Medienspiegel 25. März 2018

+++DEUTSCHLAND
Aufrüsten gegen Geflüchtete
Erneut sollen abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan ausgeflogen werden. Bayerns neuer Regierungschef kündigt noch härtere Abschiebepolitik an
https://www.jungewelt.de/artikel/329685.aufr%C3%BCsten-gegen-gefl%C3%BCchtete.html

+++MITTELMEER
‘My crew saved 218 migrants from drowning – so why are we the enemy?’
Captain Marc Reig’s ship is stuck in a Sicilian port, and a hostage to Italy’s resurgent right, as charities become a target for their role in rescuing refugees
https://www.theguardian.com/world/2018/mar/24/proactiva-open-arms-rescue-boat-saved-218-from-drowning-mediterranean-migrants?CMP=share_btn_tw

+++ISRAEL
Deportation Day Looms for African Refugees in Israel
‘We are refugees, we have nowhere to go, and we are going to go on fighting until the Israeli government recognizes this,’ says an Eritrean asylum seeker
https://www.haaretz.com/israel-news/deportation-day-looms-for-african-refugees-in-israel-1.5914486

Demo gegen Ausweisung von Afrikanern: “Die israelische Regierung will uns nicht”
Nicht nur in Deutschland wird über Flüchtlinge diskutiert. Auch in Israel kocht die Debatte hoch: Dort will die Regierung Tausende Afrikaner in Drittstaaten ausweisen. Dagegen protestierten nun mehr als 20.000 Menschen.
http://www.tagesschau.de/ausland/israel-protest-101.html
-> http://www.dw.com/de/israelis-demonstrieren-gegen-abschiebung-von-afrikanern/a-43120075

+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Transitplatz im Detail: Vertreter der Gemeinde Brügg erklären, wie der provisorische Transitplatz für Fahrende genau funktionieren soll
http://www.telebielingue.ch/de/tour-dhorizon-vom-24-m%C3%A4rz-2018#chapter-81137a96-a022-4b34-b903-3d37c837c9c2

+++DROGENPOLITIK
Grünes Licht für Experimentierartikel: Kiffer-Studien sind bald legal
BERN – Die Gesundheitskommission des Nationalrats kann eine gesetzliche Grundlage für Studien mit Cannabis ausarbeiten. Sie hat von der Schwesterkommission am Freitag grünes Licht für einen Experimentierartikel im Betäubungsmittelgesetz erhalten.
https://www.blick.ch/news/politik/gruenes-licht-fuer-experimentierartikel-kiffer-studien-sind-bald-legal-id8163116.html?utm_source=twitter&utm_medium=social_page&utm_campaign=bli

+++FUSSBALLREPRESSION
derbund.ch 24.03.2018

221 Zwischenfälle mit gewalttätigen Fussballfans

Neue Zahlen zeigen, bei welchen Spielen es am häufigsten zu problematischen Szenen kommt. Die Liga will mit einer Software dagegen vorgehen.

Roland Gamp, Dominik Balmer

Mit Glasflaschen und Stühlen gehen die Vermummten aufeinander los. In Gruppen prügeln sie auf einzelne Gegner ein. Auch wenn die Opfer wehrlos am Boden liegen, decken sie diese mit Faustschlägen ein, treten ihnen wuchtig gegen den Kopf.

Die Szenen, welche die Zürcher Stadtpolizei diese Woche publizierte, schockieren. Aber sie sind keine Seltenheit. «Die Vorkommnisse rund um Fussball- und Eishockeyspiele sind in den letzten Jahren sicher brutaler geworden», sagt der zuständige Zürcher Staatsanwalt Edwin Lüscher. «Wir erleben teilweise rohe Gewalt. Man hat den Eindruck, als würden Strassengangs aufeinander losgehen – und nicht Fussballfans.»

Vorfälle aus dem letzten Jahr belegen dies. In Sitten werden zwei Kinder durch eine Knallpetarde verletzt, vor dem Stadion gibt es bei Krawallen weitere Opfer. In Winterthur stürmen über 100 Anhänger des FC Zürich das Stadion, mehrere Personen verletzen sich, es kommt zu massivem Pyro-Einsatz. In der Luzerner Altstadt schlagen Vermummte einen Fan des gegnerischen Teams nieder. Dessen Anhänger greifen darauf das Fanlokal an, werfen mit Glasflaschen und Leuchtfackeln.

Die Beispiele stammen aus der Ereignisliste der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizei­direktoren (KKJPD). Diese Woche schaltete sie neue Daten für das Jahr 2017 auf. Im Bereich Fussball kam es demnach zu 221 Spielen mit einem Zwischenfall. Seit Erhebungsbeginn im Jahr 2012 waren gar 1357 Partien betroffen.

Meist handelte es sich um Pyros oder um Auseinandersetzungen ohne Verletzte. Aber: «Leider gab es auch im letzten Jahr einzelne grössere Ereignisse», sagt Roger Schneeberger, Generalsekretär der KKJPD. «Der grösste Problembereich ist die Anreise der Gästefans, wo es häufig zu Störungen des Bahnverkehrs, zu Auseinandersetzungen unter Fangruppen oder zu Angriffen gegen Sicherheitspersonal und Polizei kommt.»

Zur gleichen Einschätzung gelangt die Swiss Football League. «Die Clubs haben in den letzten Jahren enorm viel getan, etwa hochauflösende Kameras in den Stadien installiert», sagt Medienchef Philippe Guggisberg. Gewaltbereiten Fans sei dies nicht entgangen. «Sie wissen, dass das Risiko hoch ist, bei einer Straftat im Stadion identifiziert zu werden.» Während es in Stadien weniger Vorfälle gebe, verlagere sich die Gewalt tendenziell nach draussen: «Was die Problematik für alle Beteiligten komplexer macht.»

YB vorne – FC Basel führt langjährige Statistik an

Der BSC Young Boys wendet für die Sicherheit im Stadion jährlich mehrere Millionen Franken auf, wie Sprecher Albert Staudenmann angibt. «Ausserhalb des Stadions aber haben wir keine Kompetenz, da liegt der Ball bei der Polizei.» Laut Liste der KKJPD war im letzten Jahr kein anderer Club an mehr Spielen mit einem Zwischenfall beteiligt. Bei 36 Partien sind die Berner vermerkt – unabhängig davon, von welchen Fans die Gewalt ausging. Staudenmann betont, dass es sich meist um den Einsatz von Pyros handelte. «Auch wenn wir natürlich auch das nicht verharmlosen wollen und im Stadion eine absolute Nulltoleranz gilt.» Die Young Boys holten den unrühmlichen Titel zum ersten Mal. Knapp hinter ihnen folgt mit 34 Partien der FC Basel. Dieser führt die langjährige Tabelle nach wie vor an, war seit 2012 an insgesamt 248 Problempartien beteiligt.

Deutlich kleiner sind die Zahlen im Eishockey. Der SC Bern etwa kam zuletzt lediglich auf 15 Spiele mit Vorfall. Im Jahr 2012 waren es noch 34. Eine Entwicklung, die gesamtschweizerisch zu verfolgen ist. Im Fussball stagniert die Zahl seit Erhebungsbeginn. Im Eishockey hingegen gibt es immer weniger Problemspiele, zuletzt noch 106.

Noch deutlicher sind die Verhältnisse in der Hooligan-Datenbank des Bundesamts für Polizei. Diesen Januar waren dort 1213 Fussballfans eingetragen, aber nur 475 aus dem Bereich Eishockey. Über die Zuschauerzahlen ist der Unterschied nicht zu erklären. Die oberste Liga auf dem Eis zog letzte Saison 274 864 Zuschauer mehr an als jene auf dem Rasen.

«Wir verfolgen eine konsequente Nulltoleranz»

Warum es im Hockey seltener zu Gewalt kommt? Denis Vaucher, Director National League, gibt sich zurückhaltend: «Mit dem Fussball möchte ich uns nicht vergleichen. Ich weiss nicht, wie die Sicherheitskonzepte und die Abläufe dort genau aussehen.» Stattdessen führt er die eigenen Bemühungen auf. «Wir verfolgen eine konsequente Nulltoleranz. Bei einem Ereignis werten wir die Videoüberwachungsbilder akribisch aus, identifizieren die Täter und sanktionieren sie mit Stadionverboten. Sachschäden werden auf den Verursacher überwälzt.» Vaucher betont auch die Prävention. «Wichtig ist der Dialog, die Bedürfnisse voneinander zu kennen und immer wieder aktiv Lösungen zu suchen.»

Auch im Eishockey verlagern sich die Probleme aus den Hallen. «Ausserhalb der Stadien arbeiten wir ebenfalls eng mit den örtlich zuständigen Polizeibehörden zusammen», sagt Vaucher. Clubs und Behörden wissen ungefähr, aus welchen Regionen die meisten Risikofans kommen, wann und mit welchen Verkehrsmitteln sie anreisen, wo sie sich vor dem Match aufhalten. «Neu werden diese Informationen in eine Software eingespeist. Diese zeigt dann an, wo die verfeindeten Gruppen aufeinandertreffen könnten», sagt Vaucher. Ein wichtiger Hinweis für Behörden, um frühzeitig am richtigen Ort zu sein. «Das Tool ist seit kurzem im Einsatz, und die Clubs bewerten es sehr positiv.»

«Vereinzelt Hinweise» nach Videoveröffentlichung

Im Fussball steht die Anwendung noch aus. «Eine Arbeitsgruppe arbeitet daran, das Tool so zu entwickeln, dass es bald einheitlich in verschiedensten Sportarten genutzt werden kann», sagt Markus Jungo, Leiter Polizeiliche Koordinationsplattform Sport (PKPS). Er verweist auf ein weiteres Problem: «Neben der Gewalt ausserhalb des Stadions machen uns vor allem Pyros und Böller Sorgen.» Die PKPS verzeichnet zunehmend stärkere Knallkörper mit mehr Schwarzpulver. «Meist werden sie selbst hergestellt oder illegal eingeführt. Sie haben eine solche Sprengkraft, dass sie zu schweren Verletzungen führen können», sagt Jungo. Er fordert harte Strafen, «im Extremfall wegen versuchter Tötung».

Ob sich die Chaoten von Zürich je vor Gericht verantworten müssen, ist offen. Nach Publikation des Videos vor drei Tagen gingen «vereinzelt Hinweise» ein, heisst es gestern bei der Stadtpolizei.
(SonntagsZeitung)

«Als Verein schlicht machtlos»

FCZ-Präsident Ancillo Canepa über Gewalt ausserhalb des Stadions.

Laut dem Zürcher Krawallgruppen-Staatsanwalt Edwin Lüscher sind FCZ-Ultras derzeit aktiver als GC-Ultras. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ancillo Canepa: Die Zahl der sogenannten FCZ-Fans ist massiv höher als die Zahl der GC-Fans. Eine wissenschaftlich fundierte Erklärung ist dies natürlich nicht, aber mathematisch trifft sie leider zu.

Laut Beobachtern haben gerade hochauflösende Kameras in den Stadien viel gebracht im Kampf gegen Fangewalt.

Im Stadion, wo wir unmittelbar für die Sicherheit zuständig sind, ist es seit Jahren ruhig und friedlich. Das ist der Erfolg einer Strategie, die auf diversen Faktoren beruht. Die festinstallierten, hochauflösenden Kameras sind sicher ein Teil davon. Die Situation hat sich vor allem auch deshalb beruhigt, weil wir seit eineinhalb Jahren mobile Video-Überwachungsteams einsetzen. Wir verzeichneten im und rund um das Stadion auch diese Saison keine Vorfälle, auch nicht bei den Derbys.

Aber offensichtlich hat sich die Fangewalt aus den Stadien hinaus verschoben. Was macht der FCZ gegen dieses relativ neue Phänomen?

Ausserhalb des Stadions haben wir keine rechtliche Autorität. Wir suchen den Kontakt und Dialog zu allen Fangruppen. Wir finanzieren Fanarbeit und Fansozialarbeit. Wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen und sind an diversen Arbeitsgruppen beteiligt. Wir erreichen damit viel. Aber wir erreichen nicht alle. Und leider dominiert exakt diese kleine und unverbesserliche Minderheit das Bild.

Die Statistik zeigt, dass es im Eishockey weniger Vorfälle gibt. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Auch dort gab es und gibt es Wellenbewegungen. In der KKJPD-Statistik erscheinen primär Vorfälle innerhalb der Stadien, beschränkt vor allem auf das Abfeuern von Pyros. Und die gibt es im Hockey aus verschiedenen Gründen weniger.

Gibt es Behörden – Polizei, Staatsanwaltschaft oder Fanarbeit –, die mehr machen müssten?

Als Verein sind wir gegenüber einer Gruppe von anonymen Gewalttätern, die weit ab vom Stadion agiert, schlicht machtlos. Dafür sind verfassungsgemäss Polizei und Justiz zuständig. Wir können keine Personen verhaften. Selbstverständlich beteiligen wir uns wo immer möglich aktiv an der Verhinderung beziehungsweise Aufklärung von solchen Auseinandersetzungen. Unsere Sicherheitskosten machen gesamthaft einen siebenstelligen Betrag aus.

Bei der Zürcher Staatsanwaltschaft heisst es, die Strafen im Kampf gegen Hooliganismus müssten härter sein. Wie sehen Sie das?

Wir fordern seit je eine harte Bestrafung von gewaltbereiten Tätern. Gemäss Strafgesetzbuch kann man auch in der Schweiz bereits heute harte Strafen für Körperverletzungen aussprechen. Da braucht es keine neuen Gesetze.

Interview: Dominik Balmer
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/software-soll-gewalttaetigefans-stoppen/story/23197062)


Rangliste der Krawallmacher: Bei YB-Spielen passiert am meisten
Neue Zahlen zeigen, dass es am häufigsten zu Zwischenfällen mit Fussballfans kommt, wenn YB spielt. Auf den Zuschauerrängen in Eishockey-Stadien geht es zivilisierter zu.
https://www.blick.ch/news/schweiz/rangliste-der-krawallmacher-bei-yb-spielen-passiert-am-meisten-id8162441.html
-> https://www.nau.ch/news/fangewalt-bei-jedem-zweiten-wichtigeren-spiel-gibt-es-probleme-65314856
-> https://www.nau.ch/news/am-meisten-vorfalle-mit-hooligans-gibt-es-bei-yb-spielen-65314838
-> https://bazonline.ch/schweiz/standard/yb-hat-das-groesste-hooliganproblem/story/26583833
-> http://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/fans-des-fc-zuerich-gehoeren-zu-den-spitzenreitern-punkto-gewalt-0085113/
-> https://www.telebaern.tv/118-show-news/22619-episode-sonntag-25-maerz-2018/55057-segment-die-berner-sind-am-aggressivsten#die-berner-sind-am-aggressivsten

+++KNAST
derbund.ch 24.03.2018

Aus Angst weggesperrt

904 Personen sind in der Schweiz aktuell verwahrt – eine Therapie erhalten die wenigsten. Es fehlt an geeigneten Plätzen.

Fabienne Riklin, Catherine Boos, Roland Gamp

Idris N. (Name geändert), 42-jährig, eigentlich ein scheuer Typ, war an jenem Donnerstag vor siebeneinhalb Jahre ausser sich. Seine von ihm getrennt lebende Frau enthielt ihm die Kinder vor. Da drohte er, sie, ihren Freund und sich zu töten. Das Unrecht war ihm schnell bewusst. Er ging freiwillig in eine psychiatrische Klinik, liess sich begutachten, war kooperativ. Die Entlassung erfolgte nach wenigen Tagen. Danach liess N. seine Frau in Ruhe.

Trotzdem reichte sie Anzeige ein. Behauptete, er habe einen Killer auf sie angesetzt. Er kam in Untersuchungshaft. Ein Gutachter diagnostizierte ihn als psychisch krank, paranoid und attestierte eine «undifferenzierte Schizophrenie». Eine Chefpsychiaterin empfahl schliesslich die «kleine Verwahrung» nach Artikel 59 des Strafgesetzbuches. Diese Massnahme ist für psychisch Schwerkranke vorgesehen – man spricht von 59er-Fällen.

904 Straftäter haben «kleine Verwahrung»

Vor Gericht kassierte N. 18 Monate Haft für Drohung und Betrug. Verwahrt bleibt er bis heute. Es ist kein Einzelfall. Immer mehr Straftäter landen auf unbestimmte Zeit in der kleinen Verwahrung. 904 Personen sind es aktuell, 2009 waren es noch 346. Grund dafür: eine Nullrisikomentalität. Richter und Gutachter lehnen lieber einen Antrag auf Freilassung zu viel ab als einen zu wenig. Marianne Heer, Richterin und Strafrechtsprofessorin, hält die Entwicklung für problematisch: «Irgendwann muss man den Mut haben zu sagen: Wir lassen die Person raus.»

Eine Untersuchung der Universität Bern hat gezeigt, dass am häufigsten Täter wegen einer Körperverletzung in einer solchen Massnahme untergebracht werden. Und doch kommen nur die wenigsten raus. Im Schnitt werden lediglich 10 Prozent der 59er-Fälle bedingt entlassen. «Das widerspricht unserer Rechtsordnung», sagt Heer. Diese basiere auf Resozialisierung. Die Täter hätten deshalb ein Recht auf ein faires Verfahren und vor allem auf eine adäquate Therapie.

Doch die Chancen darauf stehen schlecht. Zurzeit fehlen laut Analyse der kantonalen Justiz­direktoren über 280 Therapieplätze in Schweizer Kliniken. Wohl vor allem deshalb, weil diese im Betrieb enorm teuer sind.

Fehlt ein geeigneter Platz, landen «59er» in normalen Gefängnissen. «Wenn es gut läuft, sehen sie alle paar Wochen einen Psychiater», sagt Anwalt Julian Burkhalter, der mehrere Betroffene vertritt. «Ihr Zustand verschlechtert sich mit der Zeit massiv. Das genaue Gegenteil dessen, was man mit dem Urteil bewirken wollte.» Das Personal im normalen Strafvollzug sei psychologisch kaum geschult. «Verhalten sich Häftlinge wegen ihrer Krankheit auffällig, werden sie einfach mit Disziplinarmassnahmen abgestraft.» Oft stelle man Betroffene auch mit Medikamenten ruhig. «Sie erhalten so viele Tabletten, auch unter Zwang, bis sie gebrochen sind und nicht mehr widersprechen.» Demnächst zieht Burkhalter den Fall eines Häftlings vor Bundesgericht, der Neuroleptika in so hohen Dosen erhalten haben soll, dass er epileptische Anfälle erlitt.

Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) kennt solche Schilderungen. Im Auftrag des Bundes prüft sie regelmässig die Zustände in Schweizer Anstalten. «Einzelne Eingewiesene beklagten sich über offenbar erfolgte Behandlungen ohne Zustimmung oder über die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten», heisst es in einem Bericht vom letzten Mai. Erhärten liessen sich die Vorwürfe nicht – wegen «meist lückenhaft dokumentierter Fälle und der unklaren Anwendung einzelner Begrifflichkeiten».

Bestätigt haben sich die oft falschen Platzierungen. «Wir haben regelmässig Personen angetroffen, die in Justizvollzugseinrichtungen untergebracht waren und deshalb nicht optimal therapiert werden können», sagt NKVF-Geschäftsführerin Sandra Imhof. «Das kann Monate, manchmal auch Jahre so gehen.» Die Erkenntnisse wurden dem Bund und dem hierfür zuständigen Neunerausschuss vorgelegt.

Anwalt Burkhalter sieht einen klaren Grund für die Missstände: «Die Betroffenen haben keine Lobby.» Schon allgemeine Straftäter würden in der Bevölkerung kaum Unterstützer für ihre Anliegen finden. «Psychisch kranke Menschen, die hinter Gittern sitzen, können sich noch viel schlechter wehren.»

Unterstützung will der Verein Humanrights.ch bieten. Als erste Stelle schuf er vor einem Jahr einen Beratungsdienst für Häftlinge. «Das Angebot stösst auf grosses Interesse, wir haben pro Monat rund zehn Anfragen», sagt Leiter David Mühlemann. Viele Fälle gingen auf Personen zurück, welche nach Artikel 59 verurteilt wurden. «Eben weil sie nun im falschen Setting sitzen und nicht korrekt therapiert werden.»

Gericht für Menschenrechte rügt Schweizer Justiz

Erfolgreich für einen 59er gewehrt hat sich die Anwältin Sandra Sutter-Jeker. Sie ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschen­rechte in Strassburg und bekam am 9. Januar 2018 recht. Anwältin Sutter-Jeker hofft, dass ein Umdenken stattfinde. Es könne nicht sein, dass im Strafrecht nicht mehr die Ahndung von begangenem Unrecht, sondern die Verhinderung von allfällig möglichen künftigen Delikten im Vordergrund stehe.

Idris N. wurde nach fünf Jahren hinter Gittern in eine psychiatrische Einrichtung verlegt und neu begutachtet. Im Bericht steht: «Es ist keine psychische Störung festzustellen.» Seine Frustrationstoleranz sei überdurchschnittlich hoch. Kurz: «N. ist eine authentische und psychisch gesunde Persönlichkeit.» Es müsse sogar davon ausgegangen werden, dass er nie psychisch krank gewesen sei.

Gestern waren es sieben Jahre, seitdem N. wegen des verhängnisvollen Telefonanrufs in Unfreiheit kam. Er sitzt im Garten der psychiatrischen Anstalt: «Es ist schwer, ich lebe hier mit geistig sehr kranken Menschen zusammen», sagt er. «Die Psychiater hier sagen, ich sei völlig gesund. Aber warum bin ich dann hier?»

(SonntagsZeitung)
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/aus-angst-weggesperrt/story/31831373)
-> Beratungsstelle für Menschen im Freiheitsentzug: https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/strafen/freiheitsentzug/beratungsstelle-menschen-freiheitsentzug