Ein neues „Reisedokument“ ist Öl im Getriebe der Ausschaffungsmaschine

Um Geflüchtete auszuschaffen, wollen die Schweiz und die EU enger zusammenspannen und führen ein „Reisedokument für Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger“ ein. Der Bundesrat hat die entsprechende EU-Verordnung am 11. Januar 2017 gutgeheissen.

Von Redaktion antira.org

Das „Reisedokument“ will rassistische Zwangsausschaffungen vervielfachen, indem es laut EU-Verordnung dazu beitragen soll, „den Verwaltungs- und Bürokratieaufwand für die Verwaltungen der Mitgliedstaaten und der Drittländer, einschließlich der Konsulate, zu reduzieren, und die notwendigen Verwaltungsverfahren zur Sicherstellung der Rückkehr und Rückübernahme illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger zu verkürzen“.

Diese Ziele wollen die Behörden zum Einen durch eine Vereinheitlichung der „Laissez Passer“ – so heissen die bis anhin uneinheitlich verwendeten Dokumente, die bei Zwangsausschaffungen zum Einsatz kommen – erreichen. Auf dem europaweit ausgestellten Reisedokument soll künftig festgehalten werden: „Name, Nachname, Geburtsdatum, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, besondere Kennzeichen und, sofern bekannt, die Anschrift des Drittstaatsangehörigen im Bestimmungsdrittland; ein Lichtbild des Drittstaatsangehörigen; die ausstellende Behörde, Ausstellungsdatum und -ort und die Gültigkeitsdauer; Informationen über die Abreise und die Ankunft des Drittstaatsangehörigen“.

Zum Anderen kann das Staatssekretariat für Migration (SEM) das „Reisedokument“ einseitig ausstellen. Diese Möglichkeit ist neu. Die bisher verwendeten „Laissez Passer“ mussten jeweils vom (Herkunfts-)Staat, in den eine Person ausgeschafft werden soll, bestätigt werden. Die meisten (Herkunfts-)Staaten erteilten ein „Laissez-Passer“ nur im Einzelfall und nach Prüfung der Staatsbürgerschaft der betroffenen Person, viele erteilten gar keines.

Dass (Herkunfts-)Staaten den Verschleppungswahn des Nordens nicht bedingungslos akzeptieren, hat unterschiedliche Gründe. Teilweise betrachten sie Zwangssausschaffungen als Menschenrechtsverletzung, teilweise verweigern sie die Rücknahme von Personen, weil sie diese als Regimegegner_innen oder Nestbeschmutzer_innen ächten. Eine wohl wichtigere Rolle spielen aber ökonomische und politische Abwägungen. Geflüchtete schicken ihren Verwandten und Bekannten aus dem Exil viel Geld zu. Von diesem Geld profitieren die lokalen Unternehmer_innenklasse und der (Herkunfts-)Staat vermutlich mehr als von den Belohnungen, die bei der Unterzeichnung eines Rücknahmeabkommens in Aussicht gestellt werden, oder von den Entwicklungsgeldern, die immer mehr an Rücknahmeabkommen und die Beteiligung der (Herkunfts-)Staaten an abschottende (Grenz-)Repression der nördlichen Länder gekoppelt werden.

Das einseitig ausgestellte Reisedokument soll in einem ersten Schritt im Rahmen der sogenannten Rücknahmeabkommen zum Einsatz kommen. Rücknahmeabkommen sind Verträge, in denen (Herkunfts-)Staaten sich verpflichten, Ausschaffungen von Personen, von denen die Schweiz behauptet, sie seien vom jeweiligen Staat, systematisch hinzunehmen. Hierzu schreibt das SEM: „Damit anerkennen die Vertragsstaaten dieses Reisedokument, was eine wesentliche Voraussetzung für einen einfacheren Vollzug der Wegweisung von irregulär anwesenden Drittstaatsangehörigen ist“.

In einem weiteren Schritt ist davon auszugehen, dass die EU und die Schweiz mit vereinten Kräften Druck aufsetzen, um die (Herkunfts-)Staaten zu zwingen, das einseitig ausgestellte Reisedokument zu akzeptieren und die gewaltsame Rückführung von Menschen in ihr Territorium systematisch hinzunehmen.

Verwendete Quellen:

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-65204.html

https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/aktuell/news/2017/2017-01-11/vo-eu-reisedokumente-d.pdf