Medienspiegel: 20. November 2016

+++AARGAU
«Dieser Award gehört allen, die Flüchtlingen helfen»
Marit Neukomm aus Oberentfelden wurde zur «Aargauerin des Jahres»
gewählt. Die Sportlehrerin und Mutter hat die Hilfsorganisation
«Volunteers for Humanity» gegründet und hilft Flüchtlingen. Aktuell
sammelt sie 50’000 Franken für eine mobile Zahnarztpraxis in einem
Flüchtlingslager.
http://www.srf.ch/news/regional/aargau-solothurn/dieser-award-gehoert-allen-die-fluechtlingen-helfen
Gemeinde steckt in einer Zwangslage und prüft Bau von Asylcontainern
Da kommenden Herbst die Mietverträge auslaufen, weiss Fahrwangen
nicht, wo sie dann ihr Kontingent an Asylsuchenden unterbringen kann.
Nun prüft die Gemeinde den Bau von Wohncontainern. An der
Gemeindeversammlung wird über 380’000 Franken abgestimmt.
http://www.aargauerzeitung.ch/aargau/lenzburg/gemeinde-steckt-in-einer-zwangslage-und-prueft-bau-von-asylcontainern-130731207

+++ZÜRICH
Zürcher Jugendzentren wollen zusätzliche Angebote für Flüchtlinge
Innerhalb von wenigen Monaten haben die Zürcher Jugendzentren eine
grosse Gruppe von neuen Besuchern hinzugewonnen: Jugendliche
Flüchtlinge, die ohne Familie in die Schweiz gekommen sind. Nun
überlegt sich die Offene Jugendarbeit Zürich spezielle, auf diese
Jugendlichen zugeschnittene Angebote.
http://www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/zuercher-jugendzentren-wollen-zusaetzliche-angebote-fuer-fluechtlinge

+++SCHWEIZ
Wegen Gefährdung des Lebens einer Schwangeren: Grenzwächter angeklagt
BRIG VS – Im Juli 2014 erlitt eine Syrerin eine Totgeburt bei ihrer
Rückführung der Schweizer Grenzwache nach Italien. Nun wird der
Grenzwächter angeklagt.
http://www.blick.ch/news/schweiz/westschweiz/wegen-gefaehrdung-des-lebens-einer-schwangeren-grenzwaechter-angeklagt-id5784384.html
-> Bericht 10vor10 10.07.2014:
http://www.srf.ch/news/schweiz/fluechtlingsdrama-auf-schweizer-boden

NZZ am Sonntag 20.11.2016

Grenzwächter angeklagt

Wegen Gefährdung des Lebens einer Schwangeren soll ein Beamter belangt werden

Bei einer Rückführung nach Italien durch die Schweizer Grenzwache hat
eine Syrerin eine Totgeburt erlitten. Einen Beteiligten will die
Militärjustiz zur Verantwortung ziehen.

Andreas Schmid

Geschehen ist es am 4. Juli 2014. Eine damals 21-jährige Syrerin
erlitt in Domodossola (I) eine Totgeburt, nachdem sie von Schweizer
Grenzwächtern mit einer Gruppe von Flüchtlingen dorthin gebracht
worden war. Die für das Grenzwachtkorps (GWK) zuständige Militärjustiz
leitete eine Untersuchung ein.

Gegen einen GWK-Mitarbeiter wird laut Dina Raewel, der Anwältin des
Opfers, voraussichtlich Anklage wegen Gefährdung des Lebens der
Schwangeren erhoben. Eine Tötung des Kindes sei aber vermutlich nicht
Gegenstand des Prozesses, kritisiert Raewel. Von zuerst vier
Tatverdächtigen werde nur der verantwortliche Tagesleiter angeklagt.

Militärjustiz-Sprecher Tobias Kühne will sich inhaltlich nicht
äussern. Er bestätigt nur, dass das Verfahren kurz vor dem Abschluss
stehe. Einen wesentlichen Bestandteil der Ermittlungen bildet ein vom
militärischen Untersuchungsrichter bestelltes Gutachten des Instituts
für Rechtsmedizin der Universität Bern. Dieses befasst sich aus
ärztlicher Sicht mit den Vorkommnissen während der Rückführung.

Der Bericht fasst zusammen: Auf der Zugreise von Italien Richtung
Paris wurden die Syrer an der Schweizer Grenze zu Frankreich gestoppt.
In Vallorbe (VD) wurden sie Schweizer Grenzwächtern übergeben, die sie
in einem Kastenwagen nach Brig (VS) fuhren, um sie ins Einreiseland
Italien zurückzubringen.

In den Zug getragen

Die im siebten Monat schwangere Frau begann vor Brig über
Bauchschmerzen zu klagen. Selbst als sie sich im Aufenthaltsraum der
Grenzwache in Brig hinlegen und zweieinhalb Stunden später in den Zug
nach Domodossola getragen werden musste, wurde sie nicht in ärztliche
Obhut gebracht. Erst in Domodossola wiesen die italienischen
Grenzbeamten die Frau ins Spital ein, wo ihr Kind tot zur Welt kam.

Der Rechtsmediziner kommt im Gutachten zum Schluss, dass die
Schwangere grosser Gefahr ausgesetzt war, weil sie in Brig nicht
ärztlich behandelt und stattdessen in den Zug nach Domodossola gesetzt
worden war. Die später diagnostizierte Plazenta-Ablösung, die den Tod
des Kindes verursachte, hätte laut dem Experten auch die Schwangere
gefährden und zu schweren Blutungen mit Schockzustand führen können.
«Die Frau hatte Glück, dass dies nicht eingetreten ist.» Der Verfasser
hält auch fest, dass die Schwangere wegen der starken Schmerzen auf
der Fahrt von Brig nach Domodossola traumatisiert worden sein könnte.

Im Bericht wird betont, dass eine Schwangere mit Symptomen einer
akuten Plazenta-Ablösung (Schmerzen und Blutungen) notfallmässig in
ein Spital überzuführen sei. Es stelle sich die Frage, ob ein
medizinischer Laie dies hätte erkennen müssen.

Dazu sagt der 35-jährige Ehemann des Opfers, er habe die Grenzwächter
mehrfach darauf hingewiesen, dass seine Frau schwanger sei und
Schmerzen habe. Er habe darauf gepocht, sie zu einem Arzt bringen zu
können, und sogar angeboten, die Kosten zu übernehmen. Die Beamten
hätten es aber als Schauspiel abgetan, wie sie es oft erlebten.

Bei den Befragungen haben die Grenzwächter laut Opfer-Anwältin Raewel
ausgesagt, sie hätten wegen der weiten Kleidung der Frau nicht
bemerkt, dass sie schwanger gewesen sei.

Offen lässt das rechtsmedizinische Gutachten, ob das Leben des
ungeborenen Kindes hätte gerettet werden können, wenn die Schwangere
frühzeitig in ein Spital eingewiesen worden wäre. Klar wird lediglich,
dass der Tod des Kindes weniger als zwölf Stunden vor der Geburt des
leblosen Fötus abends nach 21 Uhr eintrat. Wann genau sich die
Plazenta ablöste, konnten die Forensiker jedoch nicht eruieren.

Entschädigungsansprüche des Opfers hat Anwältin Dina Raewel beim
Finanzdepartement geltend gemacht, denn im Militär-Strafverfahren kann
die Geschädigte nicht als Privatklägerin auftreten.

Auf disziplinarischem Weg bereits behandelt hat die Grenzwache den
Vorwurf gegen einen Angestellten, der dem Mann des Opfers gewaltsam
das Handy abgenommen und Bilder gelöscht haben soll. Dieses Dossier
sei im Februar mit einer Verfügung geschlossen worden, sagt Sprecher
David Marquis. Über die Sanktion will er wegen des
Persönlichkeitsschutzes keine Auskunft geben.

Illusion von Sicherheit

Seit dem verhängnisvollen Tag im Juli 2014 leben das zurückgeführte
Paar und seine Kinder in Italien, derzeit in einer Unterkunft nahe
Mailand. Sie seien vor dem Krieg in Syrien geflüchtet, um Sicherheit
und Ruhe zu finden, sagt der Mann. «Gefunden haben wir Ungewissheit
und Sorge.»


Flüchtlingsdrama auf Schweizer Boden (10.7.2014)
Die Schweizer Grenzwache soll einer Migrantin dringend benötigte
medizinische Hilfe verweigert haben. Laut Ehemann war die Frau
hochschwanger und litt an starken Blutungen. In einem Spital in
Italien kam es danach zur Totgeburt. Die Schweizer Grenzwache
untersucht den Fall.
http://www.srf.ch/news/schweiz/fluechtlingsdrama-auf-schweizer-boden

Die Bundesgelder reichen nicht
ASYLUNTERKÜNFTE ⋅ Der Bund entschädigt die Kantone für die
Unterbringung von Flüchtlingen mit monatlichen Pauschalen. Doch die
reichen den Ostschweizer Kantonen eher schlecht als recht.
http://www.ostschweiz-am-sonntag.ch/ostschweiz/ostschweiz/tb-os/Die-Bundesgelder-reichen-nicht;art120094,4829332

+++GRIECHENLAND
NZZ am Sonntag 20.11.2016

Der externe Standpunkt

Flüchtlingshilfe funktioniert nur, wenn man den Menschen begegnet
Mit all den Spenden an den griechischen Staat und an die grossen
Hilfsorganisationen hätte man längst alle Flüchtenden verpflegen und
in Wohnungen unterbringen können,

meint Michael Räber

Am Abend kommen die Menschen zusammen und essen gemeinsam. Es ist das
wichtigste Ritual am Tag. Tomaten, ein wenig Gemüse, mal Bohnen statt
Reis. Sie zaubern aus wenig erstaunlich schmackhafte Mahlzeiten. Die
wenigen Lebensmittel haben sie gratis im Laden von unserer
Hilfsorganisation schwizerchrüz.ch bezogen. Der Laden steht in einem
Lager für Flüchtende in Sindos, das ist die Industriezone von
Thessaloniki. 12 400 Menschen halten sich in solchen Verhältnissen im
Norden Griechenlands auf. Landesweit sind es 62 000.

Seit über einem Jahr helfe ich mit schwizerchrüz.ch in Griechenland
und frage mich, weshalb das überhaupt nötig ist. Und ich stelle fest,
dass die grossen Nichtregierungsorganisationen und die Behörden noch
immer nicht in der Lage sind, die sogenannte Flüchtlingskrise zu
bewältigen, ohne dabei die Würde der geflüchteten Menschen massiv zu
verletzen.

Es kann nicht funktionieren, wenn Helfer in Büros sitzen, statt sich
der Betroffenen vor Ort anzunehmen. Es kann nicht funktionieren, wenn
Gelder in klimatisierte Büros statt in die Lager gesteckt werden. Es
kann erst recht nicht funktionieren, wenn den Mitarbeitern
vorgeschrieben wird, keine persönlichen Beziehungen zu Flüchtenden zu
unterhalten. Die persönliche Begegnung, der Respekt, die gemeinsam
verbrachte Zeit – das ist die Grundlage jeder solidarischen Hilfe und
jeder Integration. Helfer von schwizerchrüz.ch verbringen den ganzen
Tag mit den Flüchtenden. Wir leisten Nachbarschaftshilfe. Auch am
Wochenende.

Unsere Lagerbewohner erhalten Punkte im Sinne eines Grundeinkommens
und decken damit in unserem Laden und in unserer Kleiderboutique ihren
täglichen Bedarf. Und zwar ohne dabei in einer Schlange zu stehen. Wir
richten alles darauf aus, den Menschen ein Stück Normalität zu
vermitteln. Die Familien stammen nicht aus ärmlichen Verhältnissen.
Viele führten vor dem Krieg ein Leben, das mit unserem vergleichbar
ist. Mit dem Geld, das bis heute an den griechischen Staat und die
grossen Hilfsorganisationen geflossen ist, hätte man längst alle
Flüchtenden über Jahre in Wohnungen unterbringen und verpflegen
können. Doch offenbar fliesst das Geld in den Betrieb der
Hilfsorganisationen statt in die Unterbringung von Menschen. Die
Politik nutzt die desolaten Zustände in den Lagern für ihre eigenen
Zwecke. Die schrecklichen Bilder aus den Lagern sollen all jene
Angehörigen, die in der Türkei zurückgeblieben sind, von der
Weiterreise abschrecken.

Unterdessen verteilen wir mit privaten Mitteln Öl, Zucker, Tomaten und
Waschmittel und alles andere, was man zum Leben braucht. Wir
unterrichten die Kinder und tarnen diese Tätigkeit als Kulturzentrum,
damit uns eine renommierte Organisation und das griechische
Erziehungsministerium in Ruhe arbeiten lassen. Beide wälzen seit
Monaten Konzepte zur Einschulung der Kinder. Etwas Konkretes für die
Schülerinnen und Schüler getan haben sie nicht.

Wir haben auf der Industrieanlage tonnenweise Altlasten auf unsere
Kosten aus einem Lager entfernen lassen, um endlich der Fliegenplage
Herr zu werden. Und dies nachdem sich die grossen Organisationen
während Wochen immer wieder zu Koordinationstreffen zusammengefunden
haben, nur um dabei festzustellen, dass der Industrieabfall ein
Problem sei und dass es eine Lösung brauche. Wir halten uns an keine
Regeln. Wir handeln, wenn es nötig ist. Als Massstab dient uns der
gesunde Menschenverstand und die Lage der Betroffenen. Bei uns geht es
um Menschen.

Unsere freiwilligen Helfer in Griechenland könnten unterschiedlicher
nicht sein. Es gibt die jungen, unermüdlichen aus allen Ländern, die
zwischen Studium und Job endlose Stunden mit den geflüchteten Menschen
verbringen. Es gibt jene, die neben der Betreuung auch Sammelaktionen
organisieren, um Geld, Kleider oder andere Ware aufzutreiben. Es gibt
Pensionäre, die sich um Kleinkinder und alte Menschen kümmern. Und es
gibt Leute wie mich, mit militärischem Hintergrund, mit Erfahrung in
Logistik und Controlling, die eine koordinative Rolle übernehmen.
Zusammen haben wir eine unverhoffte Welle von Hilfeleistungen
losgetreten.

Seit kurzem sind wir auch in der Türkei tätig. Es fehlt an allem. Die
Menschen leben auf Feldern unter freiem Himmel. Sie müssen mit Nahrung
und Hygieneartikeln versorgt werden. Sanitäre Einrichtungen und
medizinische Versorgung gibt es keine.

Es sind Menschenrechte, die heute in Griechenland und in der Türkei
verletzt werden. Menschenrechte, die wir normalerweise hochhalten. Ein
Flüchtender sagte mir: «Menschenrechte sind wie Luft. Wir brauchen sie
zum Leben. Und merken das erst, wenn wir sie nicht mehr haben.» Es ist
höchste Zeit, dass die Politik menschenwürdige Lösungen an die Hand
nimmt.

Michael Räber

Michael Räber, 40, stammt aus Koppigen (BE). Der Autodidakt arbeitete
in der Finanzkontrolle, in der Logistik sowie als IT-Spezialist. Im
Militär hat er den Rang des Hauptmanns. Nachdem er im August 2015
während der Ferien in Athen die desolate Lage der Flüchtlinge erlebt
hatte, gründete er die Hilfsorganisation schwizerchrüz.ch.

+++EUROPA
Kommentar Europas Flüchtlingspolitik: Europas unsichtbare Mauer
Trump will mit einer Mauer Flüchtlinge aufhalten und europäische
Politiker sind erschüttert. Wie heuchlerisch! Sie haben doch selbst
eine gebaut.
http://taz.de/Kommentar-Europas-Fluechtlingspolitik/!5355142/

+++GASSE
Schlafplatz in Not
«Unhaltbare Zustände» in der Notschlafstelle: Obdachlose schlafen
lieber draussen.
http://www.schweizamsonntag.ch/ressort/basel/schlafplatz_in_not/

+++FREIRÄUME
250 Personen feiern illegale Party
Laut der Kantonspolizei Basel-Stadt wurde am Samstag eine Kundgebung
mit rund 100 Teilnehmern verhindert. Wenig später feierte eine
grössere Gruppe eine illegale Party.
http://www.20min.ch/schweiz/basel/story/250-Personen-feiern-illegale-Party-30311605
->
https://telebasel.ch/2016/11/20/polizei-haelt-unbewilligte-kundgebung-in-basel-in-schach/
->
http://www.tageswoche.ch/de/2016_47/basel/735364/polizei-haelt-unbewilligte-kundgebung-in-basel-in-schach.htm
-> http://www.onlinereports.ch/News.117+M524550c7a16.0.html

+++BIG BROTHER
Strafverfolger wehren sich gegen Gebührenverdoppelung
Recherchen von SRF zeigen: Der Bund will die Gebühren für das Abhören
von Telefongesprächen verdächtiger Personen massiv erhöhen. Dies
stösst auf Kritik. Die Strafverfolger in den Kantonen wollen die
geplante Gebührenerhöhung nicht einfach so hinnehmen. Man müsse sonst
Überwachungen kürzen.
http://www.srf.ch/news/schweiz/strafverfolger-wehren-sich-gegen-gebuehrenverdoppelung

+++POLIZEI ZH
Drei Zürcher Polizisten vor Gericht «Geh doch zurück nach Afrika»
ZÜRICH – Laut Staatsanwaltschaft schlugen die Beamten auf Wilson A.
(43) ein, würgten und beschimpften ihn. Er fürchtete um sein Leben,
sagt er vor dem heutigen Prozess zu BLICK.
http://www.blick.ch/news/schweiz/drei-zuercher-polizisten-vor-gericht-geh-doch-zurueck-nach-afrika-id5785125.html

+++ANTIFA
Schweiz am Sonntag 20.11.2016

So tickt das Lieblingsmedium von Donald Trump

Der Triumph des Republikaners ist auch eine Erfolgsgeschichte der
Website «Breitbart News». Sie will nun nach Frankreich und Deutschland
expandieren, um rechte Parteien zu unterstützen.

Adrian Lobe

Es gehört zu den Quasi-Gesetzlichkeiten des US-Wahlkampfs, dass mit
jeder Kampagne ein neues Medium entsteht oder gross wird. 1992 war es
CNN. 2008 folgten «Politico» und die «Huffington Post». 2012 schaffte
das Portal «Buzz feed» den Durchbruch. Und in diesem Jahr gelang es
dem Medium «Breitbart News». Die ultrarechte Website, die lange als
Sammelbecken der Tea-Party-Bewegung galt, entwickelte sich im
Wahlkampf zum Leitmedium der Trump-Anhänger. Keine Headline war zu
schrill, kein Text zu polemisch, um gegen das verhasste Establishment
in Washington anzuschreiben. Ein Artikel war mit dem Titel über
schrieben: «Hätten Sie lieber Feminismus oder Krebs?» Eine «Rage Ma
chine», eine Wutmaschine, nannte der «New Yorker» die
rechtspopulistische Seite einmal. Mit seinen tendenziösen Berichten
hat «Breitbart» zweifellos die Wut der weissen Wähler angefacht.

Pitbull statt Wachhund

Gegründet wurde das Portal 2007 von Andrew Breitbart. Der konservative
Blogger war angetreten, um die «alte Garde der Medien» zu
verschrotten, wie er einmal sagte. Sein Ziel war es, ein Gegenmodell
zur «Huffington Post» zu etablieren, deren Anfänge er mitbegleitete.
Bei seiner Mentorin Arianna Huffington, damals noch eine kon servative
Kommentatorin, lernte er nicht nur, wie man Scoops landet, sondern
auch, so das Technik-Magazin «Wired», wie man die Medien «hackt».
Breitbart.com war am Anfang eine ganz einfache Linkschleuder, die
Meldun- gen von Nachrichtenagenturen zusam mentrug und mit
konservativen Kommentaren garnierte. Doch der Ton war schon damals
gesetzt: In einem Video geisselte Andrew Breitbart die Korruption der
gemeinnützigen Organisation Acorn als das «Abu Ghraib der Gesellschaft».

Breitbart betrieb von Anfang an einen kompromisslosen Kampagnen-,
zuweilen auch Krawalljournalismus. Die Enthüllungen von «Breitbart
News» machten nicht nur der Hilfsorganisation Acorn den Garaus,
sondern zwangen auch den Skandalpolitiker Anthony Weiner wegen seiner
Sexting-Affäre zum Rücktritt. «Breitbart» deckte die Skandale nicht
aus einem aufkläre rischen Impetus auf, sondern aus po litischen
Motiven; Journalismus paarte sich mit Aktivismus. «Herr Breitbart
verwandelte das Netz in ein Sturm gewehr», schrieb die «New York
Times» in einem Porträt. Weniger ein Wachhund als ein Pitbull sei der
Blogger gewe sen. Ohne die Technologie des 21. Jahrhunderts wäre er
nur ein wütender Mann gewesen, der an einer Strassenecke brüllt, so
die «New York Times». Man kann darin auch eine Erklärung für das
Phänomen Trump sehen, der mit dem Megafon sozialer Medien seine
populistischen Phrasen ins Land posaunte, die in den Echokammern umso
lauter nachhallten.

Nach Breitbarts Tod 2012 übernahm Stephen Bannon die Geschäfte der
Site, ein konservativer Hardliner, der offen homophob und
antisemitisch ist und die unangenehme Eigenschaft hat, jedermann mit
«Dude» anzusprechen. Unter der Leitung des hemdsärmelig auftretenden
Provokateurs wurde Breitbart systematisch zu einem Kampfblatt für
weisse Nationalisten ausgebaut, für die «Fox News» zu links war. Die
Artikel: ein Potpourri aus Propaganda und Polemik. Der Ton: angreifend
bis diffamierend. Die Themen: äusserst selektiv. Für «schwarze Gewalt»
gibt es eine eigene Rubrik, so als müsste man die Verbrechen der
afroamerikanischen Minderheit eigens hervorheben.

Seitdem Trump den «Breitbart»-Boss Bannon zu seinem Wahlkampfchef
ernannt hat, ist die Site so etwas wie das inoffizielle Zentralorgan
der Trump-Anhänger geworden, manche verspotten «Breitbart» wegen der
Linientreue seiner Redakteure gar als «Trump-Pravda». Eine
Breibart-Überschrift lautet: «Die Wissenschaft beweist es: Wenn Sie
dick sind, sollten Sie sich schämen.»

Das ist genau der Sound, mit dem Trump Wahlkampf machte. Die Re
daktion hat ihren Sitz in der liberalen Metro pole Los Angeles und
startete von dort Amerikas konservative Revolution, in den barock
anmutenden Redaktionsräumen hacken ironischerweise junge Redakteure
Pamphlete in ihre Laptops.

Expansion in Europa

Nun, da Trump Bannon zum Chefstrategen im Weissen Haus befördert hat,
fragt man sich, welche Absichten der Scharfmacher verfolgt. Wird
«Breitbart» zu einer Art Staatsfunk der US-Regierung? Bannon soll den
Auftrag haben, Kontakte zur ultrarechten Anhängerschaft und zu
konservativen Medien zu pflegen. Trump, dem Beobachter bei einer
Wahlniederlage Ambitionen auf einen eigenen TV-Sender («Trump TV»)
nachsagten, will eine Medienoffensive starten. «Breitbart» plant
Medienberichten zufolge, Ableger in Frankreich und Deutschland zu
lancieren, um rechte Parteien wie den Front National und die AfD zu
unterstützen.

Anschlussfähig an das rechte Spektrum wäre «Breitbart» zweifellos. Der
wegen Volksverhetzung verurteilte Pegida-Gründer Lutz Bachmann gab
«Breitbart News» ein Exklusiv-Interview, in dem er unwidersprochen
über den Begriff der Lügenpresse fabulieren durfte. Die
Nazi-Kampfvokabel wurde auch von Trump-Anhängern skandiert, was die
ideologische Wahlverwandtschaft zwischen den Pegidisten und Trumpisten
unterstrich. Die Erfolgs geschichte der Rechtspopulisten könnte sich
in weiteren Ländern fortsetzen.

Sonntagszeitung 20.11.2016

Neben Verschwörungstheoretikern und Holocaustleugnern

SVP-Politiker Ulrich Schlüer ist an einer umstrittenen Veranstaltung
aufgetreten, um seine Sicht über die EU darzulegen

Chur Manche SVP-Politiker haben keinerlei Berührungsängste, solange
sie ihre Botschaft an den Mann bringen können. Dazu gehört Ulrich
Schlüer. Der fleissige Parteisoldat leitet Christoph Blochers «Komitee
gegen den schleichenden EU-Beitritt». Vergangenen Monat hatte er nicht
gezögert, an einem so sonderbaren wie umstrittenen Anlass aufzutreten.

Die Rede ist vom jährlichen Zusammentreffen der
«Anti-Zensur-Koalition». Schlüer legte an der 13. AZK-Konferenz, die
am 1. Oktober in Chur stattgefunden hat, seine Sicht über die
Europäische Union dar. Das Publikum war begeistert. Genauso wie der
Referent: «Eine lebendige Veranstaltung ist eine weit angenehmere
Veranstaltung als irgend so etwas in einem kahlen Raum», sagte der
Alt-Nationalrat ins Mikrofon der Organisatoren.

An Saseks Veranstaltungen scheint Mainstream des Teufels

Hinter den AZK-Konferenzen, an denen sich nach Angaben der
Veranstalter jeweils 3000 Zuhörerinnen und Zuhörer treffen, steht der
schillernde Ostschweizer Prediger Ivo Sasek von der sektenähnlichen
Gemeinschaft «Organische Christus-Generation». Mit seinem Auftritt
befindet sich Ulrich Schlüer in fragwürdiger Gesellschaft – an Saseks
Anlässen redeten Gestalten aus braunen bis tiefbraunen Gefilden. Dazu
gehören der völkisch-nationale Publizist Jürgen Elsässer oder
Holocaustleugner wie der Schweizer Bernhard Schaub und die Deutsche
Sylvia Stolz.

Die Rednerliste dieser Veranstaltungen scheint wie ein Sammelsurium
des politischen und gesellschaftlichen Aussenseitertums. An den
AZK-Konferenzen treten mit Vorliebe Verschwörungstheoretiker jeglicher
Couleur auf – ein 9/11-Zweifler, ein Chemtrail-Experte, ein
Aids-Leugner oder ein Illuminaten-Jäger gaben sich schon die Ehre. Zu
diesem bunten Mix gesellen sich Figuren wie der Schweizer
Chef-Scientologe Jürg Stettler oder der Konspirationsforscher Daniele
Ganser.

Für Sasek scheint die Ablehnung des Mainstream – oder die Ablehnung
durch den Mainstream – oberstes Gebot bei der Auswahl seiner
Bühnengäste zu sein.

Auch Luzi Stamm gab sich schon die Ehre

Schlüer sagt auf Anfrage, dass die Haltung der Organisatoren oder der
anderen Referenten für ihn zweitrangig sei: «Wenn wir die Möglichkeit
haben, vor tausend Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern über unser
Verhältnis zur EU zu sprechen, nehmen wir diese Möglichkeit gern
wahr.» Die Veranstalter hätten das Komitee angefragt, seine Positionen
darzulegen, worauf man der Einladung gefolgt sei. Ausserdem habe er
nach seinem Auftritt die Veranstaltung bald wieder verlassen.

Schlüer ist überdies nicht der erste SVP-Vertreter auf Saseks Podium.
2015 hatte der Aargauer Nationalrat Luzi Stamm seinen Auftritt, an dem
er über Europas Flüchtlingskrise redete.

Reza Rafi