der Beschuldigten. Deshalb verurteilte er die Frau. Sie legte Berufung ein, bald wird sich das Zürcher Obergericht mit dem Fall befassen müssen.

Der rechtlichen Ungewissheit sind sich Versicherer bewusst. Zwar könnten Dashcams helfen, Fälle zu klären oder Versicherungsbetrug zu entlarven. Dennoch ist die Skepsis gross. «Die Rechtslage in Bezug auf Dashcams in der Schweiz ist nicht eindeutig», sagt Anna Ehrensperger von der AXA. Man empfehle die Kameras nicht proaktiv. Diese könnten bei der Unfallanalyse hilfreich sein. «Sie zeigen jedoch nur die Sicht in eine Richtung und liefern Daten nur dann, wenn sie eingeschaltet sind.» Gleich klingt es bei der Allianz. «Videoaufnahmen können in strittigen Fällen Klärung bringen. Aber eine allgemeine Empfehlung für das Mitführen von Dashcams leiten wir daraus nicht ab», sagt Sprecher Bernd De Wall. «Für den Einsatz von Dashcams gewähren wir keine Rabatte und verfolgen auch keine diesbezüglichen Pläne.»

Anzeigen wegen illegaler Aufnahmen verdreifacht

Aber auch ohne Vergünstigungen steigt die Zahl der Dashcams auf Schweizer Strassen. In den letzten 12 Monaten gingen die Verkäufe bei Mediamarkt im Vergleich zum Vorjahr um fast 20 Prozent hoch. Bei Brack.ch gab es schon 2014 und 2015 «einen kleinen Boom beim Dashcam-Absatz», wie Sprecher Daniel Rei sagt. Und der Touring- Club Schweiz verweist darauf, dass immer mehr Autohersteller Kameras in neuen Modellen einbauen.

Die Polizei dürfte dies freuen. Hingegen bleibt der Datenschützer des Bundes kritisch. «Private haben den öffentlichen Raum grundsätzlich nicht zu überwachen», sagt Wyler. «Das gilt für Dashcams, aber genauso für fixe Überwachungskameras, die zum Beispiel ein Trottoir zeigen. Und mit Drohnen erhält das Problem noch eine ganz neue Dimension.»

396 Beschuldigte im Jahr 2017

Absurd mutet es an, dass die Polizei dank solch neuer Gadgets zwar immer mehr Delikte aufklärt, gleichzeitig aber auch immer öfter gegen die Filmer vorgeht. Eben weil diese meist illegal aufnehmen. 396 Beschuldigte gab es letztes Jahr wegen «Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte». Im Jahr 2010 waren es noch dreimal weniger gewesen.

Ob sich der Räuber aus Baden je verantworten muss, ist offen. «Bis dato gingen keine Einsendungen von Videodaten ein», sagt Roland Pfister von der Aargauer Kantonspolizei. Dass man öffentlich um Dashcam-Aufnahmen ersucht, liege an der Schwere des Delikts. «Dieser Schritt wird als verhältnismässig eingestuft, geht es doch um die mögliche Klärung eines verübten Raubdeliktes.»

TCS warnt vor «selbst ernannten Ordnungshütern»

Ein Automobilist hielt im Kanton Zug die Polizei auf Trab. Nicht etwa, weil er Verkehrsregeln brach. Morgen für Morgen war der Mann zwischen Baar und Rotkreuz unterwegs und filmte. Er nahm Automobilisten auf, die drängelten, im letzten Moment die Spur wechselten, rechts überholten oder zu dicht auffuhren.

Mit dem Videomaterial erstattete er Strafanzeige bei der Zuger Polizei – und zwar in mehr als hundert Fällen. Bewirkt hat er damit wenig, denn die zuständige Staatsanwaltschaft stellte in den meisten Fällen die Untersuchungen ein. Auf den Filmen seien weder Unfallfolgen noch konkrete Gefährdungen zu sehen, argumentierte die Untersuchungsbehörde gegenüber der «Luzerner Zeitung». Die Überwachung des öffentlichen Raums und das Sammeln von Daten «auf Vorrat durch Privatpersonen» sei weder zulässig noch verhältnismässig.

Ins gleiche Horn stösst der Touring- Club Schweiz (TCS). Er warnt vor «selbst ernannten Ordnungshütern», die mit eigenen Aufnahmen andere Verkehrsteilnehmer anzeigen. «Die Polizei ist verpflichtet, all diesen Fällen nachzugehen, was zu einer erheblichen und unnötigen Zusatzbelastung führt», sagt Sprecher Daniel Graf. Der TCS begrüsse zwar, dass die Polizei durch die Aufnahmen der Bordkameras grobe Verkehrsregelverletzungen und Unfallhergänge klären könne.

Das konstante Filmen ist dem Touring-Club aber ein Dorn im Auge. «Der Schutz der Privatsphäre und der Datenschutz von anderen Verkehrsteilnehmern und Passanten sind durch die neue Praxis gefährdet», sagt Graf. Es seien dringend klare Richtlinien nötig. Regeln, wann solche Aufnahmen wofür benutzt werden dürfen. «Am schnellsten ginge das mit einem Bundes­gerichtsentscheid.» (gpr/pia)
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/mit-der-dashcam-auf-verbrecherjagd/story/28352045)

+++UNDERCOVER
„Die Polizei hat eine Grenze überschritten“
Unter dem Hashtag #Spycops unterstützt die Kosmetikfirma Lush in Großbritannien eine Kampagne gegen den polizeilichen Missbrauch linker Aktivisten. Zuletzt sorgten in Nordirland Enthüllungen über verdeckte Ermittler aus London für Wirbel
https://www.heise.de/tp/features/Die-Polizei-hat-eine-Grenze-ueberschritten-4098921.html

+++ANTIFA
«Auf! Bewerben!» AfD-Star macht Werbung für die NZZ
Die deutsche Rechtspopulistin Beatrix von Storch sucht per Twitter NZZ-Volontäre. Die Zeitung geniesst bei der AfD Kultstatus.
https://www.blick.ch/news/politik/auf-bewerben-afd-star-macht-werbung-fuer-die-nzz-id8618635.html

+++ANTIRA
Wissenschaftlich haltlos, juristisch unbrauchbar
Die Schweizer Bundesverfassung verbietet Diskriminierung aufgrund der «Rasse». Das ist überholt. Wir sollten das Wort streichen – wie Frankreich.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/wissenschaftlich-haltlos-juristisch-unbrauchbar/story/12282858

Fussballverband erfindet Doppelbürger
Funktionäre verbreiten falsche Informationen zur Staatsangehörigkeit ihrer Fussballstars. Granit Xhaka hat nur einen Pass.
https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/fussballverband-erfindet-doppelbuerger/story/11586694

Unmut über Namen von Schülern im Netz: SVP-Heer kritisiert Glarner
Für seine Blossstellung von Schülern erntet SVP-Provokateur Andreas Glarner auch Schelte aus den eigenen Reihen.
https://www.blick.ch/news/politik/unmut-ueber-namen-von-schuelern-im-netz-svp-heer-kritisiert-glarner-id8617484.html

+++GEHEIM
Mit Schweizer Perfektion in den GAU
Ein Historiker stellt die Ergebnisse zur Geheimarmee P-26 infrage. Die PUK habe sich geirrt, sagt Titus Meier in einem neuen Buch.
https://www.derbund.ch/schweiz/standard/mit-schweizer-perfektion-in-den-gau/story/17247812

P26 – eine Frage der (politischen) Sichtweise – Tagesschau
Ein Historiker lanciert mit seiner Dissertation die Diskussion um die Geheimarmee P26 neu. Seiner Ansicht nach handelte es sich nicht um eine private Geheimarmee, sondern um eine Abteilung der öffentlichen Verwaltung.
https://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=18cdcb53-9cac-499f-b99e-00fb4d5910d3
-> https://www.srf.ch/sendungen/kontext/neue-einblicke-in-die-geheime-widerstandsorganisation-p-26

NZZ am Sonntag 15.07.2018

P-26 oder die Mär von der Schweizer Geheimarmee

Die Berichte über P-26 erschütterten 1990 die Schweiz. Im damaligen politischen Klima wurde aus der Widerstandsorganisation für den Besetzungsfall schnell «eine private Geheimarmee» – auch mithilfe einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Der Befund war falsch.

von Titus J. Meier

Die Schlagzeilen an diesem Novembermorgen im Jahr 1990 klangen unglaublich: «400 private Kämpfer träumen vom kalten Krieg», schrieb etwa der «Bund». Der «Tages-Anzeiger» titelte: «Organisation P-26: Geheim, gesetzlos, gefährlich». Und der Blick berichtete von der «Geheimarmee, über die auch der Bundesrat nichts wusste».

Tags zuvor hatte die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) für das EMD, wie das Verteidigungsdepartement damals hiess, in Bern ihren Schlussbericht zu P-26 präsentiert. Der Skandal schien perfekt.

Fast 30 Jahre später zeigt sich ein anderes Bild. Die erstmalige Auswertung relevanter Akten im Bundesarchiv belegt, dass die zentralen Kritikpunkte der PUK EMD nicht mehr länger haltbar sind. So war das Projekt 26, wie die P-26 eigentlich hiess, keine «ausserhalb von Armee und Verwaltung stehende private Organisation», die nach 1981 neu geschaffen wurde.

Projekt 26 gab es schon länger: Bereits seit 1979 trug die Kaderorganisation für den Widerstand im feindbesetzten Gebiet diesen Namen. Und die Anfänge reichten – unter anderem Namen – sogar Jahrzehnte zurück. Die Vorbereitungen waren zudem stets Teil der Gruppe für Generalstabsdienste – innerhalb des Militärdepartements.

Die Wurzeln von P-26 in den fünfziger Jahren sind ohne den Kalten Krieg kaum zu verstehen. Der Zweite Weltkrieg war noch präsent, die Furcht vor einer militärischen Bedrohung durch den kommunistischen Ostblock nahm zu. Bei den damaligen Vorbereitungen für den Fall, dass die Schweiz besetzt werden sollte, ging es vor allem darum, im Feindgebiet Nachrichten zu beschaffen und sie an die Landesregierung und die Armeeführung zu übermitteln.

Später wurde dieser Auftrag schrittweise erweitert. Die legitime Regierung sollte, so lautete die Überlegung, bereits im Frieden Vorbereitungen treffen, um im Krieg in den besetzten Gebieten über ein Mindestmass an Einfluss zu verfügen.

1973 legte der Bundesrat dem Parlament die Konzeption der Gesamtverteidigung vor, worin er in der Ziffer 426 – die Zahl gab dem späteren Projekt 26 den Namen – den Widerstand im Besetzungsfall als eine der strategischen Hauptaufgaben bezeichnete. Diese bestand aus politischem Widerstand, wie ihn später das Projekt 26 vorbereitete, und dem militärischen Widerstand durch Kleinkriegsverbände der Schweizer Armee.

Informationsfluss sicherstellen

Projekt 26 wäre im Besetzungsfall primär ein Nachrichten- und Propagandavehikel gewesen, um den Informationsfluss aus den besetzten Gebieten zur Landesregierung und umgekehrt sicherzustellen. Gleichzeitig sollte P-26 gegenüber der noch freien Welt hartnäckigen Widerstandswillen demonstrieren. Im Zentrum standen Propaganda und Sabotage, welche die Moral der eigenen Bevölkerung stärken und jene der Besatzer schwächen sollte. Die Mitglieder von P-26 lernten das Sprengen von Sendemasten oder Statuen, Flugblattaktionen oder zivilen Ungehorsam.

Das hatte Einfluss auf die Rekrutierung. Für das Projekt 26 wählte man unauffällige Durchschnittsbürger – Frauen wie Männer –, die nach Abschluss der Ausbildung nicht mehr militärdienstpflichtig sein durften. Denn man ging davon aus, dass Wehrmänner entweder im Verteidigungskampf gefallen oder interniert worden wären.

Zur Gewährleistung der Sicherheit wurde die Bezeichnung Projekt 26 streng geheim gehalten, um nicht zu einem Spionageziel zu werden. Die Folge davon war allerdings, dass 1990 kaum jemand in der Schweiz diese Bezeichnung kannte.

Als das Projekt 26 zum Skandal wurde, zählte es zirka 300 Personen aus der ganzen Schweiz, die einen dreitägigen Einführungskurs in einer Alpenfestung absolviert hatten und sich in der Regel nicht kannten. Dazu kamen Vertrauensleute – meistens innerhalb der Verwaltung –, die von den Vorbereitungen wussten, sowie Frauen und Männer, die noch im Rekrutierungsprozess steckten.

Dass der Bund den Widerstand im Besetzungsfall vorbereitete, das wusste die Öffentlichkeit – wenn auch ohne Details – spätestens seit 1981. Nach der Festnahme des Schweizers Kurt Schilling in Österreich wegen Spionage untersuchte eine Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommission (GPK) unter dem Vorsitz des späteren Bundesrates Jean-Pascal Delamuraz den Spezialdienst von Oberst Albert Bachmann.

Zu diesem Spezialdienst gehörte auch die damalige Widerstandsorganisation. Die Kommission kam in ihrem öffentlichen Bericht zum Schluss, dass «Aufgabe und Stellung der Widerstandsorganisation» den Anforderungen entsprechen würden, «die vom Standpunkt des Rechtsstaates und der Demokratie zu stellen sind».

Es stellt sich darum unweigerlich die Frage: Wie konnten die bekannten Tatsachen 1990, also nur neun Jahre später, zum Skandal werden, der bis heute nachwirkt?

In den Jahren 1989 und 1990 ereignete sich auf der weltpolitischen Bühne Epochales, der kommunistische Ostblock brach zusammen. Der Kalte Krieg, der zuvor mehrere Generationen geprägt hatte, war plötzlich vorbei. Gleichzeitig kam es auch in der Schweiz zu politischen Erdbeben: Anfang 1989 trat Elisabeth Kopp, die erste Schweizer Bundesrätin, unfreiwillig zurück.

In der Folge enthüllte eine PUK im Justizdepartement den sogenannten Fichenskandal, der für heftige Entrüstung sorgte. Die Bundesanwaltschaft hatte zum Zwecke des Staatsschutzes während Jahrzehnten rund 900 000 Fichen über Ausländer, Organisationen, Veranstaltungen, aber auch über Bürgerinnen und Bürger angelegt. Und im November 1989 gab es vom Volk überraschend viele Ja-Stimmen zur GSoA-Initiative, welche die Armee abschaffen wollte.

Die Bürgerlichen befanden sich in der Defensive. Die Umbruchstimmung in der Schweiz motivierte die Linke, die Gunst der Stunde zu nutzen und zu versuchen, die politischen Verhältnisse in der Schweiz zu verändern. Dazu musste der Skandalisierungsmodus aufrechterhalten werden.

SP und Grüne forderten deshalb schon früh eine zweite PUK, um nach dem Justiz- auch die geheimen Bereiche des Militärdepartements zu durchleuchten. Entsprechende Forderungen waren zunächst chancenlos.

Dann kam der Februar 1990. Auf Fichen des Justizdepartements wurden Einträge entdeckt, die aus dem Militärdepartement stammen mussten, und ein Fernsehjournalist behauptete in der Sendung «Rundschau», ihm sei vom militärischen Nachrichtendienst Geld angeboten worden für Informationen über inländische Gruppen.

Nun waren auch die bürgerlichen Parteien bereit, eine weitere PUK einzusetzen, um im Militärdepartement die Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) zu untersuchen, aber nicht das Departement an sich.

Zeitungen schüren die Erwartung

Ein Zeitungsartikel änderte auch dies. Am 26. Februar 1990 berichtete die «Schweizer Illustrierte» über eine «Geheimarmee aus EMD-Spionen». 2000 Männer und Frauen seien zu «Scharfschützen, Bombenlegern, Saboteuren und Funkern ausgebildet», um den Widerstandskampf gegen eine fremde Besatzungsmacht zu führen.

Das Militärdepartement sorgte zwar sofort für eine Klarstellung. Und Departementschef Kaspar Villiger informierte das Parlament schon damals offen darüber, dass es, gestützt auf die gültige Sicherheitspolitik, eine «nicht einmal besonders grosse Kaderorganisation» gebe, die den Widerstand vorzubereiten habe und die «unabhängig von der Armee aufgebaut wurde». Er sei daran, zu prüfen, ob die Vorbereitungen dem aktuellen Bedrohungsbild und einer offenen Gesellschaft noch genügend entsprächen.

Die Offenheit half nicht. Der Vertrauensverlust war damals schon zu gross, und Villiger konnte die Einsetzung einer PUK für das Militärdepartement nicht verhindern. Ihren Vorsitz übernahm der CVP-Ständerat Carlo Schmid, das Vizepräsidium der Sozialist Werner Carobbio. Die PUK stand von Anfang an unter Erwartungsdruck: Wie bereits die PUK im Justizdepartement musste sie beweisen, dass sich ihre Einsetzung gelohnt hatte. Dazu brauchte es aufsehenerregende Ergebnisse.

Während die PUK noch untersuchte, schwand das öffentliche Interesse an allfälligen Fichen im EMD. Stattdessen rückten nun die Widerstandsvorbereitungen in den Fokus, und zwar europaweit. Wenige Wochen vor der Publikation des PUK-Berichts wurde bekannt, dass es in Italien eine geheime Organisation namens «Gladio» gab, die im Falle der Besetzung des Landes den Guerillakampf hätte aufnehmen sollen. Kurz danach machten auch andere Länder ihre Stay-Behind-Organisationen öffentlich, wie die Widerstandsgruppen im Ausland hiessen.

Am 23. November 1990 präsentierte die PUK EMD, wie sie genannt wurde, ihren Bericht. Schon Tage zuvor hatten die Zeitungen die Erwartungen an einen neuerlichen Skandal geschürt und das öffentliche Interesse auf die geheimen Widerstandsvorbereitungen fokussiert. Das Management der Erwartungen blieb nicht folgenlos.

Die PUK informierte ausführlich über P-26. Sie teilte mit, der Bund habe ohne gesetzliche Grundlage die verfassungskonforme Staatsaufgabe Widerstand an eine «ausserhalb von Bundesverwaltung und Armee stehende Organisation» übertragen und finanziert. Sie stufte P-26 deshalb als «private Organisation» ein, die «unter Ausschluss der parlamentarischen Kontrolle» operierte.

In «unterirdischen Lagern» befänden sich Waffen und Sprengstoff «in der Verfügungsgewalt der Widerstandsorganisation». Ihr Zerstörungspotenzial sei erheblich, und es bestehe die «Gefahr eines Missbrauchs durch Selbstaktivierung».

Zwar unterstellte die PUK den Angehörigen von P-26 explizit «keine staatsgefährdenden Absichten», doch schloss sie nicht aus, «dass die Organisation auch bei einem in demokratischen Formen zustande gekommenen Machtwechsel eingesetzt werden könnte». Der Bericht warf grosse Wellen und fand in Politik und Medien eine grosse Zustimmung. Die umgehende Auflösung von P-26 durch den Bundesrat war ein sichtbares Zeichen für ein neues sicherheitspolitisches Denken.

P-26 hatte keinen Kampfauftrag

Diese Kritik der PUK EMD war massiv überzogen, wie neue Dokumente zeigen. Zwar wurde P-26 als Kaderorganisation bezeichnet. Die Organisation war jedoch nie selbständig. Alle materiellen Vorbereitungen wurden vom Stab der Gruppe für Generalstabsdienste getroffen, weshalb das Projekt 26 eindeutig als Teil der Verwaltung zu betrachten ist.

Der Kern des Führungsstabes, der für die täglichen Arbeiten zuständig war, bestand aus drei Beamten der Stabsabteilung sowie neun vollzeitlich zur Stabsabteilung abkommandierten Instruktionsoffizieren und -unteroffizieren. Dazu kamen fallweise pensionierte Beamte sowie Milizoffiziere, die im entsprechenden Armeestabsteil eingeteilt waren.

Der Chef dieses Führungsstabes war der Basler Efrem Cattelan, der zwar im Auftragsverhältnis zur selbständigen Leitung des Projekts 26 verpflichtet worden war, dessen Befugnisse aber so gering waren, dass selbst die PUK seinen Vertrag «eher als Arbeitsvertrag denn als Auftrag» wertete. Die Widerstandsvorbereitungen unterstanden dem Generalstabschef, der wiederum dem Vorsteher des Militärdepartements unterstellt war. Die Vorbereitungen können deshalb nicht länger als «privat» bezeichnet werden, sondern sind als staatlich anzusehen.

Damit entfällt auch der Kritikpunkt der fehlenden gesetzlichen Grundlage. Sämtliche Ausgaben waren in den entsprechenden Kreditrubriken des Bundeshaushaltes enthalten, was 1991 auch die Finanzdelegation in einem Zusatzbericht feststellte. Die einzelnen Beträge waren aber zu gering, als dass sie im damaligen Budget des Militärdepartements aufgefallen wären.

Als falsch erweist sich auch die Aussage, das Projekt 26 habe über Waffen und Sprengstoff verfügt. Dieses Material lagerte in vier bundeseigenen Anlagen, von denen die Mitglieder keine Kenntnisse hatten und deren Zutritt durch die Gruppe für Generalstabsdienste kontrolliert wurde. Die Aufzählung der Waffen prägte aber 1990 wesentlich das Bild einer bis an die Zähne bewaffneten Kampforganisation.

Die Realität sah anders aus: P-26 hatte keinen Kampfauftrag. Vergleicht man die Zahl der Waffen pro P-26-Widerstandsregion mit jener eines Infanteriezuges und berücksichtigt man das Profil der P-26-Mitglieder, ihr Alter und den Ausbildungsstand, so fällt auch dieser Kritikpunkt weg. Die Feuerkraft der P-26 war äusserst bescheiden.

Überhaupt fällt auf, dass in den politischen Würdigungen der PUK EMD manchmal die Phantasie stärker gewichtet wurde als die Fakten, was wohl dem damaligen Zeitgeist geschuldet war. Mitglieder der PUK räumen heute auch ein, sie hätten damals nicht als Historiker untersucht, sondern als Politiker, die vor allem schonungslos aufräumen wollten.

Das Untersuchungsergebnis der PUK wäre sachgerechter – dafür auch weniger spektakulär – ausgefallen, hätte diese den Anfang des Projekts 26 nicht rein formalistisch auf das Jahr 1981 gelegt, sondern mehr auf die historische Kontinuität von Widerstandsorganisationen in der Schweiz geachtet. Sachlichkeit war aber in der fiebrigen politischen Stimmung um 1990 nicht gefragt. Das zeigen die Akten fast 30 Jahre später klar.

Titus J. Meier, 37, arbeitet als freischaffender Historiker und Lehrer. Er forscht seit Jahren zum Thema Widerstandsorganisationen in der Schweiz. Seine Dissertation «Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall – Die Schweiz im Kalten Krieg» (NZZ Libro) kommt am 18. Juli in den Buchhandel.

Fixpunkte des Widerstands

1941 – Aufbau eines geheimen Funknetzes für die Nachrichtenübermittlung aus besetzten Gebieten.

1957 – Schaffung einer Widerstandsorganisation durch den Territorialdienst.

1967 – Übergang der Widerstandsvorbereitungen vom Territorial- zum Nachrichtendienst.

1976 – Albert Bachmann übernimmt den Spezialdienst, der die Widerstandsorganisation und den ausserordentlichen Nachrichtendienst umfasst.

1979 – Efrem Cattelan übernimmt den Spezialdienst, Umbenennung in «Projekt 26».

1981 – Untersuchung der Vorbereitungen durch die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments. Sie bestätigt, die Widerstandsorganisation entspreche den Anforderungen von Rechtsstaat und Demokratie.

1990 – Eine parlamentarische Untersuchungskommission unter der Leitung von CVP-Ständerat Carlo Schmid durchleuchtet das Militärdepartement. «Projekt 26» wird aufgelöst.