Der Rechtsrutsch, der in ganz Europa zu spüren ist, macht sich auch in der Schweiz bemerkbar. Während in den meisten europäischen Ländern rechte Oppositionsparteien und teils offen rechtsextreme und faschistische Gruppen an Zulauf gewinnen, profitiert in der Schweiz eine Partei, die längst im politischen Establishment angekommen ist und die Staatsgeschäfte massgeblich beeinflusst: die Schweizerische Volkspartei SVP. Nicht nur bestimmt die SVP die hiesige politische Agenda in weiten Teilen. Sie drängt seit einigen Jahren auch die anderen Parteien verstärkt nach rechts. Dadurch erscheinen die reaktionären und rassistischen Inhalte der SVP als salonfähig und der Partei gelingt es äusserst erfolgreich ihre Inhalte unter der Bevölkerung zu verbreiten.
Quelle: BFS Zürich
Der Rechtsrutsch und die Krise
Auch wenn die Schweiz im Vergleich mit anderen europäischen Ländern bisher weniger hart von der kapitalistischen Wirtschaftskrise seit 2008 getroffen wurde, ist die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung und das damit verbundene gesellschaftliche Klima ein treibender Faktor hinter dem Rechtsrutsch.
Ob nach der Krise noch genug Geld für eine Rente vorhanden ist, ob man den eigenen Job verliert und was die Zukunft hinsichtlich des eigenen Lebens bringen mag, das sind Themen, die viele Lohnabhängige zu recht beschäftigen.
Die neoliberalen Allerheilmittel – Sozialabbau, Entlassungswellen, Repression in allen gesellschaftlichen Bereichen etc. – haben sich einmal mehr als unwirksam erwiesen und an Glaubwürdigkeit verloren. Aber auch linke Parteien haben darin versagt Alternativen und Lösungswege zur Austerität aufzuzeigen. Was bleibt, ist die Option, es mit der SVP zu versuchen, denn sie verspricht die Ursachen und die Lösungen für die Probleme des „kleinen Mannes“ (und natürlich auch der „kleinen Frau“) zu kennen. Paradoxerweise ist etwa SVP-Kadermann Christoph Blocher unter anderem dafür bekannt, vor knapp 20 Jahren einer der grössten Schweizer Industriekonzerne, die Alusuisse, zu der auch das Chemieunternehmen Lonza gehörte, zerlegt und an ausländische Hedgefonds verkauft zu haben. Blocher verdiente dabei bis zu einer Milliarde Franken. Die Wirtschaftsregion des Wallis wurde hart getroffen und hunderte „kleine Männer und Frauen“ verloren ihre Jobs. Kurz darauf wurde Blocher Bundesrat.
SVP: Partei von wem und für wen?
Der SVP gelingt es gut, zwei Klientel für sich zu gewinnen, die nicht zusammenpassen. Zum einen geben sie vor, die einfachen Arbeiter*innen zu vertreten. Diese sind auf Löhne, Renten und Sozialleistungen, die zum Leben reichen, angewiesen. Auf der anderen Seite darf die SVP aber auch ihre zweite Wählergruppe nicht verprellen: die Eigentümer von KMUs und die Grossunternehmen. Diese wiederum verlangen möglichst tiefe Löhne, geringe Sozialleistungen und sinkende Gewinnsteuern.
In der zweiten Gruppe befinden sich bezeichnenderweise auch die meisten SVP-Parlamentarier*innen. Die SVP täuscht dank ihrer Demagogie also erfolgreich darüber hinweg, dass sie selbst ein gravierender Teil des Problems ist und es für die Arbeiter*innen nur schlimmer werden wird, wenn die SVP ihre politischen Ziele durchsetzen kann.
Am Beispiel des Problems Lohndumping ist die Strategie der SVP gut erkennbar. Mit allerlei rassistischen Argumenten werden ausländische Arbeiter*innen für das Lohndumping verantwortlich gemacht. Kurz darauf wird beteuert, dass sich die SVP für die Lohnabhängigen einsetzen werde, so sie denn den richtigen Pass besitzen. Dass die Firmenbesitzer*innen – darunter auch unzählige SVP-Vertreter*innen – aber ausländische Arbeiter*innen gezielt einstellen, um die Lohnkosten zu senken, wird bewusst ausgeblendet.
Wie stark die rassistischen Inhalte der SVP die politische Landschaft prägen, zeigte sich nicht zuletzt an der Kampagne der Zürcher Gewerkschaften für ihre Anti-Lohndumping-Initiative im Februar 2016, als sie fremdenfeindliche Elemente übernahmen und „polnische Löhne gehören nach Warschau“ an die Plakatwände kleben liessen. Tatsächlich wirksame Mittel gegen Lohndumping, wie hohe Mindestlöhne, genügend Mittel zur Kontrolle von Löhnen, rechtlicher Schutz für gewerkschaftliche Vertreter*innen in den Betrieben etc., werden aber von der SVP, wie auch alle weiteren Massnahmen zum Arbeitnehmerschutz, rigoros bekämpft. Denn die Partei weiss, dass die Firmenbesitzer*innen und Bosse solche Vorschläge nicht gutheissen und dass die Millionär*innen und Milliardär*innen in ihrer eigenen Partei direkt von gedrückten Löhnen und schlechtem Arbeitnehmerschutz profitieren.
Die Versprechen der SVP, die Arbeiter*innen zu schützen, sind daher Schall und Rauch. Das zeigt auch die Wirtschaftspolitik der Partei, die konsequent für die besitzende Klasse einsteht. Ein aktuelles Beispiel ist die Unternehmenssteuerreform III, die unter anderem die Gewinnsteuern für Grossunternehmen nochmals senken soll, was Steuerausfälle und Sparmassnahmen nach sich ziehen würde, die in erster Linie die Arbeiter*innen betreffen werden. Denn gespart wird – das lehrt die Erfahrung aus den letzten Jahrzehnten – immer dort, wo es den Lohnabhängigen besonders weh tut: bei der Bildung, im Gesundheitsbereich, beim öffentlichen Verkehr, bei den Löhnen des Personals im öffentlichen Dienst und so weiter.
Wer soll hier genau «Frei bleiben»?
Die Arbeitspolitik ist nicht der einzige Bereich, wo die SVP falschen Wein einschenkt. Ebenso verfälschend war das fantasielose Wahlversprechen «Frei bleiben» an den letzten Nationalratswahlen im Oktober 2015. Denn auf die Freiheit von wem beruft sich der Klub der Millionär*innen und Ausbeuter*innen überhaupt? Zu glauben, die neoliberale Doktrin der SVP-Spitzen würde immer weniger Staat bedeuten, trifft eigentlich nur auf den Sozialstaat zu. Den repressiven Staat, samt Überwachung und Repression, hat die SVP ständig ausgebaut, allen voran im Kanton Zürich, der laut der schweizerischen Anti-Folter-Kommission hierzulande eine der brutalsten Strafrechtspraxen aufweist. Auf Bundesebene hat die SVP eine Politik des Generalverdachts tief in den Köpfen verankert; zunächst gegen Asylbewerber*Innen und Migrant*innen, dann gegen invalide Personen und Arbeitslose und nicht zuletzt pauschal gegen alle Ausländer*innen. Dies hat bei allen Lohnabhängigen zu einem Klima der Angst geführt, wobei das helvetische Modell der „Ordnung und Sauberkeit“ schon immer wenig Freiheiten in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Quartier kannte. Die einzige Freiheit, die der SVP heilig ist, ist die „unternehmerische Freiheit“, das heisst die Freiheit der Konzernbosse und Bankenmanager*innen die Welt nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Oder wie es im Trump-Land heisst: hire and fire, Menschen anheuern und rausschmeissen innert kürzester Zeit, je nach Bedarf.
Wenn sich die SVP bei ihrer eingereichten Initiative „Schweizer Recht statt fremde Richter“ auf die Idee der Selbstbestimmung beruft, und dabei die europäische Menschenrechtskonvention in der Schweiz ausser Kraft setzen will, müssen alle Alarmglocken läuten. Um sich gegen eine derartige Verdrehung der Sprache geistig zu bewaffnen, muss man zunächst sehen, in welch erbärmlichen Zustand die Grundrechte von Hunderttausenden in diesem Lande sind. Hier reicht es nur drei Bereiche zu nennen: Die so genannten Zwangsmassnahmen gegen Migrant*innen, die zunehmende Diskriminierung von Menschen muslimischen Glaubens und die quasi-Abwesenheit eines Kündigungsschutzes von gewerkschaftlichen Vertreter*innen in den Betrieben. Alle diese direkten oder indirekten Schöpfungen der SVP haben eines gemeinsam: Sie verhindern systematisch jegliche Form von Solidarität unter den Lohnabhängigen und setzen auf Spaltung, Einschüchterung und Hetze.
Die SVP ist somit eine reaktionäre und rassistische Partei aus Überzeugung, aber eben auch eine Partei, die Rassismus und die Demagogie benötigt, um darüber hinwegzutäuschen, dass sie in der Realität nur die Interessen eines kleinen Teils ihrer Wähler*innen vertritt: nämlich diejenigen der besitzenden Klasse. Um dem Rechtsrutsch entgegenzutreten wird es nicht reichen, eine Welt ohne Rassismus zu fordern, auch wenn dies natürlich gut und richtig ist. Wir müssen uns aktiv wehren gegen die täglichen Angriffe, welche Unsicherheiten und Ängste schüren, wie zum Beispiel Rentenkürzungen, schlechte Löhne, steigende Mieten etc. Und nur wenn wir organisiert sind, wird es uns gelingen, den Schritt aus der Defensive in die Offensive zu machen und dabei Forderungen für ein besseres Leben zu stellen, die uns allen zugutekommen.