Medienspiegel 18. März 2018

+++BERN
derbund.ch 17.03.2018

Bern hat Sans-Papiers im Griff

In Genf wird mit einer aufsehenerregenden Operation der Status von über 1000 Papierlosen reguliert. In Bern ist der Nachholbedarf nicht so gross.

Anita Bachmann

In der Schweiz leben Tausende Menschen ohne Papiere. Es sind Ausländer, die sich aus verschiedenen Gründen illegal im Land aufhalten. Viele von ihnen gehen einer Arbeit nach, schicken ihre Kinder in die Schule und führen ein normales Leben – bis auf die Angst, eines Tages aufzufliegen.

Wiederholt grosse Aufmerksamkeit haben die sogenannten Sans-Papiers aus dem Kanton Genf erhalten. Zum einen, weil es dort besonders viele gibt, zum andern, weil der Kanton mit einer gross angelegten Aktion den Status von über 1000 Sans-Papiers reguliert hat. Die Genfer Operation Papyrus wirft aber auch die Frage auf: Wie sieht es andernorts aus?

Mit dieser Frage sieht sich etwa Alexander Ott, Leiter der Fremdenpolizei der Stadt Bern, konfrontiert. Zu Unrecht, wie er sagt. «Bei uns werden seit Jahren Fälle reguliert.» Im Schnitt behandle die Fremdenpolizei 25 Gesuche pro Jahr. Deshalb gebe es keinen solch grossen Aufholbedarf wie in Genf, wo die Behörden von 13’000 Sans-Papiers ausgehen. «Ich schätze, dass es in der Stadt Bern 300 Sans-Papiers gibt», sagt Ott. Im Gegensatz zu Genf, wo jahrelang nichts gemacht worden sei, habe Bern das Thema nicht versäumt.

Kantonsweit 1500 Sans-Papiers

Konkret ist Bern seit 2005 in dieser Sache aktiv, so lange gibt es die Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers. «Seit es uns gibt, konnten wir immer wieder Härtefallgesuche einreichen», sagt Marianne Kilchenmann von der Beratungsstelle. Sie zeigt aber auch auf, wie nötig die Beratungsstelle ist. «Wir führen pro Jahr 2000 Beratungen durch», sagt sie. Die Beratungsstelle mit rund 200 Stellenprozenten sei mehr als ausgelastet. Die kontinuierliche Arbeit sieht sie denn auch als Grund dafür, dass in Bern die Sans-Papiers-Fälle, welche die Kriterien erfüllen, nach und nach geregelt wurden. Im Unterschied dazu werden in Genf nun auf einen Schlag ganz viele Dossiers bearbeitet, es gelten aber die gleichen Kriterien wie in Bern.

Gestützt werden die Zahlen zu Bern von einer schweizerischen Studie aus dem Jahr 2015. Auch im Kanton Bern gibt es Sans-Papiers, aber lange nicht so viele wie in Genf, Zürich oder Basel-Stadt. Für Bern geht die Studie von geschätzt 3000 Sans-Papiers kantonsweit aus. Ott findet die Zahl zu hoch, er gehe eher von 1500 Sans-Papiers im Kanton Bern aus. In Biel beispielsweise schätzen die Behörden die Sans-Papiers auf circa 100 Personen.

«Hunderte ohne Perspektive»

Zum einen handelt es sich bei den Zahlen nur um grobe Schätzungen, und zum anderen kommt es darauf an, wer von wem spricht. Nebst den klassischen Sans-Papiers, die oft weiblich sind, aus lateinamerikanischen Staaten stammen und im Haushalt oder als Putzfrau arbeiten, gibt es noch eine zweite Kategorie: abgewiesene Asylsuchende, die das Land nicht verlassen haben. «Es gibt Hunderte solcher Menschen, die keine Perspektive haben», sagt Matthias Rysler von Solidaritätsnetz Bern. Eine Regulierung ihres Status ist aber noch schwieriger und ihre Lebenssituation oft noch prekärer, weil sie beispielsweise nicht arbeiten dürfen. Diese Kategorie von Sans-Papiers profitiert aber auch in Genf nicht von der Operation Papyrus.

Wunsch nach Amnestie

Ist der Ruf nach einer bernischen Operation Papyrus also verfehlt und unnötig? «Ich würde es sehr begrüssen, wenn in Bern etwas Ähnliches stattfinden würde», sagt der grüne Stadtberner Grossrat Hasim Sancar. «Ich wünsche mir eine allgemeine Amnestie», sagt er.

Eine Mehrheit im bürgerlich dominierten Kantonsparlament wird es für solche Anliegen kaum geben. Aber auch ohne politische Forderung strahlt die Operation Papyrus bereits nach Bern aus. «Die Operation hat bewirkt, dass auch in Bern mehr Gesuche um Regulierung eingereicht werden», sagt Kilchenmann. 2017 wurden 25 Gesuche gestellt, im Vorjahr 15. Auch die Stadtpolitiker wollen nicht alles auf den Kopf stellen. «Ich bin der Ansicht, dass es in Bern recht gut läuft», sagt Stadträtin Seraina Patzen (JA!). Sie hat aber zusammen mit anderen Stadträten eine Motion eingereicht, die für die Sans-Papiers-Beratungsstelle Geld fordert. Der Gemeinderat, der die Motion bereits beantwortet hat, erklärt sich bereit, die Beratungsstelle jährlich mit 20’000 Franken zu unterstützen. Damit könnte sie ihre Arbeit ausbauen und die Zahl der Gesuche um Regulierung in Härtefällen erhöhen. Denn: «Jeder Sans-Papiers-Fall ist einer zu viel», sagt Sancar.
(https://m.derbund.ch/articles/28358533)

+++MITTELMEER
Ein Tag mit der Moonbird – unsere Einsatzleiterin Maggie berichtet
Maggie, 31, setzt sich seit Jahren gegen die Abschottungspolitik Europas ein. Sie studierte Arabisch in Tunesien und ist eine Mitbegründerin des Watch the Med Alarmphones. Wenn sie während ihrer Alarmphone-Schichten mit Menschen, die in Seenot geraten waren, telefonisch in Verbindung stand, wünschte sie sich nichts sehnlicher als ein Schiff oder einen Helikopter, um den Menschen zur Hilfe zu eilen. Sie war auf mehreren Rettungsmissionen mit dem Schiff Iuventa im zentralen Mittelmeer unterwegs. Nun ist sie als Moonbird-Einsatzleiterin bei Sea-Watch und ist vorgestern ihre erste Mission geflogen.
https://sea-watch.org/maggie_und_das_meer/

+++EUROPA
Zwei Jahre EU-Türkei-Abkommen: Merkels Deal geht nicht auf
Vor zwei Jahren haben die EU und die Türkei ein Flüchtlingsabkommen vereinbart. Die Zahl der Migranten ist seitdem gesunken, aber die Absprache stockt und die Kritik wächst. Hat das Abkommen in dieser Form eine Zukunft?
http://www.dw.com/de/merkels-deal-geht-nicht-auf/a-43008847

+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Weckruf mit Raketen mehr Schall und Rauch
Feuerwerk am Samstag um 5 Uhr in Bern: Was eine Protestaktion gegen den Krieg in Syrien sein sollte, blieb anscheinend grösstenteils unbemerkt.
https://www.bernerzeitung.ch/region/bern/weckruf-mit-raketen-mehr-schall-und-rauch/story/15056398
-> RJG-Weckruf: https://www.facebook.com/rjgbern/videos/1039436366208883/

+++BIG BROTHER
Deutsche Staatstrojaner erobern den Nahen Osten
Auf der weltgrößten Überwachungsmesse ISS in Dubai geben deutsche Firmen wie der Trojanerproduzent FinFisher den Ton an. In den Grenzregionen der Türkei und in Nordsyrien wurden die Kurden mit deutscher Schadsoftware ausspioniert.
http://fm4.orf.at/stories/2900318/

+++POLICE TECH
https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/bodycam-zwischenbericht-100.html

+++ANTIRA
https://www.facebook.com/allianzgegenracialprofiling/posts/1469884276454106
Der Fall Wilson A. aus der Sicht seines Anwalts Bruno Steiner – Bis zum Ende lesen, der Fall ist unglaublich und zeigt tief in die Abgründe des institutionellen Rassismus

Racial profiling: My skin is not my sin!

Liebe Familie A.
liebe Mitstreiter und Mitstreiterinnen

Wie bekannt, führt unser Freund Wilson A., Opfer einer sinnlosen polizeilichen Gewaltorgie, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte, seit bald neun Jahren einen Kampf gegen die hier zuständigen Strafverfolger des so lieblichen Kantons Zürich, die alles, wirklich alles daran legen, diesen offenkundigen Fall eines entarteten racial profiling unter den Teppich zu kehren.

Da ich gerade in Diktierlaune bin, dazu einige Bemerkungen. Im Hinblick auf den am Bezirksgericht Zürich am 10. April 2018 stattfindenden Prozess scheint mir nämlich eine kurze Rückschau ebenso am Platz wie eine Bestandsaufnahme und eine Vorschau auf das, was wir von diesem Prozess erwarten oder besser nicht erwarten dürfen.

Kurz soll noch einmal dargelegt werden, warum und weshalb wir diesen Kampf, den wir mit höchster Wahrscheinlichkeit verlieren werden, gleichwohl mit all den uns zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln führen müssen, über die Bühne bringen und bis vor Bundesgericht durchziehen wollen. Der Kampf gegen Rassismus ist mit Niederlagen gepflastert. Doch dieser Weg ist zu gehen, wenn wir irgendwann, irgendwie Erfolg haben und irgendwo hinkommen wollen. Die hier wirkenden Mechanismen sollen zumindest einmal angesprochen und offen gelegt werden.

Es geht vorliegend um ein äusserst signifikantes, aussagekräftiges und ausserordentlich erkenntnisreiches Beispiel einer durch die Strafverfolger gelenkten Dysfunktion eines Strafverfahrens gegen gewalttätige Polizeibeamte.
Es zeigt sich das Bild eines sich hinziehenden, nervenaufreibenden und strapaziösen Grabenkriegs mit der StA I, Besondere Untersuchungen, Abteilung A, der die Führung der Strafuntersuchung gegen die drei vorliegend beschuldigten Polizeibeamten – wie allzu oft in solchen Fällen – anvertraut worden ist.

Eine ausgewählte Kohorte von Strafverfolgern, die ich gerne und mit gutem Grund als Prätorianergarde der Zürcher Polizeiverbände und des Zürcher Justizestablishments bezeichne. Man könnte diese Strafverfolger auch anders nennen: Die beamteten Abräumer mit der Lizenz und stillen Mission, Verfahren gegen gewalttätige Polizeibeamte vom Tisch zu wischen und unter den Teppich zu kehren. Auf Teufel komm raus, koste es, was es wolle.

Mit der Aufgabe zudem, einem solchen Vorgehen einen quasi legalen Anstrich zu geben. So zu tun, als wäre alles in bester prozessualer Butter. Als Gaukler und Illusionisten einer unabhängigen und unvoreingenommenen Strafjustiz, die es in solchen Fällen, wenn Strafverfolger gegen Strafverfolger ermitteln, schlicht und einfach nicht geben kann und nie gegeben hat.

Und es geht einmal mehr um ein geradezu klassisches racial profiling, was die Konturen dieser speziellen Verfahrensführung noch verschärft. Sichtbar macht, wie ein Kontrastmittel.

Unser Freund Wilson aus Nigeria wurde bekanntlich von drei Polizeibeamten in der ersten Morgenstunde des 19. Oktober 2009 im Rahmen einer ohne jegliche Berechtigung angeordneten und durchgeführten Personenkontrolle massiv gewürgt und halb totgeschlagen. Ohne irgendwelche Veranlassung dazu gegeben zu haben.

Doch halt, da waren die schwarze Hautfarbe und damit ein böser Generalverdacht: Ein Drogendealer. Afrikaner. Schwarze Haut, weisser Stoff!

Wilson, ein ausgesprochen friedfertiger, höflicher und – das soll hervorgestrichen werden – selbstbewusster Zeitgenosse, litt damals und leidet heute noch unter einer massiven gesundheitlichen Beeinträchtigung. Er hatte eine Herzoperation hinter sich. Das Blut musste deshalb auf Dauer verdünnt werden, zudem musste er sich einen Defibrillator auf der linken Brustseite implantieren lassen. Er war so gesehen hochgradig infarktgefährdet.

Das Problem: Wilson war nicht nur schwarz, das ginge ja gerade noch, solange er nur den Mund gehalten hätte. Sein eigentliches Verbrechen? Er erlaubte sich – sein gutes Recht übrigens – die Polizeibeamten nach dem Grund ihrer Kontrolle zu fragen. Warum verfolgst du mich, mein Bruder, warum verfolgst du mich, meine Schwester? Ist es meine Haut?

Eine Personenkontrolle übrigens, die nach der beinahe letalen Prügelorgie ergebnislos ausfiel. Wilson erwies sich bei diesem Zusammenstoss als total nüchtern, stand nicht unter Drogeneinfluss, hatte keinen Alkohol getrunken. Das haben die medizinischen Tests ergeben. Und er war auf dem Weg nach Hause zu Frau und Kind. Die Ausweispapiere trug er auf sich. Gegen ihn lag nichts vor. Ausser seiner Hautfarbe meine ich.

Warum verfolgt Ihr mich? Wer solches fragt, der lebt gefährlich. Denn simpel mitunter sind die polizeiliche Logik der Langstrasse und die Doktrin ihrer Hinterhöfe. Darauf wird im Plädoyer noch vertieft einzugehen sein.

Der denkt zu viel, die Leute sind gefährlich. Die Dreistigkeit zu denken, ist eine Sache, die gerade noch angehen kann. Das Gedachte gleich noch zu sagen, eine andere.

Diese simple und durchaus berechtigte Frage Wilsons nach dem Warum bedeutet Aufruhr, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Obwohl die Beamten natürlich verpflichtet wären, den Kontrollierten, den Grund ihres Zugriffs kurz zu erklären.

Vor Ort liest es sich allerdings anders. Präventiv umlegen und aus dem Verkehr ziehen. Wer die verbotene Frage stellt und dabei zwangsläufig den Mund aufreisst, steht im Verdacht zubeissen zu wollen. Und das kann man nicht zulassen. Wegen der Gefahr vor Vergiftungen – die tragen alle solche Keime in sich, die Schwarzen – und überhaupt.

Und wie tönte sie nach vollbrachter Tat? Die Geschichtsklitterung? Mein Klient Wilson soll zur ersten Stunde nach Mitternacht unvermittelt drei hochgerüstete Polizeibeamte angegriffen haben, die sich dann zwangläufig brachial – um ihr Leben zu retten und natürlich selbstlos vor allem dasjenige meines Klienten – hätten gegen diese Attacke zur Wehr setzen müssen.

Die Beschuldigten wollen, wie immer in solchen Fällen, ihre Pflicht getan haben! Nach der Devise: Was kann ich Gutes für Sie tun? Mann aus Afrika? So wurde vorgebracht, eine Verwechslung mit einem gesuchten Straftäter habe zu dieser Personenkontrolle geführt. Wie ich im Plädoyer noch eingehend darlegen werde, handelt es sich um eine geradezu tolldreiste Lüge. Um eine Standardausrede par excellence.

Beim Verlassen des Trams auf der Haltstellt Bhf. Wiedikon wurde Wilson viel mehr überraschend und präventiv mit Reizstoff attackiert und durch diesen Präventivschlag ausser Gefecht gesetzt. Damit wurde die etwa zehn Minuten dauernde Gewalt- und Prügelorgie eingeleitet.

Auf der einen Seite ein mit Pfefferspray behandelter invalider, blind gesprayter Afrikaner, der nicht zuletzt auf Grund seiner Erkrankung und Gefährdung in eine rasende Panik verfiel, von der übermächtigen Angst erfasste wurde, umgebracht zu werden, seine Frau und sein Kind nie mehr zu sehen. Auf der andern Seite, drei erfahrene und gut ausgebildeter Polizeibeamte, die unversehens zur Schlägertruppe verkamen.

Erst als Verstärkung eintraf, konnte mein, von totaler Panik beherrschter, nach Hilfe schreiender Klient Wilson endlich zu Boden gebracht werden. Grandiose Performance, so im Sinne: Gestern Abend haben ich und noch zehn baumstarke Männer einen Afrikaner zum Fenster hinausgeworfen.

Und das Lebenselixier meines Klienten, damals und heute: Keine körperlichen, keine gewalttätigen Auseinandersetzungen, keine Aufregung. Infolge der latent hohen Infarkt Gefährdung. Und als immer präsente Warnung und stete Erinnerung, der auf Grund der bestehenden Herzschwäche auf der linken Brustseite eingebaute Defibrillator.

Und genau darum hatte er während der ganzen Prügelorgie in Todesangst gefleht, geweint und geschrien. Lasst mich in Ruhe, mein Herz wurde operiert. Auf der menschenleeren Haltstelle beim Bahnhof Wiedikon verhallten die Hilferufe in der Dunkelheit. Die Nacht hat keine Augen und keine Ohren und kein Erinnerungsvermögen.

Freie Bahn also für die Ordnungshüter mit den blauen Gummihandschuhen. Ungepudert und hautschonend. Sechs Fäuste für ein Halleluja.

Der implantierte Defibrillator übrigens war infolge der erlittenen Schläge ein einziges blaues Hämatom. Es sieht auf den Bildern aus, wie eine aufgenähte Tasche. Unvorstellbar, was ein Defekt hätte bewirken können. Abriss oder falsche Impulse an das rasende Herz.

Und noch etwas: Die feinfühligen Ordnungshüter, die keine Kratzerchen davongetragen hatten, erstatteten unmittelbar nach dem Vorfall Anzeige wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte. Wie im wilden Westen. Wer zuerst schiesst, der hat gewonnen. Vor Ort und im Verfahren später am grünen Tisch. Sie flüchteten sich feige in die Opferrolle, derweilen sie Wilson gezielt zum wahren Täter mutierten.

Wir reichten ebenfalls Strafanzeige ein. Ob wir das heute noch tun würden, weiss ich nicht. Wahrscheinlich doch schon.

Die aufgenommene Strafuntersuchung der Staatsanwaltschaft gegen die Polizeibeamten hat sich durchwegs als eine denkbar schmutzige Angelegenheit erwiesen. Ob eine entsprechende Fortsetzung am Gericht erfolgt, wird sich alsbald weisen.

Dreimal waren wir im Verlaufe des Untersuchungsverfahrens vor Bundesgericht. Die Staatsanwaltschaft versuchte bis heute, unbeirrt dieses Verfahren zu sabotieren respektive diese widerwärtige Gewaltorgie unter den Teppich zu kehren, was nur zum Preis einer völligen Disqualifikation Wilsons zu erreichen ist.

Irgendwann wird es ihr – mit gütiger Nachhilfe allenfalls der gerichtlichen Instanzen – wohl auch gelingen. Wir werden sehen! Schlampige Untersuchungen jedenfalls – auch das ist ein äusserst probates und erprobtes Erledigungskonzept – führen in solchen Fällen zwangsläufig zu Freisprüchen. Auch das ein Thema des Plädoyers.

Aus den brutalen, lebensbedrohlichen Würgegriffen, mit denen Wilson zu Boden gerungen worden war, und einer Serie präzise applizierter Stockschläge und Kniestösse auf die Brust und in den ungeschützten Unterleib, dem darauf beruhenden, mehr als dringenden Verdacht einer eventualvorsätzlichen, versuchten Tötung, wurde bis zum Abschluss des Vorverfahrens eine einfache Körperverletzung. Inzwischen verjährt, was absehbar war.

Natürlich, bei den verbliebenen Würgemalen und Hämatomen eines brutalen Stockeinsatzes handelt es sich um einfache Körperverletzungen. Der Würgevorgang und die damit gesetzte Lebensgefahr wurden schlicht ausgeblendet. Die Beschuldigten hatten diese Würgegriffe als solche bestritten respektive gerade nicht hingeschaut.

Eine der grossen gemeinsamen Lügen der Beschuldigten in diesem Strafprozess. Denn die medizinischen Verletzungsbilder sind eindeutig. Wir werden den entsprechenden Wahrheitsbeweis an der Hauptverhandlung belegen und begründen. Sogar die Staatsanwältin sah sich gezwungen, verschämt allerdings nur, sie in die Anklage aufzunehmen.

Nach allerhand Turbulenzen und wiederholtem, heftigem Einsatz verbaler Brecheisen durch die Rechtsvertretung sah sich die StAin nach fast acht Jahren Verschleppung und Verschlampung auf Anweisung des Einzelrichters gezwungen, neben dem verbliebenen Amtsmissbrauch auch wegen Gefährdung des Lebens Anklage zu erheben. Genauso, wie es das Bundesgericht im zweiten Entscheid verlangt hatte.

Die Staatsanwaltschaft hatte die entsprechende Erkenntnis des Bundesgerichts – einer unserer kleinen Etappensiege – einfach missachtet. Die höchsten Richter können entscheiden, was sie wollen, sie haben nun einmal keine Kavallerie. Doch, vielleicht wollen sie auch gar nicht so ernst genommen werden. Und die Staatsanwälte wissen das.

Die Sache wurde nach unserer entsprechenden Rüge vom Einzelrichter vor gut einem Jahr ans Kollegialgericht überwiesen! Wir hatten beanstandet, dass diese lebensgefährlichen Würgevorgänge und die ebenso gefährlichen Schlagstockserien – entgegen also dem entsprechenden Bundesgerichtsentscheid – schlicht vom Tisch gewischt respektive auf eine alsbald verjährende, einfach Körperverletzung reduziert worden waren.

Die Staatsanwaltschaft wird plädieren müssen. Auf Freispruch wie es scheint! Der Strafantrag liegt bereits vor. Geldstrafe, 100 Tagessätze für die Polizeibeamten, bedingt natürlich. Unsere Anfrage, ob es sich um ein Versehen handelt, wurde nicht kommentiert. Es erfolgte keine Korrektur.

Dieser Strafantrag, der nur als bewusste Provokation verstanden werden kann, reicht gerade einmal für ein bisschen Amtsmissbrauch. Eine Verhöhnung meines Klienten? Oder gar Rassismus? Oder nur eine dreiste Parteinahme für die Beschuldigten? Können wir offen lassen!

Die Jungs vom Balkan jedenfalls wandern für ähnliche Qualitäten und Verletzungsbilder zur gleichen ersten nachmitternächtlichen Stunde – gemäss unserem immer launigen Kollegen Landmann als Stunde der Idioten zu benennen – zwei bis drei Jahre in den Knast. Und vorliegend droht, wenn es nicht zu einem umfassenden Freispruch kommt, eine bedingte Geldstrafe für ein bisschen Amtsmissbrauch.

Mindestens vier Mal hatte die Staatsanwaltschaft versucht, das Verfahren unter den Tisch zu wischen. Zweimal scheiterte sie auf dem von uns eingeschlagenen Rechtsweg. Dann versuchte sie es zweimal informell. Ebenfalls erfolglos. Ist sie deswegen befangen? Man würde meinen. Wir sind davon überzeugt.

Die zuständige Staatanwältin ist als unbefangen zu betrachten! Wie das Bundesgericht glaubte, im letzten ihrer drei Entscheide feststellen zu müssen. Die hohen Letztinstanzlichen gingen unendlich blauäugig davon, dass die Staatsanwältin diese Anklage lege artis gemäss ihrem zweiten, sehr deutlichen Entscheid erheben würde. So kann man sich in der Loyalität der Gesetzeshüter täuschen.

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Stellungnahme an das Bundesgericht ihre hohe Professionalität herausgestrichen. Die Richter wurden hinters Licht geführt! Denkbar schnoddrig, und eben denkbar professionell, muss man eingestehen. Und vor allem dreist. Wie immer? Eine Totalverarschung. Ich sehe das als eine Art prozessualen Mittelfinger allgemeine Richtung Lausanne. Die Rechtsprechung gehört dem Gericht und die Strasse der Polizei!

Dann die gezielte Obstruktion der Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft. Ohne entsprechendes gerichtsmedizinisches Gutachten keine Verurteilung wegen Gefährdung des Lebens. Eine Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens wurde und wird seit mehr als acht Jahren strikt verweigert. Ich konnte ein solches anfordern und beantragen, wie ich wollte.

Der Fall ist damit klar: Wenn kein medizinisches Gutachten eingeholt wird, müssen die Beschuldigten vom Vorwurf der Gefährdung des Lebens respektive einer eventualvorsätzlich versuchten Tötung freigesprochen werden. Das steht schon heute fest.

Die Staatsanwaltschaft kam also mit ihrer Anklage wegen Gefährdung des Lebens vordergründig der Erkenntnis des Bundesgerichts nach, obstruierte sich jedoch gleichzeitig. Verrat und Manipulation einmal mehr in Reinkultur.

Und der verfahrensleitende Vorsitzende des Gerichts hat den erneut gestellten Antrag, endlich ein Gutachten in Auftrag zu geben, bereits abgewiesen. Und er wird auch vom Gesamtgericht anlässlich der Hauptverhandlung noch einmal das gleiche Schicksal erleiden. Der Freispruch der Beschuldigten scheint damit schon programmiert. Der Fall ist bereits heute entschieden.

Schlampige Untersuchungen können zwangsläufig nicht zu einer Verurteilung führen. Soviel steht fest. Einschlägige Verfahren werden infolge eines fehlenden Ermittlungswillens nicht zuletzt im Untersuchungsstadium entschieden. Was soll man sagen, wie soll man es sagen? Recht eigentlich in den Sumpf gefahren!

Auf dem Platz Zürich, der weltoffenen Stadt, darf es kein – erst noch äusserst gewalttätiges – racial profiling geben. So kämpfen wir – die entsprechenden Statistiken sagen es überdeutlich – gegen eine, nur gerade als totalitär zu bezeichnende Tradition des Unter-den-Teppichkehrens solcher Übergriffe auf schwarze Mitbürger.

Mandatsübernahmen im Kontext eines racial profiling müsste man als Anwalt genau besehen ablehnen. Ohnehin, wenn man keine Erfahrung in der Führung solcher Mandate hat und wohl erst recht, wenn man dieses Metier und die zu erwartende Verschlagenheit der Strafverfolger bestens kennt. Bei der bestehenden Verfahrensallmacht der Strafverfolger und ihrem völlig fehlenden Verfolgungsimpetus in eigener Sache, lässt sich die Führung eines solchen Verfahrens gegen gewalttätige Polizeibeamte kaum je rechtfertigen.

Es ist und bleibt so, die wahren Beschuldigten in solchen Prozessen gegen gewalttätige Gesetzeshüter sind immer die Opfer. Es gibt keine Polizeiopfer polizeilicher Gewalt, es darf keine geben. Es gibt nur bösartige Unterstellungen und falsche Anschuldigung gegen Beamte, wegen eines pathologischen Hasses von sich selber als Opfer generierenden Ausländern.

Gerade die schwarzen Polizeiopfer sitzen in einem eigentlichen Säurenbad. Die lange Dauer der Verfahren, die faktische Behandlung als Beschuldigte, die damit einhergehende Erniedrigung löst ihre Widerstandskraft, ihren Kampfgeist auf Dauer stetig auf. Gefühle unendlicher Ohnmacht hinterlassend, und einen letztlich selbstzerstörerischen unmässigen Zorn, der kaum je ein Ventil findet. Und wenn, als immerwährend sprudelnde Quelle von Hass und Erbitterung.

Kurzer Einschub! Muss ein Anwalt, so die Frage, der als Opfervertreter mit voller Kraft und ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln eine Klage gegen übergriffige Polizeibeamte führt, in seiner späteren Verteidigungsarbeit mit Retorsion rechnen?

Ausschliessen kann ich das nicht. Ein Opfervertreter hat die falschen Freunde und alsbald den Strafverfolgungsapparat zum Feind! Und dieser ist nachtragend. So nach dem Grundsatz. Kommt der Dieb davon im Fall, wir er gehängt ein ander Mal (mittelalt. Sprichw.).

Oder zahlt es sich umgekehrt aus, wenn ein Anwalt Polizeibeamte verteidigt? Darf er in den nächsten Fällen mit einem besonderen Verständnis rechnen, ein klein bisschen Begünstigung? Um nicht falsch verstanden zu werden, jeder Beschuldigte hat das unabdingbare Recht auf eine effiziente Verteidigung.

Jede Verteidigung hat nun einmal ihre Nebenwirkungen. Einmal so und einmal anders. Wer Polizeibeamte verteidigt, profitiert möglicherweise von einem Bonus, er hat die richtigen Freunde. Ich meine, wenn man schon zur Familie gehört. Der Opfervertreter seinen Malus.

Mein Klient Wilson glaubt an die Verfassung. Er ist überhaupt ein gläubiger Mensch, sonst wäre er längst eingebrochen. Ein bewundernswürdiger Wille, sein Glaube und die Familie halten ihn gesund. Er verlangt für sich und stellvertretend für alle andern Unter-den-Teppichgekehrten aus Afrika ganz einfach Gerechtigkeit. Dear judge, my skin ist not my sin!

Mutter Justitia jedoch ist gottlos, wenn es um ihre eigenen Kinder mit dem Strafverfolgungsauftrag geht. So lernt mein Klient, sinnbildlich für Afrika, auf eine einfühlsame Art Kafka kennen! Die Allmacht der kommunizierenden bürokratischen Unfasslichkeit. Er glaubt an die Verfassung, obwohl es absurd erscheint. Sein Verteidiger wundert sich. Credo quia absurdum est. Sagte übrigens schon der heilige Augustinus.

Ich habe mir in den letzten Jahren Dutzende solcher Geschichten von Übergriffen auf Afrikaner angehört. Aus der ganzen Schweiz, aus vielen Kantonen. Und jeweils sagen müssen, lass es sein, lieber Freund aus fernen Landen. Das Verfahren wird dich zerstören. Oder willst du lernen, dass du nicht Opfer bist, sondern der effektive Täter? Ein Querulant und krankhafter Polizistenhasser?

Man wird bei der Auswahl und Führung solcher Mandate besondere Vorsicht walten lassen müssen. Die absehbaren, sich allenfalls über Jahre hinziehenden und zu erduldenden Erniedrigungen können ein ohnehin angeschlagenes Gewaltopfer definitiv zerstören.

Und schliesslich die Kostenfrage. Auch wenn eine amtlich bestellte Rechtsvertretung besteht. Denn, wer bezahlt bei einem Weiterzug an die Berufungsinstanz oder an das Bundesgericht dort anfallende Parteientschädigungen? Bei mehreren Beschuldigten? Die in oft ärmlichen Verhältnissen lebenden Opfer? Es ist absurd, aber es ist so, das Opfer muss Sponsoren suchen. Ratschlag: Werde zuerst einmal reich und dann kauf dir dein Recht!

Aber etwas konnte ich jeweils versprechen. Wir ziehen, so Gott will, für dich und alle anderen den Fall von Wilson durch. Bis zum jüngsten Gericht, von mir aus. Dann, wenn endlich ein Richter kommt mit Fragen, treu zu prüfen alle Klagen. Am Tag des Zornes, am Tag der Zähren.

Etwas haben wir mit unserer Unnachgiebigkeit ganz konkret erreicht. Immerhin! Die Beschwerdekammer des Zürcher Obergerichts hatte vor einigen Jahren doch tatsächlich entschieden, ein Polizeiopfer brauche keinen Rechtsvertreter. Es könne seine Forderungen selber formulieren, die hoch professionelle Staatanwaltschaft werde das ihre tun.

Bescheuert war diese Erkenntnis der Beschwerdekammer alleweil, da sie nichts anderes als die totale Entrechtung von Polizeiopfern bedeutet hätte. Schlicht unfassbar, wie ein Gericht einen solchen Entscheid fällen konnte. Das darin offenkundig gewordene Vertrauen in die Staatsanwaltschaft jedenfalls erscheint geradezu ergötzlich. Immerhin hatte das Bundesgericht ein Einsehen und setzte diesem oberrichterlichen Unfug ein Ende (BGE 1B_355/2012).

Ich möchte jedenfalls nicht wissen, wie vielen Opfern polizeilicher Gewalt zuvor eine Rechtsvertretung abgesprochen worden war, womit die Angelegenheit erleichtert unter den Teppich gewischt werden konnte. Zum Wohle der Strafjustiz! Was soll’s, das Opfer krümmt und windet sich sowieso! Arroganz der Macht.

Auf Grund unserer Intervention und Beschwerde ist es heute so, dass die Opfer polizeilicher Gewalt das Recht auf einen Beistand haben. In der ganzen Schweiz. Ein kleiner, jedoch wichtiger Etappensieg für Wilson, seine Freunde und Bekannten, die Leidensgenossen und polizeilichen Prügelopfer. Ein schöner Entscheid, zugegeben, der jedoch nicht sehr viel bringt.

Es ist und bleibt so, die wahren Beschuldigten in solchen Prozessen gegen gewalttätige Gesetzeshüter sind immer die Opfer. Sie stehen zum Schluss als Täter da. Es gibt kein Polizeiopfer, nur falsche Anschuldigung gegen Beamte, ein pathologischer oder aus Boshaftigkeit geborener Hass auf Ordnungshüter.

Natürlich werden die, so sehr und so speziell auserlesenen Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft I, Besondere Untersuchungen, das ihre tun. Das, was sie tun müssen. Die Begriffe sagen es genau besehen schon. Rechtsanwalt und Staatsanwalt, der kleine Unterschied deutet es ungewollt und in geradezu ironischer Weise an. Der eine scheint dem Recht, der andere dem Staat und seinen Interessen verpflichtet?

Ein Pyrrhussieg dieser Bundesgerichtsentscheid? Ich befürchte, in einem gewissen Sinne ja. Denn ändern wird sich im Ergebnis nicht sehr viel. Solche Klagen werden nur aufwändiger, die Verfahren ziehen sich in die Länge, wie der Fall von Wilson zeigt. Die Polizeiopfer werden neu auf einen prozessualen Todesmarsch in die heisse, unendlich trockene Verfahrenswüste geschickt.

Und die besondere Ironie? Die Opferanwälte sind nun die Versager, wenn etwas schief läuft. Als wäre es ihre Aufgabe, die Verfahren zu führen. Sie haben nichts zu sagen und sind am Schluss für alles verantwortlich.

Ganz allgemein ist ohnehin zu beobachten, dass wenn eine Verfahrensleitung krasse Fehler und Unterlassungen begeht, letztlich der Verteidiger zum Schuldigen wird, weil er nicht sofort reagiert habe. Schön pervers das Ganze. Die zwangsläufige Dekadenz wohl eines alternden rechtsstaatlichen Gebildes! Von wegen gleich langen Spiessen.

Für den kommenden Prozess wurde die Redezeit durch die Verfahrensleitung vor wenigen Wochen für die Parteien auf zwei Stunden beschränkt. Aus offenkundigen Gründen. Wir hatten ein längeres Plädoyer in Aussicht gestellt. Ein kurzer Prozess ist demnach angesagt. Auf gut Deutsch gesagt: Wilson wurde schon prophylaktisch der Mund gestopft.

Bei drei Verteidigern und der gleichgerichteten Staatsanwältin – welche eigentlich die Anklage vertreten sollte – auf der anderen Seite sieht sich mein Klient Wilson vier Plädoyers gegenüber. Rein farblich betrachtet, acht Stunden für die Weissen und zwei Stunden für den Schwarzen.

Genau besehen hat das Gericht – haben die Gerichte hierzulande überhaupt – gerade was das racial profiling betrifft, einen eklatanten Erkenntnisbedarf. Zum einen, was die effektiven Verhältnisse und Zustände auf der Strasse betrifft, dann aber auch, was die strukturellen und systemimmanenten Hintergründe und Wirkweisen betrifft. Eigentlich müsste ich zur Behebung dieser Defizite zwei Tage plädieren. Nicht zwei Stunden!
Wie also steht es mit dem schon prophylaktisch gestohlenen rechtlichen Gehör? Trägheit, Anmassung nur oder taktisches Kalkül? Wenn das Opfer nicht angehört wird, nicht zur Kenntnis genommen wird, dann profitieren ganz klar die Beschuldigten. Der kurze Prozess jedenfalls ist ihr bester Prozess. Die Garantie für einen Freispruch. Sowieso, wenn das Urteil mehr oder weniger schon feststeht.

Der angesprochene Entscheid der Beschwerdekammer, mit welchem einem Opfer schlicht die Rechtsvertretung abgesprochen worden war, und die prozessleitende Verfügung des aktuellen Verfahrensleiters zeigen allerdings etwas, nämlich wie der Apparat respektive die gegebenen Strukturen und ausführenden Funktionäre in solchen Fällen funktionieren.

Jeder leistete seinen Beitrag, die prügelnden Beamten, die obstruierende Staatsanwaltschaft, die Beschwerdekammer und nicht zuletzt – was wir nicht hoffen, jedoch nicht ausschliessen können – die gerichtlichen Instanzen.

Und wenn die Staatsanwältin bei ihren zwei gescheiterten Einstellungsversuchen sinngemäss bemerkte, die beschuldigten Polizeibeamten würden ohnehin freigesprochen, so kann ihr nicht einmal widersprochen werden. Sie hat durchaus Recht. Nicht zuletzt, weil sie zum vorneherein weiss, dass es – nicht zuletzt auf Grund ihrer Verfahrensführung – keine Verurteilung geben wird.

Allerdings nicht aus juristischen, sondern primär aus politischen Gründen. Angesichts dieser zu Recht gehegten Erwartung erscheinen die damals über das Knie gebrochenen zwei Verfahrenseinstellungen nur noch als Frage der Prozessökonomie! Rational indiziert.

Was soll man sich quälen, wenn der Ausgang des Prozesses feststeht? Feststand, schon in jenem Moment, als die Anzeige des Polizeiopfers erstattet worden war.

Was immer auch das Ergebnis in der Sache von Wilson sein wird, wir haben uns immerhin eine formidable Plattform geschaffen, um über mehrere Instanzen mit aller denkbaren Deutlichkeit aufzeigen zu können, wie ein entgleistes System von der Polizeiebene, über die Staatsanwaltschaft bis hin allenfalls zum Bundesgericht, abgezirkelt und stimmig funktioniert. Von einer unsichtbaren Hand scheinbar choreographiert.

Gewalttätiger polizeilicher Rassismus auf der Strasse ist nun einmal nicht möglich, ohne die schützende Hand des Systems, der Polizeihierarchie, der politisch Verantwortlichen und last but not least der Gerichte. Das Schönste für all die Justizfunktionäre, niemand ist verantwortlich. Immer nur das Gesetz angewandt. Und wer beurteilt die Lauterkeit des Verfahrens? Natürlich die Innung der Strafverfolger selber.

Denn wegen eines schwarzen Mitbürgers besudeln die Zürcher Strafverfolger ihr Image nicht. Nie und nimmer. Das Obergericht nicht, das Bundesgericht nicht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Rassismus erscheint, die Statistik belegt es, als eine grassierende Erfindung selbsternannter Opfer polizeilicher Gewalt. Vornehmlich aus Afrika.

Es zeigt sich einmal mehr: Dort, wo die Strafverfolger gegen sich selber ermitteln – so quasi en famille – unter frommen Brüdern und lauen Schwestern, kann es schon im Ansatz nur um Augenwischerei und ein erbärmliches Justiztheater, eine Inszenierung für die Zuschauerränge gehen.

Mit anderen Worten, diese inzestuösen Werkeleien oder Ferkeleien der Strafjustiz, wenn denn überhaupt einmal eine Strafuntersuchung zugelassen und an die Hand genommen wird, sind generell unfruchtbar und produzieren Totgeburten, eigentliche Kretins. Nur eines nicht, nämlich Verurteilungen. Justitia, die Zartbesaitete, schiesst sich nicht gerne ins Knie. Nachvollziehbar, wer tut das schon gerne?

So kommen wir zum Schluss. Es gilt denn auch in dieser Angelegenheit: Diese Suppe essen wir nicht, ehrenwerter Herr Vorsitzender, sehr geehrtes Gericht, verehrtes Publikum. Denn dieser meinem Klienten umgehängte Maulkorb ist ein Maulkorb für Afrika. Mein Klient Wilson hat nämlich nicht nur für sich, sondern für diesen Kontinent die banale Frage gestellt: Warum verfolgt ihr uns, Brüder?

Unbeugsam und beharrlich. Gerade dieser Fall von Wilson zeigt und verlangt, dass gewisse minimale Ansprüche der Opfer im Strafprozesses und zugleich Werte im menschlichen Umgang nicht geopfert werden dürfen, zumindest nicht ohne Widerstand einer unreflektierten und einseitigen Verfahrensmacht oder besser (polizeilichen?) Verfahrensallmacht überlassen werden dürfen.

Es ist so, gerade diese letztlich hoffnungslosen Verfahren wegen racial profiling und prügelnde Polizeibeamte haben eine wenig erfreuliche Implikation, sie radikalisieren. Sie reissen Gräben auf, die nicht leicht zu überwinden sind, vergiften nachhaltig den gesellschaftlichen Kontext. Gewalt erzeugt Gewalt, früher oder später.

Solche Erfahrungen wiederum sensibilisieren, demoralisieren auch, schärfen jedoch den Blick, gerade wenn der Verteidiger oder Rechtsvertreter erkennen muss, mit welcher unerbittlichen Konsequenz dieses System, auf die eigene Reputation bedacht, um das eigene Ansehen besorgt, seine Wirkung über alle Verfahrensstufen entfaltet.

Der Anwalt realisiert bei der vorliegenden Fallkonstellation in Sachen Wilson die Existenz einer unterschwelligen unité der doctrin des wirkenden Systems respektive der involvierten staatlichen Strukturen, die wohl nie abgesprochen wurde und gleichwohl selbstverständlich und omnipräsent ist. Die man sich mit Eintritt in das System automatisch, wie es scheint, erwirbt. Reflexartig also, die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. Ist man gelegentlich versucht zu sagen.

In solchen Fällen in dem es um die Reputation eines Strafverfolgungsapparates geht – diese banale rechtssoziologische Wahrheit lässt sich nicht aus der Welt diskutieren – erscheinen all die involvierten Justizfunktionäre und Amtsstellen, von den Polizeibeamten bis zum Bundesgericht, letztlich nicht primär als die Hüter der minimalen prozessualen Rechte von Beschuldigten oder auch Opfer. Der Strafverfolgungsapparat hat mitunter seine eigene Agenda.

Gesetzes- und Verfassungshüter erscheinen vielmehr als die Hüter der Institution, deren Glaubwürdigkeit unter allen Umständen zu erhalten ist. Die EMRK und die minimalen Ansprüche auf ein faires Verfahren stehen schlicht zur Disposition. Und das faire Verfahren? Zuweilen doch wohl Opium fürs Volk.

Was natürlich mit entsprechendem Aufwand in Abrede gestellt wird. Die behauptete Gerechtigkeit und das faire Verfahren erscheinen genau besehen nur noch als Marketing Problematik. Was es effektiv zu schützen gilt, ist die Glaubwürdigkeit der Institution, die Reputation, ihr Ansehen. Die Einzelfallgerechtigkeit, der kleine Mann, die kleine Frau, sie können warten. Erst recht, wenn sie die falsche Hautfarbe haben.

Gewinnen oder verlieren ist eine Sache, genau darauf darf es in Fällen wie dem vorliegenden nicht ankommen. Es geht vielmehr um die feste Überzeugung, gemeinsam und hartnäckig den Kampf gegen den allgegenwärtigen Rassismus mit aller Konsequenz kämpfen zu müssen respektive gekämpft zu haben. Nicht nur auf der Strasse, auch an den grünen Tischen.

Wie auch immer, wenn ein Polizeiopfer in einem solchen, sich hinziehenden, zermürbenden Kampf um Gerechtigkeit scheitert – und einem solchen Scheitern vor diesen zuweilen erbärmlichen irdischen Instanzen müssen wir entgegensehen – so verliert es eines nicht, seine Würde. Mit dem Bewusstsein nämlich, diesen Kampf für sich und die Heerscharen der andern, die genau das nicht tun können, gekämpft zu haben. Für all die andern unter den Teppich Gekehrten. Aus Afrika und irgendwo!