Medienspiegel 24.03.2018

+++BERN
Bundesasylzentrum Giffers: «Es ist nicht so luxuriös, wie man sich das vorgestellt hat»
Vor der Eröffnung konnte die Bevölkerung das Bundesasylzentrum besichtigen. Die Stimmung war friedlich.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/bundesasylzentrum-giffers-es-ist-nicht-so-luxurioes-wie-man-sich-das-vorgestellt-hat

Jetzt ist es weniger eng
Langnau – Im Bäreggzentrum leben nicht mehr 50 unbegleitete minderjährige Asylbewerber. Aktuell sind es weniger als 20.
https://www.bernerzeitung.ch/region/emmental/jetzt-ist-es-weniger-eng/story/29256111

+++GENF
Rassemblement contre le chantage à l’aide d’urgence
Le département de M. Maudet force désormais les requérant.e.s d’asile débouté.e.s de se rendre auprès de la police de l’aéroport de Cointrin (SARA) en plus de l’Office cantonal de la population et des migrations (OCPM) et de l’Hospice Générale pour recevoir l’aide d’urgence. Le projet des autorités semble de plus en plus clair et évident. Appel à manifester.
https://renverse.co/Politique-d-asile-politique-raciste-1458

+++ITALIEN
Tollé après la mort d’une migrante enceinte refoulée
L’Italie est sous le choc après la mort, la semaine dernière, de Beauty, une migrante enceinte de 6 mois et malade, qui avait tenté en vain de gagner la France pour y accoucher.
http://www.20min.ch/ro/news/monde/story/Tolle-apres-la-mort-d-une-migrante-enceinte-refoulee-18022683

+++ÄGYPTEN
Das ägyptische Regime hat kein Interesse an der Aufklärung des Foltermordes an Giulio Regeni
Kein Ärger mit Ägypten
Der Umgang mit dem bis heute unaufgeklärten Foltermord an einem italienischen Akademiker und Aktivisten vor drei Jahren in Kairo zeigt, wie wichtig Ägypten sowohl wirtschaftlich als auch bei der Abwehr von Flüchtlingen als Partner für Europa ist.
https://jungle.world/artikel/2018/12/kein-aerger-mit-aegypten

+++SAHEL
Migranten in der Sahelzone: “Hier wird keiner mehr leben wollen”
Bleibeperspektive schaffen, Fluchtursachen bekämpfen – so will Europa Migranten aus Afrika aufhalten. Im Sahel gerät diese Formel an ihre Grenzen.
http://www.tagesschau.de/ausland/sahel–zone-migranten-101.html

+++FREIRÄUME
Neue Wagenburg richtet sich auf Allmend ein
STADT LUZERN ⋅ Seit kurzem steht im Gebiet Eichwald auf der Allmend eine neue Wagenburg. Sieben Personen haben dort vorübergehend ihr Wohnquartier aufgestellt. Für die Zwischennutzung liegt bei der Stadt nun ein Baugesuch auf.
http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/luzern/neue-wagenburg-auf-der-allmend;art9647,1223201
-> https://www.zentralplus.ch/de/news/regionalesleben/5564189/Formiert-sich-beim-Eichwald-schon-bald-die-n%C3%A4chste-Luzerner-Wagenburg.htm

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
“Nach der Demonstration zog eine grössere Gruppe zum Ort des Abschlussplenums, welches sich in der Nähe der türkischen Botschaft befand. Die Polizei lies darauf hin das halbe Quartier absperren und umstellte z.T. das Gelände, aus Angst vor einer Solidaritätsdemonstration in der Nähe der Botschaft. Dies verdeutlicht, dass die zahlreichen Solidaritätsaktionen der letzten Tage gewirkt haben und wahrgenommen wurden. Es zeigt aber auch, auf welcher Seite die Herrschenden stehen. #defendafrin #defendrojava”
(https://www.facebook.com/InfoAGB/posts/1000702173411472)

Ist das die neue Studentenbewegung?
Fast 1000 Personen nahmen an der Demonstration gegen Bildungsabbau in Bern teil.
https://www.derbund.ch/bern/stadt/ist-das-die-neue-studentenbewegung/story/29228015
-> Medienmitteilung Bildungsaufstand: http://www.bildungsaufstand.ch/demo/communique/
-> https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/1000-personen-an-demo-gegen-bildungsabbau-in-bern/story/24027397
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/fast-1000-personen-an-demo-gegen-bildungsabbau-in-bern-id8161745.html
-> https://www.nau.ch/news/fast-1000-personen-an-demonstration-gegen-bildungsabbau-in-bern-65314727
-> https://telebasel.ch/2018/03/24/demo-gegen-bildungsabbau-in-bern/
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/kundgebung-in-bern-aufstand-fuer-bildung-und-unabhaengige-universitaeten
-> https://www.telebaern.tv/118-show-news/22608-episode-samstag-24-maerz-2018/55014-segment-fuer-bildung-auf-der-strasse#fuer-bildung-auf-der-strasse
-> https://www.swissinfo.ch/fre/pr%C3%A8s-de-1000-personnes-contre-le-d%C3%A9mant%C3%A8lement-de-l-%C3%A9ducation/43998146

Wahlkritik und antinationale Solidarität
In der Nacht vom 19. auf den 20.03.2018 haben Aktivist*innen im Raum Burgdorf-Emmental durch gezielte Aktionen Kritik an unserer Regierung und dem Regierungssystem angebracht. Nicht nur wurde das Wiedererstarken faschistischer Tendenzen und Politiker*innen kritisiert, sondern wurden sämtliche Parteien, die sich hinter das ungerechte und unterdrückende Gesellschaftssystem stellen, angegriffen. Es wurden Wahlplakate, Gebäude, Bahnhöfe und Züge bemahlt und Communiques angebracht.
Es wurde nicht nur kritisiert. Die Aktivist*innen solidarisierten sich mit den Kämpfer*innen der YPG und YPJ, die weiterhin in der Region Afrin für eine solidarische Gesellschaft kämpfen. Weiter rufen die Aktivist*innen zu anderen kämpferischen Aktionen auf!
Es gibt kein ruhiges Hinterland!
Überall ist Afrin! Überall ist Wiederstand!
https://barrikade.info/Wahlkritik-und-antinationale-Solidaritat-946

+++SOZIALABBAU
Kommt das Sozialhilfegesetz ohnehin vors Volk?
Die SP hat das Referendum gegen die Senkungen in der Sozialhilfe früh angedroht. Nun könnten die Bürgerlichen mit dem obligatorischen Referendum zuvorkommen.
https://www.derbund.ch/bern/kanton/kommt-das-sozialhilfegesetz-ohnehin-vors-volk/story/23849878

Grünliberale verteidigen Schneggs Pläne
Die Mittepartei stellt sich im Streit um die Sozialhilfe hinter SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg.
https://www.derbund.ch/bern/kanton/gruenliberale-verteidigen-schneggs-plaene/story/31332668
-> https://www.derbund.ch/bern/kanton/sie-setzen-falsche-anreize/story/20857531 (Abo+)

«Arena» zur Sozialhilfe – Sparen auf dem Buckel der Schwächsten?
Die Kantone und der Nationalrat wollen in der Sozialhilfe effizienter werden. Die Gegner warnen vor einem Ausverkauf der Solidarität.
https://www.srf.ch/news/schweiz/arena-zur-sozialhilfe-sparen-auf-dem-buckel-der-schwaechsten
-> https://www.watson.ch/Schweiz/Sozialhilfe/220812011—Ein-kalter-Wind——-SP-Molina-froestelt-s-in-der-Sozialhilfe-Arena-und-SVP-Mueller-taucht-ab

+++FUSSBALLREPRESSION
Rangliste der Krawallmacher: Bei YB-Spielen passiert am meisten
Neue Zahlen zeigen, dass es am häufigsten zu Zwischenfällen mit Fussballfans kommt, wenn YB spielt. Auf den Zuschauerrängen in Eishockey-Stadien geht es zivilisierter zu.
https://www.blick.ch/news/schweiz/rangliste-der-krawallmacher-bei-yb-spielen-passiert-am-meisten-id8162441.html

«Jetzt nur nicht überreagieren»
Der deutsche Fananwalt Rene Lau rät davon ab, nach dem schockierenden Gewalt-Video die Gesetze zu verschärfen.
https://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/jetzt-nur-nicht-ueberreagieren/story/22054406
-> https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/fussball-chaoten-immer-brutaler-und-zuerich-schaut-zu-id8154171.html

+++ANTITERRORSTAAT
Razzia wegen IS-Video – Mann wehrt sich: «Ich wollte zeigen, wie krass das ist»
Die Bundesanwaltschaft jagt Dschihadisten und fängt junge Schweizer Männer, die von Gewaltvideos fasziniert sind. Zwei Betroffene erklären sich.
https://www.watson.ch/Schweiz/Social%20Media/179002953-Razzia-wegen-IS-Video—–Mann-wehrt-sich—-Ich-wollte-zeigen–wie-krass-das-ist–

+++BIG BROTHER
FDP nutzt Dienste von US-Spezialisten für Wahlwerbung: Auch Schweizer Parteien sammeln Daten
BERN – Nicht nur in Amerika werden Fichen von Wählerinnen und Wählern gesammelt. Auch Schweizer Parteien und Organisationen sammeln Informationen, um vor Wahlen und Abstimmungen mobilisieren zu können.
https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/fdp-nutzt-dienste-von-us-spezialisten-fuer-wahlwerbung-auch-schweizer-parteien-sammeln-daten-id8154189.html

+++ANTIFA
Chaoten wüten – Demokraten bezahlen
Folgen linksextremer Vandalenakte
Seit zwölf Jahren führt die Vereinigung sifa – SICHERHEIT FÜR ALLE immer am ersten Samstag im März ihre traditionelle Wintertagung im Grossratsgebäude von Aarau durch. Letztes Jahr ist es zu einem schändlichen Vorfall gekommen: Linksextreme haben die Fassade des ehrwürdigen Gebäudes verschmiert und hohen Sachschaden verursacht. Damit die beliebte Veranstaltung heuer erneut durchgeführt werden konnte, wurde die sifa zur Kasse gebeten – sie hatte die Sicherheitskosten zu tragen…
http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/chaoten_wueten_demokraten_bezahlen-3327

+++ANTIRA
tagesanzeiger.ch 24.03.2018

Im Paradies ist wieder alles koscher

Ruth Thomann wurde als Antisemitin beschimpft. Jetzt feierten Schweizer Juden Sabbat bei ihr in Arosa.

Simon Widmer

Vorbeter Michael Fichmann nimmt das jüdische Gebetsbuch «Siddur Schma Kolenu» hervor. Er stimmt auf Hebräisch den Psalm «Jedid Nefesch» – innigster Freund – an. Um ihn herum sitzt eine kleine Gruppe junger Jüdinnen und Juden, die mitsingen. Sie eröffnen am Freitag bei Einbruch der Dunkelheit den Sabbat, den für die jüdische Gemeinde heiligen Ruhetag.

Die Gruppe ist aus der ganzen Schweiz angereist. Den Ort, das Hotel Paradies in Arosa, hat sie bewusst ausgewählt. Hinter ihnen führt eine Treppe hinunter zu einem Schwimmbad. Im vergangenen Sommer hing da an der Eingangstür ein Plakat, das in jüdischen Gemeinden von Paris über Jerusalem bis New York für einen Empörungssturm sorgte.

Das Plakat hatte Ruth Thomann verfasst, die im Paradies für die Réception und die Vermietung der Wohnungen verantwortlich ist. Zuvor hatten sich Gäste bei ihr über jüdische Besucher beschwert, die vor dem Gang ins Schwimmbad nicht duschten. Thomann schrieb «im Gejufel», wie sie heute sagt, ein Plakat. Darauf stand auf Englisch: «An unsere jüdischen Gäste: Bitte duschen Sie, bevor Sie schwimmen gehen. Wenn Sie sich nicht an die Regeln halten, muss ich den Swimmingpool für Sie schliessen.»

Auch die israelische Regierung goss Öl ins Feuer

Ein Gast fotografierte das Plakat und liess es israelischen Medien zukommen. Innert weniger Stunden brachte das Stück Papier Akteure im Ausland zum Hyperventilieren. Die stellvertretende israelische Aussenministerin Tzipi Hotovely sprach von einem «antisemitischen Akt der übelsten Sorte». Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles forderte gar die Schliessung des Hauses.

Ruth Thomann sah sofort ein, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie entfernte das Plakat, das weniger als einen Tag an der Glastür hing. Doch es war zu spät. Über Tage wurde sie mit Hassmails und Telefonanrufen eingedeckt. Thomann ging jedes Mal ans Telefon («es hätte ja ein Gast sein können»). Die Mails machten ihr nicht so viel aus. Aber der Telefonterror, «der hat mich geschlissen», sagt sie.

Über jüdische Bräuche weiss sie bestens Bescheid

Doch Ruth Thomann lässt sich nicht unterkriegen. Heute ist alles anders. «Es tut uns leid, dass Ruth Thomann derart angefeindet wurde. Sie ist ganz sicher keine Antisemitin», sagt Jonathan Kreutner, Generalsekretär des jüdischen Dachverbandes (SIG) am Freitag in Arosa. «Die internationalen Medien und auch einige unserer Mitglieder haben völlig übertrieben.» Es gebe antisemitische Zwischenfälle in der Schweiz, die man beim SIG sehr ernst nehme, sagt Kreutner. Aber die jüdische Gemeinschaft tue sich keinen Gefallen, wenn sie sich über jedes Missverständnis aufregen würde. «Ich bin es satt, mich über alles empören zu sollen», sagt er.

Nach dem Gebet trifft sich Ruth Thomann mit der Gruppe zum gemeinsamen Abendessen im Arvenstübli. Da trinkt also die Frau, die als Nazi und Antisemitin beschimpft wurde, koscheren Rotwein – Alkohol ist während des Sabbats nicht nur erlaubt, sondern geboten – und unterhält sich mit den Gästen über das Judentum. Dabei stellt sich heraus, dass Thomann über jüdische Bräuche bestens Bescheid weiss. Mehrmals hat sie jüdischen Gästen einen Draht ausgeliehen, damit sie den Wohnungsschlüssel an der Kleidung festmachen konnten. Juden, welche die Regeln streng interpretieren, dürfen am Sabbat keine Dinge tragen, weiss sie.

Booking.com boykottiert das Paradies immer noch

Sehr wahrscheinlich weiss sie über das Zusammenleben mit gläubigen Juden auch mehr als die Aroser, die sie in der Stadt immer noch mit dummen Sprüchen zudecken. Als Arosa Tourismus im vergangenen Oktober ein Seminar über interkulturellen Dialog veranstaltete, nahm von denen, die sie dumm anmachten, jedenfalls niemand teil. Hasserfüllte Telefonanrufe und Mails erhält Ruth Thomann keine mehr. Doch unter dem Shitstorm leidet sie noch immer. Die Online-Buchungssite Booking.com hat das Paradies von der Website gestrichen. Dies geschah offenbar auf Intervention des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Zumindest brüstet sich dieses online damit.

Der Boykott trifft das Paradies hart. Booking.com ist die mit ­Abstand beliebteste Online-Buchungssite. «Es ist inakzeptabel, dass Booking.com das Hotel Paradies immer noch ausschliesst», sagt Jonathan Kreutner vom SIG. Dieser hat sich Ende Januar mit einem Brief an die Buchungsplattform gewandt und wartet heute noch auf eine Antwort. «Ganz schwach» findet Kreutner das.

Für die Unterstützung der jüdischen Community ist Thomann dankbar. «Selbstverständlich» beherberge sie weiter jüdische Gäste im Paradies. «Es hat auch schöne Erlebnisse gegeben», sagt sie. Ein Stammgast kam zu ihr ins Büro und gab ihr seine Telefonnummer in Israel. Bei Problemen könne sie sich jederzeit bei ihm melden. Das Duschgebot im Paradies gilt immer noch. An der Glastür zum Swimmingpool steht ein neues Plakat. «Bitte das Duschen nicht vergessen» steht da in roter Schrift. (SonntagsZeitung)
(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/im-paradies-ist-wieder-alles-koscher/story/23917610)

Aufklärung
Letzten Sommer hat ein Anti-Semitisches Plakat im Apartement-Haus «Paradies» in Arosa für Aufruhr gesorgt. Nun findet dieses Wochenende am selben Ort ein Aufklärungsseminar des Schweizerisch-Israelitischen Gemeindebundes SIG statt.
https://www.suedostschweiz.ch/sendungen/2018-03-23/aufklaerung

+++GEHEIMDIENSTE
tagesanzeiger.ch 24.03.2018

Tausendfach denunziert

Täglich erhält die türkische Polizei bis 3500 Hinweise auf Social Media zu verdächtigem Verhalten – auch von der Diaspora in der Schweiz.

Barnaby Skinner

Yunus K. ist türkischer Kurde und lebt in der sicheren Schweiz. Zumindest meinte er, er sei sicher. Bis er kürzlich auf Twitter folgende Meldung eines Landsmanns las: «Es gibt viele Leute wie Yunus K., Verräter, Hurensöhne mit schlechtem Blut. Holen wir diese degenerierte Person aus seinem Haus @EmiyetGM.»

Der Grund für den Angriff auf Yunus K.: Er hat sich in den sozialen Medien mehrfach über Pauschalurteile gegenüber der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gewundert. Im Gegensatz zur Schweiz gilt die PKK in der Türkei als Terror-Organisation. Für nationalistische Türken ist Yunus K. deshalb ein Terrorist. Mit dem Zusatz «EmiyetGM» in der Meldung wurde die türkische Polizei darüber informiert und Yunus K. denunziert.

Das Phänomen der öffentlichen Denunziation von Türken durch Türken ist bei Social Media tausendfach zu beobachten. Das zeigt eine Analyse dieser Zeitung. Allein seit dem 12. Februar sind über 68 812 Meldungen von türkisch-stämmigen Denunzianten auf Twitter eingegangen. Am Spitzentag waren es 3646 Meldungen. In 2 Prozent der Fälle publizieren Nutzer Meldungen mit Standortdaten, die ihre Smartphones mitliefern. Somit lässt sich eruieren, wo Tweets abgesondert wurden.

Nicht nur Kurden im Visier der Denunzianten

Die meisten Denunziationen werden von Nutzern verfasst, die sich in der Türkei befinden: in der Metropole Istanbul oder in der Hauptstadt Ankara etwa. Doch etliche Tweets stammen von der türkischen Diaspora – auch von derjenigen in der Schweiz.

Besonders aktiv ist ein Konto, das auf den Namen @YaseminAydin4. lautet. Es meldete etwa den in Deutschland wohnhaften, armenischen Autoren Hayko Bagdat wegen einer Erdogan-kritischen Twitter-Meldung bei der türkischen Polizei. Recherchen ergaben, dass die Denunziantin im Kanton Zürich zu Hause ist und bis vor kurzem bei einer Kinderkrippe als Gruppenleiterin angestellt war. Auf Anfragen, weshalb sie Landsmänner oder -frauen bei der türkischen Polizei denunzieren würde, reagierte die Nutzerin nicht.

Nicht alle Hinweise aus der Schweiz, die an die türkische Polizei weitergereicht werden, betreffen Kurden oder Armenier. Aus Rorschacherberg TG twitterte etwa der Nutzer mit der Adresse @phantom88342823 kürzlich ein Video aus einem türkischen Kinderheim, in dem angeblich Kinder geschlagen würden. Der Kommentar dazu: «Möge Dich Gott verdammen.» Dann folgt die Information an die Twitter-Adresse der türkischen Polizei: «@EmiyetGM».

Wie bewältigt die türkische Polizei diese digitale Denunzierungswelle? Nimmt sie die Meldungen tatsächlich ernst?

Die türkische Regierung hat bestätigt, seit Anfang Jahr bereits 845 Menschen wegen Türkei-kritischen Äusserungen bei Twitter oder Facebook in Zusammenhang mit dem andauernden Krieg in der nordsyrischen Region Afrin verhaftet zu haben. Offizielle Angaben dazu, ob das Regime Social-Media-Hinweisen systematisch nachgeht, gibt es bis jetzt keine.

Bülent Tezcan, Anwalt und Abgeordneter der republikanischen Volkspartei (CHP), erkennt allerdings ein System. Er habe Hinweise, dass die Regierung zehntausend Zivilisten angestellt habe, der Polizei bei der Arbeit zu helfen. Sie und lose organisierte türkische Hacker-Gruppen wie «Sibertim» seien damit beschäftigt, die Namen von regimekritischen Social-Media-Konten mit Personendatenbanken abzugleichen. Lokalisierte Personen würden von der Polizei einvernommen und oft ohne Prozess monatelang eingesperrt. Befinden sich die Verdächtigen nicht in der Türkei, würden deren Verwandte eingeschüchtert.

Der Fall des eingangs erwähnten Yunus K. untermauert diese Behauptung. Zwei Tage nach der Denunzierung von K. sitzen dessen Eltern morgens in ihrem Wohnzimmer in einem Dorf im Osten der Türkei. Sie heben eben den Schwarztee an die Lippen, als jemand an die Türe hämmert. Draussen stehen sieben Polizisten. Sie weisen Herr und Frau K. an, neben einem gepanzerten Polizeiauto zu warten, während sie das Haus durchsuchen. Die SonntagsZeitung verfügt über Bilder und ein Video der Hausdurchsuchung sowie über eine schriftliche Zusammenfassung der Ereignisse.

«Warum tun sie das?», fragt Herr K.. Ein Polizist antwortet: «Ihr Sohn Yunus muss auf der Wache eine Aussage machen. Uns wurde mitgeteilt, dass er sich zu Hause aufhalten soll.»

Glücklicherweise für Yunus K. befindet er sich in der Ostschweiz, in 3000 Kilometer Entfernung. Vor einem Jahr flüchtete er aus der Türkei. Nach dem Studium der Verwaltungswissenschaft war der 28-Jährige aus seinem Heimatdorf nach Istanbul gezogen, auf Arbeitsuche. Nach erfolglosen Bewerbungen für diverse Verwaltungsjobs heuerte K. auf einer Baustelle des Flughafens Istanbul an. Die Atmosphäre unter den Arbeitern sei aggressiv gewesen, sagt er. Ein Arbeitskollege, wie er Kurde, sei eines Nachts von nationalistischen Türken angegriffen und bei lebendigem Leib verbrannt worden. Der Vorfall ist auf Youtube dokumentiert. Darauf beschloss K., die Türkei zu verlassen.

Anonyme Drohungen gegen Yunus K. gehen weiter

Der Mord an dem kurdischen Arbeitskollegen und die Schlussfolgerung von Yunus K. daraus, er sei als Kurde ebenfalls bedroht, genügte den hiesigen Behörden als Asylgrund nicht. Auch seine frühere Parteimitgliedschaft der Demokratischen Partei der Völker (HDP), eine Pro-Kurdenpartei, tat das nicht. Sowohl das Staatssekretariat für Migration (SEM) als auch das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen lehnten den Antrag von K. ab. Die neuerliche Denunziation via Twitter und die Hausdurchsuchung bei seinen Eltern haben den Kurden allerdings dazu bewogen, ein Wiedererwägungsgesuch einzureichen. Dem Gesuch hat das SEM stattgegeben, sein Asylantrag wird nochmals geprüft.

Derweil gehen die Drohungen und Einschüchterungen auf Twitter weiter. Ein anonymes Konto hat sich besonders auf K. eingeschossen: @Edes84379891. «Sei nicht so mutig. Du bekommst Deine Strafe.» Oder: «Der geduldige Derwisch ist immer erfolgreich. Wir bekommen Dich noch.» K. nimmt das ernst. Er will auf keinen Fall in die Türkei zurückkehren.

Die Schweizer Behörden sehen derweil keinen Handlungsbedarf, die Risikoeinschätzung der Türkei generell zu überarbeiten. Zur steigenden Anzahl denunzierender Social-Media-Meldungen, die unter anderem auch von Personen in der Schweiz verfasst werden, schrieb der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) auf Anfrage: «Der NDB analysiert die Lageentwicklung in der Türkei und deren Auswirkungen auf die türkische Diaspora in der Schweiz aufmerksam und laufend. Bei Bedarf werden Massnahmen von den Sicherheitsbehörden ergriffen.» Welche, wollte das NDB nicht kommentieren.
(SonntagsZeitung)

Die aktivsten türkischen Twitter-Denunzianten

1. @kaldurum_hali Das Twitter-Konto, das in der Messperiode am meisten angebliche Missstände bei der türkischen Polizei gemeldet hat, ist profan. Es hat sich darauf spezialisiert, blockierte Trottoire in der Türkei ausfindig zu machen und zu melden. 127 Meldungen kamen seit dem 12. Februar zusammen.

2. @Kronik Dieses anonym geführte Twitter-Konto ist weniger harmlos. Es wurde am 5. Februar eröffnet und funktioniert seither als Propaganda-Schleuder der türkischen Operation «Olivenzweig». So taufte das türkische Militär den Krieg in der nordsyrischen Region Afrin. Das Konto hat in der Messperiode 121 Meldungen an die türkische Polizei gemacht.

3. @Seyyahh_44 Schon die Beschreibung dieses Kontos ist als Bedrohung zu verstehen: «Jeder kann davonlaufen, aber niemand kann sich verstecken.» In der Messperiode hat das Twitter-Konto 85 andere Nutzer, meist Kurden, denunziert.

4. @hayro61 Das Konto wird von einem gewissen Hayrettin Alt?nta? geführt, 51-jähriger Bürger aus der Provinz Trabzon am Schwarzen Meer. Er hat es besonders auf «gefährliche» Armenier abgesehen und hat 83 Twitter-Polizeimeldungen verfasst.

5. @mst_2023 Dieses Konto, anonym geführt, bezeichnet sich als «nationalistisches Schwergewicht». 81 Polizeimeldungen.

(https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/tausendfach-denunziert/story/20578203)

derbund.ch 24.03.2018

Die Spione sind unter uns

Türkische Agenten, die einen Zürcher Geschäftsmann entführen? Warum die Schweiz für ausländische Geheimdienste so attraktiv ist.

Bernhard Odehnal, Janine Hosp, Thomas Knellwolf

In jedem schnell geschriebenen Agentenkrimi, in jedem zweiten James Bond: In der Schweiz hält man sich als Spion offenbar gerne auf. Vor allem Genf wird immer wieder als «Tummelplatz für Spione» bezeichnet. Und niemand widerspricht. Ist das nur ein Mythos? Einer, der die politisch oft langweilige Eidgenossenschaft internationaler und interessanter macht, als sie eigentlich ist?

Wohl kaum. Das wurde in den vergangenen Tagen deutlich, als wahre Nachrichtendienst-Geschichten Schlagzeilen machten – über den Zürcher Geschäftsmann etwa, der fast von türkischen Geheimdienstlern betäubt und verschleppt worden wäre. Diese Zeitung enthüllte den Entführungsplan mit den K­.-o.-Trop­fen, die geheimen Treffen auf dem Friedhof und vor einer Autogarage.

Und auch fotografierende und filmende chinesische «Touristen» an Tibet-Demos zeigen: In Zürich und Bern geht es bisweilen zu und her wie in einem Spionageroman. Obwohl das gescheiterte Kidnapping der Türkei ein Ausnahmefall der Schweizer Zeitgeschichte ist, was die kriminelle Energie betrifft, sind Geheimdienstoperationen hierzulande Alltag.

Rollläden runter, Wanzen suchen

Regelmässig warnt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) vor traditioneller Spionage und Cyberattacken, die immer ausgeklügelter und aggressiver würden. In seinem aktuellsten Lagebericht schreibt er, dass vermehrt «auch Schweizer Interessen» Ziel dieser Angriffe seien: «Der NDB hat in den letzten Jahren mehrere solche Angriffe festgestellt und unterbunden.» Hinter den virtuellen Attacken auf die Rechner der schweizerischen Diplomatie oder auf den bundeseigenen Rüstungskonzern Ruag werden Hacker aus Moskau vermutet. Dabei arbeiten die einstigen Meisterspione aus Russland auch immer noch gern mit traditionellen Mitteln.

Alt-Bundesrat Samuel Schmid, der bis Ende 2017 die russische Staatsdopingaffäre untersuchte, sagte der «Schweiz am Wochenende», dass extra Agenten in die Schweiz gekommen seien. Während einer Konferenz der Anti-Doping-Agentur Wada habe sich ein Team eines russischen Nachrichtendienstes im selben Hotel aufgehalten. Also mussten sich die Konferenzteilnehmer schützen: Rollläden runter, Computer vom Netz nehmen, elektronische Geräte abgeben und alle Räume regelmässig nach Wanzen absuchen.

In seinem Bericht widmet sich der NDB auch verstärkt den Diasporagemeinschaften. Das entsprechende Kapitel liest sich wie eine diplomatisch verfasste, aber doch deutliche Warnung an die Türkei. Ansonsten gibt sich der Nachrichtendienst grosse Mühe, die Spionage als «business as usual» erscheinen zu lassen: etwas, das nun mal zu einem Land gehört, wo internationale Organisationen aktiv sind und sich Spitzentechnologie, viele Migranten und eine riesige Vermögensverwaltung vereinen.

Von diesem geheimen Alltagsgeschäft wird längst nicht alles publik. Die meisten Fälle, in denen ausländische Spione in der Schweiz ertappt werden, wickeln der Nachrichtendienst, die Bundes-anwaltschaft und das Aussendepartement auf Geheiss des Bundesrats diskret ab. Selbst die türkische Kidnapping- aktion wäre wohl länger geheim geblieben, hätten Journalisten davon nichts mitbekommen.

Gerade diese Diskretion ist es, weshalb es ausländischen Agenten hier so gefällt. Wie jenen auffällig Unauffälligen, die sich an einem Apriltag 2012 ausgerechnet beim Platzspitz mitten in Zürich tummelten. Zwei Georgier beschatteten zwei oppositionelle Landsleute und hatten dafür allerlei elektronisches Gerät angeschleppt – Abhörpräzisionstechnik aus Sowjetzeiten. Sie wussten wohl nicht, dass rund um den Hauptbahnhof gedealt wird. Prompt gerieten sie in eine Polizeikontrolle. Sie wiesen sich als Mitarbeiter des georgischen Innenministeriums aus und kamen wegen Spionageverdachts drei Wochen ins Gefängnis. Trotz perfekter Beweislage sah der Bundesrat aus diplomatischer Rücksicht davon ab, der Bundesanwaltschaft die Ermächtigung für eine Strafverfolgung zu erteilen. Georgien entschuldigte sich, und die beiden tollpatschigen Agenten wurden nach Tiflis abgeschoben.

Unzimperliche Methoden

Schwerer loszuwerden sind iranische Agenten, die sich häufig für die Vorgänge der UNO interessieren und vor allem in Genf aktiv sind. Wie spionierende Diplomaten aus anderen Ländern besitzen sie eine internationale Akkreditierung, die sie schützt. Ein iranischer Funktionär der Weltgesundheitsorganisation darf sogar über seine Pensionierung hinaus in Genf bleiben, obwohl der NDB in ihm eine Gefahr für die Schweiz sieht. Das Bundesgericht hat entschieden, dass der Mediziner nicht weggeschickt werden kann – wegen eines formalen Fehlers der Behörden.

Unzimperlich sind hingegen die Methoden autoritärer Regierungen wie jene der Türkei oder Chinas, die auf Regimekritiker abzielen. Seit dem Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan 2016 sind in der Schweiz nicht mehr nur Kurden und andere Oppositionelle im Visier des türkischen Nachrichtendienstes. Ausspioniert werden auch alle, die mit der islamischen Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht werden.

Die Bespitzelung erfolgt professionell oder durch türkische Nationalisten in der Schweiz. Die Denunzierung in sozialen Medien oder direkt bei den Behörden in Ankara ist oft nicht einmal illegal. Drastisch sind die Konsequenzen für die Diffamierten: Plötzlich sehen sie sich in regimetreuen Medien als Terroristen gebrandmarkt, werden bedroht und können nicht mehr in die Heimat. Verwandte werden festgehalten, es gilt Sippenhaft.

Wenn politisch engagierte Tibeter telefonieren, klickt es manchmal in der Leitung, manchmal wird sie ganz unterbrochen. An Demonstrationen, etwa jener Anfang März in Genf zum 59. Jahrestag des tibetischen Volksaufstands, werden sie von fremden Männern fotografiert oder gefilmt. Auf die Frage, wer sie seien, antworten sie: Touristen. Oder sie laufen weg. Tibeter sagen, solche Bespitzelungen hätten sich seit 2014 gehäuft – seit dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China. Fragt man die chinesische Botschaft in Bern, ob die Fotografen in ihrem Auftrag arbeiteten, bekommt man keine Antwort.

Der NDB verweist lediglich auf seinen Lagebericht, in dem es heisst: «Das selbstbewusste und fordernde Verhalten Chinas verspürt die Schweiz unter anderem in Bezug auf die tibetische Exilgemeinschaft in der Schweiz.» Empfänge des Dalai Lama würden von China nicht geduldet. Einzelne Bundesräte sprechen ihn am Rande von Veranstaltungen, offiziell empfangen wurde er nie. Anders reagierte der Kanton Glarus: China wollte verhindern, dass der Gastkanton am vergangenen Zürcher Sechseläuten eine Tibetergruppe mitlaufen liess. «Den Anruf haben wir freundlich zur Kenntnis genommen», sagte der Ratsschreiber. Die Tibeter liefen trotzdem mit.

Mossad und US-Geheimdienst

Spionage in der Schweiz? Geht nicht ohne die USA und Israel. Dem israelischen Geheimdienst Mossad gelang es mutmasslich, während der 5+1-Atomgespräche 2015 in das Computersystem eines Genfer Hotels einzudringen und die Telefone und Überwachungskameras zu kapern. Eine der grössten ausländischen Geheimdienstoperationen in der Schweiz führten die Amerikaner Anfang der Nullerjahre durch, bevor sie ein Atomwaffen-Netzwerk auffliegen liessen. Im Rheintal oberservierten sie die Familie Tinner, die die Bombenbauer belieferte.

In Genf betreiben die USA einen «Special Collection Service». Ihre Anlage saugt elektronische Daten in der Umgebung ab. Die Ziele sind vielfältig: eine japanische Handelsdelegation ebenso wie eine kleine NGO, die sich für fairen Baumwollhandel einsetzt. Es war US-Geheimdienst-Whistleblower Edward Snowden, der all dies publik machte. Durch ihn wurde klar, wie ungestört sich hier die Agenten tummeln.
(https://www.derbund.ch/schweiz/standard/die-spione-sind-unter-uns/story/15811027)