Ein Interview mit der Schweizer Gruppe Allianz gegen Racial Profiling, die schon länger gegen rassistische Polizeikontrollen arbeitet.
Gefunden auf malmoe.org
Zunächst zu euch: Wie ist eure Gruppe zusammengesetzt und wie arbeitet ihr?
Wir sind ein Zusammenschluss aus Schwarzen Kunstschaffenden, Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen of Color, die mit weißen Verbündeten Racial Profiling als eine Form des strukturellen Rassismus bekämpfen. Wir sind ein informeller Bund aus derzeit insgesamt 15 autonomen Initiativen und beteiligen uns an Aktivitäten, die von unterschiedlichsten Menschen aus der ganzen Schweiz mit getragen werden. Als Bewegung wollen wir uns über Racial Profiling-Erfahrungen sowie die Zusammenhänge des strukturellen und institutionellen Rassismus austauschen. Hierfür gibt es in den verschiedenen Initiativen wie der Forschungsgruppe, dem Prozessbeobachtungskollektiv, den Tribunalaktivitäten laufende Diskussionen.
Unser Ziel ist es, Handlungsspielräume für antirassistischen Widerstand zu erweitern. Ausgangspunkt war das Rechtsverfahren von Mohamed Wa Baile, der am 16. März 2015 eine Buße erhielt, weil er sich weigerte, der Anordnung eines Polizisten der Stadtpolizei Zürich Folge zu leisten und sich auszuweisen. Das Rechtsverfahren wird genutzt, um öffentlichen Widerstand gegen die rassistische Praxis der Schweizer Polizeikorps zu schaffen. Gegen die Behörde also, die das staatliche Gewaltmonopol umsetzt und für die Menschenrechte aller besorgt sein müsste, die aber noch nicht bereit ist, sich nachhaltig mit dem eigenen institutionellen Rassismus auseinanderzusetzen.
Rassismus wird in der Schweiz wie auch in anderen kontinentaleuropäischen Ländern vorwiegend als ein Einstellungs- und Verhaltensproblem einzelner Individuen verstanden. Unserer Meinung nach verfehlt dieses Verständnis das Problem. Was uns interessiert, sind die strukturellen Ursachen, die Verstricktheit in den Kolonialismus und gegenwärtige koloniale Bilder, Gesetze sowie institutionelle Praktiken, Routinen, Führungsstile, Kommunikationen, die laufend rassistische Diskriminierungen reproduzieren.
Die eigentliche Absicht unseres Engagements ist es, Menschen of Color zu ermächtigen, sich gegen Racial Profiling zur Wehr zu setzen. Außerdem möchten wir Wissen über strukturellen Rassismus schaffen, mittels kreativer Formen wie Kunst/Theater/Tribunalen die Öffentlichkeit sensibilisieren, um auf diese Weise an die Verantwortung aller für die eigene Verstricktheit in Rassismus zu appellieren. Ein weiteres Ziel ist es, auf die Politik, die Polizei und das Grenzwachtkorps Druck auszuüben, damit dort diskriminierende Praktiken verhindert werden.
Ihr macht gerade eine Studie zu der Situation von Racial Profiling in der Schweiz. Wie geht ihr dabei vor? Habt ihr schon Ergebnisse, die ihr festhalten könnt?
Wir arbeiten in einem kollaborativen Forschungsteam, d.h. wir sind Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen und Betroffene diskriminierender Polizeikontrollen und dokumentieren mit unserer Studie Erfahrungen mit Racial Profiling in der Schweiz. Dafür führen wir Interviews mit Personen unterschiedlicher Gruppen von Betroffenen, namentlich Schwarze Schweizer_innen, People of Color, Geflüchtete, Roma, Jenische, Sexarbeitende, Trans* sowie Musliminnen mit Kopftuch und fragen über die konkreten Erlebnisse hinaus nach den sehr vielfältigen Wirkungen, wie Gefühle, Umgangsstrategien, Verhältnis zur Polizei und zum Staat usw.
Erste Ergebnisse der noch laufenden Studie sind, dass Racial Profiling zu Stigmatisierungen und Kriminalisierung führt, in der sich Betroffene als „Mensch zweiter Klasse“, als „öffentlich verdächtig“ und „ausgestellt“ erleben. Viele berichten von gravierenden Folgen der wiederholten Kontrollen wie Angst, Demütigung, Scham, Wut. Mehrere Interviewpartner_innen schilderten beleidigende, unangemessene und manche auch gewalttätige Handlungen durch die Polizei, etwa auch nur auf die Nachfrage hin, weshalb die Kontrolle stattfinde.
Ihr habt im November 2016 ein Dokument aufgestellt mit politischen Forderungen, um rassistische Polizeigewalt zu verhindern – welche Forderungen stellt ihr? Gab es Reaktionen von offizieller Seite?
Zuallererst fordern wir: Anerkennung von Racial Profiling als komplexes Problem, um im nächsten Schritt geeignete Maßnahmen der Untersuchung und Bekämpfung einzuleiten. Von Gesetzgeber_innen fordern wir konkrete Verbote von Racial Profiling und verdachtsunabhängigen Kontrollen. Von Schweizer Justiz, Polizei und Grenzwachtkorps verlangen wir mit Blick auf menschenrechtliche Standards Überarbeitungen folgender Bereiche: Aus- und Weiterbildung, Personalentwicklung, Einsatzpraxis und -management. So sind u.a. Polizeikorps gefragt, ihre Dienstanweisungen auf die Frage hin zu analysieren, ob diese direkt oder indirekt diskriminierende Effekte haben. Weiter sprechen wir uns für unabhängige Anlaufstellen für Betroffene von Rassismus aus und für eine Weiterentwicklung von Maßnahmen im Dialog mit Zivilgesellschaft und Betroffenenorganisationen. Zuletzt postulieren wir die Einführung eines Quittungssystems.
Die Reaktionen von Polizeiangehörigen auf diesen konkreten Vorschlag waren bis dahin ablehnend, mit der Begründung es sei zu bürokratisch oder nicht notwendig, weil rassistische Diskriminierung kein Problem in der Schweiz darstelle. Andererseits beobachten wir auch, dass der öffentliche Druck, das Selbstbewusstsein des Auftritts von polizeilich Kontrollierten wie Mohamed W.B., Wilson A., Apiyo B.A., Abed A. und Famita M. sowie die zunehmenden Beschwerden, insbesondere im mittleren Kader größerer Polizeikorps, zunehmend Betroffenheit auslösen. Die Herausforderung wird es nun sein, den Druck weiter aufrechtzuerhalten, damit auch das obere Kader langsam aber sicher zur Einsicht gelangt, dass eine systematische Auseinandersetzung mit Rassismus und das Zur-Verfügung-Stellen von Hilfestellungen für die Polizist_innen nötig sind.
Wilson A. wurde Opfer von einer rassistischen Polizeikontrolle und kämpft seit sieben Jahren um die juristische Anerkennung des Amtsmissbrauchs und der Körperverletzung seitens der Polizei. Könnt ihr uns die genaueren Umstände erläutern, den Stand des Prozesses und die mediale Reaktion darauf?
Wilson A. hat nun über sieben Jahre einen einsamen Kampf führen müssen. Dies durchzustehen, war nicht nur für ihn aufreibend, sondern bedeutet auch für seine Familie eine starke psychische Belastung. Wilson wurde von zwei Polizisten und einer Polizistin aus einer Zürcher Tram befördert, einzig weil er männlich und dunkelhäutig war. Danach passierte gemäß Anklageschrift Folgendes: Nachdem sich Wilson A. verbal wehrte, wurde er geschlagen, auf den Boden gedrückt und aus nächster Nähe mit Pfefferspray besprüht. Dies, obwohl er die Polizist_innen darauf hingewiesen hatte, dass er eine Herzoperation hinter sich hat und sie ihn nicht anfassen sollen. Die Ärzte hielten später fest, dass jede physische Gewalt bei einem herzkranken Patienten wie Wilson A. lebensgefährlich sein könne.
Nur dank der hartnäckigen und akribischen Arbeit seines Anwalts und erst nach mehreren kantonalen und bundesgerichtlichen Urteilen – einerseits zur zweifachen rechtswidrigen Einstellung des Verfahrens, andererseits zur Befangenheit der untersuchenden Staatsanwältin – wird der Fall über sieben Jahre später, am kommenden 13. Juni 2017 vor dem Bezirksgericht Zürich verhandelt. Es dauerte so lange, weil die Staatsanwältin sich weigerte, die Anklage wegen Amtsmissbrauch um den Tatbestand der Gefährdung des Lebens zu ergänzen.
Der Fall von Wilson A. zeigt aber auch, wie wichtig es ist, dass Menschen, die von rassistischer Polizeigewalt betroffen sind, solidarisch gestützt werden. Als letzten Dezember am ersten Verhandlungstag die Prozessbeobachtungsgruppe der Allianz gegen Racial Profiling aufgetaucht ist, war Wilson A. schockiert, wie er es im Rahmen eines Interviews mit einer Forscherin der Kollaborativen Forschungsgruppe Racial Profiling beschreibt: „Ich war betroffen, weil ich merkte, wie lange ich es ohne Unterstützung und Solidarität aushalten musste. Jetzt bin ich froh, dass wir diesen Kampf gemeinsam und für eine größere Sache führen und ich nicht mehr mit meiner Partnerin und meinem Anwalt alleine gestellt bin“.