Medienspiegel 14. März 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BALKANROUTE
AfD und Faschisten im bosnischen Grenzgebiet um Bihac
Wegen der Abschottung Europas harren derzeit im bosnischen Grenzgebiet um Bihac tausende flüchtende Personen unter unwürdigen Umständen aus. Vor kurzem bereisten vier faschistische Exponenten aus Deutschland die Region.
https://antira.org/2021/03/14/afd-und-faschisten-im-bosnischen-grenzgebiet-um-bihac/


+++EUROPA
Griechenland: Illegale Push-Backs
Die Vorwürfe gegen Länder wie Kroatien und Griechenland sind heftig: Misshandlungen und illegaler Rücktransport; Push-Backs von Flüchtlingen an Land und auf Hoher See. Sehr oft reagieren EU und Mitgliedsstaaten mit Schulterzucken: Klare Beweise fehlten. Das Europamagazin hat einen Fall in Griechenland rekonstruiert – und zeigt: An den Vorwürfen ist etwas dran.
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/sendung/wdr/push-backs-102.html


EU-Recht: Niemand kann Frontex stoppen
Der Frontex-Direktor kommandiert seit dem 1. Januar eine eigene, bewaffnete Polizeitruppe. Das verstärkt das eklatante Kontrolldefizit der Grenzagentur
https://www.heise.de/tp/features/EU-Recht-Niemand-kann-Frontex-stoppen-5987454.html


Die Lügen des Leggeri
Größte EU-Behörde außer Kontrolle: Eigene Geschäftsführung sieht kein Vergehen, Innenkommissarin machtlos
https://www.jungewelt.de/artikel/398394.frontex-die-l%C3%BCgen-des-leggeri.html


EU: Das Zögern der Kommission
Trotz Indizien leitet die EU gegen mutmaßliche “Push-Back”-Staaten keine Verfahren ein. Auch bei der ihr unterstellten Behörde Frontex bleibt Kommissarin Johansson passiv. Warum zögert die Kommission?
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/sendung/wdr/frontex-102.html


+++SEXWORK
16 Jahre Engagement für Sexarbeitende
Birgitte Snefstrup setzte sich mit dem Luzerner Verein «Lisa» 16 Jahre lang für die Interessen der Sexarbeitenden ein. Ende März geht sie in Pension. Die Arbeit mit den Frauen und Männern sei Beziehungsarbeit, sagt Birgitte Snefstrup im Gespräch mit dem Regionaljournal. (ab 08:36)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/16-jahre-engagement-fuer-sexarbeitende?id=11949043


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
FINTA* DEMO und weitere Aktionen am 8.März
Um die 1500 FINTA*- Menschen haben sich am Montagabend selbstbestimmt die Strassen Basels genommen, um gegen Herrschaft, Patriachat, Sexismus und Faschismus ein Zeichen zu setzen.
https://barrikade.info/article/4285


+++BIG BROTHER
Sonntagszeitung 14.03.2021

Kampf gegen Kinderpornografie: EU will verdachtslose Überwachung privater Chats erlauben

Die automatische Nachrichtendurchleuchtung soll für Mail- und Nachrichtendienste zur Pflicht werden. Datenschützer sehen darin das Ende des digitalen Briefgeheimnisses.

Philippe Stalder

Haben Sie aus Ihrem letzten Strandurlaub ein Familienfoto verschickt? Gut möglich, dass es wegen Verdachts auf Kinderpornografie auf dem Schreibtisch eines Bundespolizisten gelandet ist.

Amerikanische Kommunikationsdienste wie Gmail oder Facebook sind per Gesetz verpflichtet, illegale Inhalte wie Pornos mit Kindern oder Tieren sowie extreme Gewaltdarstellungen zu melden. Das Problem dabei ist: Die Betreiber gehen nicht nur spezifischen Verdachtsfällen nach. Mithilfe von Algorithmen, die unter anderem nackte Haut und Kinder erkennen, durchsuchen sie automatisch sämtliche hochgeladenen Inhalte. Auch in privaten Nachrichten.

Die Trefferquote ist dabei tief: «2020 trafen bei uns rund 8000 Meldungen ein», sagt Fedpol-Sprecher Florian Näf. «Strafrechtlich relevant waren davon ca. 14 Prozent. Beim Rest können die Urheber nicht identifiziert werden oder es handelt sich um unproblematische Darstellungen, wie das oben genannte Urlaubsfoto.» Dennoch seien die Meldungen wichtig für die Bekämpfung von Pädokriminalität im Netz. «Dank den daraus resultierenden Strafverfahren können Pädokriminelle verurteilt und Personen davon abgehalten werden, weitere verbotene Inhalte zu konsumieren oder weiterzuverbreiten», so Näf.

Was in den USA bereits Standard ist, soll nun auch in Europa und der Schweiz zur Pflicht werden. Die EU-Kommission will im zweiten Quartal 2021 einen Gesetzesentwurf vorlegen, der Anbieter von E-Mail-, Chat- und verschlüsselten Messengerdiensten gesetzlich verpflichten soll, die gesamte elektronische Kommunikation ihrer Nutzer pauschal und verdachtslos nach Kinder- und Jugendpornografie zu durchleuchten.

«Überwachung kann jederzeit ausgedehnt werden»

Auch Schweizer Messenger-Dienste wie Threema, die im EU-Raum aktiv sind, sollen vom neuen Gesetz betroffen sein. Threema-Mitbegründer Martin Blatter beobachtet die Entwicklung kritisch: «Unter dem Vorwand des Kampfs gegen Kinderpornografie wird hier ein Überwachungssystem geschaffen.» Wenn es erst einmal installiert sei, so Blatter, könne es jederzeit problemlos und unbemerkt ausgedehnt werden, etwa auf Regierungskritiker und politische Aktivisten oder zu Spionagezwecken.

Threema verzeichnete in den letzten Wochen einen starken Zulauf, nachdem Facebooks Messengerdienst WhatsApp seine AGBs so angepasst hat, dass Nutzerdaten zu Werbezwecken künftig mit dem Mutterkonzern geteilt werden dürfen. Wähnen sich Threema-Neukunden nun in falscher Sicherheit? Blatter widerspricht. Er mache sich keine allzu grossen Sorgen um das Geschäft seiner Firma: «Wir haben keine Filiale in der EU und in der Schweiz besteht keine Rechtsgrundlage für eine solche Überwachung unserer Nutzer.» Ein Zwang zur Ausleitung von Daten an EU-Behörden wäre für Blatter auch aus souveränitätspolitischen Überlegungen ein absolutes Unding. «Selbst der Bundesrat nutzt unsere Kanäle. Ich rechne nicht damit, dass er akzeptieren würde, dass ausländische Behörden mitlesen könnten.»

Brüssel hebelt eigene E-Privacy-Richtlinie aus

Bis das neue Gesetz in Kraft tritt, dürfen Anbieter als Übergangslösung seit Anfang 2021 bereits auf freiwilliger Basis Inhalte ihrer Nutzer überwachen. Zur Verwendung kommen neben den oben genannten Algorithmen auch Textfilter, die Anbahnungsversuche in privaten Chatforen entdecken sollen. Um den Einsatz dieser Instrumente zu legitimieren, musste die EU-Kommission ihre eigene E-Privacy-Richtlinie aushebeln.

In welchem Ausmass diese Instrumente im neuen Gesetz verankert werden sollen, ist derzeit Gegenstand einer laufenden Trilog-Verhandlung zwischen EU-Kommission, -Rat und -Parlament. Während sich die Kommission und der Rat für ein Modell nach US-Vorbild stark machen, fordert eine Mehrheit im Parlament Auflagen wie etwa eine Beschränkung der Datenspeicherung auf drei Monate, eine Immunität für Ärzte und Anwälte sowie die Vorgabe einer minimalen Trefferquote bei der automatischen Durchleuchtung. Microsoft, Facebook und Google wehren sich vehement gegen sämtliche Auflagen, wie ein gemeinsames Lobbyschreiben zeigt, das die US-Techgiganten an die EU-Parlamentarier adressierten und dieser Zeitung vorliegt.

Patrick Breyer, der als EU-Abgeordneter der Piraten an den Verhandlungen teilnimmt, misst den Auflagen nur wenig Chancen bei. Für ihn steht fest, wohin die Reise gehen soll: «In einem von der EU-Kommission beauftragten internen Papier mit Überlegungen zu den technischen Optionen wird favorisiert, dass selbst verschlüsselte Messengerdienste eine Hintertür einbauen sollen. Das wäre das Ende des digitalen Briefgeheimnisses.» Dies würde nicht nur zu Schwachstellen in der Software führen und gemäss Breyer neue Begehrlichkeiten bei den Strafverfolgungsbehörden wecken, sondern auch das sichere Ende für das Geschäftsmodell vieler Messengerdienste bedeuten, die auf einer sogenannten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung beruhen.
(https://www.derbund.ch/bruessel-erlaubt-ueberwachung-privater-mails-391994232965)


+++POLIZEI SG
«Victim Blaming»: Frauen-Ratgeber der Kapo erhitzt die Gemüter im Netz
Die Kantonspolizei St. Gallen hat Tipps für Frauen verfasst, die nachts alleine unterwegs sind. Im Netz empören sich Userinnen darüber. Vielmehr sollte es einen Männerratgeber geben, heisst es.
https://www.20min.ch/story/frauen-ratgeber-der-kapo-erhitzt-die-gemueter-im-netz-476819076459
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/guter-rat-der-polizei-wie-sich-frauen-zu-verhalten-haben-fuehrt-zu-shitstorm-ld.2114498
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/kapo-st-gallen-fur-sexistischen-ratgeber-unter-beschuss-65887865
-> https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/liegt-auf-der-hand-dass-sie-ein-leichtes-opfer-sind-frauen-ratgeber-der-kapo-st-gallen-sorgt-fuer-shitstorm-id16400122.html


+++RASSISMUS
Zürcher Kiosk verkauft Dubler-«Mohrenköpfe» als «Schokoküsse»
Letztes Jahr nahm die Migros die Dubler-«Mohrenköpfe» aus dem Sortiment. Eine riesige Debatte folgte. Nun verkauft sie ein Zürcher Kiosk als «Schokoküsse».
https://www.nau.ch/news/schweiz/zurcher-kiosk-verkauft-dubler-mohrenkopfe-als-schokokusse-65885581


+++RECHTSEXTREMISMUS
«Solche Leute gehören nicht zu uns»: Veranstalter einer Thurgauer Coronademo distanzieren sich von Neonazis im Publikum
An einer Veranstaltung der «Mündigen Bürger Thurgau» in Weinfelden war auch eine Gruppe Rechtsextremer dabei. Sie verhielt sich jedoch unauffällig. Die Organisatoren wussten von nichts.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/kreuzlingen/wir-sind-keine-rechtsradikalen-veranstalter-einer-coronademonstration-distanzieren-sich-von-neonazis-im-publikum-ld.2114481



Sonntagszeitung.ch 14.03.2021

Proteste gegen den Lockdown: Wie Neonazis Corona-Demos unterwandern

Erstmals nahm eine ganze Gruppe Rechtsextremisten an einem Protest gegen den Lockdown teil. Die Organisatoren hatten keine Ahnung davon.

Kurt Pelda

Die Neonazis haben ihre Glatzen zum Teil unter Kappen oder Baseballmützen versteckt. Sie geben sich als harmlose Demonstranten, die am 1. März, einem Montagabend, im thurgauischen Weinfelden gegen den Lockdown protestieren. Sie stehen in kleinen Gruppen herum und applaudieren Rednern, die ein sofortiges Ende der Corona-Einschränkungen fordern.

Von den etwa 80 Demonstranten sympathisiert schätzungsweise ein knappes Dutzend mit den Rechtsradikalen, unter ihnen auch ein oder zwei Frauen. Sie alle geben sich Mühe, nicht negativ aufzufallen. Die Organisatoren sollen nicht erfahren, dass Neonazis ihre Demonstration unterwandern.

Impfgegner und Verschwörungstheorien

Lockdown-Proteste – und zwar nicht nur in Weinfelden – haben mit rechtsextremen Ideen eigentlich nichts am Hut. Viele Demonstranten kommen aus der alternativen und esoterischen Szene, sie lassen sich nicht ins rechte Spektrum einordnen. Und in Corona-Diskussionsforen auf dem Messengerdienst Telegram bläst Antisemiten nicht selten ein rauer Wind entgegen.

Allerdings gibt es auch Überschneidungen. Rechtsradikale sind fast geschlossen gegen die Corona-Impfungen, und damit stehen sie an den Protesten gegen die vom Bundesrat verordneten Einschränkungen der Grundrechte nicht allein da. Praktisch alle Neonazis glauben ausserdem an Verschwörungstheorien.

Der Nachwuchs der Winterthurer Rechtsextremisten

Bisher traten Rechtsextreme nur vereinzelt an Corona-Demos auf und nur selten als Initiatoren oder Aushängeschilder. Dass Neonazis aber in Gruppen und mit einschlägigen Transparenten an den grösser werdenden Protesten auftauchen, lässt aufhorchen.

Unter den Weinfelder Demonstranten hat es auch altbekannte Gesichter. Zum Beispiel den 47-jährigen Hammerskin Triboldo, der im Thurgau eine Firma für Gartenunterhalt im Handelsregister eingetragen hat. Triboldo ist das Pseudonym des Gitarristen und Sängers der Rechtsrockband Vargr I Veum, was so viel wie «vogelfrei» bedeutet. Von der Band hat man zwar schon länger nichts mehr gehört, aber Triboldo war 2019 am Budapester «Tag der Ehre» zugegen. An der Veranstaltung mit Tausenden Neonazis aus ganz Europa trat er offiziell als Teil der Schweizer Hammerskin-Abordnung auf.

In Weinfelden wurde deutlich, dass sich der rührige Triboldo auch um den Nachwuchs aus der Winterthurer Neonaziszene kümmert. Unter seine Fittiche genommen hat er offenbar zwei fast ganz in Schwarz gekleidete Neonazis, beide um die 20 Jahre alt. Neben sich haben sie auf einer Sitzbank ein zusammengelegtes Transparent aus weissem Stoff deponiert. Die schwarze Schrift der Botschaft ist zwar nicht zu lesen, dafür aber die Webadresse der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos).

Die beiden jungen Männer gehören zum Umfeld der im letzten Jahr bekannt gewordenen Gruppen Eisenjugend, Junge Tat und Nationalistische Jugend Schweiz (NJS). Fabio L. (Name geändert), ein Metzger aus der Region Winterthur, posiert gerne mit Muskeln und Hanteln, im Fitnesszentrum auch mal in einem T-Shirt der Pnos. Auch er ist in der rechtsextremen Szene bestens vernetzt. An der Thurgauer Pnos-Sektion fällt auf, dass sie im Lockdown durch mehrere Flugblattaktionen von sich reden machte, wie auf der Webseite der Pnos nachzulesen ist.

Im Visier der Polizei

Neben dem jungen Metzger steht der Winterthurer Markus L. (Name geändert). Er machte früher bei der NJS mit und stellte unter anderem ein Foto eines Lagerfeuers auf Instagram – mit der Aufschrift «Der Jude brennt». Im Januar wurde er zusammen mit fünf mutmasslichen Mittätern wegen des Verdachts auf Verstoss gegen die Antisemitismus-Strafnorm kurzzeitig verhaftet.

Von der Gesinnung des jungen Manns ahnte der Winterthurer Stadtrat offenbar nichts, als er sich 2019 zusammen mit Markus L. auf einem Gruppenfoto ablichten liess. Auf das Bild angesprochen, antwortete der Informationschef von Winterthur, dass der Stadtrat den Hintergrund von Markus L. gar nicht habe kennen können: «Die Polizei darf den Stadtrat aus Datenschutzgründen nicht über die Identität von Personen informieren, die unter Beobachtung stehen oder gegen welche Untersuchungen im Gange sind.»
(https://www.derbund.ch/wie-neonazis-corona-demos-unterwandern-964432742043)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Verschwörungstheroretiker und andere Fantasten: Irre
Ist eine Wahnwelt erstmal betreten und fühlt sich gut an, hat die Wirklichkeit keine Chance mehr. Aber warum tun gerade noch „normal“ gewesene Leute das? Sozialpsychologe Harald Welzer weiß nicht mehr weiter.
https://taz.de/Verschwoerungstheroretiker-und-andere-Fantasten/!5757526/


Die lustigen Rattenfänger von «Mass-voll»
Unser Kolumnist amüsiert sich über die radikalen Verschwörungsspinner aus dem Umfeld des FDP-Mannes Nicolas A. Rimoldi.
https://www.nau.ch/news/stimmen-der-schweiz/die-lustigen-rattenfanger-von-mass-voll-65887580



Nach Einsatz bei illegaler Party in Gommiswald: SP kritisiert Aussagen des Polizeisprechers
Beim Durchsetzen der Coronaregeln müsse die St.Galler Polizei alle Personen und sozialen Gruppen gleich behandeln, fordert die SP. Sie zweifelt nach der illegalen Party in Gommiswald daran, dass dies der Fall ist – und verlangt Antworten von der Regierung.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/coronavorschriften-nach-einsatz-bei-illegaler-party-in-gommiswald-sp-kritisiert-aussagen-des-polizeisprechers-ld.2114429



beobachter.ch 12.03.2021

Proteste gegen Massnahmen: Die Welt der Corona-Skeptiker

Woche für Woche gehen immer mehr Menschen gegen die Pandemie-Massnahmen auf die Strasse. Ein Einblick, was an den Demonstrationen und in den Chatgruppen vor sich geht.

Von Melanie Wirz

Wenn der Verein «Stiller Protest» zum Spaziergang ruft, folgen ihm Hunderte. Besorgte Bürger, Impfgegnerinnen, Anhänger von Verschwörungsgeschichten, selbst ernannte Kämpferinnen für die Grundrechte. Darunter mischen sich auch verzweifelte Ladenbesitzer, deren Lebenswerk bedroht ist, und Menschen, denen die Massnahmen des Bundes einfach zu weit gehen.

Sie alle marschieren Wochenende für Wochenende durch Städte und Dörfer. Viele gehüllt in weisse Schutzanzüge. Ihr stiller Gang hat etwas faszinierend Unheimliches und lässt die Welt um sie herum an ihrer unbeirrbaren Meinung teilhaben. Die Menschheit müsse endlich «erwachen», sie dürfe nicht länger der «Corona-Diktatur der Regierung» folgen.

Paul Casutt* (Name geändert) ist mit seiner Familie vom Bündnerland ins aargauische Wohlen gereist, um am «Stillen Protest» teilzunehmen. Den weissen Schutzanzug hat er bis zur Hüfte heruntergerollt. Ihm ist heiss geworden, die Sonne brennt an diesem Februartag vom Himmel. Die Parolen, denen er lauscht, haben sein Gemüt erhitzt. Denn die Rednerinnen und Redner sprechen ihm aus dem Herzen. Er ist unter Gleichgesinnten.

«Wir alle sind in Wohlen, um ein Zeichen zu setzen», sagt er. Die Regierung fahre mit ihrem Verhalten alles gegen die Wand. «Die Schäden, die diese Massnahmen anrichten, sind viel grösser als die Schäden, die ein grippeähnliches Virus verursacht.» Er sorge sich um die mentale Gesundheit der Bevölkerung, sagt er immer wieder.

«Meine Schwester ist Kinder- und Jugendpsychologin. Sie hat mir bestätigt, dass die Fälle von kranken Jungen zugenommen haben. Das darf doch nicht sein!» Glaubt er noch an eine funktionierende Schweizer Demokratie? Er schüttelt nur den Kopf. «Ich war schon immer kritisch. Aber vom Vertrauen in die Regierung ist jetzt endgültig nichts mehr übrig.»

Radikal, extremistisch?

Je länger die Pandemie dauert, desto mehr Menschen denken wie Paul Casutt. Und werden sichtbar wütender. In Bern, Zürich, Aarau, Zug, Chur. An diesem zweitletzten Samstag im Februar versammeln sich fast 2000 Menschen in der Gemeinde Wohlen, die sie später für ihre Gastfreundschaft loben werden. In Chur, zwei Wochen später, sind es fast 4000.

Diese Demonstrationen seien «ein Zeichen für die grosse Unzufriedenheit in der Bevölkerung», sagt Sozialwissenschaftler Marko Ković vom Forum für kritisches Denken, das sich für Rationalität und wissenschaftliches Denken einsetzt. Der Protest sei verständlich.

«Eine Krise, wie wir sie bisher nicht kannten, ummantelt uns mit dem Gefühl der Unsicherheit. Sie kann zu Existenzängsten führen. So entsteht eine kritische Haltung gegenüber der Regierung, den uneinigen Expertenstimmen, Impfungen, den Leitmedien.» Folglich tue man sich mit Gleichgesinnten zusammen. Daraus entwickle sich eine starke Dynamik. «Das ist nicht ungefährlich. Es wäre falsch, diese Bewegung als blosse Spinnerei abzutun», sagt Ković. «Sie kann zum Pulverfass werden.»

Nicht bloss Worte

Dass so viele Menschen ihre Wut auf den Bundesrat öffentlich kundtun, sei problematisch, ein Schritt Richtung Extremismus, sagt auch der Soziologe Dirk Baier, der das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der ZHAW leitet. «Diejenigen, die für ihr Anliegen auf die Strasse gehen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Das Fundament darunter ist viel breiter.» Gefährlich werde es, wenn auf Worte Taten folgen.

Im Dezember 2020 versuchten zwei Corona-Leugner, in das Unispital Zürich einzudringen. Sie wollten persönlich überprüfen, wie viele Menschen wirklich an Beatmungsgeräten hängen. Im Januar 2021 wurde in Chats offen mit einem Sturm des Bundeshauses gedroht – in Anlehnung an den Sturm des Kapitols durch den Trump-Mob Tage zuvor. Beide Male kam es nicht so weit. In Bern war die Polizei mit einem Grossaufgebot vor Ort. «Alle Hemmschwellen sind noch nicht gefallen», sagt Baier.

Aufruf zum Widerstand

In Wohlen ist die Stimmung friedlich. Die Menschen lauschen entspannt der zittrigen Stimme auf dem Bühnenwagen. «Ihr seid der sichtbare Widerstand», schallt es aus den Lautsprechern. Masken seien schädlich. «Sogar unsere Kinder werden von der Regierung missbraucht, um Druck auszuüben. Aber nicht das Virus ist das Monster, sondern die Massnahmen.»

Von einem Vorwurf an den Bundesrat rast die Rednerin zum nächsten. Die Menge jubelt. An die Schutzmassnahmen, unter deren Voraussetzung der Grossanlass bewilligt wurde, hält sich kaum jemand. Abstände werden auf dem Areal, das neben einer Alterssiedlung liegt, nicht eingehalten. Schutzmasken sind verpönt. Die Regional- und die Kantonspolizei schauen zu und werden später sagen, dass der friedliche Verlauf der Kundgebung höher gewichtet wurde als die Ahndung von Verstössen. Wohlen hätte zum Superspreader-Event werden können.

Die Schweiz sei ein an sich friedliches Land, sagt Soziologe Dirk Baier. Und das Gewaltrisiko sei niedriger als in anderen europäischen Ländern. Aber man überschreite eine heikle Schwelle, wenn durch solches Verhalten andere in Gefahr gebracht werden. «Es ist fahrlässig, wenn mit dem eigenen Handeln die Verbreitung des Virus riskiert wird.» Das sind keine leeren Worte. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung haben die sogenannten Querdenker-Demos in Deutschland zur stärkeren Verbreitung des Virus beigetragen.

Die meisten der Demonstrierenden bezweifeln jedoch die Gefährlichkeit des Virus und halten die Auflagen für übertrieben. Auch Lars Müller*, ein sportlicher Typ in weissem Schutzanzug. «Rechtfertigen etwa die wenigen Toten die soziale Verkümmerung der restlichen Bevölkerung?», fragt er. «Gestorben wird schliesslich immer.»

Menschen, die eine Maske tragen, hätten ihn lange Zeit wütend gemacht. Das sei reine Panikmache. «Mittlerweile ist es mir egal, wenn man sich das aufzwingen lassen will. Ich trage keine Maske, ich habe mir ein Attest besorgt.» Mit seiner Kritik ist er in Wohlen nicht allein. Auch im Internet nicht.

Verbreitet wird sie dort vor allem über Nachrichten-Apps wie das russische Telegram. Hier tauscht sich Lars Müller mit Gleichgesinnten in Gruppen aus, die allesamt öffentlich einsehbar sind. Sie nennen sich «Corona Rebellen», «Widerstand Schweiz», «WDChur»
Corona-Tote Dubioses Video warnt vor falsch deklarierten Todesfällen
oder «Corona-Frei.ZH». Hier vernetzen sie sich, kündigen Demonstrationen und stille Spaziergänge an.

Sachliche Diskussionen aber finden in diesen Chat-Stuben kaum statt. Sie funktionieren eher wie eine Gegenöffentlichkeit für Corona-Kritiker, sind virtuelle Stammtische, an denen kein Blatt vor den Mund genommen, wo gelästert, gespottet wird und Andersgesinnte als «Schlafschafe» diffamiert und unverhohlen Drohungen gegen Parlamentarierinnen ausgesprochen werden. Die jüngste Polemik der «Gesundheitsdiktatur» hat nun auch die SVP aufgenommen und Gesundheitsminister Alain Berset und den obersten kantonalen Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger als «Diktatoren» bezeichnet.

Die Pandemie sei Fiktion, behauptet eine Userin. Eine andere verbreitet ein Video, in dem gesagt wird, dass Rabbis mit der Pandemie alle Europäer vernichten wollen. Dass die ganze Wirtschaft an die Wand gefahren werde, «nur um die Alten zu retten», sei «zum Kotzen». Eine Frau schrieb, dass sie sich mit einer «jammernden» Pflegefachfrau unterhalten hätte: «Mit solch indoktrinierten Personen reden zu müssen, ist eine Qual.»

Gefallene Hemmungen

Eine Langzeitbeobachtung des Beobachters seit letztem September zeigt: Der Ton in den Foren wird von Monat zu Monat aggressiver. Kürzlich schrieb eine Userin: «Lasst euch von denjenigen aufklären, die wach sind – und haltet eure Fressen und hört zu und lest, anstatt eure verschmutzten Mäuler aufzumachen und Scheisse zu labern.» Es werde nicht mehr lange dauern, dann sei «Schluss mit lustig», droht ein anderer.

Fallen im Chat der «Corona Rebellen» Wörter wie «Bundesrat», korrigiert der programmierte Chatbot Alexis jedes Mal: «Du meinst wohl BundesVERrat!» Aus «Angela Merkel» wird «Das Merkel wird untergehen». Wird Alain Berset erwähnt, schickt Alexis automatisch ein Bild, das den Bundesrat hinter Gitterstäben zeigt. Wilde Verschwörungsmythen machen die Runde, Antisemitismus ist erschreckender Alltag.

«Social Media sind der ideale Nährboden für solche Gruppierungen», sagt Lisa Schwaiger vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Uni Zürich. «Hinter dem Bildschirm ist die Hemmschwelle, verachtende Sachen zu teilen, viel niedriger als Face to Face.»

Natürlich müsse man sich kritisch äussern können, findet Schwaiger. Doch was in diesen Chats betrieben werde, sei Hetze. «Social Media sind nur der Startpunkt. Dort heizt man sich gegenseitig auf. Bei Einzelnen schafft das ein Gefühl der Zugehörigkeit. Man stellt sich gemeinsam gegen etwas.» Was für Ideologien aufeinanderprallten, sei zweitrangig, mache es moralisch aber nicht besser. «Es geht vor allem um den gemeinsamen Nenner.»

Spirituelle Menschen gehen Seite an Seite mit Leuten, die den Juden die Schuld am Coronavirus geben. Die Ladenbesitzerin diskutiert online mit dem Rechtsextremen Ignaz Bearth, der in diversen Telegram-Kanälen «Ehrengast» ist. Es gibt auch diejenigen, die sich bei den «Corona Rebellen Singles» in Gleichgesinnte verlieben wollen, und andere, die Kontakt suchen, weil sie die Weihnachtstage allein verbringen mussten, da sich die Familie von ihnen abgewandt hat.

Die Märtyrer

Marko Ković, der sich seit Jahren mit Sekten und Verschwörungsgeschichten auseinandersetzt, hat festgestellt: Die Leute, die sich in diesen Foren zum Protest gegen Corona verbinden, decken sich auffällig mit der Gruppe, die Forscher unter Anhängern von Verschwörungsgeschichten gefunden haben. «Der Grund, weshalb sich die Gruppe von der äusseren Welt abgrenzt, ist das, was zusammenschweisst. Menschen nehmen eine Märtyrerhaltung ein.» Das sei ein wahnsinnig starker psychologischer Effekt: «Wir sind die Guten – die Andersdenkenden die Bösen. Die Schuld für etwas Schlechtes gibt man immer den anderen.»

Die Umdeutung von Fakten führe dazu, dass man sich als unterdrückte Minderheit wahrnehme, die ihre Freiheit durch Impfzwang oder Maskenpflicht gefährdet sieht. Die Regierung lasse keine freie Meinungsäusserung mehr zu, behaupten die Corona-Kritiker.

Dabei ist der Umgang untereinander alles andere als tolerant. Täglich werden Mitglieder aus den Telegram-Gruppen geworfen, die sich auch nur ansatzweise kritisch gegenüber dem Konsens äussern, sich nicht absolut gegen Impfungen aussprechen oder an der Bosheit von Bill Gates zweifeln. «Damit praktizieren Anhängerinnen und Anhänger der ‹Corona Rebellen› genau das, was sie der Regierung vorwerfen», so Ković.

In Wohlen neigt sich der Tag dem Ende zu, die Schutzanzüge bewegen sich Richtung Bahnhof und warten ruhig auf den Zug. In den S-Bahnen breiten sie sich dann maskenlos aus. Als ein älterer Herr eine Gruppe darauf aufmerksam macht, dass hier Maskenpflicht gilt, zeigen sie ihm den Vogel.
(https://www.beobachter.ch/gesellschaft/proteste-gegen-massnahmen-die-welt-der-corona-skeptiker)


+++HISTORY
Sonntagszeitung 14.03.2021

Meghan und das Königshaus: Der Rassismus der Royals hat eine lange Geschichte

Mit den blutigen Kapiteln seiner Vergangenheit beschäftigt sich das britische Königshaus nicht gerne. Dabei gehörten Sklavenhandel und die Ausbeutung der Kolonien lange zur Machtbasis, sagen Kritiker.

Alexandra Bröhm

«Die britische Monarchie steht wie kaum eine zweite Institution für weisse Vorherrschaft», sagte der englische Professor Kehinde Andrews diese Woche im US-Fernsehen. Ihn hatten die Erzählungen von Meghan Markle über den Rassismus des Königshauses nicht erstaunt. Die Royals seien eine weisse Elite. Sie pochten auf Geburtsprivilegien und schmückten sich mit Reichtum und Juwelen, die sie früheren Kolonien gestohlen hätten, sagte der Professor für Black Studies an der Universität Birmingham. Dass das rassistische Denken der Royals Tradition hat, zeigt ein kurzer Blick in die Geschichte:

Der Sklavenhandel (Mitte des 16. bis Anfang 19. Jahrhundert)

In den 1560er-Jahren reiste der britische Händler John Hawkins nach Westafrika. Er liess dort gewaltsam 300 Menschen entführen, verkaufte sie in der Karibik als Sklaven und etablierte so eine der Hauptrouten für den britischen Sklavenhandel. Die Namensvetterin der Queen, Königin Elizabeth I. (1533–1603), zeigte sich beeindruckt von Hawkins, beschloss, seine Raubzüge zu finanzieren, und zeichnete Hawkins mit einem Familienwappen aus, das einen gefesselten Afrikaner zeigte. Dass Sklaverei eigentlich schon damals ein kontroverses Thema war, beweist der Eintrag eines englischen Chronisten. In England gäbe es keine Sklaven, hielt dieser 1587 stolz fest – ohne die Sklavenschiffe zu erwähnen.

«Vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert war der Sklavenhandel eine wichtige Stütze der britischen Wirtschaft, von der nicht nur das Königshaus und der Adel, sondern auch eine wohlhabende Mittelschicht profitierte», schrieb der englische National Trust 2020 in einem Bericht zum Thema. Britische Händler waren für die Versklavung von mehr als drei Millionen Afrikanern und Afrikanerinnen verantwortlich, rund ein Drittel des transatlantischen Menschenhandels. Die Royals hätten sich nie mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt, sagte Priyamvada Gopal, Professorin für die Nachgeschichte des Kolonialismus an der Universität Cambridge, dem «Time Magazine».

Ab Beginn des 17. Jahrhunderts nahm Grossbritannien immer mehr Gebiete in Übersee als Kolonien in Besitz. Zuerst waren es karibische Inseln und Nordamerika, dann folgte die Expansion nach Indien, Afrika und Australien. Dabei waren die Briten auch an Massakern an der Urbevölkerung in Amerika, Afrika und Australien beteiligt. Mit Handelsgesellschaften wie beispielsweise der East India Company profitierten sie finanziell stark von den Kolonien.

Während der Herrschaft von Königin Victoria (1819–1901) waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts rund 25 Prozent der Weltbevölkerung Teil des britischen Empires. In ihren letzten Lebensjahren entwickelte sich zwischen der einsamen Victoria und ihrem indischen Bediensteten Abdul Karim eine enge Freundschaft. Die beiden verbrachten sehr viel Zeit miteinander. Victoria schenkte Abdul ein Haus und unterschrieb Briefe an ihn mit «deine dich liebende Mutter». Er lehrte sie im Gegenzug Hindi und Urdu. Am Hof sah man diese Freundschaft nicht gerne. Nach Victorias Tod bekam der junge Inder den Rassismus der Royals zu spüren. Sie nahmen ihm sein Haus, verbrannten seinen Besitz und zwangen ihn, nach Indien zurückzukehren.

Und eine Entschuldigung?

Immer wieder gibt es Diskussionen, ob sich das britische Königshaus offiziell für die Verwicklung in die Verbrechen der Sklavenhändler entschuldigen sollte. Auch wenn niemand direkt für Gräueltaten seiner Vorfahren verantwortlich ist, kann eine solche Entschuldigung den Nachkommen der Opfer viel bedeuten. Einzig Prince Charles bezeichnete den Sklavenhandel bei einer Rede in Ghana 2018 als schreckliches Ereignis, doch die Queen hat sich nie geäussert. Gegenüber Irland hat sie sich hingegen für die britische Kolonisation offiziell entschuldigt – aber das liegt in Europa.

Verschiedene Mitglieder der Royals sind in den letzten Jahrzehnten mit rassistischen Äusserungen aufgefallen, wie der Mann von Elizabeth II., Prinz Philip, mehrfach – und, bevor er Meghan kennen lernte, auch Harry selbst.
(https://www.derbund.ch/der-rassismus-der-royals-hat-eine-lange-geschichte-304973670650)