Medienspiegel: 16. Oktober 2016

+++ST.GALLEN
Ostschweiz am Sonntag 16.10.2016

Friedliche Demo gegen Gemeinderat

Linke demonstrierten gestern für bessere Flüchtlingsunterkünfte. Mit
der erschienenen Anzahl Demonstranten wurde laut «Aktion Zunder» ein
Ziel der Demo schon mal erreicht.

Um die 50 Demonstranten versammelten sich gestern Nachmittag in
Mörschwil, um vom Bahnhof über den Gemeindeplatz bis zum Asylzentrum
Edelweiss zu marschieren. Ziel war es, den in der Vergangenheit
kritisierten Umstände im «Edelweiss» Öffentlichkeit zu verschaffen.
Der in schwarz gekleidete SP-Kern am Anfang des Demonstrationszuges
ist mit Bannern ausgestattet. Nebst vor allem jungen «Zunder»- und
Juso-Mitgliedern waren auch ein paar Ältere vom Solihaus Ostschweiz
dabei. Die Mörschwiler waren mit Richard Faust von den Grünen mit
einer Person vertreten.

Fast 20 Minuten dauerte der Lauf vom Bahnhof bis zum Gemeindeplatz
Mörschwil. «Say it loud, say it clear, refugees are welcome here»,
lautete eine der häufigsten Parolen. Nebst deutscher Rap- und
Punk-Musik wurde auch Mani Matter gespielt und Flyer an Passanten
verteilt. Kurze Reden gab es am Bahnhof, wo Matthias Fässler von
«Zunder» darauf hinwies, dass auf den Verkehr geachtet werden sollte.
Die Kantonspolizei bestätigte gestern, dass die Demo absolut
problemlos verlaufen sei.

Ärger über Zigistummel

Die wenigen anwesenden Mörschwiler, die mit ihren Handys Videos
machten, ärgerten sich über die liegengelassenen Zigarettenstummeln
auf dem Bahnhofvorplatz. Im Verlauf der Demo waren immer wieder
Mörschwiler am Fenster oder auf ihrem Balkon zu sehen, die den
Demonstranten belustigt oder verärgert zuschauten. Einzelne sind zum
Gemeindehaus gekommen, um der Rede am «Herzen der Bestie», wie es
Matthias Fässler ausdrückte, zu lauschen. Nach der Kirche bog der
Umzug in die Fahrnstrasse ab, vorbei an freistehenden Häusern. Hier
adressierte Matthias Fässler die Mörschwiler direkt und erklärte das
Motto der Demonstration: «Liebe Leute, wir finden <Swimmingpools für
alle> klingt fast wie SP, ist es auch ein bisschen.» Die Demonstration
richtete sich laut Fässler gegen den konservativen Gemeinderat, «der
wahrscheinlich mit der CVP-lastigen Besetzung zu tun hat».

Gemeindepräsident Paul Bühler hatte keinen gerechtfertigten Grund für
die Demonstration gesehen. Man habe bereits Massnahmen ergriffen, um
die Situation der Flüchtlinge zu verbessern (Tagblatt vom 8. Oktober).
Diese reichten «Zunder» nicht. Zudem wollen sie auch andernorts
bessere Asylunterkünfte. Vor dem «Edelweiss» erwartete die
Demonstranten Äpfel und Tee. Drei Flüchtlinge kamen hinaus und Richard
Faust übergab ihnen Lampen und Steckdosen. Die restlichen gesammelten
Gegenstände werden bis nach der «Edelweiss»-Sanierung zwischengelagert.

Christina Dietze
->
http://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/stadtstgallen/tb-sr/Friedliche-Demonstration-fuer-Asylsuchende;art190,4789420

+++ZUG
Schockierende Ausschaffungsmethoden im Kanton Zug Behörde lügt Eltern
an und nimmt ihnen die Kinder weg
Die Zuger Behörden haben eine afghanische Flüchtlingsfamilie belogen
und rücksichtslos auseinandergerissen. Jetzt schaltet sich sogar
Amnesty International ein.
http://www.blick.ch/news/politik/schockierende-ausschaffungsmethoden-im-kanton-zug-behoerde-luegt-eltern-an-und-nimmt-ihnen-die-kinder-weg-id5615719.html

+++ZÜRICH
Suizid eines jungen Flüchtlings in Zürcher Unterkunft
Die Gesamtzahl der Flüchtlingskinder, die ohne Begleitung in der
Schweiz leben, war noch nie so hoch wie heute. Eine Mehrheit leidet
unter psychischen Problemen.
http://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/suizid-eines-jungen-fluechtlings-in-zuercher-unterkunft-130645758
->
http://www.schweizamsonntag.ch/ressort/zuerich/fluechtlings-suizid_in_zuerich/

+++SCHWEIZ
«Meine Zukunft ist dunkel»
Die Schweiz weist neu eritreische Asylbewerber ab, wenn sie nicht
nationaldienstpflichtig sind. Es fehlten konkrete Indizien für eine
Verfolgung. Haft droht ihnen dennoch.
http://www.tagesanzeiger.ch/zeitungen/meine-zukunft-ist-dunkel/story/26267585

+++ITALIEN
Flüchtlingskrise in Europa: Durchgangsstation Lampedusa
Die bessere Organisation der Behörden hat Lampedusa entlastet.
Flüchtlinge werden in einem von der EU initiierten Hotspot
registriert. Das dauert wenige Tage, dann geht die Reise ins Ungewisse
weiter.
http://www.nzz.ch/international/europa/fluechtlingskrise-in-europa-durchgangsstation-lampedusa-ld.122147

Pressemitteilung – An den kleinen, aber auch an den großen Dingen
erkennt mensch wie zivilisiert ein Land ist
Man erkennt das Niveau der Zivilisation unseres Landes an dem Benehmen
von manchen Postangestellten, die nach den vom Innenministerium
aufgestellten Regeln bezüglich des „Umschlages“ handeln, in den der
Antrag der Aufenthaltsgenehmigung von den Geflüchteten gesteckt wird,
und sich als Sheriffs aufführen; oder Postfilialleiter*innen, die sich
dank dieser Regeln als Kabinettsmitglieder, sogar mit Vollmacht in
Immigrationsfragen, fühlen.
http://siciliamigrants.blogspot.ch/2016/10/pressemitteilung-den-kleinen-aber-auch.html

+++FRANKREICH
Briten nehmen Calais-Flüchtlingskinder auf
FLÜCHTLINGE ⋅ Vor der geplanten Räumung des berüchtigten
Flüchtlingslagers von Calais ist gut zwei Dutzend unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen die ersehnte Ausreise nach Grossbritannien
genehmigt worden.
http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/international/international-sda/Briten-nehmen-Calais-Fluechtlingskinder-auf;art46446,854806
->
http://www.blick.ch/news/ausland/aus-calais-erste-fluechtlingskinder-erreichen-grossbritannien-id5612939.html
->
http://www.spiegel.de/politik/ausland/calais-erste-unbegleitete-fluechtlingskinder-aus-calais-erreichen-grossbritannien-a-1116841.html

+++MITTELMEER
Online-Logbuch der WoZ-Journalistin Noëmi Landolt auf der Sea-Watch 2:
– Von der New Tiger Bar in die Koje:
http://www.woz.ch/blog/mission-mittelmeer/2016/10/16/von-der-new-tiger-bar-in-die-koje
– Respekt, Ordnung und ein Maybe :
http://www.woz.ch/blog/mission-mittelmeer/2016/10/14/respekt-ordnung-und-ein-maybe
– Das erste Mal aufs Schiff:
http://www.woz.ch/blog/mission-mittelmeer/2016/10/14/das-erste-mal-aufs-schiff
– Ankunft in der Burg:
http://www.woz.ch/blog/mission-mittelmeer/2016/10/13/ankunft-in-der-burg
http://www.woz.ch/blog/mission-mittelmeer

+++SUDAN
NZZ am Sonntag 16.10.2016

Migration

Tanz mit dem Teufel

Um Flüchtlinge von der Reise nach Europa abzubringen, geht die EU
fragwürdige Allianzen ein. Beispielsweise mit dem sudanesischen Regime.

Von Alexander Bühler, Khartum

Auf dem arabischen Markt im Stadtzentrum Khartums, einem der grössten
Märkte des Sudans, kann man alles kaufen, von Krokodilleder-Taschen
über Elfenbein bis zu den neuesten iPhones. Ein Kleiderhändler holt
eine dunkle, gefütterte Kunststoff-Jacke hervor. «Damit übersteht man
jeden Wüstenwind», sagt er. «Genau dafür kaufen sie die Flüchtlinge.»
Selbst jetzt, wo der Winter naht, das Mittelmeer stürmischer wird und
die Überfahrt immer riskanter, seien dauernd Migranten unterwegs,
erzählt der Händler. Kleidung, Decken, Medikamente, Lebensmittel – im
Markt finden die Flüchtlinge alles, was sie für das Durchqueren der
Libyschen Wüste brauchen. Eine Schattenwirtschaft hat sich rund um die
Flüchtlinge entwickelt, der Sudan ist das wichtigste Transitland
Ostafrikas auf dem Weg nach Europa. Jeden Monat verlassen 5000
Flüchtlinge das Nachbarland Eritrea, die meisten kommen bei Kassala
über die Grenze.

Die EU versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Migranten
weiterreisen. Im April hat Entwicklungshilfe-Kommissar Neven Mimica
bekanntgegeben, dass Brüssel im Rahmen seines Nothilfe-Treuhandfonds
für Afrika 100 Millionen Euro für den Sudan bereitstellt. Und auf
einmal steht der Paria-Staat Sudan, der bisher eher für Genozid und
Islamismus bekannt war, im Zentrum einer EU-Initiative gegen
Migration. Vier Entwicklungshilfe-Projekte zur Verhinderung der
Migration im Wert von etwa 25 Millionen Euro hat die EU schon
gesprochen. Im Gegenzug hat der Sudan die Strafe für Schleusertum auf
zwanzig Jahre Zuchthaus erhöht. Und als Vorleistung die Eingreiftruppe
RSF (Rapid Support Forces) unter dem direkten Befehl des Präsidenten
zur Grenzsicherung abgestellt. «Dass paramilitärische Einheiten
eingesetzt werden, um Flüchtlinge zwischen Sudan und Libyen
aufzuhalten, und dass diese Aktionen mit EU-Geldern finanziert werden
könnten, bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen», sagt Mark
Micallef, Direktor der Nichtregierungsorganisation Migrant Report.
Brüssel müsse seinen schizophrenen Ansatz aufgeben, der ungeregelte
Migration aus Afrika bekämpfen wolle: «Einerseits sagt die EU, sie
werde von internationalen Übereinkünften zum Schutz der Grundrechte
von Asylsuchenden geleitet. Andererseits geht sie
sicherheitspolitische Deals mit einer Regierung ein, die bekannt dafür
ist, Menschenrechte zu missachten.»

In den Kerkern verschwunden

An diesem Nachmittag sind auf den Strassen Khartums keine Eritreer zu
sehen. Wer vorhat, bald mit einem Schlepper nach Libyen zu reisen, die
grosse Reise nach Europa anzutreten, versteckt sich. Erst im Juli hat
die berüchtigte RSF Hunderte Migranten verhaftet und nach Eritrea
abgeschoben. Niemand weiss, was mit ihnen geschehen ist, aber
Menschenrechtsorganisationen befürchten das Schlimmste. Schliesslich
ist in Eritrea die Flucht gesetzlich verboten, immer wieder schiessen
Soldaten an der Grenze auf Flüchtlinge. Wer geschnappt wird,
verschwindet in den Kerkern. Doch die Jagd der Regierung auf die
Schleuser hält die Migranten nicht auf.

Im Stadtteil al-Daim nippt der Eritreer Hamid F. an einer kleinen
Tasse Kaffee und erzählt, viele Landsleute sässen trotz allen Risiken
auf gepackten Koffern. Unter Eritreern ist Hamid F. ein geachteter
Mann, er lebt schon lange in Khartum. Nach wie vor rührten die
Schleuser unter den Flüchtlingen kräftig die Werbetrommel, sagt er.
Die Eritreer fliehen vor Willkürherrschaft und Perspektivlosigkeit,
vor einem Regime, das als das Nordkorea Afrikas bezeichnet wird.
Khartum ist oft nur ihre erste Transitstation auf dem Weg nach Europa.
Hier finden sie den Schlepper, der sie über Libyen oder Ägypten nach
Europa zu bringen verspricht. Das Geschäft mit der Hoffnung hat die
politischen Umwälzungen in den beiden Ländern überlebt. Nun nutzen die
Schlepper das Chaos in Libyen.

Spät am Nachmittag findet sich ein Schlepper, der bereit dazu ist, ein
Gespräch zu riskieren. Der Sudanese Ahmed (Name geändert) sieht adrett
aus, rasiert, das Hemd sorgfältig gebügelt. Unauffällig. Er hat das
Geschäft gerade an den Nagel gehängt, deswegen fürchtet er sich nicht
vor Strafverfolgung. Dennoch zieht er sich jedes Mal, wenn ein Auto
vorbeifährt, in den Schatten zurück.

Zwei Jahre lang hat Ahmed jeden Monat etwa 250 Eritreer, Sudanesen und
Äthiopier angeworben, die nach Europa wollten. Er habe einem der
Grössten im Geschäft, einem Sudanesen, zugearbeitet, sagt er stolz.
Ahmed ist vorsichtig, erwähnt den Namen des grossen Bosses nicht. Er
muss exzellente Verbindungen zum allmächtigen Geheimdienst haben, zu
viel auszuplaudern, kann da schnell zur Lebensgefahr für Ahmed werden.
Sein Einstieg in das Schlepperwesen erfolgte im Studium. Ein
Kommilitone sprach ihn an und bat ihn, ihm ein paar Flüchtlinge zu
vermitteln, die nach Europa wollten. Und weil Ahmed Geld für sein
Studium brauchte, stieg er ein. 200 Dollar bekam er für jeden, den er
weiterreichte. Eine klassische Laufbahn – das Schleusergeschäft als
Nebenjob, das Elend wird ausgeblendet. Viele Schlepper sind nur kleine
Rädchen im Getriebe eines grossen Netzes, das bis Europa reicht. Wer
genau dahinter steht, wer das grosse Geld einstreicht, bleibt oft
trotz allen Ermittlungen unklar.

Was ist mit dem Kampf, den der Sudan den Flüchtlingen und den
Schleusern angesagt hat? Hält das den Strom der Menschen nicht auf?
Ahmed winkt ab. Viele Armee-Offiziere arbeiteten nach dem Ende ihrer
Laufbahn als Schlepper weiter. Sie hätten die besten Beziehungen, mit
einem Anruf könnten sie dafür sorgen, dass ihre Fahrzeuge mit den
Flüchtlingen an Bord nicht kontrolliert würden.

Die Flüchtlinge bezahlen, steigen in Khartum in einen Minibus und
reisen nach Norden, in Richtung Libyen und Ägypten. Dort, in der Stadt
Dongola, sind in den letzten Jahren riesige Goldvorkommen entdeckt
worden. Im Sudan kursieren immer wieder Gerüchte von einfachen
Schürfern, die mit Metalldetektoren Goldklumpen im Wüstensand
entdecken. Die Zentralregierung ist kaum in der Lage, dieses Gebiet zu
kontrollieren. Zigtausende sind auf der Suche nach dem Glück dorthin
aufgebrochen – mitten unter ihnen die Flüchtlinge. Niemandem, erklärt
Ahmed, falle es auf, wenn ein weiterer Lastwagen voller Menschen durch
diese Gebiete fahre und danach Richtung Grenze abzweige. Und kaum
jemand bemerkt, wenn diese Menschen verschwinden. Sie sind rechtlos,
schutzlos. Amnesty International und das US-Aussenministerium haben
mehrfach kritisiert, dass der sudanesische Staat zu wenig zum Schutz
der Migranten unternimmt. Tatsächlich sind Flüchtlinge eine
willkommene Beute für die Rapid Support Forces, die das Gebiet an der
Grenze zu Libyen bewachen sollen. Über die Vorstellung, ausgerechnet
die RSF könnte die Flüchtlinge nach den humanitären Vorstellungen der
EU behandeln, kann der ehemalige Politiker Elshafie Khidir nur
lächeln. Er sass jahrelang im Zentralkomitee der Kommunisten. Seit 27
Jahren, seit der Machtübernahme der Islamisten unter Präsident Omar
al-Bashir, wird Khidir überwacht.

Schergen als Grenzschützer

Für ihn ist klar, wer zur RSF gehört: «Das sind Janjawid, arabische
Stammesangehörige aus dem Süden, die Verbrechen in den
Konfliktregionen Darfur und Kordofan begangen haben.» Ausgerechnet sie
sollten jetzt die EU vor den Flüchtlingen schützen. Aus Eigeninteresse
habe der Sudan die Miliz in den verlassenen Nordwesten des Landes, an
die Grenze geschickt, sagt Khidir, dort könnten die Janjawid der
Regierung nicht gefährlich werden. «Aber mit der paramilitärischen
Ausrüstung, die sie von der EU bekommen werden», schimpft Khidir,
«sind sie besser ausgestattet und mächtiger als die Armee selbst.»

Die EU will Flüchtlinge von der Reise nach Europa aufhalten. Dazu
steckt sie im Sudan Millionen von Euro in Hilfsprojekte, die vor allem
dem Regime zugute kommen – das seinerseits mit den Schleppern
verflochten ist. Und das die Flüchtlinge einer Mördertruppe wie den
Janjawid überlässt.

Omar al-Bashir

Krieg gegen die Opposition

Vor zwei Wochen haben sich Delegierte aus allen Landesteilen des
Sudans getroffen, um in der «Halle der Freundschaft» einen nationalen
Dialog zu führen. Eingeladen waren nur regimetreue Abgeordnete, die
Opposition blieb draussen. Denn diese wird unter der Regierung von
Präsident Omar al-Bashir bitter bekämpft. Die Armee führt in 8 der 18
Landesteile einen brutalen Krieg gegen sie. Amnesty International
beklagt allein in diesem Jahr Hunderte von Todesopfern und hat jüngst
Beweise für einen Angriff mit chemischen Waffen vorgelegt. Für die
Verbrechen der arabischen Milizen in Darfur, die unter dem Befehl des
sudanesischen Präsidenten standen, wurde dieser 2008 vom
Internationalen Strafgerichtshof des Völkermordes schuldig gesprochen.
Weit über 300 000 Personen sind in Darfur bisher getötet worden.
Führend dabei war vor allem die Janjawid-Miliz, Angehörige einer
arabischen Ethnie, deren Name übersetzt etwa bedeutet: Berittene
Teufel mit dem G3-Gewehr.

Alexander Bühler

+++KNAST
«Suizid im Gefängnis ist nie gänzlich auszuschliessen»
Bevor ein Terrorverdächtiger in Deutschland vernommen werden konnte,
nahm er sich in der Untersuchungshaft das Leben. Die U-Haft ist das
Kerngeschäft im Regionalgefängnis Thun und auch hier spielen
Suizidandrohungen eine Rolle im Alltag. Gefängnisdirektor Ueli Kräuchi
erklärt im Interview, was er unternimmt, um Selbsttötungen zu vermeiden.
http://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/148536/

Schweiz am Sonntag 16.10.2016

Wenn der Täter sterben will

Warum im Gefängnis die Selbstmordgefahr höher ist als in Freiheit –
und wie Psychiater reagieren.

Mario Fuchs

Der Vierfachmörder von Rupperswil wurde in Untersuchungshaft bis im
September rund um die Uhr von zwei Personen bewacht. Der Grund:
Selbstmordgefahr. Peter Wermuth ist Chefarzt Forensik der
Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG). Suizidprävention ist eines
seiner Fachgebiete, sein Team beurteilt im Aargau bei Straftätern, ob
sie selbstmordgefährdet sind.

Herr Wermuth, wie arbeiten Experten der PDAG im Strafvollzug?

Peter Wermuth: Von unserem Bereich Forensische Psychiatrie werden die
JVA und das Zentralgefängnis Lenzburg psychiatrisch und psychologisch
mitbetreut. Zu den Aufgaben gehören die Behandlung psychisch kranker
Straftäter und Kriseninterventionen bei sogenannten Haftreaktionen.

Unter den Begriff Haftreaktionen dürften auch Selbstmordgedanken fallen.

Suizidalität ist ein häufiges Thema, gerade bei
Untersuchungshäftlingen. Bei akuten Krisen und wenn die psychische
Verfassung eines Häftlings etwa aufgrund einer suizidalen Krise
äusserst schlecht ist, erfolgen auch Einweisungen zur stationären
Krisenintervention auf unsere geschlossenen Massnahmenstationen.

Warum ist die Suizidgefahr im Gefängnis höher als in Freiheit?

Es trifft zu, dass die Suizidrate in Strafanstalten deutlich über
derjenigen in der Allgemeinbevölkerung liegt. Die Untersuchungshaft
ist in diesem Zusammenhang riskanter als der Normalvollzug. Ein Aspekt
sind die Belastungen durch die freiheitseinschränkenden Massnahmen an
sich. Je nach vorheriger Lebenssituation kann dieser Einschnitt zu
mehr oder weniger starken Anpassungsproblemen führen. Das restriktive
Regime der Untersuchungshaft kann diesen Effekt verstärken.

Bereits vorhandene psychische Störungen können auch eine Ursache sein?

Ja. Die Häufigkeit psychischer Störungen bei Gefangenen ist hoch. Und
bestimmte Störungen gehen mit einem deutlich erhöhten Suizidrisiko
einher. Etwa bei den häufigen Suchterkrankungen und Erkrankungen aus
dem schizophrenen Formenkreis.

Wie kann man verhindern, dass ein suizidaler Häftling Selbstmord begeht?

Wichtig ist die Erkennung einer bestehenden psychischen Störung
und/oder einer Suchterkrankung, um diese auch unter Haftbedingungen
adäquat behandeln zu können. Im Fall schwerer Krisen kann auch eine
stationäre Krisenintervention auf einer Massnahmenstation des Bereichs
Forensische Psychiatrie der PDAG erfolgen.

Was tun Sie in einem solchen Fall?

Unsere betreuenden Ärzte und Psychologen führen Kriseninterventions-
und allgemein stützende Gespräche. Eine Anpassung der Haftsituation
kann situativ aus ärztlicher Sicht empfohlen werden, etwa die
Verlegung aus einer Einzel- in eine Zweier-Zelle.

Was geht in einem Menschen vor, der Suizidabsichten hat, aber daran
von anderen gehindert wird?

Menschen, die sich mit Suizidgedanken tragen, sind häufig in sehr
hohem Masse ambivalent bezüglich der Entscheidung, sich das Leben zu
nehmen oder doch weiterzuleben. Ein direktes Ansprechen dieses Themas
ist daher sehr wichtig. Die Verhütung von Suiziden durch entsprechende
Massnahmen bietet die Chance für den Betreffenden, weiterzuleben.
Erfolgt keine Intervention, wird die Entscheidung, sich das Leben zu
nehmen, mit höherer Wahrscheinlichkeit umgesetzt.

Sind es PDAG-Experten, die beurteilen, ob ein Häftling suizidgefährdet ist?

In den Fällen, die von Ärzten und Psychologen unseres Bereichs
Forensische Psychiatrie behandelt werden, oder die im Rahmen von
Abklärungen zur Hafterstehungsfähigkeit begutachtet werden, ist die
Frage nach Suizidalität häufig. Es sind jedoch alle Mitarbeiter der
betreffenden Institutionen, wie auch Mitarbeiter der Strafverfolgung,
die Rechtsbeistände, Seelsorger etc. gefordert, sensibel für diese
Thematik zu sein und im Fall von Hinweisen auf eine akute Suizidalität
psychiatrische Experten beizuziehen.

Wie schätzen Sie die Suizidprävention in Aargauer Gefängnissen ein?

Die psychiatrisch-psychologische Betreuung in der JVA Lenzburg und im
Zentralgefängnis sind gut ausgebaut und etabliert.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

+++ANTIFA
Neonazi-Schwemme in Unterwasser
6000 Rechtsextreme sind am Samstag ins Toggenburg an ein Konzert
gereist und haben Unterwasser in Aufruhr versetzt. Die Polizei spricht
von einem friedlichen Anlass, die Gemeinde ist konsterniert.
http://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/toggenburg/tt-au/Neonazi-Schwemme-in-Unterwasser;art233,4789802

Neonazi-Konzert: «Gemeinde wurde völlig überrollt»
Rund 5000 Besucher sind am Samstagabend an ein Konzert
rechtsgerichteter Bands in Unterwasser, in der Gemeinde Alt St.Johann
und Wildhaus geströmt. Die Veranstalter hätten der Gemeinde falsche
Angaben gemacht, um an die Ausschankbewilligung zu kommen, sagt
Gemeindepräsident Rolf Züllig.
http://www.toponline.ch/stgallen/detail/art/neonazi-konzert-gemeinde-wurde-voellig-ueberrollt-001717922/

Medienmitteilung Antifa Bern 16.10.2016

DAS GRÖSSTE RECHTSROCK-KONZERT DER SCHWEIZ – NEONAZIS FEIERN IM
BESCHAULICHEN TOGGENBURG

In der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober wohnten weit über 1000
Neonazis aus ganz Europa Konzerten von sechs Rechtsrock-Bands bei.

Bereits Monate im Voraus riefen die Veranstalter_innen über die
sozialen Medien zum Konzertabend auf, welcher ursprünglich im Raum
Süddeutschland angekündigt war.
In der vergangenen Woche verdichteten sich jedoch die Hinweise, dass
das Konzert in der Schweiz stattfinden würde.

Das Lineup, welchem von Beginn weg die Grössen der Szene zu entnehmen
war, wuchs in den letzten Tagen um einige prominente Namen an. So
spielten an diesem Abend folgende Bands:
Stahlgewitter (DE), Frontalkraft (DE), Confident of Victory (DE),
Exzess (DE), Makss Damage (DE), und Amok (CH).

Die Organisator_innen aus dem Umfeld der internationalen
Neonazi-Organisation Blood & Honour (B&H) brüsteten sich bereits lange
im Voraus damit, dass der Veranstaltungsort sicher sei und dass sie
seit letztem Mittwoch am Aufstellen der Infrastruktur wären. Es ist
anzunehmen, dass der vorbestrafte Sänger der Schweizer Band Amok,
Kevin Gutmann, in die Organisation involviert ist. Er ist aktives
Mitglied der Zürcher Sektion von B&H und unterhält gute Kontakte zu
Gleichgesinnten im In- und Ausland.

Unsere Recherche hat ergeben, dass das Konzert in der umgebauten
Tennis- und Eventhalle in Unterwasser (Gemeinde Wildhaus/Alt St.
Johann (SG)) stattgefunden hat. Die Region scheint für die Neonazis
sicheres Gebiet zu sein: Bereits 2013 organisierte die Zürcher
B&H-Sektion im nahegelegenen Ebnat-Kappel (SG) ein Gedenkkonzert mit
mehreren hundert Teilnehmenden.

Obwohl die Behörden Kenntnis des Anlasses hatten, konnten die Konzerte
ohne weitere Schwierigkeiten über die Bühne gehen. Auf Anfrage verwies
die zuständige Polizeibehörde lediglich auf die, in Aussicht
gestellte, Medienmitteilung vom Sonntag. Erstaunlich in diesem
Zusammenhang ist auch, dass eine so grosse Anzahl Rechtsextremisten –
teils in Reisecars – derart problemlos in die Schweiz einreisen
konnte. Auch die zuständige Ansprechperson der Lokalität wollte sich
nicht weiter zum einschlägigen Klientel äussern.

Es ist festzuhalten, dass es sich bei diesem Konzert um eines der
grössten Neonazi-Events handelt, welches in der Schweiz je
stattgefunden hat. Die Besucher_innen reisten eigens dafür aus ganz
Europa an.
Insbesondere Konzerte dienen der extremen Rechten als
Vernetzungsplattform, der Rekrutierung von Nachwuchs und zur
Finanzierung ihrer Strukturen. An solchen Anlässen wird durch das
Ticketing, den Verkauf von Merchandiseartikel und den Absatz –
teilweise indizierter – Tonträger viel Geld generiert. Bei einem
Anlass dieser Grösse kann von mehreren 10’000 Franken Gewinn
ausgegangen werden.

Die Schweiz gilt in der rechtsextremen Szene seit Jahren als
Konzertparadies: War der Aufschrei nach dem aufgedeckten
Neonazikonzert 2005 im Crazy Palace (VS) (medial) noch immens, hat
sich in den letzten Jahren kaum jemand dafür interessiert, dass sich
die extreme Rechte Europas immer wieder zum Stell-dich-ein in der
Schweiz trifft. Obwohl verdeckte Aufnahmen des Konzertes 2005
beweisen, dass es dabei oft zu Verstössen gegen das
Antirassismusgesetz kommt, sehen Behörden und Politik offenbar keinen
Anlass, rechtsextreme Konzerte zu verhindern.

Antifa Bern

http://info.antifa.ch/grosstes-rechtsrock-konzert-der-schweiz-neonazis-feiern-im-beschaulichen-toggenburg/
-> https://twitter.com/antifa_bern
-> https://twitter.com/AntifaSchweiz
-> http://www.fm1today.ch/neonazis-feiern-im-toggenburg/322943
-> http://www.watson.ch/!433243534
->
http://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/toggenburg/tt-au/Feierten-5000-Neonazis-im-Toggenburg;art233,4789708
->
http://www.blick.ch/news/schweiz/ostschweiz/sie-sollen-aus-ganz-europa-gekommen-sein-feierten-neonazis-eine-mega-party-im-toggenburg-id5614004.html
-> http://www.srf.ch/news/panorama/5000-neonazis-im-toggenburg
->
http://www.20min.ch/schweiz/ostschweiz/story/Rechtsrock-Konzert-zog-5000-Besucher-an-15516034
->
http://www.nzz.ch/panorama/rocktoberfest-im-toggenburg-5000-extreme-rechte-an-rockkonzert-ld.122318?cid=dlvr.it
->
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/tausende-neonazis-feiern-im-toggenburg/story/14147398
-> http://www.tvo-online.ch/mediasicht/46130
-> (Ab 06:15)
http://www.teletop.ch/programm/heute-auf-tele-top/art/heute-auf-tele-top-001709096/
->
http://www.hans-stutz.ch/meldungen-zu-rechtsextremismus-und-rassismus-in-der-schweiz/unterwasser-sg
-> Tagesschau:
http://www.srf.ch/play/tv/popupvideoplayer?id=15d7325e-cc39-4ade-9210-86ffeafb5812
->
http://www.derbund.ch/schweiz/standard/tausende-neonazis-feiern-im-toggenburg/story/14147398

+++GESCHICHTE
Schweiz am Sonntag 16.10.2016

Von guten Ungarn und schlechten Juden

Die Schweiz empfing vor 60 Jahren über 14 000 ungarische Flüchtlinge
mit offenen Armen. Zeitgleich erreichten 200 jüdische Flüchtlinge aus
Ägypten die Schweiz – und wurden wegen «Überfremdung» abgewiesen.

Hannah Einhaus

Mit einer friedlichen Grossdemonstration gegen die kommunistische
Regierung und die sowjetische Besatzung forderten Studenten am 23.
Oktober 1956 in Budapest mehr Demokratie. Die Zahl der Demonstranten
wuchs rasant. Schüsse fielen. Zwölf Tage später marschierten
sowjetische Truppen ein, und der Volksaufstand war beendet. Rund 200
000 Ungarn verliessen nach dem gescheiterten Aufstand ihr Heimatland.
Am 9. November erreichten die ersten Züge mit Flüchtlingen die
Schweiz. In den folgenden sechs Jahren wurden 14 000 Menschen nach und
nach integriert, darunter einige hundert Juden. Die Willkommenspolitik
war antikommunistisch motiviert.

Die freundliche Reaktion der Schweizer Politik und Bevölkerung war
aber auch eine indirekte Folge der judenfeindlichen Flüchtlingspolitik
im Krieg: Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesrats, der
Ludwig-Bericht, hatte gezeigt, dass die Schweiz im Krieg ohne weiteres
über 20 000 Juden mehr hätte retten können. Nun war man teils aus Reue
solidarisch. Wirklich? Hatte man aus der Haltung gegenüber Juden
gelernt?

Im Schatten dieser Ereignisse erreichten auch rund 200 jüdische
Flüchtlinge aus Ägypten die Schweiz. Präsident Gamal Abdel Nasser
hatte den Suezkrieg in den gleichen Wochen gegen Israel, England und
Frankreich zum Vorwand für Pogrome an Juden im eigenen Land genommen.
Wie sich schon nach wenigen Wochen zeigen sollte, wurden diese von der
Schweiz anders behandelt als die jüdischen Flüchtlinge unter den
Ungarn. Die einen als Antikommunisten, die anderen als Juden. Am 25.
November 1956 kamen die ersten Juden aus Ägypten mit nur wenigen
Habseligkeiten in Kloten an. Das dortige Personal wendete sich an die
jüdischen Organisationen.

Vernichtungspläne am Nil

Für die folgenden Aktionen auf jüdischer Seite hatten drei Männer die
Federführung: Georges Brunschvig, Benjamin Sagalowitz und Otto Heim.
Brunschvig war Präsident der jüdischen Dachorganisation SIG,
Sagalowitz beschaffte und vermittelte Informationen für die Jüdische
Nachrichtenagentur Juna, und Otto Heim war verantwortlich für die
Flüchtlingsbetreuung durch das jüdische Hilfswerk VSJF. Sagalowitz
brach noch am selben Abend nach Kloten auf, um mehr über den neuen
Exodus von 50 000 Juden zu erfahren. Die verängstigten Menschen
berichteten übereinstimmend von Enteignungen und Vertreibungen der
Juden in Ägypten.

Am 10. November hatte Nasser der ägyptischen Bevölkerung
Kriegsentschädigungen im Umfang von fünfzig Millionen Pfund
versprochen, doch die Staatskasse war leer. Die Regierung veranlasste
die Konfiszierung jüdischer Vermögen und begann mit der Ausweisung
aller Franzosen, Engländer und Juden. Für die jüdischen
Staatsangehörigen Ägyptens wurde die Flucht fast aussichtslos: Nasser
entzog ihnen ihre Nationalität, und für die nunmehr Staatenlosen sank
die Chance auf eine Aufnahme in einem anderen Staat praktisch auf
null. Mit Ausnahme Israels war kein Land bereit, eine grosse Anzahl
jüdischer Flüchtlinge aufzunehmen.

Tag für Tag sickerten Informationen über die dramatische Lage der
Juden in Ägypten durch. Sagalowitz fasste die einlaufenden
Informationen zu «Originalberichten» für interne Zwecke zusammen, die
nun zum ersten Mal nach sechzig Jahren in einer Biografie über Georges
Brunschvig aufgearbeitet sind. Sie zeugen von systematischer
Vertreibung. Meist in der Dunkelheit drangen Nassers Schergen in
jüdische Häuser ein. Unter Todesdrohungen zwangen sie die Besitzer,
eine Erklärung zu unterschreiben, mit der sie das Ende ihrer eigenen
Existenz besiegelten. Sie würden das Land «freiwillig» verlassen,
hiess es im Dokument, in der Absicht, nicht mehr zurückzukehren. Wer
nicht gehen wollte oder konnte, war der Willkür Nassers ausgeliefert
und musste mit lebenslanger Haft und Folter rechnen. An der Börse
beklagten sich Händler schon nach wenigen Wochen, der Ausschluss von
Juden stürze die Wirtschaft in die Krise.

Die Verbannung der Juden aus dem Wirtschaftsleben war begleitet von
antisemitischer Hasspropaganda. Wie im Dritten Reich zeigten
systematische Hetztiraden in Radio und Zeitungen rasch Wirkung. Juden
wurden auf der Strasse angespuckt und ausgelacht. Der Rückgriff auf
diese Methoden war kein Zufall. Ehemalige SS-Offiziere und Exponenten
der NS-Propaganda fanden bereits am Ende des Krieges Unterschlupf in
Ägypten. Den direkten Einfluss des Nationalsozialismus und die
hasserfüllte Haltung gegenüber Juden unterlegte Sagalowitz in einem
seiner «Originalberichte» mit dem Zitat eines hohen ägyptischen
Beamten: «Es fehlen nur noch die Gasöfen.»

Die Welt merkte wenig von diesem Exodus von rund 50 000 Juden aus
Ägypten. Die Informationen reichten nicht für Schlagzeilen, und
Gespräche hinter den Kulissen fruchteten nicht. Für die Schweiz lag
Ungarn vor der Haustür. Im Fall von Ägypten galt das Interesse der
westlichen Staaten der strategisch zentralen Lage am Suezkanal, nicht
dem Schicksal einer vertriebenen Minderheit. Georges Brunschvig sah
sich am 12. Dezember 1956 veranlasst, einen Appell an
UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld zu richten, «der pogromähnlichen
Entwicklung in Ägypten Einhalt zu gebieten, bevor es zu spät ist». Der
Appell an die UNO blieb unbeachtet. Auf die Vertreibung der Juden aus
Ägypten folgte keine Resolution, auch Hilfsaktionen des
UNO-Flüchtlingshochkommissariats sind nicht bekannt. Die eher
israelfreundlich gesinnte NZZ-Auslandredaktion befand in einem Brief
im Dezember 1956 an Sagalowitz, dass «der Ausbruch des neuen
virulenten und militanten Antisemitismus die direkte Folge des
militärischen Debakels Nassers ist». Zwischen den Zeilen bedeutete
dies: Die Juden sind selber schuld. Sagalowitz antwortete: «Wenn die
Welt die Selbstverteidigung Israels auch nur als eine gute Ausrede für
Nasser gelten lässt, so kapituliert sie meines Erachtens vor der
Barbarei und macht sich noch einmal durch Schweigen an Verbrechen des
Rassenwahns mitschuldig.»

Vage Versprechen des Bundesrats

Am 14. Dezember, 19 Tage nach der Landung der ersten Maschine mit
jüdischen Flüchtlingen aus Ägypten, machten sich Heim und Brunschvig
auf den Weg zum Westflügel des Bundeshauses. Um 9.30 Uhr begannen die
Verhandlungen mit Vertretern der Polizeibehörden über den Status der
Passagiere aus Kairo. Am Tisch sassen Elmar Mäder, Chef der
Fremdenpolizei und Nachfolger von Heinrich Rothmund, sowie Oscar
Schürch, stellvertretender Chef der eidgenössischen Polizeiabteilung.
Die beiden Spitzenbeamten hatten bereits in den Kriegsjahren eine
harte Linie gegen eine «Verjudung» gefahren und zeigten auch jetzt
kein grosses Entgegenkommen. Nach knapp zweistündiger Sitzung
verpflichtete sich der Bund, jüdischen Flüchtlingen in Kairo und
Alexandria Transitvisa für zwei Monate auszustellen. Dies geschah
unter der Voraussetzung, dass der Aufenthalt von jüdischer Seite
finanziert und die Weiterwanderung garantiert war.

Drei Tage nach dieser Sitzung im EJPD ging angeblich ein Schreiben mit
entsprechenden Instruktionen an die Schweizer Vertretungen in Ägypten.
Danach geschah nichts mehr. Drei Monate später war klar: Die Behörden
ignorierten die Abmachungen. Otto Heim erinnerte Mäder im März 1957 an
die Vereinbarung vom Dezember 1956: «Es scheint uns doch, dass die mit
Ihnen getroffene Vereinbarung in Kairo nicht bekannt ist, sodass sie
eigentlich illusorisch wird.» Mäder reagierte nicht. Sagalowitz’
Kommentar: «Der Widerspruch zwischen schönen Worten und den ihnen
folgenden Handlungen scheint die grosse Mode unserer Tage zu sein.»

Ein schmerzhafter Punkt für Brunschvig, Heim und Sagalowitz blieb die
ungleiche Behandlung von Juden aus Ungarn und Ägypten. Jene 500 aus
Ungarn konnten sich ohne weiteres niederlassen und arbeiten. Sie waren
als Antikommunisten gekommen. Ihnen wurde Israel nicht als Alternative
aufgezwungen, obwohl der jüdische Staat auch sie aufgenommen hätte.
Für die etwa 160 jüdischen Flüchtlinge aus Ägypten hingegen war es
eine Gnade, dank einem hart errungenen Transitvisum einreisen zu
dürfen – unter der Bedingung, dass sie nach zwei Monaten nach Israel
oder in ein Drittland weiterreisten. Die Flüchtlinge aus Ägypten waren
als Juden gekommen. Will heissen: Diese Ablehnung knüpfte nahtlos an
die antisemitischen Ressentiments der Behörden in der Kriegszeit an.
Mit Ausnahme einer Handvoll Personen verliessen alle Juden aus Ägypten
die Schweiz.

Hannah Einhaus ist Journalistin und Historikerin. Die Geschichte über
die Ereignisse von 1956 sind Teil ihrer Biografie über Georges
Brunschvig mit dem Titel: «Für Recht und Würde. Georges Brunschvig:
jüdischer Demokrat, Berner Anwalt, Schweizer Patriot». Erschienen ist
das Buch im Chronos Verlag.

+++(ST)REITSCHULE
Bern/Zeugenaufruf: Mann bei Auseinandersetzung schwer verletzt
In der Nacht auf Sonntag ist eine männliche Person bei einer
Auseinandersetzung im Bereich Schützenmatte in Bern schwer verletzt
worden. Der Verletzte musste ins Spital gebracht werden, befindet sich
aber nicht in unmittelbarer Lebensgefahr. Die Kantonspolizei Bern
sucht Zeugen.
http://www.police.be.ch/police/de/index/medien/medien.meldungNeu.html/police/de/meldungen/police/news/2016/10/20161016_1508_bern_zeugenaufrufmannbeiauseinandersetzungschwerverletzter
nicht in unmittelbarer Lebensgefahr. Die Kantonspolizei Bern sucht
Zeugen.
->
http://www.blick.ch/news/schweiz/bern/auch-polizisten-angegriffen-mann-vor-berner-reitschule-schwer-verletzt-id5614687.html
->
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/mann-bei-streit-auf-der-schuetzenmatte-schwer-verletzt/story/25410354
->
http://www.derbund.ch/bern/nachrichten/Schwerverletzter-auf-der-Schuetzenmatte/story/24789816
->
http://www.derbund.ch/bern/stadt/zwei-verletzte-bei-reitschule-und-drohungen-gegen-polizei/story/10643753
->
http://www.telebaern.tv/118-show-news/12750-episode-sonntag-16-oktober-2016#mann-vor-reitschule-verletzt