Unter dem Titel «Die neue Avantgarde» soll im März am Theater Gessnerallee in Zürich ein Podiumsgespräch stattfinden. Dabei wird der Chefideologe der deutschen AfD, Marc Jongen, auftreten. Rechtsextreme erhalten so Raum für die Verbreitung ihres rassistischen Gedankenguts.
Gefunden auf sozialismus.ch
Zöllner sollen Flüchtlinge an der Grenze erschiessen dürfen, Frauen sind gegenüber Männern biologisch minderwertig und sollen mindestens zwei Kinder in die Welt setzen und „Multikulturalismus“ diene dazu, die „Völker auszulöschen“: mit solchen Aussagen macht die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) von sich reden. Nun soll am 17. März mit Marc Jongen ausgerechnet der Chefideologe und «Parteiphilosoph» der AfD eine Bühne in Zürich erhalten. Und zwar im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit dem Titel «Die neue Avantgarde» am Theater Gessnerallee. Mitdabei sein wird auch der SVP-Politiker Olivier Kessler sowie Kunstwissenschaftler Jörg Scheller und Laura Zimmermann von der Operation Libero.
Gegen den Anlass regt sich nun starker Widerstand. In einem offenen Brief haben 500 Kulturschaffende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gegen den Auftritt von Marc Jongen protestiert. Im Brief erwähnt wird eine lange Liste von Angriffen der AfD und der extremen Rechten gegen kulturelle Institutionen in Deutschland. Die Künstler werfen dabei die Frage auf: «Würde die AfD einen Kulturort wie die Gessnerallee nicht zuallererst abschaffen?»
Besitznahme des Begriffs Avantgarde durch die Rechte
Besonders störend sei vor allem auch die Verwendung des Begriffs Avantgarde durch die Veranstalter. «Sowohl in Kunst als auch in Politik stand der ursprünglich militärische Begriff Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts für einen radikalen Bruch mit der Tradition und einen Fortschrittsgedanken, der sich vor allem in Versuchen äusserte, eine kommunistische Utopie zu entwerfen», erklären die Verfasser des Briefs. Der Veranstaltung den Titel «Die neue Avantgarde» zu geben, sei eine gefährliche Konzession an die Rechten, die versuchten, sich diesen Begriff der Linken anzueignen.
Dass die Proteste gegen den Auftritt von Jongen wichtig und gerechtfertigt sind, zeigt ein Blick in die offiziellen Positionen seiner Partei. Wer Programm und Auftreten der AfD untersucht, stellt sofort fest, sie sind nichts als eine etwas rigidere Zusammenfassung neoliberaler Zielsetzungen sind. Dazu gehören: Leistung muss sich lohnen, Familien- und deutsche Werte müssen gepflegt und erneuert werden; die „Faulen und Sozialschmarotzer“ müssen ausgegrenzt werden; bürokratische und gewerkschaftliche Regulierungen und Einspruchsrechte müssen abgebaut werden; Sozialleistungen sollen minimiert und vom Wohlverhalten abhängig gemacht werden; das „ehrliche und schaffende Kapital“ muss gestärkt werden und deutsche Interessen sollen uneingeschränkt Vorrang haben (mehr zu den Positionen der AfD gibt es hier).
Neonazi Kessler
Was in der Diskussion um Jongen fast untergeht: Auch mit dem zweiten rechten Teilnehmer der Diskussion, Olivier Kessler, haben die Veranstalter eine ideologisch höchst gefährliche, dem rechtsextremen Milieu nahestehende Person eingeladen. Kessler gibt sich heute auf allen Kanälen gerne seriös und staatsmännisch. Zu profilieren versucht er sich mit der von ihm initiierten No-Billag-Initiative, die dem aus Sicht der SVP zu «linkslastigen» Schweizer Staatsfernsehen die Finanzierungsbasis entziehen soll. Wie Medienberichte jedoch aufdeckten, war Kessler vor seiner Zeit als SVP-Politiker Moderator eines rechtsextremen Internetforums.
Darin glorifizierte Kessler als User «Oli» den Auftritt von Neonazis am 1. August auf der Rütliwiese. Als Moderator des Forums publizierte er Einträge über das Gold jüdischer Opfer des Holocaust in der Schweiz, wie zum Beispiel: «Na und?? Hämmers halt klaut… wer interessierts?» Über den Nationalsozialismus: die «Aussage, dass der Nationalsozialismus an und für sich nichts Anstössiges sei, ist richtig.» Im Bezug auf Ausländer verwendete er selbst oft die Vorsilbe «sau-» oder «scheiss-», nach einem für die SVP enttäuschenden Abstimmungsergebnis schrieb Kessler: «…ich weiss, ich bin en riise faschoschlampe. *seufz*.»
Mit Rechtsextremen muss man nicht diskutieren
Wie sich das Theater Gessnerallee entschliessen konnte, diese beiden Personen, die offen gegen Ausländer hetzen, einzuladen, bleibt schleierhaft. Unbeirrt gibt sich dabei auch der Kulturwissenschaftler Jörg Scheller sowie die Operation Libero, die auf dem Podium mit Jongen und Kessler diskutieren soll. Wie die «Woz» berichtet, erklärt Scheller, dass die Weigerung, nicht mit der AfD zu sprechen, nicht zu ihrem Verschwinden führe, sondern ihr einen Opfermythos verschaffe. «Nur wenn wir die Auseinandersetzung nicht scheuen, können wir zum einen ihre Argumentation besser verstehen und zum anderen versuchen, mit den eigenen Positionen und Inhalten diejenigen zu überzeugen, die nicht sowieso schon auf unserer Seite sind.»
Ob so viel politischer Naivität, wie sie die Operation Libero hier zu Tage legt, lässt sich nur staunen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass die versuchte «Einbindung» oder auch nur schon Verständnis gegenüber Rechtsradikalen als politische Strategie grosse Fehler sind. Und auch die Übernahme von rechten Ideen und Vorschlägen durch die grossen bürgerlichen Parteien und das Benutzen des rechtsextremen Wortschatzes stärken die ideologischen Positionen von AfD und co. und dienen nicht deren Bekämpfung.
In Zeiten, in den der Front National in Frankreich, Geert Wilders in Holland, Victor Orban in Ungarn, oder Donald Trump in den USA tagtäglich mit rassistischen Parolen Politik betreiben, darf solchen Demagogen keine weitere Plattform für ihre Ideen gegeben werden. Vielmehr sollten Kultur- und Kunstschaffende versuchen, mit ihrem Schaffen dem Erstarken der Rechten Einhalt zu gebieten. Unser politischer Widerstand wiederum darf nicht darin bestehen, dass sich einige Linksliberale auf Diskussionen einlassen, sondern dass wir zusammen mit allen linken solidarischen Kräften die Rechtsextremen bekämpfen, wo immer sie sich zu erkennen geben.